Anekdoten aus dem "Alltag"

NeoAslan+

Well-Known Member
...oft gibt es skurille und freakige Erlebnisse, abenteurliche Begebenheiten, die nicht nur im Tagebuch aufgeschrieben werden müssen...wer mag kann diesen Thread nutzen seine eigenen mitzuteilen, quasi als Art "TT-Tagebuch" für die großen und kleinen Merkwürdigkeiten des Lebens :)
 

eruvaer

Well-Known Member
ich fang mal an..hab eig nix zu erzählen, aber ich möchte die nette Idee unterstützen :confused:
vielleicht liest es ja jemand und findet auch in seinem alltag eine kurze geschichte zu erzählen :)
deswegen nehm ich mir mal die freiheit einen text meiner verstorbenen tante als anekdote heranzuziehen.
ursprünglich nicht auf hochdeutsch geschrieben, hoffe ich, dass es durch meine übersetzung nicht gänzlich an charme verliert...

Es war im Winter 1945, damals waren – genau wie Heute, Menschen auf der Flucht. Menschen, die Heimat, Haus und Hof verloren hatten, die nicht wussten wo sie wohnen und wovon sie leben sollen. Die Not war groß und jetzt im Winter, mit dem kalten Wetter, ist nur alles noch schwerer geworden. Eine warme Stube und genug zu Essen, hatten die allerwenigsten.

Weihnachten steht vor der Tür, aber Freude auf das Fest will noch so recht aufkommen. Zur Sorge um das tägliche Brot kommt die Sorge um liebe Menschen, die vermisst werden. Und die Trauer um die vielen Menschen, die im Krieg umgekommen waren, liegt auf jedem Haus. Hungrige Menschen gehen bettelnd durch die Dörfer. Auch bei Müller verging bald kein Tag mehr, ohne dass einer zum Betteln kam. Das Schweinchen, dass zu Weihnachten geschlachtet werden sollte, war ihnen aus dem Stall geklaut worden. Aber mit leeren Händen ging bei Müllers nie einer aus dem Haus. Eine warme Mahlzeit oder eine Hand voll Kartoffeln gab es bei ihnen immer.

Müllers Mutter hatte im ersten Weltkrieg selbst Hunger leiden müssen, und wenn sie auch nicht wusste, ob der Vorrat durch den Winter für die große Familie reichen würde, konnte sie doch die hungrigen Menschen nicht abweisen. Nun saß sie in der großen Küche, dem einzigen Raum der beheizt war, stopfte mit aufgeribbeltem Garn die Socken und erzählte den Kindern, wie es früher an Weihnachten gewesen ist. Als die Kinder dann fragten, wann das Christkind wohl wieder Schokolade, Marzipan und all die anderen Leckereien bringen würde, sagte sie: „Wir dürfen nicht klagen und noch mehr verlangen. Wir haben ein Dach über'm Kopf und alle Tage satt zu essen – es gibt so viele Menschen, die das nicht haben.“
Da ging die Tür auf und Hannes, ihr zwölfjähriger Sohn, kam herein und erzählte: „Hinter'm Bahndamm steht ein alter Kirmeswagen. Da wohnt 'ne Familie mit drei Kindern. Der Mann ist Scherenschleifer. Soll ich unsere Messer und die Schere nicht hin bringen und schleifen lassen?“ „Die Messer“, sagt die Mutter „die schleif ich selbst, aber die Schere hat es wohl nötig.“ Hannes nahm die Schere und lief wieder hinaus. Er hatte es recht eilig.

Es war über eine Stunde vergangen bis er endlich wieder kam. Auf die Frage, wo die Schere sei, sagte er: „Der Scherenschleifer, der hat 'ne Trompete und ich durfte versuchen darauf zu blasen. Ach, so eine Trompete, die hätt' ich auch so gern“ „Jau, was du wohl noch alles so gern haben willst! Magst nicht lieber noch mit dem Scherenschleifer küngeln? Und wo hast du nun die Schere gelassen!?“ „Die Schere, die wollt der Mann gleich selber bringen, ich hab ihm gesagt wo wir wohnen.“ „Ach, du dummer Junge! Glaubst du das denn? Der Scherenschleifer ist morgen über alle Berge und ich bin meine Schere los!“ „Nä, nä!“, sagt Hannes „der Mann ist wohl ehrlich, der kommt bestimmt.“ „Ehrliche Menschen Junge, die gibt’s heutzutage nicht mehr oft. Und jetzt geh auf die Dielen, hilf das Vieh versorgen. Wenn der Mann bis sieben Uhr nicht hier gewesen ist, dann gehst du hin die Schere holen."
Den Weg noch einmal gehen, im Dunkeln bei dem Schnee und der Kälte...das passte Hannes nicht so recht, aber wenn er dann wieder an die Trompete dachte, wäre es ihm auch wieder lieber, wenn der Mann nicht käme.
Hannes war grad mit der Arbeit fertig, da kam der Mann und brachte die Schere wieder. Müllers Mutter, die nicht so recht glauben wollte, dass es noch ehrliche Menschen gibt, schaute verwundert auf den Mann, der da so recht verlegen in der Tür stand und verlegen auf seine Schuhe guckte, die voll mit Schnee saßen. Mit fremd anmutender Sprache fragte er, ob er für seine Arbeit statt Geld wohl was zu Essen haben könnte. Müllers Mutter ging selbst in den Keller, tat reichlich Kartoffeln in eine Tasche und legte noch etliche ihrer besten Äpfel dazu. Dann gab sie ihm einen Teller heiße Suppe und packte noch ein paar gute Butterbrote ein. Die Augen von dem Mann leuchteten vor Freude. Er bedankte sich vielmals, wünschte frohe Weihnachten und nickte Hannes noch freundlich zu als er ging.

Nach dem Abendessen saßen die Müllers noch alle zusammen um den Küchentisch, sangen Adventslieder und erzählten Geschichten. Eine Stunde oder zwei waren vergangen. In der Küche wurde es kälter. Das Feuer im Herd war ausgegangen – mit Holz und Kohlen musste gespart werden. Die Eisblumen am Fenster wurden dicker und der letzte Kerzenstummel auf dem Adventskranz wurde immer kürzer. Schweigsam saß die Familie beieinander und jeder ging seinen Gedanken nach.
Ganz still war es in der Küche, bloß die alte Uhr hörte man ticken. In diese Stille klingt es mit einmal hell und freundlich:
„Stille Nacht, heilige Nacht.“ Nicht einer wagte mit einem Wort das Spiel zu stören. Andächtig lauschten Groß und Klein. Alle wussten es, der Scherenschleifer spielte Trompete. Durch Schnee und Kälte hatte er den Weg noch einmal gemacht, um sich mit Musik zu bedanken.
Der letzte Ton war lange verklungen als Müllers Mutter sagte „Es gibt nicht nur ehrliche Menschen, es gibt auch noch gute und dankbare Menschen. Der Scherenschleifer ist auch einer davon.“
 

ege35

Well-Known Member
Schöne Geschichte, kann wohl kaum jemand von euch noch nachvollziehen....ich erinnere mich noch gut an die Eisblumen am Schlafzimmerfenster und später im Zug zur Schule. Da wurde die Bahn noch nicht geheizt.;)
 
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