Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Kedi08

Active Member
Von der Sünde und der Sitte

Einmal traf die Sitte auf die Sünde und sprach zu ihr:

„Sünde, warum gibt es dich überhaupt? Dein Dasein ist doch völlig überflüssig für die Menschen, weil du sie nur ins Verderben führst und somit unglücklich machst.“

Während die Sitte so sprach, erschrak sie gleichzeitig über ihre eigenen Worte, denn ihr war klar, dass sie die Sünde soeben gekränkt hatte…und somit selbst gesündigt.

Doch die Sünde lächelte und antwortete:
„Liebe Sitte, wer sagt, dass ich die Menschen ins Verderben führe? Manch einer lebt mit seiner kleinen Sünde sehr viel glücklicher, als mit einem großen Meer voller Sitten.“

Die Sitte schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Man kann mit einer Sünde nicht glücklich leben. Auch wenn sie noch so klein ist. Sünden sind etwas Schlechtes.“

Erstaunt und mit großen Augen schaute die Sünde jetzt die Sitte an. „Aber woher wissen die Menschen denn, was eine Sünde ist? Woher weißt du es überhaupt, liebe Sitte? Schau, was eine Sitte ist, lässt sich leicht ausmachen. Sie sind niedergeschrieben in Gesetzen, Regeln, Geboten. Aber was ist eine Sünde? Etwa alles, was dort nicht geschrieben steht oder wenn, dann als Verbot? Das ist doch wohl etwas zu einfach.“

Jetzt war es die Sitte, die nachdenklich wurde. Sie überlegte, was alles nicht geschrieben stand oder eben als Verbot. Gut, die Verbote ließen sich leicht als Sünde definieren. Doch das Nichtgeschriebene glich einer Unendlichkeit. Die Sitte wurde etwas verzweifelt, sie war es nicht gewohnt, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sich nicht erklären ließen. Zu guter letzt sagte sie: „Ich bleibe dabei, wenn der Mensch sich nicht an die Regeln hält, begeht er eine Sünde.“

Die Sünde schaute der Sitte fest in die Augen und erwiderte: „Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, in wie vielen Sünden eine Sitte steckt? Denk nur an das kleine Kind, dass sein Butterbrot nicht mag und es auf dem Weg von der Schule nachhause einem Bettler schenkt. Aber die Mutter anlügt, dass es das Brot gegessen hat. Eine Sünde, keine Frage, denn es steht geschrieben, dass du nicht lügen sollst, dass du Mutter und Vater ehren sollst. Aber was ist mit dem glücklichen Bettler, dem sein Hunger gestillt wurde?“

Jetzt war die Sitte sehr verblüfft. „Du meinst, das Kind ist glücklich mit dem, was es getan hat?“

„Wer weiß“, antwortete die Sünde, „das muss das Kind für sich selbst entscheiden. Wahrscheinlich wird es Momente geben, in denen es mit seiner Lüge sehr glücklich ist, aber es kann im nächsten Augenblick auch wieder sehr unglücklich darüber sein. Ob es eine Sünde war, das Butterbrot zu verschenken und die Mutter anzulügen, steht nirgendwo geschrieben. Also, wer will darüber urteilen?“

Nun fing die Sitte an milde zu lächeln. „Ich glaube, ich verstehe, was du mir sagen willst. Das Kind hatte gar keine Wahl. Wenn es die Sitte ausführen wollte, musste es gleichzeitig eine Sünde begehen. Und muss jetzt für sich entscheiden, was schwerer wiegt.“

„Genau so ist es“, sprach die Sünde, „Aber was schwerer wiegt hängt meist davon ab, wie die Umgebung darauf reagiert. Eine ungeschriebene Sünde ist erst eine Sünde, wenn jemand das Handeln verurteilt. Wenn jemand gekränkt ist, traurig, verletzt. Solange die Mutter nichts von der Lüge weiß, kann sie nicht urteilen. Leider, denn das würde dem Kind wahrscheinlich schon die Überlegung ersparen, dass es eventuell gesündigt hat. Denk nur, die Mutter wäre stolz auf ihr Kind, weil es einen armen Bettler glücklich gemacht hat. Sie würde dem Kind die Lüge verzeihen und es wäre nie wieder die Rede davon, dass eine Sünde in ihr steckte.“

„Aber dafür müsste das Kind der Mutter ja von seiner Lüge erst mal erzählen.“ triumphierte nun die Sitte.

„Ja“, sagte die Sünde nun leise und schaute betrübt zu Boden, „und genau darin liegt die eigentliche Sünde. Dass die Menschen sich viel zu oft selbst belügen und nicht zu ihrem Handeln stehen. Dass es ihnen viel zu oft wichtiger ist, selbst gut dazustehen. Ihr eigenes Ansehen über das Glück anderer stellen. Anstatt mit Stolz zu sagen: ich nehme die Schuld der Sünde auf mich, um einem anderen Menschen die wertvollste Sitte auf Erden zukommen zu lassen. Nämlich reine, selbstlose Liebe.“

Der Sitte traten bei diesen Worten Tränen in die Augen. Sie kniete vor der Sünde nieder, nahm ihre Hand und sprach: „Du hast mich zu Tränen gerührt. Und doch ist es keine Sünde, denn es sind Tränen der Freude, weil du mich etwas gelehrt hast, was ich ab jetzt immer im Herzen tragen werde.“
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Von der Einsamkeit und dem Schmerz

Einmal traf die Einsamkeit den Seelenschmerz und sagte zu ihm:

„Warum bist du nur so grausam zu den Menschen? Du fügst ihnen Qualen zu und lässt sie leiden. Ich hingegen gebe ihnen die absolute Ruhe.“

Der Seelenschmerz war erschüttert, dass man ihm zutraute die Menschen quälen zu wollen und widersprach:

„Ich will die Menschen nicht quälen. Aber ich sorge dafür, dass sie noch etwas spüren. Solange man noch etwas spürt, weiß man, dass man lebt. Schmerzen sind ein Gefühl, das die Menschen warnen soll, sich nicht selbst zu verwunden. Denn die Schmerzen fügen sie sich immer selber zu, in dem sie die Verwundung zulassen. Aber du, Einsamkeit, sorgst dafür, dass sie nicht einmal mehr etwas spüren.“

Die Einsamkeit lachte:

„Aber das ist doch Unfug. Wenn die Menschen einsam sind, kann sie nichts verwunden. Ich schütze sie nur davor, gar nicht erst Seelenschmerzen erleiden zu müssen. Wofür sollen diese auch gut sein?

„Weil sie ein Spiegelbild für unser Handeln sind.“, erklärte der Seelenschmerz. „Man kann sich noch so sehr vor anderen verschließen. Die meisten Schmerzen fügen sich die Menschen selbst zu. Selbst, wenn sie jemand anderen verletzen. Und jemand anderen kann man sogar sehr verletzen, in dem man sich in die Einsamkeit zurückzieht. Man fühlt sich vielleicht eine Zeit lang wohl dabei, aber man lässt auf diesem Weg immer einen anderen zurück. Jemanden, der einen vermisst. Die Erinnerung an gemeinsame, schöne Stunden. Die Wärme und Zuneigung. All das entziehen wir dem anderen. Und somit auch uns selbst. Denn wer nicht mehr gibt, wird auch irgendwann nichts mehr zurück bekommen. Sag, Einsamkeit, weißt du überhaupt, ob dich jemand vermisst?

