Gerade lief auf Arte eine schöne Doku über Bob Marley, die ich noch nicht gesehen hatte. Ist sicher in der Mediathek noch abrufbar...
Immer wieder schön anzuhören, finde ich. Und wenn solche Songs und solche Texte und solche Menschen wieder einmal die Leute so sehr begeistern sollte, dass sie auf den Straßen und Parks (nicht auf Konzerten und Clubs) nachgesungen werden, dann werde auch ich so etwas wie Entschleunigung wahrnehmen können.
Welche Philosophie hast Du da im Sinn; welche Solidarität könnte man vielleicht auch Fragen...
Ich denke da etwa an das letzte große Thema, das uns in den Jahren vor Corona beschäftigt hat, die Gedanken wandern so etwa über das Mittelmeer nach Afrika oder über Griechenland, die Ägäis, die Türkei bis nach Syrien. Noch vor ein paar Tagen hat das EZB plötzlich 750 Millarden Euro aus dem Hut gezaubert, ohne dass sich irgendjemand groß darüber gewundert hätte; 2015 waren gerade mal 10 Millarden im Gespräch, um eine Million Flüchtlinge aufzunehmen und bis zu ihrer Eigenständigkeit zu versorgen und das ganze Land ist daraufhin im Stechschritt fünf Schritte nach rechts gewandert.
Heutzutage geht es nur noch um einen Bruchteil von einer Million und das reiche Europa kann sich immer noch nicht auf einen Verteilungsschlüssel einigen und rückt an den Grenzen sogar noch näher zusammen. Und hier im Forum heißt es dazu nur
Auch dazu gibt es übrigens einen wunderschönen Reggea-Song:
Weiter oben hatte ich gesagt, dass ich in der gegenwärtigen Situation eine erzwungene künstliche Situation sehe und keine Anzeichen für eine tiefergreifende nachhaltige Veränderung oder Entwicklung sehe und diese so kurzfritig auch nicht erwarte.
Um das auszuführen und zu begründen, müssen wir ein wenig über Ethik und Werte reden. Ich habe hier schon einige Male diese fiktive Anekdote mit Kant und Mill erwähnt, die in einer Prärie umherwandern und auf einen primitiven Stamm treffen, in dem der Häuptling gerade 20 Stammesmitglieder zum Tode verurteilt hat. Kant und Mill sind darüber empört, halten das für barbarisch und beschwören den Häuptling, von diesem Ansinnen abzusehen. Der Häuptling lässt sich erweichen und macht den Fremden ein Gastgeschenk: 2 der 20 sollen sie aussuchen, dem Rest wird das Leben geschenkt. Mill läuft sofort zu den Verurteilten, sucht sich die älteste oder kränkste Person aus. Für ihn ist es gut und richtig, den übrigen 18 damit das Leben zu retten. Kant jedoch weigert sich; er will und kann nicht durch sein Tun und Entscheiden den Tod auch nur eines Menschen herbeiführen. Für ihn spielt der quantitative Aspekt in dieser Angelegenheit (hier 18, da Einer) überhaupt keine Rolle.
Die Anekdote stammt vermutlich von Bernard Williams, aber sicher bin ich mir nicht. Ich habe sie in irgendeinem Seminar während meines Studiums aufgeschnappt und halte sie bis heute für das eindrucksvollste Beispiel, um den signifikanten Unterschied zwischen Millschem Utilitarismus und der Deonthologischen Ethik Kants zu verdeutlichen. Bei dem Einen heiligt der Zweck die Mittel, während sich bei dem anderen die Mittel aus dem Ursprung ergeben; der Eine sagt "da will ich hin, deshalb gehe ich diesen Weg", der Andere "das bin ich, darum gehe ich diesen Weg"!
Schon aufgrund dieser kurzen Beschreibung dürfte klar sein, dass das Denken unserer Zeit (in unseren Breitengraden) vor allem utilitaristisch geprägt ist und dies auch durchaus auf die beschleunigte Entwicklung seit der Neuzeit hinweist, denn da sich der Utilitarismus am Zweck und am Ziel orientiert, ist er viel mehr nach vorne orientiert als das eher Bedächtige der Pflichtethik.
