Wie eine Meldung entsteht

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Mein_Ingomann

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Sommer. Saure Gürkenzeit n einer beliebigen Provinz Redaktion.

Redakteur: "Chef! 1959 ist in China ein Sack Reis umgefallen!"

"Pfff! Und?"

"Chef, sehen Sie hier: 1959 wurde beim Verladen der Reisernte ein Sack Reis von einem Arbeiter fallengelassen, der Inhalt ergoss sich in den Yangtse und war verloren."

"Na und, wen soll das interessieren?"

"Chef, der Arbeiter war Moslem..."

"Oha! Recherchieren Sie das mal."

Tags darauf erscheint das Blatt mit der Schlagzeile:

ISLAMISTEN VERURSACHEN HUNGERSNOT IN CHINA, ÜBER 40 MIO TOTE!

Noch am selben Tag greifen die ersten Nachrichtenagenturen die Meldung auf. Bereits am nächsten Tag findet sich eine radikale Splittergruppe namens 'Fastender Pfad' der rückwirkend die Verantwortung übernimmt.

Umgehend verurteilt der gerade tagende G8 Gipfel das feige Attentat und fordert eine UN Resolution. Am Abend ist die Meldung in allen Nachrichtensendern die Hauptnachricht.

Der chinesische Aussenminister verwahrt sich gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes, Extremisten hätten in seinem Land keine Chance, die Meldung wurde von Staatsfeinden lanciert, Anfang der 60er Jahre gab es keine Hungersnot in China.

Wikileaks veröffentlicht den Welthungerbericht der WHO von 1960 und bestätigt die Zahlen von ca. 43 Millionen Toten.
Der 'fastende Pfad' feiert diese Veröffentlichung als grossen Triumph im Kampf gegen die Ungläubigen.

Der Presseordinarius des Vatikan lässt verlauten, dass der Pontifex allen verhungerten Seelen sein Mitgefühl ausdrückt und das eine solche Untat für jeden Christenmenschen ein Anlass für ein heiliges Abendmahl und stilles Gebet sei.

Verschiedene Islamverbände werfen dem Vatikan daraufhin vor, er instrumentalisiere das Leiden von Millionen Chinesen und die Ansichten des 'Fastenden Pfades' hätten mit dem Koran nichts zu tun.

Der israelische Staat und die evangelische Landeskirche von Ostholstein verkünden, dass sie einen Schiffskonvoi mit Reislieferungen Richtung China auf den Weg gebracht haben. Der chinesische Aussenminister droht der Hilfsflotte daraufhin mit militärischen Konsequenzen, sollten die Schiffe in die Hoheitsgewässer Chinas einlaufen.

Israel beantragt daraufhin eine Dringlichkeitssitzung des UN Sicherheitsrates. Wegen der befürchteten internationalen Komplikationen muss die Hilfsflotte abdrehen und die Ladung auf hoher See entsorgen. China erklärt, dass Anfang der 1960er Jahre einige Dutzend Menschen durch Missernten zu Schaden kamen und lässt eine Gedenktafel am 3 Schluchten Staudamm anbringen, die internationalen Medien berichten ausführlich. Ausländische Beobachter werten dies als Öffnung Chinas zum Westen hin und als Anzeichen für mehr Demokratie.

Die Bewegung 'fastender Pfad' wird auf die Liste der internationalen Terroristen gesetzt und verschwindet im Untergrund. Der Redakteur des Provinzblattes bekommt eine eigene Nachrichtensendung im freien Kanal Sauerland und verschwindet ebenfalls.
 
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