Die misshandlung und missachtung eines volkes und seiner sprache

Ottoman

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Richard Trench wusste damals, wovon er sprach. Zu seinen Lebzeiten war dank der britischen Gewaltherrschaft in Irland die Bevölkerungszahl von acht auf drei Millionen gesunken, das Gälische so gut wie ausgestorben.
Die Sprache eines Volkes ist ihr wichtigstes Gut. Sie ist die eigentliche Klammer, die Menschen eines bestimmten Kulturkreises zusammenhält, sie gibt Identität, Selbstverständnis, und damit Überlebenskraft. In zahllosen Fällen verlor eine Kulturgemeinschaft mit oft selir langer, ehrwürdiger Tradition, ihre Sprache. Der arabische Expansionismus im achten und den darauf folgenden Jahrhunderten ist dafür wahrscheinlich das bezeichnende Beispiel. Innerhalb kürzester Zeit büßten die Völker zwischen Mesopotamien und dem Atlantik ihre Muttersprachen ein. Es dürfte nur ein einziges Volk geben, das den anderen Völkern innerhalb seines Machtbereiches die autochthone Sprache beließ: Die Türken, vor allem in ihrer Stellung als Reichsvolk des Osmanischen Reiches. Nach einem halben Jahrtausend (und oft noch mehr) osmanischer Herrschaft in diesem Vielvölkerreich verloren weder die Griechen, Albaner, Serben, Kroaten, Ungarn, Bulgaren, Rumänen, Araber, Perser, Armenier, Kurden und all die anderen, kleineren Sprachgruppen ihr ureigenes Idiom... im Gegenteil, nie vorher oder nachher waren die orthodoxen, jüdischen, assyrischen und alle anderen Gemeinschaften so unabhängig und frei wie in jener Zeit. Die Misshandlung eines Volkes und seiner Sprache hat den machtpolitischen Zweck, den Gegner - im buchstäblichen Sinne - mundtot zu machen. Als Großmeister auf diesem Gebiet erwiesen sich, um ein markantes Beispiel zu liefern, die Chinesen nach der Eroberung von Ostturkestan.


Aus: SEIDENSTRASSE
DURCHS
FEUERLAND​

ERICH FEIGL
 
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