Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

  • Ersteller des Themas selcuk1972
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selcuk1972

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Das Märchen von der traurigen Traurigkeit
Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub auf dem Wege saß, schien fast körperlos. Sie erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: "Wer bist du?"
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und leise, dass sie kaum zu hören war.
"Ach, die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte grüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"
"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtling einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"
"Ich... bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
"Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."
Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. "Ach, weißt du", begann sie zögernd und äußerst verwundert, "es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest." Die Traurigkeit schluckte schwer. "Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreißen. Und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet."
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu."
Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlte, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: "Aber ... aber - wer bist eigentlich du?"
"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. "Ich bin die Hoffnung."
Inge Wuthe
 
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Elena

Guest
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Danke, für die Geschichte. Ich habe sie vor ein paar Jahren im Internet gefunden, aber irgendwie wieder vergessen. Kennst du noch andere Geschichten der Autorin ?
 

Kedi08

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AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Das ist eine wunderschöne Geschichte. Ich überlege, ob ich sie heute abend meinem Sohn erzählen soll. Er ist z.Zt. sehr traurig, weil sein Vater schwer krank ist. Mal schauen, ob er sie versteht...
 
S

selcuk1972

Guest
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Danke, für die Geschichte. Ich habe sie vor ein paar Jahren im Internet gefunden, aber irgendwie wieder vergessen. Kennst du noch andere Geschichten der Autorin ?

ja ich finde auch das dies eine gute geschichte ist..ich versuche andere geschichten zu finden.Aber leider habe ich nur diese geschichte gefunden.İch habe zwar gegoogelt ,leider ohne erfogl.Also wenn jemand noch weis
 
N

netti2803

Guest
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Ich muss sagen das ist echt eine sehr schöne geschichte.
 
S

selcuk1972

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AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit


Eine kleine Geschichte für liebe Menschen!
Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Haus einer wohlhabenden Familie zu verbringen. Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln, im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie einen kleinen Platz im kalten Keller. Als sie sich auf den harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch in der Wand und reparierte es. Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete der ältere Engel: “Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.“
In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen, aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen, das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie Engel in ihrem Bett schlafen, wo sie gut schliefen.
Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges Einkommen gewesen war, lag tot auf dem Feld. Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe geschehen lassen können? „Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm“, meinte er anklagend. „Die zweite Familie hatte wenig und du ließest die Kuh sterben“. „Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen“, sagte der ältere Engel. „Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand, so dass er es nicht finden konnte. Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel des Todes, um seine Frau zu holen. Ich gab ihm die Kuh anstatt dessen. Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.
Manchmal ist das genau das, was passiert, wenn die Dinge sich nicht als das entpuppen, was sie sollen. Wenn du Vertrauen hast, musst du dich bloß darauf verlassen, dass jedes Ergebnis zu deinem Vorteil ist. Du magst es nicht bemerken, bevor ein bisschen Zeit vergangen ist......
(İnge wuthe)
 

Gülüm

New Member
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Das sind ja mal 2 wunderschöne geschichten.

Haben mir sehr gut gefallen.

LG Gülüm
 

lelia

Member
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

ich finde, dass sie einem mut machen. noch mehr solche geschichten....

BITTE!!!
 

Kedi08

Active Member
AW: Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

was hat den der vater.Hoffe doch das es nicht zu schlimmes ist.
Leider ist es schlimm. Und vor allem unfassbar, was alles so passieren kann. Vater und Sohn haben im Freibad in einem Wasserstrudel rumgetobt. Dabei ist der Papa so unglücklich mit dem Rücken gegen die Beckenwand gefallen, dass er sich einen Lungenriss zugezogen hat. Wurde aber erst erkannt, als der Lungenflügel zusammenfiel. Dazu kam noch falsche Behandlung im Krankenhaus, verschleppte Wundinfektion, mittlerweile auch anderer Lungenflügel betroffen und unsagbare Schmerzen. Wurde am Montag opperiert und wird noch Wochen brauchen bis zur Genesung. Da wir nicht mehr zusammenleben, kann er sich auch zuhause später erst mal nicht um den Kleinen kümmern. Das ist schlimm für alle Beteiligten und tut auch mir trotz Trennung echt weh. Die Geschichte passt deswegen so gut...
Habe im nachhinein die zweite Geschichte von dir auch noch gelesen. Wirklich schön, den tieferen Sinn kann ich nur bestätigen. Sage es oft zu anderen: alles im Leben hat seinen Sinn, man sieht es nur nicht immer gleich.
Liebe Grüße
Kedi
 
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