Ich zünde eine Kerze an für

Bintje

Well-Known Member
Für meine Mutter.
Dass sie es bald geschafft hat..

:(

Am Montagabend dieser Woche ist meine Mutter gestorben. Wenige Tage vor ihrem 80. Geburtstag. Der wäre heute.
Es fühlt sich noch immer unwirklich an. Und ich denke an sie und halte sie in meiner Erinnerung im Arm wie vor einer Woche in der Klinik; sie war schwerst krank, zu Tode erschöpft, ihr Lebenswille erloschen.
Früher sprühte sie vor Vitalität, Temperament, Energie - und phasenweise dem genauen Gegenteil. Das war ihr Schicksal. Und unseres, denn auch meine Geschwister und ich mussten da durch, haben sie durch vieles getragen.

Unsere stolze, schöne, blitzgescheite Mom war zugleich der anstrengendste Mensch auf der Welt: überaus ungeduldig auch mit sich selbst. Aufbrausend konnte sie sein, ungerecht und bisweilen von einer Zartheit, Wärme und Feinsinnigkeit, die ich an ihr geliebt habe. Sie hat mir vor der Schule das Lesen und die Anfänge des Klavierspiels beigebracht. Sie selbst spielte früher sehr gut. Schubert, Mozart, Schumann, Chopin; am liebsten aber Schubert, vor allem die Impromptus op. 90 und op. 142. Und Beethoven. Als kleines Kind habe ich liebend gern unterm Klavier gehockt und dem Rauschen und Brausen der Klänge zugehört. Da wollte ich es auch lernen, tat es. Das und anderes behalte ich im Herzen, behalte Dich im Herzen, Mami.

Als der Tod zu Dir kam, die Ärzte Deinem Wunsch nach palliativer Begleitung gefolgt sind, kam er sanft und auf leisen Sohlen. Er öffnete nur die Tür - und Du gingst ohne Zögern hindurch. In andere Räume. Ins Licht.
Jetzt ist Deine Seele frei. Und ich wette, Du spielst da oben Mozart, liest Deine Lieblingsgedichte und freust Dich, mit wie vielen interessanten Geistern Du plaudern kannst.
Wir werden Dich in München begraben, auf dem Waldfriedhof: so, wie Du es gewollt hast.
 

eruvaer

Well-Known Member
Wunderschöne Worte, die auf ein erfülltes Leben und eine besondere Beziehung von euch hindeuten.
Mein herzliches Beileid.
Mein Exfreund hat auch das Klavierspielen geliebt wie sein geliebter Grossvater, der es ihm beigebracht hat. Er hat ein wildes aufbrausendes und tieftrauriges Klavierspiel und sagt nach seinen Improvisationen immer, sein seliger Grossvater würde am Klavier immer neben ihm sitzen.
 

Bintje

Well-Known Member
Wunderschöne Worte, die auf ein erfülltes Leben und eine besondere Beziehung von euch hindeuten.

Erfüllt klingt nach Glück, aber das war es nicht. Sie war wie eine Kerze, die von zwei Seiten brannte. Konnte nicht anders und ertrug sich in ihrer Intensität oft selbst nicht. Sie war eines dieser Kriegskinder, die dem Gefühl einer ständigen Gefährdung ausgesetzt waren und dem Schweigen danach, als ihr lange vermisst geglaubter Vater, mein Großvater, als Kriegsversehrter zurückkehrte. Ganz wesensverändert. Seine Geige hat er nie wieder angerührt, sich stattdessen aufs Zeichnen verlegt, kaum mehr geredet, auch nicht mit ihr.
Das machte sie buchstäblich krank. Und je älter sie wurde, desto klarer trat das zutage.
Auch wenn man es ihr nicht ansah und mein Vater, als er ihr zum ersten Mal begegnete, sofort hin und weg war.
Im Jahr darauf waren sie verheiratet.
Elf Monate später kam ich zur Welt, im Jahr darauf meine Schwester; später mein Bruder.
Dann war die Ehe kaputt. Mein Vater ging.
Das hat sie niemals verwunden. Und niemals verziehen. Niemandem. Wie traurig.
Sie war eine dieser Frauen, die die Werte der 50er Jahre verinnerlicht hatten und sich kaum je etwas anderes zutrauten als die anerzogene Rolle an der Seite eines Mannes. Wie schade.

Dabei war sie oft unkonventionell in ihrer Art, erfrischend. Bis heute bin ich nie wieder jemanden begegnet, der abgerissene Knöpfe mit Pattex oder Uhu anklebte, nur um nicht nähen zu müssen. :)
So werde ich sie in Erinnerung behalten. Auch so.
 
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