Die Einsamkeit schüttelte den Kopf:

„Nein, woher soll ich das wissen? Ich lebe ja einsam. Es gibt niemanden, dem ich etwas geben muss. Und ich bin auch niemandem zu etwas verpflichtet. Das ist doch auch gut, ich kann tun und lassen, was ich will.“

Jetzt sah der Seelenschmerz der Einsamkeit fest in die Augen:

„Siehst du. Und darum komme ich gelegentlich vorbei. Um dir und all den anderen Einsamen zu zeigen, was ihnen entgeht. Wer einsam ist, weil er nichts spüren möchte, verschließt sich nicht nur vor dem Schmerz, sondern auch vor all‘ den anderen Gefühlen.
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Nur ein Ritual

Das Leben ist eine Perlenkette von Ritualen. Ich hasste diesen Satz. Wie oft hatte ich ihn von meiner Großmutter gehört, wenn ich mich wieder einmal beschwerte über die Langeweile, das immer Wiederkehrende im Leben. Tag für Tag dieselben Handlungen, Handgriffe, Ereignisse. Kleinigkeiten, die unserem Leben soviel Sicherheit und gleichzeitig auch Öde verliehen. Ich hasste auch dies. Meine Abneigung begann jeden Morgen schon mit dem Klingeln des Weckers. Aufstehen, Kaffee kochen, Zähne putzen, usw. Eine Perle an die andere.

Und wie jeden Morgen verabscheute ich es, ins Treppenhaus zu gehen. Die abgestandene Luft schlug mir entgegen, sobald ich meine Wohnungstür hinter mir zuzog. Ich zählte im Stillen unbewusst die Stufen, während ich die Treppe hinab stieg. Wohl wissend, dass die vorletzte Stufe vor dem Treppenabsatz wieder knarzen würde. Spätestens bei diesem Geräusch war mein Tag verdorben. Doch seltsamerweise überging ich die Stufe auch nicht. Ein großer Schritt über die knarzende rüber zur letzten Stufe hätte das Problem kurzerhand gelöst. Doch wie jeden Morgen tat ich es nicht. Ich kam an mehreren Wohnungstüren vorbei, die seit Jahren denselben Anblick boten. Bei Familie Jungmann lagen wieder einmal die Schuhe der Kinder wild verteilt vor der Fußmatte, während der schusselige Herr Röttger immer noch den vertrockneten Adventsstrauß hängen hatte. Schrecklich, furchtbar, immer wieder der gleiche Anblick.

Unten im Treppenhaus angekommen schloss ich den Briefkasten auf. Noch während ich die Briefe und Werbezettel sortierte, hörte ich hinter mir Schritte. Es war nicht nötig, sich umzudrehen. Ich wusste auch so, dass es der Nachbar aus dem Dachgeschoss war. Meine schlechte Laune steigerte sich in regelrechte Aggression. Ich spürte förmlich, wie er mich mit einem Grinsen musterte. Wie jeden Morgen. Als er hinter mir stand und fröhlich „guten Morgen“ sagte, nickte ich nur kurz. Ich konnte ihn nicht ertragen. Sein ruhiger Atem und sein Duft, eine Spur zu viel „Obsession“, zu viel um diese Uhrzeit. Ich vermied es, ihm in die Augen zu sehen. Als ich ihn das erste und einzige Mal hier am Briefkasten angeblickt hatte, musste ich bei der Farbe seiner Augen unweigerlich an Mousse au Chocolate denken. Die gleiche übertriebene Süße verbunden mit einer gewissen Herbheit. Ich konnte ihn einfach nicht ausstehen, hasste die Art, wie er mir jeden Morgen auf den Hintern starrte. Für ihn wahrscheinlich auch ein Ritual.

Ich nahm wie jeden Tag den Bus der Linie 189 um 8:29 Uhr. Pünktlich um 8:57 Uhr saß ich an meinem Schreibtisch, griff in den Korb mit der Eingangspost und sortierte die verschiedenen Anfragen. Genau um 13:00 Uhr stand meine Kollegin aus der Buchhaltung vor mir, um mich zum Mittagessen abzuholen. Wir gingen in die Kantine. Das ältere Mädchen mit dem viel zu engen Kittel und dem rot verschwitzten Gesicht lächelte mich freundlich an. „Wie immer?“, fragte sie. Und ich antwortete mit verkniffenen Lippen: „Ja, natürlich, wie immer.“ Dann schob sie mir einen gemischten Salat rüber mit wenig Dressing, ein gebuttertes Brötchen und einen Becher Kaffee. Um 13:30 Uhr fand ich mich wieder an meinem Schreibtisch ein, um bis 17:15 Uhr weiterzuarbeiten. Um 17:24 Uhr nahm ich den Bus nachhause. Wie jeden Tag. Das Treppenhaus hoch, vorbei an den vertrauten Türen, mit Verachtung auf die knarzende Stufe und dann schnell hinter der Wohnungstür verschwinden.

Ich stand gerade in der Küche und goss mir ein Glas Rotwein ein, als ich hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Das Geräusch des sich umdrehenden Schlüssels, das Knacken, als die Tür sich öffnete, es löste eine unbeschreibliche Lebendigkeit in mir aus. Ein Schauer durchlief mich. Ich hatte lange überlegt, ob ich ihm überhaupt einen Schlüssel für meine Wohnung geben sollte, liebte ich doch meine Unabhängigkeit. Doch ich wusste nie, wann er kam. Es war immer wieder eine Überraschung, auch eine Art Ritual, dass er sich nie vorher ankündigte. Ich musste stets darauf gefasst sein. Und war doch auch jedesmal bitter enttäuscht, wenn ich den Schlüssel nicht hörte. Ein leises Poltern verriet mir, dass er die Schuhe von den Füßen gestreift hatte. Seine Schritte waren auf dem weichen Teppichboden nicht zu hören und ich erschrak ein wenig, als ich ihn mit einmal hinter mir wahrnahm. Alles war so vertraut und doch keine Gewohnheit. Sein Atem, der meinen Nacken streifte. Seine Haut, die den so geliebten Duft ausströmte. Seine Finger, die leise über meine Hüften strichen. Ich wusste genau, was jetzt kommen würde und doch traf es mich immer wieder wie ein Blitz. Seine weichen Lippen, einen Kuss hauchend auf diese eine Stelle an meinem Hals, etwas oberhalb vom Schlüsselbein, waren wie eine Eintrittskarte in eine Welt ohne Routine und ohne Langeweile. Das war unser Ritual. Der glatte Stoff glitt von meinen Schultern, während ich mich zu ihm umdrehte und ihm erwartungsvoll in die Augen schaute. Mousse au Chocolate, süß und herb. Ich versank in ihnen, liebte die Art, wie er mich anblickte. Bis morgen früh, wenn er mir am Briefkasten wieder auf den Hintern starrte.
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Dialog des Schweigens

