Mein Handy klingelt

Asyali

Well-Known Member
Ich persönlich glaube fest daran, daß Handys eine Erfindung absolutistischer Außerirdischer sind, die unsere Erde beherrschen wollen. Sie werden irgendwann einfach unter uns sein und niemand wird es merken, weil wir sowieso ständig mit dem Handy beschäftigt sind. Und immer, wenn jemand fragt "sag mal, hast Du den grünen Typen mit den Antennen auf dem Kopf gesehen?" kann man nicht richtig hinsehen, weil gerade das Handy klingelt.

Das Handy ist ein schleichendes Nervengift. Es tötet die Nervenzellen, die für Freundschaft, Vertrauen und innere Ruhe verantwortlich sind. Und außerdem hat man keine Zeit mehr zum lesen, ausruhen, abschalten. Das Handy klingelt überall und immer. Es beherrscht unser Leben. Sie glauben mir nicht? Ich erzähle mal ein ganz alltägliches Beispiel:

Wenn ich mich früher mit Heinz getroffen habe, haben wir vorher telefoniert und eine Uhrzeit ausgemacht. Und da es Heinz war, wußte ich, daß er sowieso eine Stunde zu spät kommt. Weil aber Ausnahmen die Regel bestätigen, war ich dennoch pünktlich und hatte ein Buch dabei, um die Wartezeit zu überbrücken.

Heute ist das so: Ich habe mit Heinz telefoniert und eine Uhrzeit ausgemacht. Und da er es ist, wußte ich, daß er sowieso eine Stunde zu spät kommt. Weil aber Ausnahmen die Regel bestätigen, bin ich dennoch pünktlich und habe ein Buch dabei, um die Wartezeit zu überbrücken. Bis hierhin hört sich das noch ganz normal an. Kaum sitze ich in meinem Café und schlage mein Buch auf, läutet das Handy. Es ist Heinz. "Tut mir leid, ich bin gerade erst von der Arbeit gekommen und muß mich noch frisch machen. Es wird etwas später." Nichts neues. Ich murmele verständnisvolle Worte in das kleine Schwarze und erkläre, daß ich auf jeden Fall im Café warte, weil ich ja eh schon da bin. Wir legen auf, ich bestelle mir einen Cappuccino und schlage mein Buch auf.

Eine halbe Stunde später klingelt es wieder. Mir ist das immer noch peinlich, auch wenn das ganze Café ständig vom Handyläuten aller Gäste durchdrungen ist. Jedenfalls: es ist Heinz. "Ich fahre jetzt los, nur damit du Bescheid weißt." - "Ja, ist OK, ich bin ja hier", sage ich und drücke die "Auflegen"-Taste. Zu schnell. Sekunden später klingelt es wieder. "Bist Du mir böse?", fragt Heinz. Ich beruhige ihn und lasse mir diesesmal Zeit beim auflegen. Nach einer Viertelstunde (ich bin beim dritten Cappuccino) klingelt es erneut. Mein "Hallo" klingt schon etwas angenervt. "Ich finde keinen Parkplatz, es wird noch ein paar Minuten dauern", sagt Heinz. "Ist OK." sage ich und achte peinlich genau darauf, mir beim Wegdrücken Zeit zu lassen.

Nach dem letzten Klingeln ("Ich habe jetzt einen Parkplatz und bin in fünf Minuten da!") habe ich das Handy ausgestellt, mein Buch eingepackt, den Cappucino bezahlt und das Café verlassen.
Von Heinz habe ich nichts mehr gehört, aber ich habe die 27 Mailboxansagen auch noch nicht abgehört.

Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Handys komplizieren das Leben und zerstören Freundschaften. Sie rauben einem die Zeit zum Lesen, Nachdenken, Weiterbilden und zerstören die innere Ruhe. Man gewöhnt sich daran, nichts mehr ohne dreifache Bestätigung über das Handy zu unternehmen. Man ist immer erreichbar, störbar, im Urlaub, im Bett, in der Badewanne, auf dem Klo.

Die absolutistische außerirdische Macht, die die Erde beherrschen will, weiß genau was sie tut. SIE hat uns das Handy gegeben. Mit seiner Hilfe wird der Gesamt-IQ der Menschheit rapide sinken, weil die Intellektuellen alle damit beschäftigt sind, zu telefonieren.

Sie meinen, man könnte das Ding auch abschalten? Rein technisch schon, allein um uns in dem Glauben zu lassen, wir hätten die Macht über die Handys. Aber es widerspricht dem menschlichen Wesen, Kommunikation abzulehnen. Und überhaupt ist man ja neugierig...

Ich habe versucht, mich vom Handy zu trennen. Als gar nichts mehr half, bin ich zu einem Psychologen gegangen, um den Entzug therapeutisch zu unterstützen. Aber so recht kommen wir nicht voran. Sein Handy klingelt bei jeder Sitzung mindestens fünf Mal.

Die Macht ist irgendwo da oben.... äh, Entschuldigung, aber ich muß jetzt aufhören, zu schreiben... mein Handy klingelt..

von Andrea Kalmer
 
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