Mein verwundetes Herz

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Lalezar2006

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Martin Doerry
Mein verwundetes Herz

Lilli Jahn wächst in der Geborgenheit einer wohlhabend jüdischen Familie in Köln auf. Anfang der zwanziger Jahre studiert die selbstbewusste junge Frau Medizin, sie genießt Theater und Konzerte und sie diskutiert leidenschaftlich mit ihrem protestantischen Freund und späteren Ehemann Ernst über Literatur, Kunst und Religion. Nach der von Lillis Eltern mit Skepsis betrachteten Heirat zieht das Paar nach Immenhausen bei Kassel und eröffnet eine gemeinsame Arztpraxis.

Lilly Jahn bringt fünf Kinder zur Welt, während sich langsam das Gift der nationalsozialistischen Politik in ihr Leben frißt. Ihr Mann hält dem äußerem Druck nicht stand und läßt sich 1942 von ihr scheiden. Damit ist sie dem NS-Regime schutzlos ausgeliefert. Sie wird in ein Arbeitserziehungslager gebracht, ihr Sohn und ihre vier Töchter müssen den Alltag im Krieg von nun an allein bewältigen.

Hunderte von Briefen, die dank glücklicher Umstände im Original überliefert sind, zeugen von dem verzweifelten Kampf der Mutter und ihrer Kinder um den Zusammenhalt der Familie. Immer wieder gelingt es Lilli Jahn, heimlich Briefe aus dem Lager zu schicken. Und auch ihre Kinder schreiben unermüdlich, als wollten sie die Mutter mit möglichst vielen brieflichen Liebesbekundungen wieder zurückholen. Doch Krieg und Verfolgung nehmen ihren verhängnisvollen Lauf: Die Kinder werden in Kassel ausgebomt, Lilli Jahn kommt im Juni 1944 in Auschwitz ums Leben.

Kurzer Auszug:

Meine lieben, lieben Kinder, alle miteinander,
ich will auch diese Woche wieder mal mein Glück versuchen, ob Euch diese Zeilen erreichen. Ihr wißt ja, daß Ihr nichts davon erwähnen dürft.

Ihr dürft mir bestimmt glauben, es geht mir gut, auch meine Galle ist artig, liebe Marilis, mir bekommt die magere Kost und das lange Liegen, wir müssen ja schon um 1/2 9 Uhr im Bett sein bis 1/2 6 Uhr früh.
Ihr Lieben, diese Woche habt Ihr mich aber so sehr verwöhnt, daß es mich recht bedrückte. Gewiß, ich bin jeden Tag ordentlich satt gewesen, und heute am Sonntag fehlte es mir an gar nichts durch Eure Güte, und manch eine meiner Kameradinnen hier bekommt noch davon ab. Ich danke Euch aus ganzem Herzen für das Päckchen mit den Ölsardinen etc. und dem Zuckerzeug, das Ihr sicher selbst gemacht habt. Dann für das Päckchen mit der Butter und so weiter - Kinder, das dürft Ihr unter gar keinen Umständen mehr tun, so gut, so sehr gut Ihr es meint! Ich verbiete es Euch, mir nochmal Butter zu schicken, Ihr dürft Euch nichts absparen, auch Eure Süßigkeiten sollt Ihr behalten. Ich bin doch so von Herzen froh, wenn Ihr alles habt, und Euch so dankbar für alles andere, was Ihr mir schickt.

Vor allem mach Dir nicht so viel Sorgen um mich, meine Ilsemaus. Ich bin vorsichtig und denke nur daran, gesund und hoffentlich bald wieder bei Euch zu sein....

Lebt wohl für heute! Ich küsse und umarme Euch vieltausendmal zärtlich und innig, Gerhard, Ilse, Hannele, Eva, Dorle und Marilis! Eure Mutti
 
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