Mit größter Sorgfalt drückte er die Türklinke nach unten. Sie quietschte schon seit Jahren ein wenig und er dachte zum unzähligsten Mal, dass er sie dringend ölen müsse. Aber dann tat er es doch wieder nicht. Seine Schuhe hatte er bereits draußen ausgezogen, um bloß keinen Lärm zu machen. Leise schlich er ins Haus und ging in die Küche. Er setzte den Wasserkessel auf, um sich seinen morgendlichen Tee zu kochen. Dann ging er langsam die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. In der Tür blieb er stehen und blickte sie an, schaute kurz auf den hübschen Kimono, der sorgfältig über der Stuhllehne hing. Er liebte es, wenn sie ihn trug. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Sie sah so jung aus, wenn sie schlief. So wie damals, als er sie kennengelernt hatte. Ihre Züge hatten so etwas Erwartungsvolles und waren voller ungebändigter Lust. Die pure Lust am Leben, mit ihm, in diesem Haus, bis ans Ende aller Tage. Was war davon übrig geblieben? Sobald sie aufwachte, hatte sie wieder diese verbitterten Züge, ihr Blick an ihn eine einzige Anklage für ihr ruiniertes Leben. Voller Arbeit und Sorgen, ohne das Kind, das sie so sehnlichst erhofft hatten. Eintönigkeit hatte sich breit gemacht. Wohl kümmerte sie sich um alles, den Haushalt, die Wäsche, das Essen. Doch er hatte den Eindruck, sie funktionierte nur noch. Genau wie er auch. Gemeinsamkeiten oder Respekt, womöglich sogar Liebe? Das war irgendwo unterwegs auf dem langen dunklen Weg ihrer Ehe verloren gegangen. Und doch betrachtete er sie wie jeden Morgen mit einem liebevollen Blick. Solange sie schlief, ließ sie es sich ja auch gefallen. Sie, sein Mädchen, seine ganze Kraft an Tagen wie diesen.

Jeden Morgen, wenn er sich ins Haus zurück schlich, hatte er ein schlechtes Gewissen. Jeden Morgen verließ er mit der aufgehenden Sonne das Haus und kam meist eine Stunde später wieder zurück. Sie wusste nichts davon, ahnte nicht, wo er diese frühe Stunde verbrachte. Er fühlte sich elend, als würde er sie betrügen. Doch das tat er ja nicht mal. Er hatte nur nicht den Mut, sein kleines Geheimnis mit ihr zu teilen. So oft schon wollte er es ihr erzählen. Vielleicht heute? Bei einer Tasse Kaffee im Garten? Ermutigt von den Sonnenstrahlen, die durch das Flurfenster blinzelten, schloss er leise die Schlafzimmertür und ging wieder zurück in die Küche. Er setzte sich auf die kleine Küchenbank, schloss die Augen und dachte wieder an sein Geheimnis. Jeden Morgen schlich er aus dem Haus, um sie zu sehen. Er wollte sie einfach nur sehen. Ihr Anblick erregte ihn auf eine unerklärliche Art. Schenkte ihm Leben, brachte sein Herz zum klopfen. Woher sie immer kam um diese Uhrzeit? Er wusste es nicht. Es ging ihn auch nichts an, ja, die Frage beschäftigte ihn nicht einmal. Er sah sie nur täglich auf ihrem Weg nachhause in der frühen Morgendämmerung. Und konnte es nicht lassen, sie zu beobachten. Ihr stolzer Gang, ihr erhobener Kopf, der eine gewisse Arroganz ausdrückte. Ihr rötliches Haar, das in der ersten Morgensonne glänzte. Sie erinnerte ihn so sehr an seine Frau, sein Mädchen. Mit ihrer Erhabenheit und ihrer warmen Ausstrahlung. Sie löste eine Sehnsucht in ihm aus, der er sich einfach nicht entziehen konnte. Und dafür schämte er sich.

Als die Schlafzimmertür sich leise schloss, schlug sie ruckartig die Augen auf. Sie war hellwach, wie jeden Morgen, wenn er ins Haus geschlichen kam. Sie spitzte die Lippen und zog sie gleich daraufhin in die Breite, um die Anspannung in ihrem Kiefer zu lockern. Es war anstrengend, sich jeden Morgen schlafend zu stellen, wenn er ins Schlafzimmer blickte, sie beobachtete. Wie sie ihn dafür hasste. Wenn er sie schon betrügen musste, warum nahm der dann nicht wenigstens Rücksicht auf sie. Schlich sich bei Nacht und Nebel aus dem Haus, um das Bett einer anderen zu wärmen und tat dann auch noch so, als würde er sich um ihren Schlaf sorgen. Wie sie ihn dafür verabscheute. War es ihre Schuld, dass Gott sie nicht mit einem Kind gesegnet hatte? Alles hatte sie getan, um ihm eine gute Ehefrau zu sein. Alles hatte sie richtig machen wollen. Für ihn, ihrer großen Liebe, dem stattlichsten Jungen auf der ganzen Schule, ihrem Held einer verlorenen Jugend. Doch gegen ihre Unvollkommenheit, ihre Unfähigkeit ihm ein Kind zu schenken, war sie machtlos. Und sie litt. Litt unter dieser unerträglichen Sprachlosigkeit, mit der sie seit Jahren nebeneinander her lebten. Mit jedem Tag starb in ihr etwas. Und es wurde täglich ein Stückchen mehr. Glaubte sie anfangs noch, er würde ihr Sterben mit seiner Liebe aufhalten, wusste sie doch inzwischen, dass er es vorzog, sie für ihr Leiden auch noch zu bestrafen. In dem er jede Nacht in ein anderes Bett schlich und sie betrog.

Die Verzweiflung schwoll in ihr an, wie eine Lawine. Unaufhaltsam, alles mitreißend, tödlich. Sie hielt dieses Leben nicht mehr aus. Heute war der Tag, an dem sie es ihm sagen würde. So oft hatte sie die Worte in ihren Gedanken zurecht gelegt. Vielleicht zu oft. Sie wusste, dass jegliche Gefühlsregung in ihr abgestorben war. Ihre Worte würden kurz und kalt klingen.
Sie stand auf, warf sich den bordeauxroten Kimono über und strich verbittert über den Stoff. Ein schönes Teil aus einem teuren Laden. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er neu war. Und schon gar nicht, wie gut die Farbe zu ihren Haaren passte. Er hatte sie schon lange nicht mehr bemerkt. Sie verknotete sorgfältig den Gürtel, bürstete ihr Haar und ging die Treppe hinunter in die Küche.

Er saß mit dem Rücken zu ihr, murmelte ein kurzes „Morgen, gut geschlafen?“ und blätterte die Zeitung um. Sie ballte die Faust in der Tasche ihres Kimonos, ging zum Kühlschrank und goss sich ein Glas Milch ein. Langsam und konzentriert trank sie das Glas leer, drehte sich zu ihm um und sagte ganz ruhig:

„Ich weiß es schon lange. Du brauchst dich nicht mehr im Morgengrauen ins Haus schleichen wie ein Dieb. Ich weiß, dass du zu einer anderen gehst. Und darum werde ich dich verlassen. Noch heute.“

Sie hatte alles gesagt. Soviel auf einmal hatte sie seit langem nicht mehr zu ihm gesagt, aber es war ja auch das letzte Mal. Er hatte langsam den Kopf gehoben, brauchte einige Sekunden, bis er begriff, was sie gerade verkündet hatte. Wie in Zeitlupe drehte er sich zu ihr um.

