Die harte Wahrheit über das Leben mit Kindern

Asyali

Well-Known Member
Thomas: Okay, ich habe einen leichten Kater. Ich bin am Vorabend wie immer vor allen anderen gegangen, aber ich war da, und spät war’s doch. Meine Frau war mit – toll! Wir gehen so selten zusammen aus, also haben wir uns einen Babysitter genommen und Freunde besucht. Es gibt nur ein Problem: Wo ist der Babysitter für den Morgen danach, wenn beide kaputt sind und die Kinder so aufdrehen, wie sie es gewohnt sind? Definitiv eine Marktlücke: Babysitting für die Aufwachzeit. Man schleppt sich also in die Küche. Kippt wahllos Haferflocken in Schüsseln, heißes Wasser drauf. Bloß schnell irgendwas tun, damit dieses Protestgeschrei aus zwei Kinderkehlen aufhört. Im Fernsehen sieht man ja manchmal Leute, die vor Parlamenten oder Rathäusern demonstrieren, und es kommt doch keiner raus und spricht mit ihnen. Die könnten hier alle noch was lernen. Diesem Druck hält keiner stand. Gibt es noch dieses Zeug, was meine Eltern immer hatten, Alka Seltzer?

Die Frau liegt noch oder wieder im Bett, wie tot. Ein hektischer Morgen: Zuerst waren die Kinder da und lagen plötzlich auf uns drauf. Dann die lautstarke Hungerdemonstration! Also abfüttern. Zwei Sunden später spüre ich selbst ein Loch im Magen. Hastig schlinge ich Toastbrot in mich rein. Im Wohnzimmer klopft schon wieder einer wie wild gegen das Telefonschränkchen, der andere weint, weil ihm irgendwas weggenommen wurde. Ich muss Feuerwehr spielen.

Julia:
Vor dem Wochenende haben wir immer große Angst, denn da ist die Kita geschlossen. Schlimmstenfalls tanzen uns die Kleinen von morgens um sechs bis abends um halb zehn auf der Nase herum. Wenn wir das rührige Kitapersonal nicht hätten, wären wir schon längst am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau: Unseren Müttern hat schließlich überhaupt niemand geholfen. Aber die waren entweder leidensfähiger oder hatten keine Bedenken, Beruhigungstabletten und Ähnliches zu schlucken.

Ein Arzt, den ich mal wegen eines nervösen Lidzuckens aufsuchte, sagte: „Stress, Überarbeitung. Entweder Sie arbeiten im höheren Management oder Sie haben Kinder. Was von beidem also?“ Kinder sind mit einer normalen beruflichen Tätigkeit gar nicht vergleichbar. Die Arbeit möchte ich mal sehen, wo einem pausenlos das Wort abgeschnitten wird, wo Leute sich auf den Boden werfen und alles zusammenbrüllen, weil man irgendetwas getan, nicht getan oder nicht richtig getan hat. Einen Job, wo alle paar Minuten drei Telefone und ein Wecker klingeln, der Chef einem auf den Teppich pinkelt, wenn wir einen Fehler gemacht haben, und hinterher sagt: „Aufwischen!“ Dazu Kollegen, die das Mobbing so weit treiben, dass sie deine Unterlagen verwüsten, wenn du einmal zur Toilette gehst.

Es ist fast immer das Gleiche: Das Wochenende naht, und wir haben noch keine Pläne. Seltsamerweise kennt man immer so Supereltern, die einem schon am Freitag erzählen, was sie sich alles vorgenommen haben: einen Ausflug an den See, ein Grillfest, ein Kinderfrühstück. Wenn man nach dem ungeliebten Samstagseinkauf erst mal planlos zu Hause festsitzt, springen die Kinder auf einem herum und schreien in immer schrilleren Tönen: „Mama, Papa, sagt doch endlich mal was!“

Thomas: Der Sonntag ist das Grab aller Ideale und aller falschen Hoffnungen, die man an sein Leben richten kann. Das denke ich schon immer. Denn er zeigt dir alles so langweilig und so leer, wie es nun einmal ist, wenn die Fassade mal kurz geschlossen hat. Wenn du ausspannen und dich erholen sollst, fällt dir doch erst richtig auf, dass du in ein Leben eingeschraubt bist, das so etwas nötig macht.

Du kannst zehn Freunde anrufen, die ebenfalls Nachwuchs haben, und sie werden alle antworten: Spielplatz. Das Standardprogramm für den Sonntag. Leider hasse ich Spielplätze. Zehn mal fünfzehn Meter, streng rechteckig, Rutsche, Schaukel, schmutziger Sand. Drum herum Mütter, die gelangweilt ihre Kippen an den morschen Holzbänken ausdrücken. Im Sand Prügeleien um das grellbunte Plastikspielzeug. An den Gerüsten stößt man sich permanent die Birne. Die älteren Kinder sind lasch erzogene Rowdies, toben wie die Wahnsinnigen herum, so dass man um das Leben der Kleinen fürchten muss.