Aber es gibt auch noch einen in meinen Augen bedeutenderen Zusammenhang, nämlich dass die Orientierung auch die Halbwertszeit bzw die Flüchtigkeit und den Schwund der Werte bedingt. Denn es ist doch so: wenn ich nur einen guten Grund benötige, um von einem wichtigen Wert einmal abzusehen, ein Ausnahme zu gestatten, dann verliert bei jedem solchen Vorgang der Wert immer mehr an Bedeutung, während meine individuellen Gründe immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und gute und noch bessere Gründe gibt es wie Sand am Meer, um etwas zu tun oder zu lassen. Doch wenn der Wert allein der Grund für mein Handeln ist, dann erhalte ich nicht nur seine Bedeutung, sondern er wird sogar noch immer tiefer verwurzelt im Laufe der Zeit, sowohl im Individuum als auch in der Gesellschaft.
Natürlich hat auch die beschleunigte Entwicklung im wissenschaftlich-technologischen Bereich seit der Neuzeit mit diesem funktionalistischen analytischen Denken zu tun, aber da erinnere ich ich gerne an Theodore Zeldin, dessen Intime Geschichte der Menschheit ich vor einigen gelesen habe und der die Ansicht vertrat, dass die Menscheit im wissenschaftlich-technologischen Bereich in den letzten 200 Jahren zwar große Sprünge gemacht und gewaltige Entfernungen zurückgelegt habe, dabei aber im menschlich/zwischenmenschlichen Bereich nicht nur auf der Stelle getreten, sondern sogar eher Rückschritte gemacht habe (bis auf einige wenige Inselthemen).
Ich denke, viele Menschen spüren es, dass uns da etwas verloren gegangen ist bzw noch geht, die vielen irrationalen eher rückwärtsgewandten Tendenzen rund um den Globus weisen darauf hin. Aber gerade diese immensen Unterschiede zwischen den verschiedenen Haltungen machen mich skeptisch, dass es in einem absehbaren Zeitrahmen zu einer Verständigung oder Versöhnung dieser Denksysteme kommen und eine neue, tragfähige nachhaltige Ethik hervorbringen könnte. Und das wäre in meinen Augen eine Voraussetzung für eine tatsächliche nachhaltige Entschleunigung.
Interessant ist, dass Solidarität der Schlüssel ist, um die Krise zu meistern.
Also hat die Philosophie doch recht.
Welche Philosophie hast Du da im Sinn; welche Solidarität könnte man vielleicht auch Fragen...
Ich denke da etwa an das letzte große Thema, das uns in den Jahren vor Corona beschäftigt hat, die Gedanken wandern so etwa über das Mittelmeer nach Afrika oder über Griechenland, die Ägäis, die Türkei bis nach Syrien. Noch vor ein paar Tagen hat das EZB plötzlich 750 Millarden Euro aus dem Hut gezaubert, ohne dass sich irgendjemand groß darüber gewundert hätte; 2015 waren gerade mal 10 Millarden im Gespräch, um eine Million Flüchtlinge aufzunehmen und bis zu ihrer Eigenständigkeit zu versorgen und das ganze Land ist daraufhin im Stechschritt fünf Schritte nach rechts gewandert.
Heutzutage geht es nur noch um einen Bruchteil von einer Million und das reiche Europa kann sich immer noch nicht auf einen Verteilungsschlüssel einigen und rückt an den Grenzen sogar noch näher zusammen. Und hier im Forum heißt es dazu nur
Das wird nicht passieren. Sonst wäre es schon längst passiert
Auch dazu gibt es übrigens einen wunderschönen Reggea-Song:
Weiter oben hatte ich gesagt, dass ich in der gegenwärtigen Situation eine erzwungene künstliche Situation sehe und keine Anzeichen für eine tiefergreifende nachhaltige Veränderung oder Entwicklung sehe und diese so kurzfritig auch nicht erwarte.