„Was sagst du da? Aber du darfst mich nicht verlassen. Ich gehe nicht zu einer anderen. Ich, ich….“

Er suchte verzweifelt nach Worten. Darauf war er nicht vorbereitet. Nicht jetzt. Dann hörte er sich sagen:

„Ich sitze jeden Morgen auf der kleinen Bank hinter dem Haus. Von dort aus kann ich die ganze Straße überblicken. Und dann warte ich auf Felizitas. Ob sie auch gut heim kommt. Ihr Anblick…ich kann einfach nicht widerstehen.“

Beschämt senkte er den Kopf. Er fühlte sich nach diesen wenigen Worten wie leergepumpt. Ein Brennen machte sich hinter seinem Brustkorb breit. Er wagte es nicht, sie anzusehen. Einige Sekunden herrschte Totenstille in der Küche. Sie hörte seine Worte wie durch Watte, glaubte sich in einem schlechten Film die Hauptrolle zu spielen. Er wartete auf Felizitas. Das konnte nicht sein, nicht all die Jahre. Sie spürte, wie ein Lachanfall langsam in ihr hochstieg. Ihre Stimme fing an zu kicksen, überschlug sich, sie bekam kaum noch Luft. Dann kreischte sie mit einer seit Ewigkeiten aufgestauten Hysterie:

„Du schleichst dich seit Jahren jeden Morgen aus dem Haus, um die Katze unserer Nachbarin zu beobachten? Während ich da oben liege und mich nach jedem Davonstehlen von dir in den Schlaf weine?“

Die Situation war jetzt in ihrem ganzen grotesken Ausmaß zum Greifen spürbar. Wortlos hatte sie sich so in das leere Milchglas verkrallt, dass es zersprang und ihr die Finger zerschnitt. Er wollte aufspringen, ihr helfen, doch etwas an ihrem Blick hielt ihn zurück. Während das Blut durch ihre Finger lief, ging sie nach oben und holte den Koffer vom Speicher.
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Ein letztes Mal, bevor du gehst

Das war er also. Der Moment, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte. Sie hatte immer gewusst, dass er irgendwann kommen würde. Doch mit jedem Tag, mit jeder Nacht die verstrich, fühlte sie sich ruhiger und sicherer. Tausendmal hatte sie sich in Gedanken ausgemalt, wie es sein würde. Ein kalter, verregneter Novembertag existierte in ihren Vorstellungen. Kahle Bäume, Nebel, alles was zu einem düsteren Tag gehörte, an dem dass ganze Glück vor dem Abgrund stand. Jetzt war dieser Tag gekommen. Und er war so ganz anders, als in ihrer Fantasie. Wie mechanisch hatte sie den roten Knopf am Telefonhörer gedrückt, als das Gespräch schon längst beendet war. Ihre Augen waren so mit Tränen gefüllt, dass sie ihre Umgebung nur noch schemenhaft erkennen konnte. Doch nicht eine einzige lief an ihr herunter. Sie alle hielten sich an ihren Wimpern fest, als ob sie nicht verloren gehen wollten. Als ob jede Träne ein Stück aus ihrem Herzen reißen könnte, sobald sie die anderen verließ. Die Sommersonne schien durch das Fenster und wärmte ihre Schultern. Doch sie fror. Durch das geöffnete Fenster hörte sie von irgendwo her Musik, die so gar nicht zu dieser Stimmung passte. Völlig unverhofft, geradezu brutal sollte ihr Leben eine Wendung nehmen, die sie nicht akzeptieren wollte, nicht akzeptieren konnte. Auch um seinetwillen. Vor allem um seinetwillen. Das versicherte sie sich im Stillen immer wieder.

Sein Leben, sein Wohlergehen. Das war es, wofür sie lebte. Alles, was ihr etwas bedeutete, hing mit ihm zusammen. Niemals würde ihn irgendjemand auf der Welt so lieben, wie sie es tat. Niemand hatte jemals soviel Verständnis für ihn aufgebracht. Ihm am Tage so unerschütterlich beigestanden, wenn er verzweifelt war. Und ihn in der Nacht so leidenschaftlich geliebt, wenn er vergessen wollte. Jetzt sollte es vorbei sein. Er hatte nicht viel gesagt am Telefon. Wie immer, wenn seine Frau im Haus war und sie Angst haben mussten, dass sie mithören würde. Nur zwei kleine Sätze, doch von so großer Bedeutung:

„Wir treffen uns heute Abend wieder in der kleinen Waldhütte. Es wird das letzte Mal sein.“

Als sie sich mit dem Wagen der Stadtgrenze näherte und die Gegend ländlicher wurde, verlangsamte sie ihr Tempo. Trotz der relativ leeren Landstraße, die geradezu einlud zum schnellen Fahren, hatte sie es nicht eilig. Sie wollte den Weg genießen. Ein letztes Mal. Unzählige Mal war sie ihn gefahren. Kannte jede Kurve, jeden Baum. Als sie von der Straße abbog in den Waldweg, reduzierte sie die Geschwindigkeit auf Schritttempo. Die morschen Äste knackten unter den Wagenrädern. Jeder Meter, mit dem sie sich der Hütte näherte, läutete das Ende ein. Doch sie war ganz ruhig jetzt. Keine Tränen, kein Kummer. Dies sollte die vollkommenste Nacht ihres Lebens werden.

Sie wollte nicht leben ohne ihn. Er war ihre Seele, ihr Körper. Ohne ihn war sie nicht fähig zu existieren. Von dem Moment an, als er sie das erste Mal geliebt hatte, war alles andere in ihrem Leben nebensächlich geworden. Er hatte die unerträgliche Einsamkeit, die sie über Jahre begleitet hatte, einfach verschwinden lassen. Hatte in ihr eine Lebendigkeit wachgerufen, die sie vorher nie gekannt hatte. Und ihre Dankbarkeit war grenzenlos. Jeden Wunsch hatte sie ihm von den Augen abgelesen. Geduldig auf ihn gewartet, wenn er bei seiner Frau war. Nie ein Wort des Vorwurfs, immer gelächelt. Die wenigen Stunden, die sie zusammen hatten, waren dank ihrer Ergebenheit wie Wein. Süß, schwer und berauschend. Sie wusste, nur bei ihr lebte er richtig auf. Dann konnte er für ein paar Stunden vergessen, dass seine ungeliebte Frau ihn nur halten konnte, weil sie die Aktienmehrheit am Unternehmen besaß. Doch sein wahres Leben, das war sie. Seine Geliebte. Er konnte nicht leben ohne sie. Er würde zugrunde gehen, zerbrechen. Davon war sie überzeugt. So stark er auch in ihren Armen war, so schwach war er doch in der unheilvollen Welt da draußen. Sie brauchten sich gegenseitig.