Der Spielplatz ist die Erlebniskneipe der Kinderjahre. Genauso doof, genauso überflüssig und genauso haarscharf an den wirklichen Bedürfnissen vorbei. Man sollte die revolutionäre Kraft der Kinder anerkennen. Sie spielen doch sowieso am liebsten im Gebüsch am Rand der Spielplätze. Dort erfinden mein Sohn und seine beiden Freunde Magnus und Lilli sich Wohnungen mit unsichtbaren Haustieren. Schön ist das, sie haben schon erkannt, dass der domestizierte Spielplatz eigentlich Mist ist.

Julia:
Von fünf Stunden Streit pro Woche zwischen meinem Mann und mir fallen mindestens drei aufs Wochenende. Meist, weil wir einfach nur schlafen wollen und nicht dürfen. Das können Freunde ohne Nachwuchs nur schwer verstehen. Hohngelächter begleitet uns, wenn wir uns kurz nach Mitternacht von einer Feier verabschieden, weil die Kleinen ja morgen wieder früh wach sind. Aber Schlafentzug macht wütend!

Thomas:
Hundertmal schon ist mir der alte Gag eingefallen: „Schatz, ich geh nur mal runter, Zigaretten holen“, sage ich dann. Dabei würde ich meine Frau nie „Schatz“ nennen, und ich rauche auch nur auf Partys. Ich meine dieses Klischee von früher, dass der Mann genau diesen Satz sagt, rausgeht und nie wiederkommt. Es ist ein Scherz, klar, aber meine Frau weiß auch genau, was gemeint ist. Sie stellt sich dann wohl auch vor, wie sie einfach abhaut, in eine ungewisse, aber ruhige Zukunft.

Mein neuester Trick: Es gibt einen Supermarkt in der Nähe, der auch sonntags geöffnet hat. Daher überlege ich mir irgendwas, das wir dringend brauchen, verkünde, dass ich mich opfern würde, es eben mal zu holen, und verschwinde schnell. Im Supermarkt fühle ich mich frei. Die Anonymität, das Wandeln zwischen den Regalen, die seichte, dümmliche Musik, wunderbar. Ich kann zehnmal die Schleife durch die Bereiche „Backwaren“, dann links um die Ecke „Feinkost“, wieder zurück durch „Tee und Kaffee“, im Halbkreis um den Stand „Konserven Importe“ und wieder zurückgehen. Ich lehne mich auf den Einkaufswagen und lasse mich rollen. Danach schlafe ich auf einer Kiste neben dem Automaten zur Pfandrückgabe ein. Als der Marktleiter mich weckt, gibt es nicht einmal Ärger. Er hält mich einfach nur für einen Trinker und schickt mich höflich nach Hause.

Julia: Einen Teil des Wochenendproblems habe ich mir selbst eingebrockt. Es ist ein paar Wochen her. Mein Liebster schleicht bedrückt durch die Gegend. „Ach, ich habe ja keine wirklichen Freunde“, seufzt er jetzt, und nun tut er mir richtig leid. „Das stimmt nicht“, wende ich sanft ein, „du kannst Cornelius anrufen, oder Martin!“ „Die sind sicher schon verabredet.“ Das ist ein fadenscheiniges Argument. Am nächsten Tag rufe ich selbst Cornelius an und bitte ihn, dass er und seine Kumpels ihn zum Fußball mitnehmen. Irgendwie scheinen sie ihn vergessen zu haben, seit er Vater ist.

Und dann schenken sie ihm in einem Anfall von Mitleid gleich eine Dauerkarte. Die Folge: Mein Süßer ist weg, Bundesliga gucken, und lässt mich mit den Kindern allein. Ein Spiel dauert neunzig Minuten, das geht noch. Aber hinterher muss er sich alles noch mal im Fernsehen ansehen und danach noch ausführlich mit seinen Freunden, die er ja gerade erst gesehen hat, telefonieren. Resümieren.

Thomas:
Endlich Abend! Wir haben den Sonntag überstanden. Aus Verzweiflung haben wir schon um fünf Uhr nachmittags einen Rotwein geöffnet. Jetzt schlafen die Kleinen. Ich möchte noch etwas machen. Vielleicht könnte man sich ja näher kommen? Oder wenigstens zusammen einen Film ansehen? Aber meine Frau ist müde, sie steht seltsam schief da, die Augen sind zwar offen, aber darin tut sich nichts mehr. Ich sage, was für ein Leben, wo bleibt die Beziehung! Aber Provokation nützt nichts, wenn jemand am Ende ist. „Ich kann einfach nicht mehr!“, jammert sie. Und dann wird sie noch mal richtig laut. „Dann nehm ich eben Drogen, oder ich geb mir Watschn!“ Beides will ich natürlich auch nicht. Besonders das mit den Watschn.

Wir legen uns also hin. Ehrlich gesagt, ich sinke auch sofort in einen totenähnlichen Schlaf. Morgen ist Montag, ich freue mich. Bob Geldof und die Boomtown Rats sind Idioten. Von wegen I don’t like Mondays. Montage sind schön.

Julia Heilmann und Thomas Lindemann: Kinderkacke: Das ehrliche Elternbuch. Hoffmann und Campe, 221 S., 15 Euro
 

kizzi kiz

Member
AW: Die harte Wahrheit über das Leben mit Kindern

danke!!!! das ist der hammer! :shock: genau so ist es!! :lol:
 
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