Reporterin soll 23 Jahre in den Knast

Ottoman

Well-Known Member
Die türkische Justiz hat mehr als 23 Jahre Haft für eine Journalistin gefordert, die über angeblich verbilligte Luxuswohnungen für regierungstreue Richter und Staatsanwälte berichtet hatte.
Von den günstigen Preisen profitierten demnach unter anderem drei Richter, die die Einstellung von Korruptionsermittlungen gegen vier Ex-Minister der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan anordneten. Taz

Zitat von Erdogan (2014): "Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei"

Wie am Ende der Prozess für die Journalistin der Cumhuriyet enden wird steht zwar offen. Doch allein die Forderung der Staatsanwaltschaft zeigt auf wie systematisch Regierungsgegner seit vielen Jahren eingeschüchtert werden. Gefängnisstrafen, Entlassungen, Drohungen jeglicher Art, auf der anderen Seite Propaganda durch regierungstreue Medien. Davon betroffen sind ja nicht nur Journalisten. Es sind normale Bürger, Staatsanwälte, Unternehmer,... alle die ihre Stimme erheben. Doch das ist mittlerweile (leider) Normalität und überrascht als Nachricht wirklich niemanden mehr.
 

Almancali

Well-Known Member
Mich würde interessieren, wie diese geforderten 23 Jahre überhaupt begründet werden. Selbst in der TR gibt es einen Strafkatalog, aus der Juristen doch das Strafmaß ermitteln sollten.
 

Almancali

Well-Known Member
... oder wie hier 49 Jahre Haftforderung für Gezi Demonstranden. Aktenlage: 33 Seiten Klageschrift für insgesamt 35 Angeklagte. Davon entfallen 20 Seiten Adressen und 13 Seiten Anschuldigungen. Der Titel "Erdoğan rächt sich an Fußballfans".

[1] N-TV
 

Almancali

Well-Known Member
... und im Artikel 301 steht folgendes:

ab 2008: Art. 301 Herabsetzung der türkischen Nation, des Staats der Republik Türkei, der Institutionen des Staates und seiner Organe
  1. Wer die türkische Nation, den Staat der Türkischen Republik, die Große Nationalversammlung der Türkei, die Regierung der Türkischen Republik und die staatlichen Justizorgane öffentlich herabsetzt, wird mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft.
  2. Wer die staatlichen Streitkräfte oder Sicherheitskräfte öffentlich herabsetzt, wird gemäß Abs. 1 bestraft.
  3. Meinungsäußerungen, die mit der Absicht der Kritik erfolgt sind, stellen keine Straftat dar.
  4. Die strafrechtliche Verfolgung wegen dieser Tat hängt von der Ermächtigung des Justizministers ab.
Das ist die abgeänderte Fassung von 2008. Demnach sogar abgeschwächter, als die Fassung davor, die da lautet:

vor 2008: Erniedrigung des Türkentums, der Republik sowie der staatlichen Organe und Einrichtungen § 301
  1. Wer das Türkentum, die Republik oder die Türkische Große Nationalversammlung (Parlament) öffentlich erniedrigt, wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren verurteilt.
  2. Wer die Regierung der Türkei, die Justizorgane, die militärischen Einrichtungen sowie Einrichtungen der Sicherheitskräfte erniedrigt, wird zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zwei Jahren verurteilt.
  3. Das Strafmaß für einen türkischen Bürger, der im Ausland das Türkentum erniedrigt, erhöht sich um 1/3.
  4. Meinungsäußerungen, die das Ziel haben, Kritik auszuüben, haben keinen Tatbestand.
Daher frage ich mich, wie überhaupt ein Tatbestand folgen kann. Die Fassung von 2008 (oben) hat sogar unter 2) Die Regierung der Türkei aus dem Tatbestand herausgenommen. Weiterhin stellen Meinungsäußerungen wie unter 3) keine Straftat dar. Daher frage ich mich, woher solche imaginären Zahlen wie 23 Jahre, 49 Jahre, 99 Jahre und Co. überhaupt herstammen.

[1] Auszüge aus dem türkischen Strafgesetz alt
[2] Auszüge aus dem türkischen Strafgesetz neu
 
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