Ruhig und gefasst betrat sie die Hütte und schaute sich um. Wehmütig krampfte sich ihr Herz zusammen. Mit einem tiefen Atemzug ermahnte sie sich jedoch selbst, jetzt keine Schwäche zu zeigen. Wenn es schon ein Abschied für immer war, dann sollte er schöner werden, als alle vorherigen Begegnungen zusammen. Sie bereitete ein paar Kleinigkeiten vor, strich noch einmal über sein Kopfkissen und lächelte. Liebevolle Erinnerungen zogen an ihr vorbei. Sie schaute auf die Uhr und fühlte auf einmal eine tiefe Traurigkeit in sich aufsteigen. Nur noch wenige Minuten trennten sie vom Anfang eines großen, schmerzlichen Endes.

Dann war der Moment gekommen. Er trat durch die Tür und sie konnte seinen Anblick kaum ertragen. Die Art, wie seine Augen sie durchdrangen, regte in ihr eine Sehnsucht, die sich nicht beschreiben ließ. Der Gedanke, dass sie heute ein letztes Mal ihre Bedürfnisse stillen durfte und dies für alle Zeit reichen musste, war einfach unmenschlich. Sie war nicht fähig zu sprechen, ging einfach auf ihn zu und zog ihn mit sich. Sie musste viel Kraft aufwenden, um ihre Leidenschaft zu zügeln. Wollte ihn am liebsten gleichzeitig in sich aufsaugen, vereinnahmen, nie wieder loslassen und dabei jede Sekunde des Beisammenseins auskosten. Wohl wissend, dass jeder Augenblick, der verstrich, ein letzter war. Sie gab ihm alles, was sie zu geben hatte. Mit ihrem Herzen, ihrem Körper. Ihre ganze Seele. Und er reagierte wie erwartet. So, wie sie es gewohnt war. Nahm erfreut alles von ihr an. Fragte nicht lange, sondern ließ sich berauschen. Bis der Morgen dämmerte.

Während er noch liegen blieb, hatte sie sich bereits angekleidet. Sie sagte ihm, dass sie etwas im Auto vergessen hätte und ging hinaus. Als sie ein paar Minuten später wieder in die Hütte trat, musste sie lächeln. Jetzt war er gekommen, der Augenblick des Abschieds. Sie wollte es ihm so leicht und erträglich wie möglich machen. Die Zufriedenheit in seinem Gesicht führte sie auf die vergangenen Stunden zurück. Das machte es auch für sie leichter. Er sollte den Rest seines Lebens nicht im Kummer versinken. Sollte mit einem letzten Gedanken an sie gehen. Während sie heimlich die abgezählten Tropfen in seinen Kaffee rührte, fühlte sie eine Leichtigkeit, die sie ein wenig erschrecken ließ. Sie gab ihm den Kaffee und sah zu, wie er den Becher leer trank. Dann neigte sie ihr Gesicht zu ihm, strich mit den Fingern durch sein verschwitztes Haar und näherte sich zu einem Kuss. Bevor ihre Lippen sich berührten, hauchte sie:

„Ein letztes Mal, bevor du gehst.“

Er fühlte sich seltsam schwach, als sie ihn küsste. War er noch ganz trunken von der letzten Nacht? Schweren Herzens stand sie auf. Die Beine drohten ihr zu versagen, als sie auf die Tür zuging. Im Vorbeigehen steckte sie das kleine Fläschchen mit dem Gift in ihre Tasche. Sie schaute nicht zurück, aus Angst es zu bereuen. Wie ein Todesschuss klang das knackende Geräusch in ihrem Ohr, als sie die Tür hinter sich zuzog. Und so hörte sie seine letzten Worte nicht mehr:

„Dies war unser letztes Treffen hier. Ab heute wird alles anders. Ich habe mich von meiner Frau getrennt.“
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Südländische Spezialitäten (nach einer fast wahren Begebenheit)

Ich habe eine Freundin. Eine beste Freundin. Ihr Name ist Nellie. Als Frau braucht man eine beste Freundin. Warum, ist wissenschaftlich nie geklärt worden. Aber in diesem besonderen Fall war es so, dass Nellie vor allem mich brauchte. Den Großteil meiner kostbaren Freizeit verbrachte ich damit, Nellie vor Schaden zu bewahren, den Schaden an anderen in Grenzen zu halten oder die Schadensnotrufnummer zu betätigen. Denn Nellie war, ist und bleibt eine leibhaftige Chaotin. Keine Ahnung, was bei ihrer Erziehung schief gelaufen ist. Sofern sie überhaupt eine genossen hat.

Besonders dramatisch wurde es, wenn sie mal wieder auf der Suche nach dem richtigen Mann fürs Leben war. Was so ca. zweimal die Woche vorkam. Nein, besonders anspruchsvoll war sie nicht. Meine Güte, was brauchte ein Mann schon, um sie glücklich zu machen? Ein zweites Carport am Haus, einen Servicemitarbeiter für den Swimmingpool, ein sechsstelliges Jahresgehalt. Nellie war auch durchaus bereit, bei der einen oder anderen Vorgabe Abstriche zu machen. Nur bei einem nicht: es sollte ein Mann südländischer Herkunft sein. Sie war fest davon überzeugt, dass nur ein Südländer ihrem Temperament einer echten ostfriesischen Göre gewachsen war. Und so schaute sie sich mit ihren herausragenden 1-Meter-62 neugierig in der Weltgeschichte um nach dem Prachtexemplar ihrer Wahl. Die ja auch durchaus nicht abgeneigt waren, zumindest für überschaubare Zeit sich ihrer abhanden gekommenen Erziehung zu widmen. Wenn da nur nicht die mangelnden Sprachkenntnisse ihrerseits gewesen wären.

Ihr erstes Opfer war Carlos, ein glutäugiger Spanier. Wir hatten ihn beide bei einem Powerpoint Anwenderseminar in der Volkshochschule kennengelernt. Er war Dozent in unserem Lehrgang und gab vom ersten Tag an auffällig gerne Nachhilfestunden für Nellie. Während wir anderen Teilnehmer ratlos daneben saßen. Wenn die beiden vierhändig auf der Tastatur rumtippten, hatten sie alles um sich herum vergessen. An einem Abend bekam Carlos nicht mal mehr mit, dass wir alle schon gegangen waren. Und so kam es wie es kommen musste. Die beiden hatten ein Date. Viel wusste Nellie ja nicht von ihm. Aber immerhin sein Alter, welches Auto er fuhr und dass er als Systemadministrator in einem großen Unternehmen angestellt war. Natürlich wollte sich Nellie nicht blamieren und hatte alle EDV-Kenntnisse zusammengekratzt, die sich in der klassischen Wartezimmerlektüre ihrer Kosmetikerin finden ließen. Volle Konzentration war ihre Devise. Dummerweise sah Carlos das ganz anders. Er setzte mehr auf Enrique-Iglesias-Lächeln und den geballten Charme eines Ferienclub-Animateurs aus der vorletzten Saison. Als Nellie die verabredete Bar betrat, stand er schon an einem der kleinen Stehtische, schob seine Sonnenbrille noch weiter zurück ins Haar, betrachtete sie von oben nach unten und gurrte ein „Hasta la vista, Baby“. Wie gerne hätte ich sein Gesicht gesehen, als Nellie ihm fachweiblich und mit ernster Stimme erwiderte: „Nein, Süßer, ich bevorzuge windows xp“. Seltsam, aber die beiden haben nach diesem Abend beschlossen, es dabei zu belassen.

