Wie wichtig ist der türkischen Gesellschaft freie Meinungsäußerung?

Mendelssohn

Well-Known Member
Ich nehme diesen Post aus dem Erdoganplauder-Thread als Anlaß, über die gegenwärtige Entwicklung der türkischen Öffentlichkeit zu sprechen:

Übersichtshalber sollte ein eigener Thread aufgemacht werden.

Laut Amnesty International gehört die Türkei zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Journalisten und Schriftsteller im Gefängnis sind. Dies hat mit den Kurdenkonflikten (viele Häftlinge sind Kurden), mit dem Türkentumparagraphen und vermutlich mit einem Demokratiedefizit, welches Militärdiktaturen hinterlassen, zu tun, weshalb die türkische Gesellschaft auf die Einschränkung der freien Meinungsäußerung, insbesondere in Zeiten der wirtschaftlichen Krise, gar nicht besonders regiert.

Daß insbesondere Erdogan kein Freund von Regierungskritikern ist, dürfte inzwischen bekannt sein, auch wenn Gerichte gerade jetzt erst alte Urteile gegen Kritiker aufgehoben haben. Neu ist aber, daß er nun auch noch so verblendet ist, anderen Nationen vorzuschreiben, wie sie über die Türkei und insbesondere über ihn zu denken haben. Und seine Botschafter sollen vermutlich die Erdogananhänger unter den gebildeten Deutschtürken sein, weil in Deutschland die einflußreichste (weil zahlenmäßig größte) und wohlhabendste Gruppe der Europäer mit türkischen Wurzeln lebt.

Meine These ist, daß Erdogan nicht weiter geht als die türkische Gesellschaft, der es am Hintern vorbeigeht, welcher Journalist mal gerade wieder eingebunkert wird, Hauptsache die Kasse stimmt.
Und keiner kommt auf die Idee, daß vielleicht die Kasse u. a. deshalb nicht stimmt, weil es keine freie Öffentlichkeit mehr gibt.

In diesem Zusammenhang sollte z. B. erwähnt werden, daß vor ein paar Tagen die deutsche Welle den Chefradakteur der Hürriyet mit einem Preis ausgezeichnet hat.
http://www.deutschlandfunk.de/press...et-tuerkischen.447.de.html?drn:news_id=605301

Erdogan wird nicht das letzte Wort haben.
 

Sabine

Well-Known Member
Hoffe das klappt mit dem Preis. Bis zur Verleihung ist ja noch ne Weile hin und wer weiss was E.s langer Arm bis dahin noch alles versucht zu verhindern o_O
 

Doris

Well-Known Member
Erstaunlich, schon im vierten Beitrag wird wieder abgelenkt. Es geht darum wie wichtig der türkischen Gesellschaft die freie Meinungsäußerung ist, und prompt wird nach der Pressefreiheit in Deutschlang gefragt.

Wenn in wenigen Tage mehreren ausländischen Reportern die Einreise in die Türkei verweigert wird und es offensichtlich schwarze Listen für Journalisten gibt, dann empfinde ich es als sehr bedenklich. Erdogan führt seinen Krieg gegen jedwede Regierungskritiker, gegen Journalisten, gegen Wissenschaftler und gegen Kunstler. Ich glaube, dass die türkischen Gesellschaft zur Zeit andere Sorgen hat, zumal sie auch in den letzten Jahren in punkto freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit nicht verwöhnt wurde.
 

Strassenhund

Well-Known Member
Meine These ist, daß Erdogan nicht weiter geht als die türkische Gesellschaft, der es am Hintern vorbeigeht, welcher Journalist mal gerade wieder eingebunkert wird, Hauptsache die Kasse stimmt.

Ich finde die Frage im Titel etwas zu unpräzise. Die Türkei ist zu vielschichtig, um von EINER Gesellschaft zu sprechen. Um jedoch zur eigentlichen Frage zu manövrieren: in der türkischen Gesllschaft werden Meinungen sehr häufig anders transportiert. Man umschifft bspw. Konfrontationen und geht Konflikten gerne aus dem Weg. Dies ist befremdlich, wenn man die deutsche Streitkultur als Vergleich heranzieht.

Wenn Erdogan mit dem Ausland schwer ins Gericht geht, kommt dies grundsätzlich gut an. Bei Themen wie Vaterlandsverrat sind sich sogar Linke wie Rechte häufig einig. Auf dem Nationalstolz rumzureiten sorgt für gute PR.

Ein Großteil der Bevölkerung hat jedoch weit wichtigere Probleme als Pressefreiheit. Was ich im übrigen gut nachvollziehen kann. Ein Fischer der beispielsweise neben mir wohnte, rechnete mir vor, wie teuer es für ihn ist, seinen Töchtern eine ordentliche Ausbildung zu finanzieren -allein für die täglichen Fahrtkosten geht ein großer Teil seines Lohnes drauf!

Auch Pressefreiheit muss man relativ betrachten. Die westliche Diskussion wirkt da schon sehr arrogant und vor allem undifferenziert.

EDIT: auch Pressefreiheit muss man sich leisten können.
 

Doris

Well-Known Member
Wenn Erdogan mit dem Ausland schwer ins Gericht geht, kommt dies grundsätzlich gut an. Bei Themen wie Vaterlandsverrat sind sich sogar Linke wie Rechte häufig einig. Auf dem Nationalstolz rumzureiten sorgt für gute PR.

Dazu passt, dass in der "Dresdner Angelegenheit" offen mit der Aussetzung der Beitrittsgespräche zur EU gedroht wurde. Da ein EU-Beitritt sich sowieso für die nahe Zukunft erledigt hat, kann Erdogan einerseits ganz demonstrativ beweisen, wer das Heft des Handelns in der Hand hat und andererseits, wer den Europäern gezeigt hat, wo es lang geht.
 
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