Deniz Yücel

Zerd

Well-Known Member
Wegen solcher Beiträge bin ich eigentlich hier im Forum. Fundierte Beiträge, wo es sich lohnt, dran zu reiben und zu versuchen, ihnen zu widersprechen. :)

Das ehrt Dich und schmeichelt mir. Aber verzeih mir, dass ich skeptisch bin. Eine sinnvolle Voraussetzung für eine solche lohnende Diskussion wäre es, wenn wir uns drei Monate Zeit nehmen, gemeinsam durch die verschiedenen Regionen der Türkei touren, ich Dich dabei all meinen Verwandten und Freunden vorstelle, mit denen wir dann jeden Abend stundenlang über diese Menschen, ihre Gedanken und die Entwicklungen im Land in den letzten hundert Jahren reden und wir dann all die Eindrücke dieser Reise über Land und Leute auch vor dem Hintergrund des öffentlichen Diskurses dort wie hier diskutieren und besprechen könnten.

Ganz sicher wären dann auch noch in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung, aber da wir dann beide gleichermaßen in der Lage wären, eigene persönliche Eindrücke den öffentlichen Texten gegenüberzustellen (und auch die Denkweise des Gegenüber besser einzuschätzen), könnte sich daraus eine für beide Seiten fruchtbare und wertvolle Diskussion ergeben.

Ich muss ehrlich sagen, dass selbst in meinem persönlichen Umfeld, in dem es so einige Menschen mit vergleichbaren Eindrücken und Erfahrungen gibt, ein solches Gespräch kaum oder nur in den seltensten Fällen zustande kommt.

Das hat viel mit grundlegenderen Entwicklungen und Begebenheiten in unserer Zeit zu tun und deshalb nicht nur dieses, sondern auch noch viele andere öffentliche Themen betreffen. Ich kann darum in diesem Zusammenhang nur immer wieder dafür plädieren, dass die Menschen nicht zu blauäugig mit all dem umgehen, was ihnen von vermeintlichen Experten, den Medien, der Politik oder auch der Werbung vorgesetzt wird. Jeder ist vernunftbegabt, hat seinen eigenen Verstand und eine Menge persönlicher Erfahrungen aus seinem bisherigen Leben. Vor allem liegt mir am Herzen, dass wir, ganz im Sinne unserer Verfassung, bei Menschen auf Verallgemeinerungen und Vorurteile, woraus in den meisten Fällen Diskriminierungen fast zwangsläufig folgen, vermeiden.

Um noch einmal zum Thema zu kommen: in der Türkei läuft sicher so einiges verkehrt und das muss und sollte auch angesprochen werden. Aber eben auf eine Art und Weise, die auch neutrale Zuhörer überzeugen kann, und nicht, indem man einfach die flache suggestive Argumentation und Denkweise derer übernimmt, gegen die man eigentlich argumentiert. Denn damit bestätigt man nur die Methoden des Gegenüber und verschärft die Polarisierung. Ich bin bspw. überzeugt, dass es allein an dieser polarisierenden Strategie der Opposition gelegen hat, dass Erdogan in den letzten 6-7 Jahren noch Wahlen gewinnen konnte. Statt eigene Fehler in der Vergangenheit und all das, was in den Nullerjahren, den ersten Jahren mit AKP-Regierung besser gelaufen ist und die Menschen in Scharen angesprochen hat, angemessen aufzuarbeiten, wurde einfach nur der Konflikt aus dem letzten Jahrtausend weitergeführt, in dem alle religiösen Menschen und die ländliche Bevölkerung entweder offen oder durch die Blume als dumm und zurückgeblieben dargestellt wurden. Was glaubt ihr, auf wieviel Prozent die AfD kommen würde, wenn alle Politiker der anderen Parteien die AfD-Wähler als dumme hinterwäldlerische Ewiggestrige behandeln würden?
 

Bintje

Well-Known Member
Wo bleiben die eigentlich? Man hört und liest nichts mehr von ihm.

Vermutlich akklimatisiert er sich noch und macht Fingerübungen für die Landtagswahlen.

Kürzlich hatte er ein Stück in der"Welt" über den Fall Sophie H., eine preisgekrönte Bloggerin, die sich fälschlich als Jüdin und Nachfahrin von Holocaustopfern ausgegeben und umgebracht hatte, nachdem Martin Doerry ihre erfundene Geschichte im "Spiegel" aufgedeckt hatte.

https://www.welt.de/kultur/plus1982...ngst-Deniz-Yuecel-kritisiert-den-Spiegel.html

Yücels Text dazu habe ich nicht gelesen (Paywall), aber die von Doerry. Die fand ich gut, wichtig. Lesenswert. Allerdings hat er viel Keile dafür kassiert - nach dem Suizid der Bloggerin.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Ach ja.

Ich habe jetzt das neue Buch von Deniz in mich rein gefressen, sozusagen und ja für gut befunden. ;)
Rezension in der taz.

Deniz on tour: (Rest vom Link fand ich nicht so interessant.)

In den nächsten zwei Monaten wolle er mit dem Buch auf Lesetour gehen, 50 Lesungen seien geplant, sagte Yücel. Dann wolle er aber einen Punkt setzten und wieder als Journalist arbeiten. Er sei nach wie vor Angestellter der Welt und wolle nach der Lesetour auch wieder für die Zeitung schreiben, „wo auch immer“.
Ich schließe aus diesem sportlichen Programm, daß es ihm wieder gut geht. Keine Sozialphobie oder sowas.

Eine Lesung im Gefängnis Moabit
(Bericht auch taz).
 
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