Nachdem sich Nellie von dieser Blamage erholt hatte, folgte kurze Zeit später Paolo. Ein freundlicher Italiener, den sie bei der wöchentlichen Lebensmitteljagd mit ihrem Einkaufswagen buchstäblich umgefahren hatte. Ob Absicht oder nicht, darüber schweigt sie bis heute. Paolo war angehender Arzt, kam aus gutem Hause, ein Mann von Welt. Als Wiedergutmachung für die Karambolage hatte er ihr das Versprechen abgenommen, sich mit ihm am nächsten Nachmittag in einem Café zu treffen. Nach kurzem, taktisch höflichem Geziere gab sie ihr Einverständnis. Und so traf man sich wie verabredet. Paolo zeigte sich von seiner besten Seite, gute Manieren waren bei ihm ein Muss. Selbstverständlich passte er die Auswahl seines Getränkes an die Wünsche der ihm beisitzenden Dame an und schlug Nellie mit fragendem Blick vor: „Due espressi?“
Als Nellie sich von ihrem kurzen Schock erholt hatte, erwiderte sie allen Ernstes: „Ach, sie arbeiten für die Mafia? Wie romantisch…Nein, ich habe noch nie jemanden erpresst. Aber wenn sie mal Hilfe brauchen?“Keine Frage, auch dieser Nachmittag war ungewöhnlich schnell zu Ende.

Von den weiteren Verabredungen im Rahmen der EU-Erweiterung möchte ich lieber nicht berichten. Nur so viel. Sie brachten keinen Erfolg. Ich sah mich also gezwungen, tätig zu werden. Wie sich das gehörte für eine beste Freundin. Meiner Meinung nach brauchte sie einen charakterstarken Mann, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Nun gut, ein Südländer sollte es trotzdem sein. Und ich hatte da auch schon jemanden in die engere Wahl gefasst. Nellie und ich waren in unserer Lieblings-Bar verabredet. Mit ernstem Gesicht teilte ich ihr mein Vorhaben mit. Ich hatte einen Mann für sie ausgesucht. Und den würde sie kennenlernen. Noch heute Abend. Ich schwärmte ihr vor, wie toll er aussah. Alles an ihm stimmte. Und er war so charmant, zuvorkommend, wusste, wie man eine Frau behandelte. Sie war so überrumpelt, dass sie nicht einmal mehr protestieren konnte.
„Darf ich wenigstens seinen Namen noch erfahren?“ maulte sie mich an.
„Ja, sicher. Er heißt Musti.“ Ihr Gesicht erhellte sich schlagartig und erstarrte regelrecht.
„Wie? Du meinst…etwa den…unglaublich…wie hast du das geschafft? Und er kommt hierher?“
Jetzt war es an mir, irritiert zu gucken. Es war ja schön, dass sie meine Aktion so positiv aufnahm, aber war das nicht ein bisschen viel Aufstand um meinen türkischen Frisör? Ich ahnte Ungutes und wurde bestätigt, als sie weiter stotterte: „Wirklich den berühmten DJ? Du hast ihn hierher bestellt?“
„Nein Nellie, nicht den berühmten DJ. Fast alle Mustafa werden Musti genannt. Der DJ Mustafa, den du meinst, hat sich zudem noch die Schreibweise eines bekannten Schokoladenpuddings zugelegt. Wir erwarten allerdings heute nicht Mousse T., sondern einfach nur Musti. Der übrigens auch tausendmal besser aussieht. Aber das nur am Rande.“
Sie schwieg für geschlagene zweieinhalb Minuten. Und dachte nach. Dann fragte sie mich: „O.k., aber was ist, wenn ich wieder alles falsch verstehe? Kannst du mir nicht wenigstens noch schnell ein paar nette, türkische Floskeln beibringen? Was man halt so braucht beim Flirten, du weißt schon.“
Ja, sicher wusste ich. Und sie hatte ja auch Recht. Wie verantwortungslos von mir, sie diesmal unvorbereitet ins Rennen schicken zu wollen. Also sagte ich ihr einige Sachen vor und sie sprach sie brav nach. Wobei sie gar nicht mal so schlecht war für den Anfang. Wer hätte das gedacht. Mein Vertrauen in ihre sprachlichen Fähigkeiten wuchs. Und so landeten wir zu guter Letzt bei „milyonlarca öpücük“. Damit war ich jedoch offenbar an ihre Grenzen gestoßen.
„Millionen was? Da sind mir zu viele Ü’s oder Ö’s drin. Das versteht man ja gar nicht. Und was heißt das überhaupt?“
Mit der Übersetzung war sie mehr als zufrieden und so übten wir es noch diverse Male. Aber sie bekam es einfach nicht richtig hin. Auf dem Weg zur korrekten Aussprache hatte sie bestimmt zwanzig neue Wörter erfunden, die der türkischen Sprache bislang dringend gefehlt hatten. Der Ehrgeiz hatte sie gepackt und sie wollte es unbedingt hinkriegen. Aber dieses Wort „öpücük“ lag ihr einfach nicht. Dummerweise hatten wir die Zeit völlig aus den Augen verloren. Ich musste mich schnellstens entfernen, denn gleich würde Musti auftauchen. Voller Vorfreude auf meine hübsche, intelligente, erfolgreiche Freundin, mit der ich ihm ein Blind Date versprochen hatte. Dumm nur, dass Nellie auf ihn wartete…

(Fortsetzung folgt)
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

(...und weiter geht's)


