Ich habe das Gefühl, Du verdrehst die Zusammenhänge in dem Fall etwas.
Die Information, dass es sich jeweils um dieselbe Waffe handelt, lief durch die ballistischen Untersuchungen unmittelbar im Verlauf der Mordserie auf und wurde immer im Blick behalten. Nachdem 2006 die Belohnung auf 300.000 Euro angehoben wurde, wurden die Ermittlungen diesbezüglich auch mehrfach in den Medien dargestellt. Unter anderem war Ermittlungsleiter Wolfgang Geier mit einem Vergleichsstück schon 2006 in "Aktenzeichen XY" zu Gast.
Wenn man berücksichtigt, dass eine Verbindung zu beobachteten rechtsextremen Strukturen über den Verfassungsschutz nicht hergestellt wurde, mussten die Tatwaffe und die Ausführung der Morde in der Frühphase der Ermittlungen als Hinweis auf einen Zusammenhang mit organisierter Kriminalität gewertet werden. Was die damals so eng einbezogene Presse heute gern als Kriminalisierung der Opfer darstellt, war die Schlussfolgerung, dass dieser Zusammenhang logisch alle Opfer hätte betreffen müssen. Gleichwohl war das aber später keine dominante Theorie mehr, schon gar nicht 2010. Nachdem die Ermittlungen in der BOA Bosporus zusammengeführt wurden, wurde bewusst überhaupt kein konkretes Motiv mehr angenommen, sondern unspezifisch von einem (möglicherweise auch geisteskranken) Serientäter ausgegangen. Dass sich ein OK-Hintergrund durch das Umfeld der Opfer gerade nicht erhärten ließ, wurde auch damals schon bspw. bei den Medienauftritten von Geier herausgestellt.
Analog zur Übereinstimmung der Tatwaffe in allen Fällen lag auch die Tatsache, dass ein Schalldämpfer verwendet wurde bzw. die Waffe für Schalldämpfergebrauch vorbereitet ist, von Anfang an auf der Hand. Mitte 2006, bei besagtem XY-Interview, war Stand der Dinge, dass es sich um eine Waffe mit verlängertem Lauf handelt, also bspw. nicht, wie im kriminellen Milieu üblich, der Lauf eines Standard-Modells aufgebohrt und mit einem Innengewinde versehen wurde. Nachdem das die Anzahl schon überschaubar macht, kam bis Anfang 2010 die Eingrenzung der Tatwaffe auf die im Bericht genannten acht bekannten Seriennummern hinzu.
Auf Seiten der Kriminaler sehe ich überhaupt kein Fehlverhalten. Sie wären darauf angewiesen gewesen, dass der Verfassungsschutz auf ihre Anfragen hin einerseits eine zutreffende Gefährdungsanalyse abgegeben hätte, was offenbar im strategischen Kontext nach 2001 versäumt wurde, und andererseits speziell die Personen benannt hätte, die schon aufgrund der zeitlichen Abfolge der Ereignisse als Täterkreis in Betracht kommen mussten. Die enge Begleitung dieser Personen bis hin zu einzelnen Taten durch Mitarbeiter und/oder Kontakte lässt aus meiner Sicht den Schluss zu, dass dieser Vorgang bewusst sabotiert wurde.