Wer bin ich?

Ray

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Mit dieser Frage beschäftigt sich denke ich mal nicht nur meine Wenigkeit. Doch manchmal kommt es mir vor, als wäre ich der einzige, der daran arbeitet, oder besser gesagt noch daran arbeitet sich selbst zu finden. Ich bin 20 Jahre alt, lebe seit meiner Geburt in Deutschland. Türkisch spreche ich nur standardmäßig, mein ganzes Leben lang hatte ich nur größtenteils deutsche Freunde, türkische kannte ich nur aus meiner Schule oder durch meinen Bruder. Mein Glaube nimmt nur eine nebenbedeutende Stellung für mich ein. Aus diesen Sichtpunkten entsprechend fühle ich mich nicht wie ein "normaler" Türke, wenn es diesen Begriff und dessen Bedeutung überhaupt gibt.

Mein Problem liegt darin, dass ich weder akzeptieren kann, dass ich nicht den Vorstellungen meines türksichen Umkreises entspreche, noch vergessen will wo ich herkomme.

Direkt wird mir kein Zwang erteilt. Ich würde nur auf meinen Vater, meine Mutter und meinen großen Bruder hören. Ich muss trotzdem keinen strengen Regeln gehorchen, hab sehr viel Freiraum.
Nur weiß ich, wie ich meine Familie verärgern kann. Und das sind 2 Sachen, 2 wichtige Sachen in meinem Leben. Das erste ist die Musik. Ich mache selber Musik, bin Sänger in einer Metalcore/Death Metal Band. Durch meine Band kann ich Sachen ausdrücken, die ich sonst nie ausdrücken könnte. Doch meine Familie weiß so gut wie gar nichts über meine Band. Und wenn sie es wüssten, würde sie es sehr stören, denn sie wissen, welche Musikrichtung ich höre, und das ist sehr anstößig für sie. Am Anfang hatte ich große schwierigkeiten damit, mittlerweile haben sie sich aber daran gewöhnt. Es würde sie aber aufregen, wenn sie wüssten, dass ich jetzt zu einen von denen gehöre, die sie eigentlich immer gehasst haben. Viele vorurteile fließen da mit rein. leider. und vorurteile kann man leider schwer aus den köpfen türkischer eltern entfernen. Für mich ist die band aber lebenswichtig, denn ich erhalte gefühle der akzeptanz, toleranz, unterstützung, selbstbewusstsein und stärke. gefühle die ich nie in meinem leben bekommen habe, da sie von der außenwelt unterdrückt wurden.

das zweite ist meine flamme. ich sag nicht freundinn, da wir uns nicht mehr als paar nennen können. vor einem halben jahr musste ich mich teils wegen meinen eltern von ihr trennen, und bis heute weiß sie nicht wieso (ich habe mich zu sehr geschämt, ihr sagen zu müssen, dass ich wegen meinen eltern schluss mache). ein halbes jahr dachte ich kaum an sie. es gab momente da war sie teilweise ein nicht-mehr-aufschlagbares kapitel in meinem leben, obwohl sie sehr viel für mein leben bedeutet hat. doch vor 1 woche musste ich realisieren, dass ich noch sehr an ihr hänge, und sie tief innen noch liebe. ich schrieb ihr eine mail mit der bitte sie solle sich wieder melden.
falls dies geschieht, werde ich vor meinen eltern nicht mehr verheimlichen können, dass ich wieder kontakt mit ihr habe, denn in der hinsicht schauen sie mir genau auf die finger. meine eltern hassten sie. sie glaubten, meine freundinn wäre schuld an meinem schulabbruch gewesen, was aber niemals der fall war. zwar akzeptierten sie uns irgendwann als paar, doch danach bekam ich schlimmer mein fett ab, indem der hass nur noch indirekt auf mich übertragen wurde. es blitzelten augen, und das machte mir angst, daß der hass irgendwann mal so heftig kommt, dass ich es nicht mehr ertragen kann. aus diesem grund beendete ich alles. zwar spielten mehr gründe mit, doch die sind zu meinem jetzigen zeitpunkt völlig irrelevant geworden.

Jetzt frage ich mich, wer ich bin. ich kann nicht ohne meine 2 Laster. aber auch nicht ohne meine eltern. bekomme ich hier rat?
 

sibel8

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Hi Ray

Deine Geschichte ist sehr interessant und ich glaube, dass es sehr viele gibt, die dir nachfühlen können. Bestimmt gibt es viele, denen es genauso oder ähnlich geht wie dir.

Ich kann mich wahrscheinlich nur beschränkt in deine Situation versetzten. Wahrscheinlich muss man selber in so einer Situation sein, um wirklich richtig nachfühlen zu können. Ich kenne diese Probleme jedoch persönlich nicht. Dennoch kann ich mir ungefähr vorstellen, wie hart das für dich sein muss.

