Erdo, Emi und die Okupanten

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Mein_Ingomann

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Wie alles begann:

"Errrdo..... Erdooooo!" Er konnte es nicht länger ignorieren. Seufzend setzte er den golddurchwirkten Turban ab und klappte den Doppelspiegel zu, vor dem er die letzten 2 Stunden staatsmännische Gesten geübt hatte. Was sie wohl jetzt wieder wollte? Letzten Monat die eigene Kopftuchfabrik, davor für jedes Familienmitglied einen eigenen Regierungsposten und nun rief sie schon wieder.
In demütiger Haltung betrat er ihre Gemächer. "Ja, meine Prinzessin?" "Da bist du ja endlich! Willst du das ich wie eine Bäuerin herumlaufe und mir meine Habseligkeiten auf den Basaren zusammenklauben muss -willst du das?!"
"Aber nein Emilein, natürlich nicht." "Dann bau mir ein Einkaufzentrum. In diesem Kaff Istanbul bekommt man ja nichts. Ich will eine Shopping Mall mit Gucci, Futschi und allem Schnick und Schnack. Macht nichts wenn's schnell geht, ich hab' nichts mehr zum Anziehen."

Er stöhnte innerlich auf. "Aber Schatzi, wo in Istanbul soll ich denn den Platz für ein Einkaufszentrum hernehmen? Hier ist alles schon bebaut." "Das ist mir egal. Irgendeine freie Fläche wirst du schon finden. Wie ist es mit diesem Park Gesi, Getzi oder wie er heisst? Den braucht kein Mensch."
"Aber die Anwohner lieben diesen Park, sie gehen dort spazieren, ihre Kinder spielen dort, Liebespaare treffen sich da..." Weiter ka er nicht. "Liebespaare? Spazierengehen? Diese westliche Dekandenz ist untürkisch. Ich will ein Einkaufszentrum."
"Das wird den Leuten nicht gefallen, das gibt Ärger." "Ach so" antwortete sie schnippisch, "aber wenn der Herr einen seiner Staudämme, Flughäfen oder Kanäle bauen wil, dann werden ganze Dörfer umgesiedelt oder versenkt und die Leute reihenweise enteignet. Aber wenn ich mal etwas möchte dann geht das nicht?!"

Sie blickte ihn drohend an. Er kannte diesen Blick. Wenn er jetzt nicht einwiligte, würde sie die nächsten 3 Wochen wieder Migräne haben, den ganzen Tag Fazil Say CDs spielen und ihm ihre sämtliche weibliche Verwandschaft auf den Hals hetzen. Einen letzten Versuch unternahm er noch: "Angela hat mir erzählt, dass die Mappussche ein Einkaufszentrum mit Bahnhof drunter haben wollte, mitten in Stuttgart. Das gab richtig Ärger, nun ist ihr Mann arbeitslos."
Sie schnaubte: "Angela?! Dieser Hosenanzug hat das KaDeWe vor der Haustür, die hat gut lachen. Sie kann dir ja ihren Guido schicken damit er dir hilft." Ihn schüttelte, das war gemein! "Wenn ich Frau Assad wäre hätte ich 2 Einkaufszentren -neben dem Schlafzimer." stiess sie das Messer noch tiefer in die Wunde.Das war zuviel. Sie würde ihr Einkaufszentrum bekommen, koste es was es wolle.

Zurück in seinem Büro überlegte er, was sein Freund Wladi ihm raten würde. "Einen Park voller Demonstranten? Kein Problem Towaritsch: Lass' sie alle rein, Zaun drumrum und neues Arbeitslager. Fertig." Ein reizvoller Gedanke. Wladi, der alte Pragmatiker. Aber von Frauen hatte er wirklich keine Ahnung. Kollege Li würde ihm binnen 2 Tagen himmlischen Frieden auf dem Platz garantieren, aber das ging aussenpolitisch gerade gar nicht.
Mit einmen tiefen Seufzer griff er zum Telefon und liess sich mit dem Polizeichef von Istanbul verbinden.

Als er sich meldete hörte Erdo wie der Mann Haltung annahm. "Ja, grosser Vorsitzender?!" Die Ausbildung beim Kollegen Li hatte Früchte getragen. "Hören Sie, im Gezi Park rottet sich Gesindel zusammen. Dieser Schandfleck muss aus der Stadt verschwinden. Wir bauen dort eine Moschee. Mit Einkaufszentrum darunter. Machen Sie zügig und lassen Sie vor dem Eingang Platz für eine neue Statue, die Entwürfe bekommen Sie nächste Woche."
"Selbstverständlich. Wir bräuchten dann noch Räumfahrzeuge, Tränengas und mehrere Hundertschaften." Immer diese lästigen Details. "Nehmen Sie sich was Sie brauchen, berufen Sie sich auch Em.... äh mich. "
Damit legte er auf. Das war erledigt. Nun noch einen Anruf bei den Fernsehleuten, dass in den nächsten 48 Stunden nur Soaps, Werbung und Bildungsfernsehen "Hysterie:Das 3te osmanische Reich mit Güdo Knüpp" laufen sollen. Leichteste Übung, die wussten sowieso Bescheid und die die das nicht wussten sassen im Knast.
Nun konnte er sich wieder den wichtigen Dingen zuwenden: Den golddurchwirkten Turban? Eine Kämpferpose oder doch die des nachdenklichen Landesvaters? Grübelnd ging er durch die langen Gänge zurück zu seinem Doppelspiegel.

(Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Ereignissen sind keineswegs zufällig und vom Autor beabsichtigt.)
 
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Mein_Ingomann

Guest
2 Tage später.

Still lag die Stadt unter ihm. Der Nachtwind spielte mit seinem Schnauz und liess sein Cape sanft flattern. Er sass auf einer Wimper hoch über der Stadt. Die Wimper gehörte zu einer der überlebensgrossen Statuen die das Volk ihm zu Ehren im ganzen Land errichtet hatte. Der tägliche Jubel nach dem Abendgebet war bereits verklungen und seine treuen Wähler schliefen den Schlaf der Gerechten. Nur hinten in den Touristengetthos brannte noch Licht, aber das ging schon in Ordnung. Die blieben unter sich und brachten Geld ins Land. Sonst war alles ruhig. Doch halt! Was war das? Mit seinen Adleraugen erspähte er Unruhe am anderen Ende der Stadt. Jetzt sah er es genau: Drei betrunkene Homo - Kommunisten näherten sich lüstern einer Jungfrau! Zorn erwachte in ihm. Ein Fall für Supererdo! Mit einem Satz erhob er sich in die Lüfte und raste durch die Nacht. Auf der Brust seines Superdress prankte die osmanische Faust. Als die Holde ihren Retter erblickte rief sie seinen Namen.

"Errr - do.... Ärdooo!" Unsanft wurde er aus seinen Träumen gerissen, sein Kopf knallte auf die Schreibtischplatte und er brauchte einen Moment um wahrzunehmen, dass Emi in der geöffneten Tür seines Büros stand. Die Arme vor der Brust verschränkt und mit einem Fuss gefährlich schnell auf den Boden auftippend. "Hier treibst du dich also herum. Was machen diese Leute auf der Baustelle meines Einkaufzentrums? Diese Occu... Okto... Okupanten!? Die machen Dreck, bluten alles voll und verzögern die Eröffnung. Mach' das weg."
"Emilein, dass sind nur ein paar Dutzend Polit - Hooligans. Mein Polizeichef hat mir versichert, dass er das in ein, zwei Stunden erledigt hat. Dann fangen die Bauarbeiten sofort an."
"Das will ich dir auch geraten haben. Nächste Woche kommen meine Freundinnen zum shoppen, wie steh' ich denn dann da!?" Wütend knallte sie die Tür zu und rauschte davon.

Jetzt klingelte ein Telefon auf seinem Schreibtisch. Das rote. Auch das noch. "Ja...?!" meldete er sich.
"Hallo Erdo, hier ist Angela. Mensch Erdo, bei dir siehts ja aus wie Leipzig '89 hihihi.. "
"Das sind ausländische Agenten, kommunistische Wahlverlierer, autonome Chaoten..."
"und gewaltbereite Islamisten? " bot sie hilfreich an. "Die nehmen wir in letzter Zeit immer. Ach nee, die sitzen bei dir ja alle in der Regierung. hihihi. Hör mal Erdo, nur für's Protokoll, du weisst ich muss das sagen, sonst krieg' ich Ärger mit den Kirchen. Und wie nervig die Religiösen sein können weisst du ja seber, gell?! hihihi. Also: Es heisst zwar Menschenrechte und nicht Menschenlinke, die gelten aber trotzdem alle. So, das war das. Brauchst du sonst noch was? Schützenpanzer, Räumfahrzeuge? U-Boote hätte ich diese Woche im Angebot. "
U-Boote? Was sollte er mit U Booten in den Gassen von Istanbul ? "Danke Angela, Panzer haben wir noch genug, aber wegen der Räumfahrzeuge kann mir Guido mal ein Angebot faxen." Er legte auf.

Langsam bekam er schlechte Laune, erst der Ärger mit diesen Parkwächtern und dann redeten ihm ständig Frauen in seine Regierungsgeschäfte. Niemand machte sich einen Kopf darüber wie anstrengend es war der beste Regierungschef der Welt zu sein. Vielleicht sollte er in eines der Gefängnisse fahren und ein paar Studenten foltern, das heiterte ihn immer auf. Die neuen Methoden waren zwar nicht mehr so lustig aber immer noch effektiv. Er rief seine Leibwächter. "Wir gehen zum Sport." Grinsend folgten iihm seine Bodyguards zum Nebenausgang. Der Pförnter in seinem Glaskasten sprang sofort auf und verbeugte sich tief. "Seid gegrüsst grosser Vorsitzender." "Jaja, mach' die Tür auf." "Die T- T- Tür? Ich glaube, ihr solltet jetzt nicht dort raus gehen." Der Mann war blass geworden. "Und warum nicht!? Das ist meine Türkei. Mein Land. Meine Wähler." Der Kerl war unverschämt.
"Da sind Demonstranten vor der Tür, die wollen" der Pförtner schluckte schwer "die wollen... euren Rücktritt."

