Schöner denken

Asyali

Well-Known Member
Wie man politisch unkorrekt ist

Von Josef Joffe, Dirk Maxeiner, Michael Miersch und Henryk M. Broder

SCHÖNER DENKEN ist ein kleines Lexikon über die Phrasen und Floskeln mit denen Politiker und Medienleute die Welt erklären. Für „Neusprech“ und „Gutdenk“ bedarf es in einer liberalen Demokratie keines Diktators und keiner Sprachpolizei. Der Konformismus formiert sich von selbst oder genauer: Er ist das Produkte einer weitläufigen, stets sich wandelnden Klasse, die man die „politische“ oder die „schwatzende“ nennen kann. SCHÖNER DENKEN spießt all die Phrasen und Versatzstücke in meistens satirischer, manchmal ernsthafter Weise auf, die das Denken formen und verformen: von „Antizionismus“ bis „zukunftsfähig“.

Kostproben

ÄNGSTE ERNST NEHMEN
Populäres Dauerversprechen, das von Kommunikationsberatern empfohlen wird. Egal, ob jemand sich vor weißen Mäusen oder Nachbars Lumpi, Mobilfunkstrahlen oder PVC-Teppichboden fürchtet: Eine Unterscheidung zwischen berechtigten und unberechtigten Befürchtungen gilt als unsensibel. Deshalb müssen Ängste grundsätzlich „ernst genommen“ werden. Auch wenn Befürchtungen nur von winzigen Minderheiten gehegt werden, handelt es sich dabei stets um „Ängste der Bevölkerung“. Ein Heer von Therapeuten, Gutachtern, Medienschaffenden und Sozialpädagogen widmet sich diesen mit Begeisterung, aber nicht zum Behufe der Überwindung der Ängste, denn das wäre schlecht fürs Geschäft.

DALAI LAMA
Ideeller Gesamtgutmensch, der auf evangelischen Kirchentagen verehrt wird. Seine Heiligkeit gilt als Buddhas bester Mann und erleuchtet all jene, denen der Sinn des Lebens abhanden gekommen und der Papst zu sperrig ist. Er lächelt gern. Er sagt: „Kriege entstehen aus dem Scheitern, das Menschsein der Anderen zu verstehen.“ Und lächelt. Er sagt: „Ein großer Teil unseres Leids rührt daher, dass wir zu viel denken und dass wir nicht auf gesunde Art und Weise denken.“ Und lächelt. Er sagt: „Ohne Menschen ginge es der Erde besser.“ Und lächelt. Alle mögen den Dalai Lama und der Dalai Lama mag alle. Alles in Buddha.

DIALOG DER KULTUREN
Wenn die eine Seite Respekt predigt und die andere Botschaften anzündet.

DISKUSSION, ERGEBNISOFFENE
Versprechen, mit dem es Kannibalen immer wieder gelingt, Vegetarier an ihren Tisch zu locken. Der Trick funktioniert auch zwischen Männern und Frauen, Deutschen und Juden, Eltern und Kindern. Historisches Vorbild der ergebnisoffenen Diskussion sind die Verhöre zur Zeit der Inquisition.

DOSEN
Behälter von moralischem Minderwert. Sie enthalten Coca-Cola für von Fettsucht und Diabetes bedrohte Jugendliche, Bier für grölende und müllende Prolls, Ravioli für kulinarische Analphabeten. Dosen sind aus Weißblech oder Aluminium und der Inbegriff der Wegwerfgesellschaft. Gemeinerweise könnte man einwenden, dass sie sich billig herstellen, gut transportieren und auch prima recyceln lassen, auch, dass sie viel Energie sparen, weil ihr Inhalt ohne Kühlung frisch bleibt. Sie befördern das Ende der Wegwerfgesellschaft, weil nicht mehr so viele Lebensmittel verderben und in den Müll wandern. Man könnte ferner darauf hinweisen, dass Nahrung aus Dosen schon unzählige Menschen in Not gerettet hat. Man könnte also vieles zur Ehrenrettung der Dose sagen, sie verdient eigentlich ein Denkmal als eine der großen Erfindungen zum Wohle der Menschheit. Trotzdem lehnen wir Dosenfutter ab, außer für Hund und Katz.

EXTREMWETTER-EREIGNIS
Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter, Trockenheit, Hochwasser, Niedrigwasser, Sturm, Flaute, Gewitter, Regen, Schnee, Hagel, Graupel, Niesel, Nebel, Tag, Nacht.

GEISELN, DEUTSCHE
Diese neigen dazu, sich nach ihrer Befreiung bei den Geiselnehmern dafür zu bedanken, dass sie „anständig behandelt“ worden sind – von der Entführung an sich einmal abgesehen. So haben auch die beiden Leipziger Rene Bräunlich und Thomas Nitzschke nach ihrer 99tätigen Gefangenschaft im Jahre 2006 nur Gutes über ihre Entführer zu sagen gehabt: „So richtig gedroht haben die nicht. Es war nur so unmissverständlich, dass sie uns mitgenommen haben." Weiter: "Die haben alle mit großem Engagement fünf Mal am Tag gebetet, ihre religiösen Pflichten erfüllt... Aber fanatisch waren die nicht. Die haben signalisiert: Wir akzeptieren auch andere." „Das waren Leute, die für ihr Land kämpfen wollten. Ob das mehr in die kriminelle oder in die religiöse Richtung ging, will ich jetzt nicht beurteilen. Wir hatten das Gefühl, das waren sehr einfache Menschen." Was auch für manche Geisel gilt, die am Ende ihres Abenteuerurlaubs nicht mehr beurteilen kann, ob sie entführt oder nur lobotomiert wurde.
 

Kedi08

Active Member
AW: Schöner denken

:biggrin:

Köstlich...besonders den Abschnitt über die Geiseln fand ich klasse. Vor ein paar Jahren hat doch auch mal eine entführte Frau eine Liebesbeziehung mit ihrem Geiselnehmer angefangen...die wollte gar nicht wieder zurück. So hatte der das aber nicht geplant. :lol:
 
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