Das Zauberwort zu Beginn des vergangenen Jahres war ja: Impfangebot. Die Ansage und der Deal war: Wenn jedem Bürger ein Impfangebot gemacht worden sein würde, dann wäre der Staat, die Gesellschaft raus aus der Nummer. Bis dahin hat der Staat die Fürsorgepflicht vor allem gegenüber den Alten und Vulnerablen, sie mit nichtpharmazeutischen Maßnahmen zu beschützen. Als da wären Abstandsregelungen, Maskenpflicht, Schulschliessungen, Verbot von Großveranstaltungen, Schließen von Kneipen und so weiter. Ab dann aber, wenn jeder sich hätte impfen lassen können, wäre Corona kein politisch-gesellschaftliches Problem mehr, sondern ein privates, persönliches. Wer dann nicht will, der hat schon. Wer sich nicht impfen lassen will, der muß sich halt selbst quarantänisieren, oder der geht eben voll auf Risiko. Impfen kann man so wenig verpflichtend machen wie Nichtrauchen, gesunde Ernährung, Nichtausüben von Risikosportarten. Der Raucher darf zwar andere nicht gefährden, aber der Impfverweigerer gefährdet überwiegend nur sich selber. Der Staat hat nun nicht nur nicht mehr die Pflicht, irgendwelche Freiheitsbeschränkungen zum Schutz der Ungeimpften zu erlassen, er hat nicht einmal mehr das Recht dazu. Die radikalste Version, weil ja mal so zugesagt: Nicht einmal für die Ungeimpften selber. Corona ist dann kein Problem mehr für Politik, Gesellschaft, Öffentlichkeit. Sondern nur noch für einen selber.
Dann ging das nicht vorwärts. Dann war zu wenig Impfstoff bestellt. Dann wurde AstraZenika madig gemacht. Dann waren die Hotlines dauerbesetzt. Aaaber dann! Dann ging das so richtig ab! Dann wurden Impfzentren aus dem Boden gestampft! Dann waren sie überfüllt! Dann ging das aber los mit dem Impfen! Dann ging das aber so richtig los!
Dann nicht mehr. Irgendwie waren dann Sommerferien, und danach war der Schwung irgendwie raus. Und dann kamen irgendwann schon die Hausärzte: Ööööy, die Apotheken haben sich dumm und dusselig verdient für nix mit den Masken, dann kamen die Testzentren, die sich ihren Umsatz selber erfunden haben, jetzt hätten wir endlich auch gerne was vom großen Batzen Geld. Zumal die Ärzte ja aber wirklich auch was tun würden für ihr Geld zur Abwechslung, und sie sind ja aber auch näher dran an den Patienten, haben deren jahrelang erworbenes Vertrauen, können also nach der groben Massenabfertigung in den Impfzentren nun also an den Feinschliff. Zumal die Zentren ja auch die Kommunen kosten; Miete, Malteser, Security.
Und so tröpfelte die große Impfe allmählich aus. Dann hat man durchgezählt: hm, tja, bißchen wenig vielleicht doch, vielleicht reißen die Hausärzte ja noch was, aber, naja, Impfangebot gemacht. Hauptsache. Mission accomplished. Das ist ja ein Punkt, den die Spaziergänger tatsächlich haben, und da gab ihnen die Politik ja auch Recht: So, Ihr habt jetzt euren Impfstoff, und jetzt laßt uns endlich in Ruhe. Und außerdem war für die Politik jetzt Wichtigeres, wir müssen Wahlkampf verhindern, damit wir ungestört diskutieren lassen können über Uniabschlüsse und Plagiate. Ach, die verdammte Flut war auch noch.
Und aber irgendwie war doch Unbehagen. Irgendwie, ich komm nicht drauf, aber das sind zu wenig Geimpfte, ich wußte das mal, keine Ahnung, aber das wird sich irgendwie nicht ausgehen. Und dann kamen die Tiefpunkte. 3G. Wat'n Schwachsinn! 2G oder 1G. Entweder Geimpfte/Genesene unter sich, um sich ihre Booster-Immunisierung durch Infektion abzuholen, so lange der Impfschutz noch anhält, und da dürfen Ungeimpfte dann natürlich nicht mitspielen, oder alle werden getestet, keiner wird infiziert. Aber 3G? Geimpft, genesen oder getestet? Weil die Geimpften und Genesenen Angst haben, sich bei den Ungeimpften anzustecken? Ergibt das irgendwie Sinn, ist da ein Funken Rationalität drin? Ja, natürlich. Wenn man die Ungeimpften rumschubsen will, mobben, schikanieren – Aber nur so'n bißchen. Weil wir wollten ja keine Impfpflicht, und auch nicht durch die Hintertüre. Das war natürlich der Punkt, mit dem man die noch Erreichbarsten von denen endgültig auch verprellt hatte.
Und irgendwo, in einer stillen Stunde, irgendwer grübelt vor sich hin, verdammt noch mal, da war doch was, ganz im Anfang, wie war das denn … Argh! Verdammt! FLATTEN THE CURVE! Wir dürfen die Intensivstationen nicht überlasten, DAS war's! Ja – Aber wenn da jetzt nur noch die Ungeimpften hinkommen, selber Schuld? Obwohl – Moment – Intensivstationen gab es doch schon vor Corona, wozu braucht man die noch mal normalerweise?
Und dann fiel der Groschen. Ungeimpfte gefährden nicht nur selbstverschuldet nur sich selbst. Mit ihrem Fimmel, Weihnachten selbstbestimmt auf einem Selbstverwirklichungstrip an der ECMO hängen zu wollen, gefährden sie weiterhin Geimpfte, die als Unfallopfer, mit einem Herzinfarkt, nach einer Krebsoperation intensivmedizinischer Behandlung bedürfen …