Wie mir später berichtet wurde, verlief die erste Begegnung mehr als erfreulich. Die beiden sahen sich an und das Schicksal nahm seinen Lauf. Man schlürfte Cocktails, hatte sich viel zu erzählen und noch mehr zu lachen. Eine gute Basis, sollte man meinen. Die beiden verabredeten sich für den nächsten Abend. Im Rausch der Sinne tat Nellie etwas sehr ungewöhnliches. Sie lud ihn zu sich nach Hause ein. Und das schon nach einem Abend. Musti begleitete sie bis vor die Haustür, verabschiedete sich artig und fragte, was er für den folgenden Abend mitbringen solle. Jetzt gab Nellie alles. Sie holte einmal tief Luft, strahlte ihn an und sagte mit schelmischem Lächeln:
„Ach, muss gar nichts besonderes sein. Mir reichen schon millionlacka öptopussi.“
Musti schaute sie angestrengt an. Was meinte sie bloß? Nachfragen wollte er auch nicht, schließlich fand er sie einfach nur rührend. Er würde schon noch rauskriegen, was „öptopussis“ sind. Vielleicht hatte er es ja auch einfach nur falsch verstanden. Allerdings machte die Mengenangabe ihm leichte Sorgen.
„Müssen es denn unbedingt gleich eine Million sein?“ hakte er nach.
Nellie war ein wenig enttäuscht. Er war doch wohl nicht etwa geizig? Aber sie wollte auch keine Spielverderberin sein und grinste: „Nein, schon gut, hundert reichen auch für den Anfang.“
So verabschiedete man sich, wie frisch Verliebte das zu tun pflegen.
Am nächsten Abend stand Musti pünktlich bei Nellie vor der Tür. Er war aufgeregt. Nach langen Recherchen waren zwei Dinge übrig geblieben, die sie gemeint haben könnte. Er hatte von beiden einfach mal ausreichend mitgebracht. Was ihm jedoch einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte.
Nellie öffnete freudestrahlend die Tür und staunte nicht schlecht. Musti hatte eine große Reisetasche dabei. Na, der ging ja ran. Gleich Übernachtungsgepäck dabei? Das ging ihr nun aber doch zu schnell. Etwas reserviert bat sie ihn herein. Man setzte sich ins Wohnzimmer und lächelte etwas verlegen durch die Gegend. Dann hielt Musti es nicht mehr aus. Er wollte endlich den Inhalt seiner Tasche präsentieren. Ein verlegenes Hüsteln leitete die große Überraschung ein.
„Na ja, ich muss gestehen, ich wusste nicht so wirklich, was du gestern Abend meintest. Also, was ich mitbringen soll. Es klang etwas seltsam, zwei Sachen sind mir dann doch noch zu deinen „öptopussis“ eingefallen. Meintest du vielleicht den alten James-Bond-Film „Octopussy“? Also, hundert DVD’s konnte ich natürlich in der kurzen Zeit nicht mehr brennen, aber so um die 45 müssten es geworden sein. Wofür brauchst du die alle? Sind wohl Geschenke für die Familie?“
Nellie war in der Zwischenzeit so weiß geworden wie ein Glas Milch. Ein Albtraum tat sich vor ihr auf. Und Musti begriff ziemlich schnell, dass er völlig falsch lag mit seiner DVD-Sammlung. Begeistert kramte er noch einmal weiter unten in der Tasche und zog eine riesengroße, durchsichtige Tüte heraus, in der sich seltsam anmutende, fleischige Stücke befanden.
„Stimmt‘s?“, strahlte er über das ganze Gesicht, „Du isst sie bestimmt auch am liebsten frittiert und mit Knoblauchsoße?“
Nellie liefen Tränen über ihre Wangen. Sie war alles gleichzeitig. Total gerührt, unglaublich beschämt, grenzenlos wütend und überglücklich.
Ich sah die beiden erst vier Tage später wieder, als sie nach der Behandlung ihres Eiweiß-Schocks aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Übermäßiger Verzehr von frittiertem Tintenfisch, so lautete die Diagnose. Während ihrer weiteren Genesung hatten sie ausreichend Zeit, um die vielen DVD’s anzuschauen. Und die Tücken der korrekten Aussprache zu üben.
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Ein ganz normaler Tag im Büro

Der Wecker hat geklingelt. Zum wiederholten Mal. Verschlafen schlurfe ich mit meinem Teddy unterm Arm in die Küche und setze mich an den Tisch. Das Nutellabrot hinterlässt eindeutige Spuren zwischen Mundwinkel und Ohrmuschel. Egal, wozu gibt es Ärmel. Und den Rest spüle ich mit Apfelsaft nach.

Heute muss ich in der Dienstbesprechung eine Präsentation abhalten über das neue Einkaufszentrum. Ich weiß genau, dass ich schlecht vorbereitet bin. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl, wie damals vor den Mathearbeiten. So eine Mischung aus Panik und schlechtes Gewissen. Na ja, ich zähle einfach mal wieder die Kacheln zwischen Spüle und Kühlschrank ab. Bei einer graden Zahl wird alles gut…bei einer ungeraden glaube ich eh nicht an so einen Hokuspokus.

Was ziehe ich denn mal an heute? Draußen hat es geregnet, also her mit den Gummistiefeln. Sieht super aus zu dem Jeansrock. Jetzt noch die Pudelmütze auf und los.

Von einem Bein auf das andere hüpfend geht es munter ins Büro. Oh, der blöde Nachbar hat grade das Laub zu einem großen Haufen zusammengefegt. Da spring ich doch gleich mal rein. Und kicke ganz nebenbei eine Kastanie gegen die frisch polierten Felgen von seinem Wagen. Jetzt aber schnell weglaufen…

Am Kiosk kaufe ich mir schnell noch ein Negerkussbrötchen und eine Tüte Brausepulver. Waldmeistergeschmack…hmmm. Oh je, mir brennt die ganze Zunge von dem Zeugs. Meine Capri-Sonne mag ich gar nicht mehr durch den Strohhalm ziehen. Na, dann puste ich halt rein und guck mal, wie weit sich das Päckchen aufblähen lässt. Ach herrje…der neue Teppich im Foyer. Hoffentlich gehen die Flecken wieder raus.

In der Sitzung werde ich aufgefordert, nach vorne zu kommen und mit meinem Vortrag zu beginnen. Ich kann jetzt aber grade nicht, weil ich mit meinem Nachbarn schwatze. Er will mir einfach keins von den Fußballbildchen abgeben für mein Sammelheft. Pffff…denn eben nicht. Darf er auch nicht in die Bauunterlagen gucken. Die hab‘ ich jetzt hinter meiner Federtasche verschanzt. Und nach der Arbeit, wenn keiner hinguckt, kneif ich ihn in den Oberarm. Ätsche bätsche…

Den Vortrag halte ich dann doch noch widerwillig. Aber irgendwie hört keiner richtig zu, weil ich die ganze Zeit unter meinem Rock rumzerre. Was kann ich denn dafür, dass das Schlüpfergummi gerissen ist?

In der Mittagspause hänge ich kopfüber an der neuen Bronzeskulptur im Innenhof. Schweinebummeln ist total gesund fürs Gedächtnis. Da der Hausmeister tüchtig mit mir schimpft, wie ich die Darstellung der Wiedervereinigung so verunglimpfen kann, lasse ich es halt. Und klau mir aus dem Schulungsraum ein Stück Kreide. Die malt echt super auf dem Marmorboden. Aber alleine macht Himmel-und-Hölle spielen auch keinen Spaß.

Zum Feierabend drücke ich meinem Chef noch schnell ein buntes Büchlein in die Hand mit der Bitte, mir bis nächste Woche etwas ins Poesie-Album zu schreiben.

Fröhlich pfeifend hüpfe ich wieder nachhause. Auf dem Anrufbeantworter ist die Stimme unseres Amtsarztes zu hören. Ich habe nächste Woche einen Termin bei ihm.

Wieso eigentlich? Ich habe nur getan, wovon alle immer reden: Noch einmal so frei und unbeschwert sein, wie als Kind…
 

Kedi08

Active Member
AW: Worte sind wie 1001 Macht (Kedi's Erzählungen)

Wie tief ist Zeit?

