Zwischen Dauerurlaub und Neuanfang

Yagmurlu Günler

New Member
Zwar nicht ganz aktuell aber dennoch lesenswert :wink:
Wie deutsche Rentner die türkische Küstenstadt Alanya bevölkern - und verändern
von Ulrich Pontes, Alanya

Filterkaffee unter Palmen, Adventsschmuck im hellen Sonnenschein: Deutsche Ruheständler bevölkern die Ferienhochburg Alanya, besonders im Winter. An der türkischen Stadt geht so viel deutsche Mentalität nicht spurlos vorüber.

"Leise rieselt der Schnee" tönt es aus dem Leierkasten.
Eigentlich stellt man sich einen Adventsnachmittag anders vor. Goldene Sonnenstrahlen fallen durch die Weinblätter, die sich um das Vordach ranken. Die Gäste haben es nicht eilig einzutreten; kurze Ärmel und Sandalen geben den Blick frei auf gebräunte, aber faltige Haut. "Leise rieselt der Schnee" orgelt es aus dem mit einem Stern geschmückten Leierkasten, während eine Frau ihrer Bekannten erzählt: "Vorgestern dachte ich, jetzt ist’s aber kalt geworden. Als ich aufs Thermometer schaute, waren es nur 18 Grad!" Als Pfarrer Rainer Wutzkowsky dann die versammelte Runde begrüßt, spricht er ganz laut und langsam - seine 30 Zuhörer sind fast alle jenseits der 60.

Sonne und Implantate
Schauplatz der sommerlichen Weihnachtsfeier: Alanya, die Ferienhochburg an der "Türkischen Riviera" im Süden Anatoliens. Dort sind nicht nur die Kaffeekränzchen der deutschsprachigen ökumenischen Kirchengemeinde fast ausschließlich von Senioren besucht. Gerade in den Wintermonaten ist Alanya eine Art deutsche Rentnerkolonie.

Stammgäste kommen für viele Wochen, teils seit Jahrzehnten und oft mehrmals pro Jahr. Sie genießen Wetter ("Die Sonne ist so wohltuend für unsere alten Knochen") und aufmerksames deutschsprachiges Personal ("Man begrüßt dich fast so herzlich wie den eigenen Sohn") - und gehen zum Zahnarzt ("Diese Implantate hätten mich in Deutschland mindestens das Dreifache gekostet").

Bier, Fähnchen und Fortschritt
Die 90-jährige, quietschfidele Luise Andrich aus dem unterfränkischen Gerolzhofen etwa überwintert seit acht Jahren in Alanya. "Buchen tu ich immer schon im Sommer, mein Hotel hier ist voll", sagt sie. Von Bekannten bekäme sie zwar öfter zu hören: "In die Türkei? Spinnst du?" Das sei im ländlich-katholischen Umfeld eben so. "Aber hier ist doch alles tiptop sauber. Ich kann ohne Angst allein unterwegs sein, ob Strand, ob Stadt, Burg oder Hafen. Und mit den Bussen komme ich für ein paar Pfennig überall hin!" Knapp 1800 Euro zahlt Luise Andrich für drei Monate in einem Hotel mittlerer Kategorie - inklusive Flug und Halbpension.

Ein paar Schritte weiter im "Schaka-Treffpunkt" sitzen Heinz, Günter und Kurt. Freunde, die sich vor Jahren in Alanya gefunden haben. "Hier habe ich mehr Bekannte als daheim", erzählt Heinz. Auf dem Tisch stehen drei Flaschen türkisches Efes-Bier um ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen. Das Gespräch schlängelt sich von der Wirtschaftskrise zu gestiegenen Alkoholpreisen, von unvergesslichen Mietwagen-Touren ins nahe Taurus-Gebirge zum im nächsten Urlaub renovierungsbedingt drohenden Hotelwechsel. Kurt schwärmt vom Fortschritt: "Weißt du noch? Vor acht Jahren sind wir in Alanya noch mit Bergstiefeln gelaufen - jetzt kannst du mit Stöckelschuhen gehen."
Mülltrennung und Roggenbrot, Palmen, Meer und Berge: Besonders Deutsche und Skandinavier fühlen sich wohl in Alanya.

