C
cild1
Guest
Liebe Grüße aus Istanbul oder Konstantinopel, wie es gerne die Europäer nennen, wahrscheinlich aus Schmach, dieses wunderbare Stück Land verloren zu haben. Aber ich kann euch beruhigen, es ist nicht mehr so wunderbar. Wir haben es kaputt bewohnt, zuletzt dachte ich zu ersticken im Smog von Istanbul.
Neyse, birakalim avrupalilari gelelim bizimkinlere.
Zur Zeit ist hier keine Spur von Unruhe, keine Demos von Ülkücüs und Irkcilar. Der Bayram hat sie mal wieder für eine kurze Zeit vereint oder besänftigt. Es ist ja auch das Opferfest, man opfert etwas, in diesem Falle opfert man wohl seine Intoleranz, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Aber immerhin, wir sind für jede Gabe dieser Art dankbar. Und trotz dieser „beopferten“ friedlichen Atmosphäre bombardiert Türkei fleißig Nord-Irak, mit großem Erfolg, wie sie jedes Mal verkündet, man habe sehr viele PKK-Stützpunkte getroffen. Die kurdischen Sender hingegen behaupten, es seien lediglich Ziegenherden, die getroffen wurden. Wahrscheinlich war die Ziegenherde ein getarnter PKK-Stützpunkt. Andere wiederum behaupten, Türkei wolle die Machtherrschaft über den Drogenhandel wiedererlangen oder überhaupt mitmischen. „Das geht aber nun wirklich nicht“, dachte ich; die Türkei ist doch islamisch regiert, nein, laizistisch-islamisch, so wie christlich-demokratisch oder so ähnlich, derzeit weiß man nicht, wie man diese Regierungsform nennen soll.
Wem soll man nun glauben, ich bin ratlos. Nichts genaures weiß man und ich am aller wenigsten.
Eine bizarre Mischung, diese laizistisch-islamische Koexistenz, deren Blüten sich vordergründig im Folgenden zeigen; bis zum Exzess geschminkte, eigentlich schöne Frauen, mit eng und unvereinbar farbenprächtigen Kopftüchern. Auch hier wären wir dankbar, wenn nur ihre Kopftücher und nicht auch noch ihre Sichtweise eng wäre.
Zur Zeit läuft eine Komödie über den laufenden Krieg mit 5 türkischen „Soldaten“, die im Nord-Irak stationiert sind und zwischen den dort stationierten Amerikanern einerseits und den kurdischen Irakern bewegen. Sie feiern mit den Irakern, bringen den Amis orientalische Bräuche bei und machen sich über den militärischen Drill sehr lustig. Eine kleine, unglückliche Liebesgeschichte gibt es auch und es kommt heraus, dass sie keine Soldaten sind, sondern 5 arbeitslose Freunde, die ihrem Land zur Seite stehen wollten und bevor sie zur Hause nichts tun, was sie ja sowieso taten, also Nichts-tun, fuhren sie runter um mal nach dem rechten zu schauen und natürlich für`s Vaterland und so weiter. Dass sie diese Komödie zulassen wurde, ist schon demokratisch, auch wenn man vor lauter Zensur nur die hälfte versteht. “Zensur und Demokratie“ schoss mir durch den Kopf, aber naja wir sind ja großzügig, so lange uns nichts anderes passiert als dass einem das Wort abgeschnitten wird, das Wort als eines der wertvollsten demokratischsten „Waffen“. Aber wie gesagt, wir sind tolerant. Warten wir`s mal ab.
Apropos Waffe; als ich mich bei meinem Freund über die alevitischen Sender (Cem, Dem, Su, Yol) beklagte, die, überall wo man schaut, immer zu Saz spielen. Sanki Sazla dogmusuz, sazla devrim yapariz, allah allah.
Also, er sagte, das ist die einzige Waffe, die uns noch geblieben ist, schau doch mal was sie aus uns gemacht haben, wie wenig spirituelles Leben wir noch haben.
Nein, sie zeigen nicht nur Saz-spieler, sondern sie erinnern auch, regelmäßig und das ist auch gut so. Und zum ersten Mal im meinem Leben, sah ich Bilder vom Maras-Massaker von 1980, entsetzlich, ich finde keine Worte dafür. Ich wusste gar nicht, dass wir so sehr gehasst werden.