Ich kann dir nicht sagen, was du machen sollst, das steht mir nicht zu. Aber ich bin seit einiger Zeit der Überzeugung, man sollte einfach das tun, was einem gut tut und wozu man Lust hat. Klar, es sollte überlegt sein. Aber wenn du diese Musik magst und sie dir so viel gibt, dann steh dazu. Und wenn dir dieses Mädchen so wichtig ist, dann hol sie dir zurück. Ich habe lernen müssen, dass man oft bereut, wenn man etwas nicht wenigstens versucht hat. Ich an deiner Stelle könnte einen Menschen, den ich liebe NIE so richtig vergessen, wenn es aus solch einem Grund zur Trennung kommt.

Ich rate dir nochmals einige Tag in Ruhe zu überlegen was du willst und dann das tun, was dir dein Herz sagt. Mit deinen Eltern wird das bestimmt nicht einfach oder vielleicht auch total schwierig. Aber was wollen sie tun ausser es dir verbieten? Und dann kommt ein 3. Grund, der dich ins Zweifeln bringt (etwas anderes zusätzliches) dass sie dir verbieten und dann ein 4. und so bestimmen sie dein Leben. Es ist jedoch nicht ihr Leben, sondern deines.

Wohnst du noch zu Hause? Ich bin oft mit meinen Eltern aneinandergeraten als ich noch zu Hause gewohnt habe. Deshalb bin ich früh (mit 19) von zu Hause ausgezogen. Nun wissen meine Eltern nicht immer alles, was bei mir so läuft, die brauchen ja auch nicht alles zu wissen. Ich bin jetzt 25 und habe mit meinen Eltern seit ich nicht mehr zu Hause wohne ein viel, viel besseres Verhältnis. Und natürlich auch mehr Freiraum, mehr Eigenverantwortung. Solange man zu Hause wohnt, bleibt man wohl immer "das kleine Kind, das man bevormunden muss".

Ich möchte dir wirklich nicht sagen, was du zu tun hast. Es ist deine Entscheidung und du musst dahinter stehen können. Ich habe aber vor einiger Zeit die Erfahrung gemacht, wie schnell das Leben plötzlich vorbei sein kann bzw. fast vorbei sein kann bzw. sich schlagartig verändern kann z. Bsp. durch einen Unfall oder so. Und ich habe lange zu fest auf andere Rücksicht genommen und meine eigenen Wünsche vernachlässigt. Seit ich das nicht mehr mache und vermehrt auch mal an MICH denke, geht es mir besser. Denn ich mache nicht das, was andere wollen oder von mir erwarten, sondern das, was ich Lust habe. So sammle ich meine Erfahrungen und lerne daraus.

Ich hoffe, du findest deinen Weg. Sicher hat es hier im Forum noch Leute, die in einer ähnlichen Situation sind und die dir Tipps geben oder dir helfen können.

Liebe Grüsse
Sibel
 

stella

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Merhaba

Merhaba Ray, ich heisse Stella und lebe in der Türkei. Habe selbst drei Kinder - davon sind zwei halbtürkisch -, also sie haben einen Türkischen Papa, wenn auch verstorben. Insbesondere mein Sohn hat bis heute immer Probleme. Er ist inzwischen 28 Jahre und selbst Papa. Aber er wurde von den Deutschen als Auslaender betrachtet und von den Türken nicht anerkannt. So hat er einen Identitaetsverlust erlitten. So etwas ist sehr schlimme. Als ich deine Geschichte aus deinem Leben las, kamen mir Aehnlichkeiten vor.
Ich denke versuche dein Leben zu leben und glaube mir die Elternliebe ist stark und sie werden hoffentlich - wenn auch nur schwer - eines Tages alles akzeptieren. Das wünsche ich dir aus ganzem Herzen. Es ist nicht einfach und ich sehe diese Probleme auch in der Türkei im Tourismus. Immer wieder gehen Beziehungen auseinander, weil Eltern es nicht akzeptieren, aber auf der anderen Seite - die Menschen werden nie richtig glücklich - weil sie ihre Liebe nicht gelebt haben.
Was soll ich dir sagen, ich gebe dir meine Mailadresse und schreibe mich ruhig an, wenn du meinst, es tut dir gut. In diesem Sinne Güle Güle Stella
 

Kanack

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Hallo ray,
die frage wer ich bin habe ich mir einige zeit auch gestellt.Ich glaube dass keine Frage schwieriger zu beantworten ist. Ein energie und resonanzphänomän oder einfach nur launen der natur?auf deutsch gesagt,scheiss egal wer wir sind. Es interessiert auch keinen wer wir sind.
Es interessiert nur wer wir werden wollen und was wir tun.wer bist du, wenn du bei deinen eltern odeer deiner freundin bist oder deiner arbeit/musik nachgehst? Ich für meinen Teil habe heute abend lust der feurige liebhaber zu werden 8) .
Aus diesen Sichtpunkten entsprechend fühle ich mich nicht wie ein "normaler" Türke, wenn es diesen Begriff und dessen Bedeutung überhaupt gibt.
Seit wann sind türken normal :wink:

Es würde sie aber aufregen, wenn sie wüssten, dass ich jetzt zu einen von denen gehöre, die sie eigentlich immer gehasst haben.