"Neu-Alanyaner" färben ab
Alanya war vor 50 Jahren ein Provinzdorf mit Bananenplantagen, einer alten Burg und einer Höhle, deren Luft Asthmatikern hilft. Heute haben Stadt und Landkreis eine Viertelmillion Einwohner und 150.000 Hotelbetten, es gibt die Wertstofftonne und strenge Vorschriften gegen orientalisch-offensive Händler. Eine Entwicklung, an der Deutsche großen Anteil haben. Zum einen haben sie den Tourismus-Boom ausgelöst: Deutsche Camper machten den Anfang, und auch ein Großteil der inzwischen annähernd zwei Millionen Gäste pro Jahr ist deutsch.

Zum anderen haben immer mehr Ausländer in den vergangenen 10, 15 Jahren Alanya zum Alterswohnsitz erkoren, manche lassen sich hier sogar bestatten - wohl nicht zuletzt, weil es fast nichts kostet. Pioniere dieser Migrationswelle waren wiederum die Deutschen. Heute besitzen an die 3000 deutsche Staatsbürger eine Aufenthaltserlaubnis; tatsächlich dürften zwei- bis dreimal so viele überwiegend hier leben. Viele pendeln regelmäßig nach Deutschland und kommen deshalb mit Touristenvisa aus. Aber ob nun ein oder drei Prozent der Gesamtbevölkerung: Die "Neu-Alanyaner", wie der Stadtrat und Teppichhändler Abdullah Karaoglu sie nennt, färben ab.

Berliner willkommen, Schweine verpönt
Symptomatisch berichtet Karaoglu von dem deutschen Rentnerehepaar, das bei ihm im Haus wohnt. Sparsam seien sie, "sie machen eine Millimeterkalkulation", so dass er jederzeit erfahren könne, wo ein bestimmtes Waschmittel heute am billigsten sei. "Und der Mann hat irgendwann angefangen, den Garten zu machen, wunderschön. Zunächst waren alle dankbar - inzwischen haben sich einige ein Beispiel genommen. Sie machen selber Gartenarbeit, und für die Zigaretten, die sie dabei rauchen, benutzen sie einen Aschenbecher."

Außerdem haben die Deutschen den Filterkaffee gebracht, und ein deutscher Bäcker in der Nähe beliefert auch Türken mit Berlinern und Roggenbrot. Dass viele Neu-Alanyaner gerne mal Schweinfleisch essen würden, erwähnt Karaoglu nicht. Dabei wachse nach einigen Wochen ohne doch eine unglaubliche Sehnsucht nach Knackwurst oder Eisbein, hört man oft. Gesetzlich verboten ist Schweinefleisch nicht, aber verpönt: Es anzubieten hieße, muslimische Kunden zu vertreiben. Eine nahegelegene Schweine-Farm kämpft wegen behördlicher Auflagen um ihre Existenz. Letzte Chance für Liebhaber deftig-deutscher Küche ist der Selbst-Import. Außerdem gibt es einige wenige ganz auf Ausländer abgestimmte Lokale, denen wiederum aus Deutschland anreisende Stammgäste bei der Fleisch-Beschaffung helfen.

Ausländerbeirat: Vorbild Alanya?
Aber nicht nur im nachbarschaftlichen Alltag macht sich der Einfluss der Ausländer bemerkbar. Integration steht auf der politischen Agenda - was Alanya in der Türkei zum Vorreiter macht. Karaoglu steht als Stadtrat und Chef der Tourismuskommission auch Alanyas Ausländer-Beirat vor, einem nach eigenen Angaben in der Türkei einzigartigen Gremium. Ohne gesetzlich festgeschriebene Befugnisse, aber mit einem guten Draht zum Bürgermeister mischt der Beirat überall dort mit, wo die Neu-Alanyaner Alarm schlagen - etwa weil sie einen schärferen Blick für bestimmte Gefahren haben oder bürokratische Hürdenläufe weniger schicksalsergeben hinnehmen als Einheimische.

