Wo hört die Notwehr auf?

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sdost

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Selten arbeitete die britische Justiz so schnell. Im Dezember war der 53-jährige britische Geschäftsmann Munir Hussain wegen schwerer, vorsätzlicher Körperverletzung zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Diese Woche durfte er zu einer gemütlichen Curry-Mahlzeit im Familienkreis in sein Häuschen nach High Wycombe zurückkehren. Der Volkszorn hatte der Justiz Beine gemacht, wie Lordrichter Judge freimütig einräumte: „Angesichts des nationalen Aufschreis war Gnade angebracht.“

Hussain wurde sozusagen von einer Welle der Sympathie und Bewunderung der Briten aus dem Gefängnis getragen. Sogar Londons Polizeipräsident Sir Paul Stephenson nannte den verurteilten Schläger einen Helden. Leute wie er verdienten nicht Kritik, sondern „Beifall für ihre Tapferkeit und ihren Mut“.

Munir Hussain und sein Bruder Tokeer hatten einen Einbrecher mit einem Cricketschläger krankenhausreif geschlagen. Ihre Verurteilung heizte eine in Großbritannien immer wieder hochkochende Debatte an: Wo hören Notwehr und Selbstverteidigung auf und wo beginnt die kriminelle Körperverletzung?

Eine Mehrheit von 79 Prozent der Briten glaubt nach einer Umfrage, dass das Gesetz aufseiten der Einbrecher steht und wehrhafte Bürger im Stich lässt. Durchgeführt wurde sie von der Zeitung „Sunday Telegraph“. Dank des Falls Hussain steht ihre Kampagne für eine Gesetzesänderung kurz vor dem Erfolg.

Hussain und seine Familie waren aus der Moschee zurückgekehrt, als sie in ihrem Haus drei vermummte Einbrecher überraschten. Munir, seine Frau und drei Kinder wurden mit Messern bedroht und gefesselt, doch Hussain konnte sich befreien, holte seinen Bruder und verfolgte mit ihm die flüchtenden Einbrecher. Sie stellten den vorbestraften Waled Salem. Dann schlug Hussain mit einem Cricketschläger zu. Salem erlitt einen Schädelbruch und Gehirnverletzungen.

Hatte er in der Hitze des Gefechts versehentlich zu stark zugeschlagen oder war es, wie der erste Richter fand, ein vorsätzlicher Akt? Als Hussain und sein Bruder dem Einbrecher nachsetzten, handelten sie eigentlich nicht mehr in Notwehr. Deshalb wurde Hussain schuldig gesprochen. Einbrecher Salem wurde wegen seiner Verletzungen gar nicht vor Gericht gestellt.

Obwohl die Einbrecherquoten in den letzten Jahren drastisch gefallen sind, haben immer mehr Briten Angst vor Gewaltverbrechen. Jeder 20. Haushalt, so eine Erhebung des Versicherers „Direct Line“, hat Stolperdrähte, Selbstschussanlagen oder andere „Fallen“ aufgebaut und macht sich damit strafbar.

Der Fall Hussain scheint nun das Blatt gewendet zu haben. Die Tories haben versprochen, die Beweislast auf den Einbrecher zu verlagern. In Zukunft müssten sie beweisen, dass sie mit „unproportionaler“ Gewalt attackiert wurden. Nun signalisierte auch Innenminister Alan Johnson einen Seitenwechsel. Auch ihm, gab er zu, sei bei der Verurteilung Hussains „ungemütlich“ gewesen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 24.01.2010
 

feshak

Moderator
AW: Wo hört die Notwehr auf?

Ein wenig ungewöhnlich ist es schon, dass durch solch einen Aufschrein offenbar Gerichtsurteile quasi revidiert werden.
In Deutschland gibt es ja auch letztenendes straflose Fälle des sog. intensiven Notwehrexzesses, wenn man in der Notwehrsituation selbst aus Angst, Schrecken etc. vielleicht mehr als zur Verteidigung nötig zuschlägt oder Ähnliches. Aber wenn man jemandem nachstellt, also eigentlich keine Notwehrsituation mehr vorliegt, würde das auch in Deutschland wohl zur Strafbarkeit führen
 
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Johanna911

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AW: Wo hört die Notwehr auf?

