AW: Anonyme Bewerbung
Dass ein potenziell von Vorurteilen beeinflusster Personalverantwortlicher seine ggf. diskriminierende Entscheidung erst trifft, wenn er diesbezügliche Reize empfängt, liegt auf der Hand. Bei gleicher effektiver Diskriminierung ist unter Anwendung eines anonymen Bewerbungsverfahrens eine nach hinten verlagerte Verteilung des Ausscheidens der Bewerber zwangsläufig.
Diese Betrachtungsweise genießt in Kommentaren zu Artikeln zum Thema (
fälschlicherweise) große Popularität.
Unternehmen, wollen sie auf dem Markt bestehen, handeln und denken üblicherweise nach dem Ökonomischen Prinzip bzw. Wirtschaftlichkeitsprinzip.
Beispiel: Die Suche nach Personal ist hierbei z.B.
nicht dem Umstand geschuldet, dass in einer Abteilung X von der Anzahl her Y Mitarbeiter werkeln und man Personal sucht, weil Y sich etwa einsam fühlten und/oder Gesprächspartner in den Zigarettenpausen. Sondern weil ein realer betriebswirtschaftlicher Mangelzustand im Unternehmen herrscht, der ausgeglichen werden soll.
Was bedeutet das nun im Kontext?
Natürlich können dann Unternehmen ihre Bewerber
erst nach dem Vorstellungsgespräch ablehnen. Aber langfristig würde dies unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsprinzips dem Unternehmen schaden!
Es würde bei einem anonymisierten Bewerbungsprozeß zusätzlich Zeit, Geld (knappe Ressourcen!) kosten, um weiter so nach Gutdünken handeln zu können.
Vereinfacht:
Der Personalleiter erhält von der Geschäftsführung die Aufgabe, den Mangelzustand Personal in einer bestimmten Unternehmenseinheit zu bereinigen. Nun sagt er
wegen der Pflicht eines anonymisierten Bewerbungsprozeßes all denen ab, denen er nach seinen Präferenzen schon gerne bei Eingang der Bewerbungsunterlagen abgesagt hätte (z.B. keine Frauen im gebärfähigen Alter, keine Migranten, keine Senioren, keine Personen mit ansehbarer Abweichung vom Idealgewicht etc.)
Vor einer Verpflichtung eines anonymisierten Bewerbungsprozeßes hätte es sich die Personalleiterin leisten können, nach den eigenen Präferenzen abzulehnen => Arbeitgebermarkt => sehr viele qualifizierte/geeignete Bewerber auf die Stelle.
Nach Verpflichtung eines anonymisierten Bewerbungsprozeßes gäbe es eine sehr hohe Anzahl von geeigneten Bewerbern im Vorstellungsgespräch, denen man/frau am liebsten vorher abgesagt hätte, aber auf Grund einer gesetzlichen Regelung "mitschleppen" musste, um diese dann nach persönlichen Präferenzen erst später absagen zu können. Dies würde dem sonst nach dem Ökonomischen Prinzip handelnden Unternehmen
deutlich mehr Verbrauch an (knapp vorhandenen) Ressourcen einhandeln.
Das ist der Grundgedanke! Bei einem Arbeitgebermarkt können Unternehmen (kurzsichtig) am längeren Hebel sonst nach Gutdünken geeignete Bewerber ausgrenzen. Gesellschaftlich führt dies jedoch zu einer Desintegration.
Da denkt sich dann eine Abiturientin: "Wieso soll ich Ingenieurwissenschaften studieren, wenn ich dann aus Altergründen/Geschlecht (Frau, Gebährfähig bis xy Lebensjahr, Unterstellung einer Schwangerschaft) keine Arbeitsmarktchancen haben werde."
Durch einen anonymisierten Bewerbungsprozeß wird dies weiterhin nicht verboten werden (wenn Personalleiter ihre Präferenzen spielen lassen wollen), aber erschwert! Es wird den Unternehmen teurer gemacht.
Einen Job in einer Unternehmenskultur
Diese Unternehmenskultur ist jedoch so entstanden, weil PersonalleiterInnen bei einem Arbeitgebermarkt
so handeln konnten wie sie bisher durften. Dem soll langfristig mit einem anonymisierten Bewerbungsprozeß entgegengesteuert werden. Wenn unter einer teuren Personalsuche plötzlich geeignete Stellenbewerber (z.B. Dipl.-Ing.: Frau, Mann über 55 oder Migrant etc.) nicht mehr kategorisch aussortiert werden, wird es auch zu Änderungen in den Mitarbeiterzusammensetzungen führen.
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In vielen Großunternehmen wird schon auf eine gewisse Zusammensetzung geachtet. Aber nicht jede(r) kommt in einem dieser vielen Großunternehmen unter.