Infobox
Ausländerbeirat der Stadt Alanya
2004 bei einer Generalversammlung, zu der alle ausländischen Bürger eingeladen waren, ins Leben gerufen, gehören dem Beirat heute Neu-Alanyaner aus neun verschiedenen Nationen an. Sie treffen sich monatlich, diskutieren die angefallenen Fragen und verfügen durch ihren Vorsitzenden Abdullah Karaoglu, der gleichzeitig Stadtrat und Leiter der Tourismus-Kommission ist, über einen direkten Draht zum Bürgermeister. Der Beirat hat unter anderem einen auch ins Deutsche übersetzten Leitfaden für Neu-Alanyaner herausgegeben und unterhält ein Büro als Anlaufstelle für alle Problemfälle.

Alanya also ein Musterbeispiel für Integration? Der im 150 Kilometer entfernten Antalya lehrende Verwaltungswissenschaftler Erol Esen bewertet den Ausländerbeirat als guten ersten Schritt - aber nicht mehr. "Die hier lebenden Deutschen und anderen Ausländer stellen ein großes Potenzial dar", sagt er und erklärt, dass sie etwa beitragen könnten, zivilgesellschaftliche Initiativen aufzubauen und den EU-Kurs der Türkei im konkreten Alltag mit Leben zu füllen. Auch wünscht er sich ein Kommunalwahlrecht für ausländische Staatsbürger.

Heimisch werden - in Maßen
Solche Vorstellungen dürften allerdings vielen Wahl-Alanyanern zu weit gehen. Sie haben zwar türkische Freunde und verfolgen in deutschsprachigen Publikationen wie der zweiwöchentlichen "Prima Türkei-Zeitung", was vor sich geht. Einige engagieren sich im Tierheim, in der Versorgung kranker türkischer Nachbarn oder im deutsch-türkischen Freundschaftsverein. Wirklich gut Türkisch sprechen nur wenige - schließlich trifft man genug Deutsch sprechende Einheimische. Eine Studie der Universität Izmir ergab: Eine Idee wie die Beteiligung an Kommunalwahlen lehnen die aus dem Ausland an die türkische Riviera gezogenen Rentner mehrheitlich ab, und viele wollen in die Heimat zurückkehren, sollte es irgendwann mit der Gesundheit bergab gehen.

Bei der Adventsfeier gibt es Kaffee und Kuchen, dann folgen deutsche Weihnachtslieder und eine mexikanische Geschichte. "Ein bisschen besinnlich, aber nicht bierernst", hatte Pfarrer Wutzkowsky zu Beginn angekündigt, "denn die Stimmung ist ja schließlich eine ganz andere hier unter der türkischen Sonne." Die Menschen dagegen - das schwingt hier nur zwischen den Zeilen mit - die bleiben doch weitgehend die alten, die sie schon in Deutschland waren. Was nicht nur schlecht sein muss: Wer hierher komme, dem müsse Leichtigkeit und ein legerer Umgangston liegen, meint der Pfarrer. "Hochnäsige Menschen wollen erst gar nicht in die Türkei


Quelle: ZDF
 

univers

Well-Known Member
AW: Zwischen Dauerurlaub und Neuanfang

Und was denkst du persönlich darüber, Yagmurlu Günler?
 

Narges

New Member
AW: Zwischen Dauerurlaub und Neuanfang

Das war wohl mal. Ich war jetzt 4 Wochen in Alanya gewesen, um Familie zu besuchen. Ich war am Cleopatrastrand, dort war ich am Strand einzige Deutsche und noch in näherer Umgebung 2 Deutschtürken, sonst alles Skandinavier. Auch bei der Meile um Willi rum, kaum Deutsche, Lokal war fast leer. Es gibt noch einige Deutsche in Mahmutlar. Vielleicht sind im Winter wieder mehr Deutsche dort. ??????? Überwintern? Aber so wie früher ist es nicht mehr (Hochburg der Deutschen)
 

inciertu

New Member
AW: Zwischen Dauerurlaub und Neuanfang

İn Willi's Kneipe war es bei dem WM rappel voll zwischen Bockwurst und Leberkaes. Die meisten Deutschen die in Mahmutlar leben machen im Sommer Uralub in Deutschland, denen ist es zu heiss zur Zeit.
 
Top