netzpolitik.org: Ermittlungen wegen Landesverrats

turkish talk

Well-Known Member
Unglaublich, Ihr habt es sicher mitbekommen, geht seit gestern durch die Medien: Der Verfassungsschutzpräsident zeigt die Journalisten von netzpolitik.org wegen Landesverrats an.

ZEIT ONLINE:
Das Blog tickert beispielsweise aus den Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses live. Hier kann jeder lesen, was Geheimdienst-Zeugen aussagen. Das mag manchem auf die Nerven gehen. Aber es ist kein Landesverrat. Es dient dem Schutz der freiheitlichen Demokratie. Und sollte Antrieb für Regierung und Bundestag sein, endlich eine starke Geheimdienstkontrolle einzuführen.

sueddeutsche.de
Im Fall des Riesen NSA und seiner Abhöraktionen in Berlin macht sich die Behörde klein und versteckt sich. Im Fall des Zwergs Netzpolitik.org gibt sie den starken Staat. Warum? Über den umstrittenen Plan "EFI" hatten SZ, NDR und WDR Monate zuvor berichtet. Geht es also darum, dass das Portal nicht nur berichtete, sondern auch Teile der als geheim eingestuften Original-Dokumente veröffentlichte? Oder hofft man, dass ein Schlag gegen die Blogger-Szene zu keinem Aufschrei der etablierten Medien führen wird, aber deren Informanten verunsichern könnte?


Die NSA kann hier rumwildern wie sie will, der BND hilft ihr auch noch bei der Spionage, und der Verfassungsschutz schläft, aber wenn "kleinere" Journalisten darüber schreiben, ist er hellwach und gibt einen Warnschuss ab. So offensichtliche Einschüchterungsversuche seitens der Justiz kennt man sonst nur von anderen Staaten.
 

nordish 2.0

Well-Known Member
Das ist einfach lächerlich und die Anzeige nicht haltbar.
netzpolitik.org hat geheime Dokumente veröffentlicht, die ihnen zugespielt wurden.
Seit wann ist das strafbar?
 
P

Pit 63

Guest
Es zeigt, dass auch die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland bereits lobbyistisch unterwandert ist. Deutlich wurde mir das im Zusammenhang mit dem Gebührenbeitrag fürs Staatsfernsehen- entgegen der Bezeichnung faktisch eine verfassungswidrige Zwangsabgabe, wie diverse Juraprofessoren zunächst auch den Mut hatten, es klar zu sagen. Nun wird hier seit längerem Landesverrat wie ein übliches Bagatelldelikt verharmlost und niemand schert sich darum. Damit im Zusammenhang stehenden Journalismus beginnt man nun zu unterdrücken. Ohne Worte...
Und warum musste der letzte Bundespräsident nochmal zurücktreten?
 

turkish talk

Well-Known Member

Das war zu erwarten, aber dass sie gleich so schnell einknicken ...?! Was für ein Schmierentheater!


Klar. Und de Maizière hatte natürlich wieder einmal keine Ahnung.
Ob es Konsequenzen geben wird? Für Pofalla, der sich gerade auf ein paar ruhige Jahre bei der Bahn freut, wird's langsam eng. :)
 

beren

Well-Known Member

Ich weiß, die Journalisten dort arbeiten auf Spendenbasis, d.h. sie finanzieren sich über Spenden. Gerade erst vor kurzem haben sie ihr Team um einen festen Mitarbeiter erweitern können. Viele ihrer Tweets kenne ich. Sie leisten super Arbeit und sind von niemandem abhängig. Diese Arbeit sollte durch die Pressefreiheit in vollem Umfang gewährleistet sein. Erst recht in einem Land wie Deutschland. Das unsere Justiz funktioniert, finde ich gut, aber ehrlich, ich dachte: "Hilfe!, sind wir im Ausland."
 

turkish talk

Well-Known Member
Eine Erklärung, warum das so lief, liefert ein Artikel auf telepolis.de, eine sogar ganz brauchbare Erklärung:

Warum der Verfassungsschutz in Wirklichkeit netzpolitik.org angezeigt hat

Diese Katalogstraftaten sind auch der Schlüssel zu anderen über die normale Strafermittlung hinausgehenden Maßnahmen. Sie rechtfertigen nämlich sogar polizeiliche Lauschangriffe und Artverwandtes. Nach aktueller Planung ermöglicht der Verdacht auf Katalogstraftaten den Zugriff auf Daten aus der *Trommelwirbel* Vorratsdatenspeicherung. Und in diesem Katalog findet sich in § 100a Abs. 2 Nr. 1 a) der *Trommelwirbel* Landesverrat (§ 94 StGB). Mit anderen Worten: netzpolitik.org darf seit Anzeigeerstattung auch nach offizieller Aktenlage elektronisch abgeleuchtet werden.

Wenn Spione also unbequeme Gegner im Inland ausspionieren wollen, die keine für den Verfassungsschutz legitimen Aufklärungsziele darstellen, sind sie auf der juristisch sicheren Seite, wenn sie pro forma eine Verdachtslage nach § 94 StGB herbeiführen, die § 100a StPO auslöst und die damit die elektronische Waffenkammer öffnet. Und dazu ist auch eine bei Tageslicht betrachtete unbrauchbare Strafanzeige gut genug. Und da von einer Strafanzeige der Beschuldigte erst einmal nichts erfährt, ist das ein billiger Schachzug. Der Verfassungsschutz hat sich dieses durchsichtige Manöver von seinem nicht völlig naiven Innenminister eigens absegnen lassen.

Einfach ausgedrückt bedeutet das: Wir schießen erst mal ziemlich scharf, um juristisch in die Lage zu kommen bestimmte Paragrafen anzuwenden, bei viel Gegenwind distanzieren wir uns davon und lassen das Verfahren vorerst ruhen (Maas, SPD: Bis zum Eingang des Gutachtens wird mit den Ermittlungen innegehalten), was dauern kann, aber währenddessen, schließlich steht die Anklage noch, auch wenn sie ruht, schöpfen wir alle technischen Möglichkeiten aus, die Bude auszuspionieren.

Schöner Nebeneffekt: Warnschuss, Testballon und in anderen Redaktionen wird die eigene Schere im Kopf geschärft.
 

Sithnoppe

Moderator
Da ist man den unbequemen FDP-Vogel geschickt los geworden und hat dem Neuen mal direkt gezeigt, wie es läuft. Aber da der ja in Bayern seine Karriere gemacht hat, wird der schon wissen, wie es läuft.
 
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