Schweigen breitete sich in dem kleinen Vorraum aus. In Erdos Kopf rasten die Gedanken. Demonstranten? Hier? In seinem Regierungsviertel?! Das war unmöglich, er musste sofort mit seinem Polizeichef sprechen. Und um diesen Pförtner würden sich seine Leibwächter kümmern, mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Glaskasten in dem der Delinquent sass. Sein Bodyguard flüsterte ihm ins Ohr: "Chef, aber ist einer von ihnen." Erdo sah sich den zitternden Mann genauer an. Stimmt, das war irgendein Schwippschwager vom Cousin 3ten Grades seiner Frau, dem er diesen Posten verschafft hatte, obwohl er keinen Pförtner brauchte, die Tür ging sowieso automatisch auf.
"Gut, dann die Sonderbehandlung." zischte er zurück. Als er sich auf den Weg zurück in sein Büro machte sah er noch wie der erste Leibwächter den Mann in ein Gespräch verwickelte, während der andere lautlos die Tür zur Pförtnerloge öffnete.

Tags darauf berichteten mehre unabhängige, überparteiliche Medien darüber, wie kommunistische Chaoten einen treuen Mitarbeiter Erdos nach heldenhaftem Kampf feige von hinten niedergeschlagen und mit der Zunge auf dem Schreitisch festgetackert hatten. Nach intensiver Befragung durch die Geheimdienste hatte der Mann die Angreifer eindeutig als die Polit Chaoten identifiziert, die seit 2 Tagen die Stadt in Unruhe versetzten. Bilder zeigten Erdo am Krankenlager des Mannes, wo er ihn für seine Tapferkeit auszeichnete und ihm das neu geschaffene Amt eines Staudammbeauftragten in den nördlichen Provinzen verlieh.

Der Polizeichef war nicht erreichbar, angeblich im Dauereinsatz. Nur von "leichten Verzögerungen" hatte sein Stellvertreter gesprochen. Das Tränengas war fast alle und die Polzisten wären nach 48 Stunden Dauerknüppeln auch schon etwas erschöpft. "dann nehmt Schützenpanzer und organisert eine Miliz, das kann doch nicht so schwer sein."
Um alles musste man sich selbst kümmern. Er fühlte eine Müdigkeit in sich aufsteigen. Vielleicht sollte er Gül den Alltagskram überlassen und mal ein paar Tage ausspannen? Afrika wäre hübsch.
 

Mert90

New Member
Nur zu info, die Medien übertreiben. Die Mehrheit der Türkischen Volk ist hinter Erdogan. Ich wurde nicht so groß den Maul auf machen!

Sie haben gesehen, das sie nicht mit dem Wahlen gewinnen können, versuchen sie jetz mit Gewalt!
 

Zerd

Well-Known Member
Nur zu info, die Medien übertreiben. Die Mehrheit der Türkischen Volk ist hinter Erdogan. Ich wurde nicht so groß den Maul auf machen!

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Mert, das ist schon ok so. Du bist hier in einem Abschnitt der virtuellen Welt gelandet, in der diejenigen, die bei diesem Thema für eine ausgewogene Sicht der Dinge plädieren und vernünftige Fragen stellen als Märchenonkel abgetan und auch so bezeichnet werden. Wen wundert es da, dass sich ihre "Wirklichkeit" dann so auf diese Weise darstellt.

Und ansonsten sind die Leute ja auch ganz in Ordnung, wenn es um DInge geht, bei denen sie sich wirklich auskennen, theoretisch sogar beim Thema Völkerverständigung. Nur die Politik ist nicht so unbedingt ihr Steckenpferd, vor allem nicht die Politik in so einem fremden Land wie der Türkei. Das darf man ihnen nicht wirklich übel nehmen. Gerade jetzt nicht, wo sie ihre zwei Minuten Weltgeschichte hatten und sich so richtig schön daran aufgegeilt haben.

Das geht vorüber und dann wird es hier wieder (hoffentlich) vornehmlich um Übersetzungen, (interkulturelle) Liebesbeziehungen, coole Sprüche und kreative Einzeiler gehen. Und da kann ihnen wirklich kaum jemand etwas vormachen. Bis dahin, lass die inhaltlichen Aussagen einfach beiseite und erfreu Dich daran, dass die Geschichte doch wirklich schön geschrieben ist. Wer so schöne Geschichten schreibt, der kann nicht wirklich böse sein. Und irren ist bekanntlich menschlich.
 

Bender

Well-Known Member
Vielleicht machen sie auch aus den Demonstrationen noch eine Serie daraus.
Mit Titeln wie, unter Protest oder unter Protesten.
Die intensive Dramazität und die gekonnten Inszenierungen sind ja en masse vorhanden.
Es fängt ja schon mit dem Auslöser an....
 
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