Ein wenig ungewöhnlich ist es schon, dass durch solch einen Aufschrein offenbar Gerichtsurteile quasi revidiert werden.
In Deutschland gibt es ja auch letztenendes straflose Fälle des sog. intensiven Notwehrexzesses, wenn man in der Notwehrsituation selbst aus Angst, Schrecken etc. vielleicht mehr als zur Verteidigung nötig zuschlägt oder Ähnliches. Aber wenn man jemandem nachstellt, also eigentlich keine Notwehrsituation mehr vorliegt, würde das auch in Deutschland wohl zur Strafbarkeit führen

Solche Fälle (Notwehrexcess) hat es schon gegeben, sowohl in D als auch in Italien.
Ich hoffe dass das Gesetz endlich revidiert wird-als Opfer hat man selten die notwendige Kaltblütigkeit um abzuwägen wie "sanft" man zurückhauen darf umselber nicht straffällig zu werden - eine echt Absurdität, meiner Meinung nach. Als wir einen Einbrecher in unserem Haus erwischten und ihn festhielten um ihn den Carabinieri zu übergeben, drohte er uns, uns anzuzeigen, weil wir ihn seiner Freiheit beraubten! Dreister geht s nicht mehr. Die aktuellen Gesetze sind ein Freifahrtschein für Übeltäter.
 
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sdost

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AW: Wo hört die Notwehr auf?

Sobald eine akute Gefahr abgewehrt ist, hört die Notwehrsituation auf. Wenn ich also einen Angreifer zu Boden strecke, darf ich ihm nicht noch ein paar verpassen auch auf die Gefahr hin, dass er wieder aufsteht und mich erneut angreift. Erst dann darf ich mich wieder wehren
 
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Johanna911

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AW: Wo hört die Notwehr auf?

Sobald eine akute Gefahr abgewehrt ist, hört die Notwehrsituation auf. Wenn ich also einen Angreifer zu Boden strecke, darf ich ihm nicht noch ein paar verpassen auch auf die Gefahr hin, dass er wieder aufsteht und mich erneut angreift. Erst dann darf ich mich wieder wehren

Ich weiss Sdost-aber dass ist doch nicht normal! Ich habe selber, ausser der beschriebenen Situation, Einbrecher im Haus gehabt-und ich kabnn Dir versichern, dass man da weder rational denkt noch imstande ist irgendetwas abzuwägen. Die Situation des Einbrechers ist da ganz anders, denn er kommt ja "vorbereitet", beides - mental und körperlich - hat also immer einen Vorteil gegenüber denOpfern - und wenn mal nicht- "Pech gehabt"...
 
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sdost

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AW: Wo hört die Notwehr auf?

Ich weiss Sdost-aber dass ist doch nicht normal! Ich habe selber, ausser der beschriebenen Situation, Einbrecher im Haus gehabt-und ich kabnn Dir versichern, dass man da weder rational denkt noch imstande ist irgendetwas abzuwägen. Die Situation des Einbrechers ist da ganz anders, denn er kommt ja "vorbereitet", beides - mental und körperlich - hat also immer einen Vorteil gegenüber denOpfern - und wenn mal nicht- "Pech gehabt"...

Das glaube ich dir gerne und wer könnte sich in einer Gefahrensituation so gesetzeskonform verhalten, dass man nicht in einen Konflikt kommt? Es soll wohl vor allem Lynchjustiz verhindert werden. Alles in allem ein sehr problematisches Feld
 

feshak

Moderator
AW: Wo hört die Notwehr auf?