Anscheinend wissen sie nicht was die musik dir bedeutet.Das was sie hassen sind nicht die leute, sondern das bild was sie von den leuten haben.
gib ihnen die zeit und die chance dieses bild zu verändern.
Das leben ist nicht so lebenswert ohne unsere Überzeugungen und Leidenschaften.
Ich habe einige zeit mir gewünscht mein umfeld(vor allem meinen vater) verändern zu können. Bis mir klar wurde, wie respektlos dies doch von mir sei. seitdem versuche ich strikt das weltbild des anderen zu respektieren und bekomme diesen auch meist zurück. Es klingt für mich so als sei musik ein teil deiner persönlichkeit. willst du nun also zu dir stehen?
Alles im leben hat immer zwei seiten. So kann bspw. arbeitslosigkeit oder krankheit zunächst wie ein kleiner weltuntergang wirken, bis sich irgendwann feststellt dass es das beste für einen gewesen ist.
Vielleicht gelingt es dir ja irgendwann deine wut, dein unverständniss in deiner musik zur leidenschaft umzuwandeln und immer bessere musik zu machen. Aless im leben hat einen preis. Den Verzicht.
 

Zeytinlik

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Hi Ray,
du schreibst: "ich kann nicht ohne meine 2 Laster. aber auch nicht ohne meine eltern. bekomme ich hier rat?" Das, was Du durchlebst, habe ich vor einigen Jahren durchlebt. Das, was mir wichtig war, sahen meine Eltern nicht bzw. sie gaben mir immer das Gefühl, dass das, was mir wichtig war, falsch ist. Die Vorstellung diese Dinge "meinen Eltern zuliebe" aufzugeben, war für mich unvorstellbar. Es hätte letztendlich bedeutet, dass ich mich selber aufgeben muss. Also, war das schon mal die eine Sackgasse. Die andere Variante, die ich hätte gehen können, war: meinen Weg gehen, aber ohne Eltern. Denn letztendlich haben mir meine Eltern immer klar gemacht, dass mein Weg für sie unakzeptabel war. "Das könne ich nicht von Ihnen verlangen", "ein Kind weniger können wir ertragen, aber ein Du ohne Eltern wird für dich wohl nicht erträglich sein". Der Gedanke, meinen Weg zu gehen, aber mit meinen Eltern ewig verkracht zu sein, nicht mehr ihre Liebe und Anerkennung zu bekommen war auch unvorstellbar. Sackgasse Nr. 2. Also, egal welcher Weg, keiner hätte mich glücklich gemacht. Ich denke, letztendlich steckst du und stecken alle Jugendlichen oder jungen Leute mehr oder weniger in derselben Situation. Das soll nicht heißen, dass ich schon uralt bin, nein. Dieser Kampf mit meinen Eltern liegt definitiv nicht lange zurück, und oft war ich verzweifelt. Meine Erfahrung ist: Eltern scheinen sich nicht zu ändern. Man sollte nciht darauf warten, dass sie einen eines Tages verstehen und die Freiheit lassen zu leben, wie man leben will. Wenn man darauf wartet, wird es zu spät sein. Ich habe so viel versucht mit meinen eltern zu reden, ehrlich zu ihnen zu sein (meine Partnerschaft habe ich ihnen nicht verheimlicht), so viel. Aber im Endeffekt war das, was ich tat, in ihren Augen respektlos, ihren Ruf schädigend. Alle Sprüche, die sie loslassen, zielen darauf ab, einen einzuschüchtern: "wenn ich mal einen herzinfarkt habe....", "du bist für uns gestorben, wenn du das machst" etc. etc. Sie geben einem das Gefühl, etwas schlechtes zu tun und die Dinge im Leben, die einem doch so wichtig sind als "Laster" anzusehen. Das, was sie an Sprüchen von sich geben, ist letztendlich psychische Erpressung. Warte nicht darauf, dass Deine Eltern sich ändern. DU musst dich ändern. Du musst dich frei machen.
Ich bin letztendlich meinen Weg gegangen, auch wenn es verdammt hart war. Ich hatte lange Perioden, in denen ich keinerlei Kontakt zu meiner Familie hatte. Meine Eltern wollten nichts von mir wissen. Ich war am Boden zerstört, weil ich doch meine Familie brauchte, sie aber nicht für mich erreichbar war. Heute reden wir wieder miteinander, und ich bin jetzt stärker, und ich bin verdammt froh, dass ich meinen WEg gegangen bin. Denn hätte ich das nicht getan, hätte ich mich selber aufgegeben und ich hätte nicht glücklich werden können. Es hört sich jetzt vielleicht wie ein happy end an. Ja, letztendlich ist es das schon, aber ob du es glaubst oder nicht: noch heute mische sich meine Eltern ein, ich muss mich immer noch gegen sie behaupten und sie stellen mich immer noch auf die Probe. Aber eines der wichtigsten Dinge konnten sie mir nicht nehmen: ich habe die Person geheiratet, die ich wollte ohne sie zu fragen, ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Ich habe es geschafft. Und auch wenn die Beziehung in die Brüche gegangen wäre: ich hätte sie nicht beendet, weil meine Eltern es gewollt hätten, sondern weil ich vielleicht begriffen hätte, dass es nicht das richtige ist. Und damit hätte ich es auch geschafft.
 
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