Um das auszuführen und zu begründen, müssen wir ein wenig über Ethik und Werte reden. Ich habe hier schon einige Male diese fiktive Anekdote mit Kant und Mill erwähnt, die in einer Prärie umherwandern und auf einen primitiven Stamm treffen, in dem der Häuptling gerade 20 Stammesmitglieder zum Tode verurteilt hat. Kant und Mill sind darüber empört, halten das für barbarisch und beschwören den Häuptling, von diesem Ansinnen abzusehen. Der Häuptling lässt sich erweichen und macht den Fremden ein Gastgeschenk: 2 der 20 sollen sie aussuchen, dem Rest wird das Leben geschenkt. Mill läuft sofort zu den Verurteilten, sucht sich die älteste oder kränkste Person aus. Für ihn ist es gut und richtig, den übrigen 18 damit das Leben zu retten. Kant jedoch weigert sich; er will und kann nicht durch sein Tun und Entscheiden den Tod auch nur eines Menschen herbeiführen. Für ihn spielt der quantitative Aspekt in dieser Angelegenheit (hier 18, da Einer) überhaupt keine Rolle.
Die Anekdote stammt vermutlich von Bernard Williams, aber sicher bin ich mir nicht. Ich habe sie in irgendeinem Seminar während meines Studiums aufgeschnappt und halte sie bis heute für das eindrucksvollste Beispiel, um den signifikanten Unterschied zwischen Millschem Utilitarismus und der Deonthologischen Ethik Kants zu verdeutlichen. Bei dem Einen heiligt der Zweck die Mittel, während sich bei dem anderen die Mittel aus dem Ursprung ergeben; der Eine sagt "da will ich hin, deshalb gehe ich diesen Weg", der Andere "das bin ich, darum gehe ich diesen Weg"!
Schon aufgrund dieser kurzen Beschreibung dürfte klar sein, dass das Denken unserer Zeit (in unseren Breitengraden) vor allem utilitaristisch geprägt ist und dies auch durchaus auf die beschleunigte Entwicklung seit der Neuzeit hinweist, denn da sich der Utilitarismus am Zweck und am Ziel orientiert, ist er viel mehr nach vorne orientiert als das eher Bedächtige der Pflichtethik.
Aber es gibt auch noch einen in meinen Augen bedeutenderen Zusammenhang, nämlich dass die Orientierung auch die Halbwertszeit bzw die Flüchtigkeit und den Schwund der Werte bedingt. Denn es ist doch so: wenn ich nur einen guten Grund benötige, um von einem wichtigen Wert einmal abzusehen, ein Ausnahme zu gestatten, dann verliert bei jedem solchen Vorgang der Wert immer mehr an Bedeutung, während meine individuellen Gründe immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und gute und noch bessere Gründe gibt es wie Sand am Meer, um etwas zu tun oder zu lassen. Doch wenn der Wert allein der Grund für mein Handeln ist, dann erhalte ich nicht nur seine Bedeutung, sondern er wird sogar noch immer tiefer verwurzelt im Laufe der Zeit, sowohl im Individuum als auch in der Gesellschaft.
Natürlich hat auch die beschleunigte Entwicklung im wissenschaftlich-technologischen Bereich seit der Neuzeit mit diesem funktionalistischen analytischen Denken zu tun, aber da erinnere ich ich gerne an Theodore Zeldin, dessen Intime Geschichte der Menschheit ich vor einigen gelesen habe und der die Ansicht vertrat, dass die Menscheit im wissenschaftlich-technologischen Bereich in den letzten 200 Jahren zwar große Sprünge gemacht und gewaltige Entfernungen zurückgelegt habe, dabei aber im menschlich/zwischenmenschlichen Bereich nicht nur auf der Stelle getreten, sondern sogar eher Rückschritte gemacht habe (bis auf einige wenige Inselthemen).
Ich denke, viele Menschen spüren es, dass uns da etwas verloren gegangen ist bzw noch geht, die vielen irrationalen eher rückwärtsgewandten Tendenzen rund um den Globus weisen darauf hin. Aber gerade diese immensen Unterschiede zwischen den verschiedenen Haltungen machen mich skeptisch, dass es in einem absehbaren Zeitrahmen zu einer Verständigung oder Versöhnung dieser Denksysteme kommen und eine neue, tragfähige nachhaltige Ethik hervorbringen könnte. Und das wäre in meinen Augen eine Voraussetzung für eine tatsächliche nachhaltige Entschleunigung.