Sobald eine akute Gefahr abgewehrt ist, hört die Notwehrsituation auf. Wenn ich also einen Angreifer zu Boden strecke, darf ich ihm nicht noch ein paar verpassen auch auf die Gefahr hin, dass er wieder aufsteht und mich erneut angreift. Erst dann darf ich mich wieder wehren

Nun ja, allein die Fälle, wann etwa eine Gefahrensituation angenommen werden kann, sind sicher sehr fließend. Und auch so gibt wohl auch Stimmen in der (deutschen) Rechtswissenschaft, die auch die Fälle wie des wohl auch hier einschlägigen nachträglichen Notwehrexzesses als Entschuldigungsgrund sehen.
Aber ich denke, dass die herrschende Meinung das wohl mit gutem Grund ablehnt. Denn wie weit und wie lange sollte etwa ein "Nachstellen". formulieren wir es so, gehen dürfen, um seinem Angreifer zu zeigen "mit mir nicht". Sehr schwierig aus meiner Sicht.


Ich weiss Sdost-aber dass ist doch nicht normal! Ich habe selber, ausser der beschriebenen Situation, Einbrecher im Haus gehabt-und ich kabnn Dir versichern, dass man da weder rational denkt noch imstande ist irgendetwas abzuwägen. Die Situation des Einbrechers ist da ganz anders, denn er kommt ja "vorbereitet", beides - mental und körperlich - hat also immer einen Vorteil gegenüber denOpfern - und wenn mal nicht- "Pech gehabt"...

Das verstehe ich sehr gut. Und im gewissen Sinne habe ich auch gut reden, da ich selbst Gott sei dank bislang noch nicht Opfer eines Einbruchs etwa wurde oder auch körperlicher Gewalt. Aber im gewissen Sinne wird ja der psychischen Situation des Opfers (also nach deutscher Gesetzeslage) Rechnung getragen, vgl. § 33 StGB, wenn ich mich nicht irre. Das ist mal so eine zugegeben etwas "trockene" Sicht auf die Dinge

LG
 

TheCore

Moderator
AW: Wo hört die Notwehr auf?

Sobald eine akute Gefahr abgewehrt ist, hört die Notwehrsituation auf. Wenn ich also einen Angreifer zu Boden strecke, darf ich ihm nicht noch ein paar verpassen auch auf die Gefahr hin, dass er wieder aufsteht und mich erneut angreift. Erst dann darf ich mich wieder wehren

Kommt darauf an, wie Du das meinst. Ich würde sagen, es ist schon vorher gestattet. Der Rechtsprechung zufolge ist bereits die Gegenwärtigkeit des Angriffs gegeben, wenn er sich im Endstadium der Vorbereitung unmittelbar vor Vesuchsbeginn befindet. Das ist praktisch die Erlaubnis einer Präventivnotwehr im engen Sinn. Wenn also, obwohl der Angreifer auf dem Boden liegt, objektiv die Gefahr besteht, dass er gleich zu einem erneuten Angriff ansetzt, dürfte diese Gefahr in Notwehr beseitigt werden. Auch wenn das Schrifttum beim Wort Präventivnotwehr reflexartig abwinkt, halte ich sie aber inhaltlich auch dort für breit vertreten, weil viele Autoren einfach nicht Prävention von Präemption unterscheiden und lieber die Gegenwärtigkeit verdrehen. Dabei zieht sich die die Akzeptanz von Prävention durch das gesamte Recht, siehe Völkerrecht.
 
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Cindy07

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AW: Wo hört die Notwehr auf?

Das glaube ich dir gerne und wer könnte sich in einer Gefahrensituation so gesetzeskonform verhalten, dass man nicht in einen Konflikt kommt? Es soll wohl vor allem Lynchjustiz verhindert werden. Alles in allem ein sehr problematisches Feld

in so einer gefahrensituation denkt sicher niemand mehr darüber nach, ob er sich strafbar macht oder nicht.da setzt der klare verstand aus und die angst steht im vordergrund.
 
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