Geraubte Zeit. Eine Stunde, vielleicht zwei. Länger wird er ihr nicht gehören.
Eigentlich gehört er ihr gar nicht, wird ihr nie gehören. Nur sie gehört ihm, aber das ist etwas Anderes.
Sie steht vor dem Spiegel und betrachtet ihr Make-up. Es ist schön geworden. Viel Zeit hat sie nicht gebraucht, denn ihre Haut bekommt immer diesen rosigen Schimmer, wenn er sich angekündigt hat. Die Augen schwarz umrandet, ein leicht verruchter Blick. Passend zu den langen Spitzenstrümpfen und den atemberaubenden Dessous. Sie sind neu und waren viel zu teuer. Eigentlich hätte sie stattdessen ihr Auto reparieren lassen können. Doch sowas rückt in den Hintergrund, wenn er sie sehen will. Sie tut es gern. Eine Investition mit Erlebnisgarantie. Für das einzige Gefühl, das sie wirklich aufleben, ja erblühen lässt: Begierde…

Sie spürt ihr Herz klopfen und ist wie immer überrascht darüber. Nach all der langen Zeit noch immer dieses Gefühl. Aufgeregt, wie beim ersten Mal. Vorfreude, wenn sie nur an seine Berührung denkt. Ihre Haut ist ganz warm. Hüllt sie ein in das teure Parfüm, das sie aufgelegt hat. Die Hände zittern, sie lässt den Stecker vom Ohrring fallen. Ein Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten, wenn er pünktlich ist. Sie weiß nie genau, wann er kommt. Keine Routine, keine Langeweile, kein Verlass…Ein Leben im Hier und Jetzt. Nichts anderes zählt.
Eigentlich müssten sie dringend über ein paar Dinge reden. Doch die Zeit ist zu kostbar.

Die Türklingel reißt sie aus ihren Gedanken. Sie fühlt sich wie eine Theaterschauspielerin, die das Zeichen für ihren Auftritt gehört hat. Sie öffnet die Tür und gleichzeitig hebt sich der Vorhang. Das Stück ist immer dasselbe. Und doch wissen beide nie, welchen Dialog ihre Körper heute sprechen werden. Alles ist improvisiert, immer wieder neu, knisternd und doch irgendwie vertraut. Das Ziel ist vorgegeben, der Weg dorthin immer wieder ein anderer. Eine rasante Fahrt durch unbekanntes Gebiet. Abenteuer pur.
Er sieht sie an mit diesem besonderen Lächeln. Senkt langsam seine Lippen auf ihre und küsst sie mit einer Hingabe, als hätten sie alle Zeit der Welt, während seine Jacke und sein Hemd langsam an ihm herunter gleiten. Dann fasst er sie an den Schultern, schiebt sie ein Stück von sich und schaut sie an. Schaut langsam an ihrem Körper entlang. Und dann ganz tief in ihre Augen. In seinen sieht sie dieses Glitzern und sie weiß, in diesem Moment ist sie die schönste und begehrteste Frau im Universum. Seine Wärme und seine Erregung sind deutlich zu spüren, als er sie hochhebt und hinüberträgt. Wie immer ist sie hin- und hergerissen: „Nimm mich, jetzt, sofort, ganz schnell…aber lass es nicht vorbei gehen…“! Wer weiß, wann es wiederkommt…
Sie schaltet die Gedanken aus und lässt sich treiben. Eine Woge nach der anderen. Vergessen sind Zeit und Raum. Und dann? Ist es vorbei…Doch sie lassen das betrübte Gefühl nicht zu. Liegen eng beieinander und erzählen sich alles, was seit dem letzten Mal passiert ist. Eine kurze Berichterstattung von ihm, sie hätte gerne mehr hinterfragt. Doch für alles reicht die Zeit nicht. Denn er hinterfragt sie, interessiert sich, freut sich und lacht mit ihr. Er macht sie glücklich…für eine halbe Stunde, vielleicht auch weniger. Nur eine kurze Zeit, eine Art Zugabe, doch dafür intensiv. Halten sich aneinander fest und spüren die vertraute Wärme des Fremden. Würden niemals auf die Idee kommen, sich schlafend wegzudrehen oder gar den Raum zu verlassen. Zu wertvoll ist die Zeit.

Dann schaut er auf die Uhr. Sie weiß, dass er gehen muss. Wortlos legt sie ein Handtuch raus, doch sie lächelt tapfer dabei. Während er duscht, räumt sie seine Sachen ordentlich zusammen und gießt ihm etwas zu trinken ein. Wie jedes Mal… ein Stückchen Vertrautheit, die ihr nicht gehört. Als sie die Haustür hinter ihm schließt, fällt der Vorhang. Ohne Publikum, ohne Applaus. Und sie weiß nie, ob es eine nächste Aufführung gibt… Was folgt, ist eine unsichere Zeit.

Leicht abwesend rührt sie in ihrer Tasse, während ihre Freundin unablässig spricht. Sie überlegt, ob sie mit ihr tauschen möchte. Stellt in Gedanken ihrer beider Leben gegenüber. Sie ist finanziell unabhängig, beruflich gefestigt, kann tun und lassen, was sie will. Niemand stört sich an dem ausgeblichenen Flanell-Pyjama, dem Abwasch von gestern, der Chips-Tüte im Bett. Niemand holt die schweren Getränkekisten aus dem Auto, kocht ihr einen Tee, wenn sie krank ist, überrascht sie mit einem gefüllten Nikolausstiefel.
Und ihre Freundin? Verheiratet, zwei wohlgeratene Kinder, zweimal im Jahr Urlaub, Doppelhaushälfte. Im Vorgarten die abgeblühten Tulpen, doch sie kommt nicht dazu, sie zu entfernen. Muss halbtags mitarbeiten, um den Zweitwagen zu finanzieren. Und dann die Hausarbeit, die Schularbeiten der Kinder, der ewige Ärger mit dem Nachbarn…alles bleibt an ihr hängen. Sie sieht müde aus. Gepflegt, teuer gekleidet, aber ohne jeden Reiz. Alles an ihr ist irgendwie…praktisch. Die Jeans, die zusammengebundenen Haare, die übergroße Tasche. Die Freundin klagt mit monotoner Stimme weiter, fühlt sich im Stich gelassen von ihrem Mann. Obwohl sie jeden Abend zusammen sind, Zeit zum reden finden sie nicht. Zeit für Zärtlichkeit? Schon lange nicht mehr. Als das Wort Erotik fällt, schaut die Freundin sie irritiert an, als hätte sie etwas Unanständiges gesagt.
„Warum sprichst du nicht mal in Ruhe mit ihm oder fährst mal ein Wochenende alleine mit ihm weg?“ Die Freundin zuckt nur resigniert die Schultern: „Reine Zeitverschwendung. Unsere gemeinsamen Träume waren wohl nur meine eigenen. Er ist so langweilig geworden. Mich interessiert schon lange nicht mehr, was er denkt. Er interessiert sich schließlich auch nicht für mich, hört nicht mal richtig zu. Ich glaube, er interessiert sich für Niemanden.“

Sie rührt wieder in ihrer Tasse, lächelt versunken…seltsam, sie hat ihn gestern ganz anders erlebt. Wenn auch nur für kurze Zeit.
 
Top