Sie haben die alevitischen Häuser mit roter Farbe markiert, die angegriffen werden sollten und haben Kinder, erwachsene Männer wie Frauen gelyncht, schwangeren Frauen die Bäuche aufgeschlitzt und ermordet. Sie berichteten, dass es der nächste Nachbar war, der sie angriff. Man kann sich das eigentlich nicht angucken ohne Ekel vor menschlicher Grausamkeit zu entwickeln.
Es ist sehr schwer, die Türkei und die instabilen türkischen Verhältnisse und diese extremen Gegensätze zu ertragen. Die, die es können, haben meine volle Bewunderung. Und viele können es nur scheinbar ertragen, sie sind psychisch labil, zum Teil weisen sie paranoide Züge auf. Das Vertrauen fehlt, deswegen lügen sie, weil sie denken, man glaubt ihnen eh nicht. Es ist alles so fragil und jeder Zeit kann es kippen. Diese Verhältnisse schaffen einen Fatalismus, das dem Türken fast zur einer zweiten Haut geworden ist. In so einem Dauerzustand leben die Türkei-Türken. Das kann auf Dauer nur krank machen oder man nimmt es mit Humor. Und der türkische Humor ist genial satirisch. Ich persönlich finde ihn grandios. Solche Verhältnisse kann man nur mit viel Humor ertragen. Diese innere Zerrissenheit schafft aber auch diesen Humor.
In diesem Sinne püsküllü Grüße aus Istanbul.
Neyse, birakalim avrupalilari gelelim bizimkinlere.
Zur Zeit ist hier keine Spur von Unruhe, keine Demos von Ülkücüs und Irkcilar. Der Bayram hat sie mal wieder für eine kurze Zeit vereint oder besänftigt. Es ist ja auch das Opferfest, man opfert etwas, in diesem Falle opfert man wohl seine Intoleranz, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Aber immerhin, wir sind für jede Gabe dieser Art dankbar. Und trotz dieser „beopferten“ friedlichen Atmosphäre bombardiert Türkei fleißig Nord-Irak, mit großem Erfolg, wie sie jedes Mal verkündet, man habe sehr viele PKK-Stützpunkte getroffen. Die kurdischen Sender hingegen behaupten, es seien lediglich Ziegenherden, die getroffen wurden. Wahrscheinlich war die Ziegenherde ein getarnter PKK-Stützpunkt. Andere wiederum behaupten, Türkei wolle die Machtherrschaft über den Drogenhandel wiedererlangen oder überhaupt mitmischen. „Das geht aber nun wirklich nicht“, dachte ich; die Türkei ist doch islamisch regiert, nein, laizistisch-islamisch, so wie christlich-demokratisch oder so ähnlich, derzeit weiß man nicht, wie man diese Regierungsform nennen soll.
Wem soll man nun glauben, ich bin ratlos. Nichts genaures weiß man und ich am aller wenigsten.
Eine bizarre Mischung, diese laizistisch-islamische Koexistenz, deren Blüten sich vordergründig im Folgenden zeigen; bis zum Exzess geschminkte, eigentlich schöne Frauen, mit eng und unvereinbar farbenprächtigen Kopftüchern. Auch hier wären wir dankbar, wenn nur ihre Kopftücher und nicht auch noch ihre Sichtweise eng wäre.
Zur Zeit läuft eine Komödie über den laufenden Krieg mit 5 türkischen „Soldaten“, die im Nord-Irak stationiert sind und zwischen den dort stationierten Amerikanern einerseits und den kurdischen Irakern bewegen. Sie feiern mit den Irakern, bringen den Amis orientalische Bräuche bei und machen sich über den militärischen Drill sehr lustig. Eine kleine, unglückliche Liebesgeschichte gibt es auch und es kommt heraus, dass sie keine Soldaten sind, sondern 5 arbeitslose Freunde, die ihrem Land zur Seite stehen wollten und bevor sie zur Hause nichts tun, was sie ja sowieso taten, also Nichts-tun, fuhren sie runter um mal nach dem rechten zu schauen und natürlich für`s Vaterland und so weiter. Dass sie diese Komödie zulassen wurde, ist schon demokratisch, auch wenn man vor lauter Zensur nur die hälfte versteht. “Zensur und Demokratie“ schoss mir durch den Kopf, aber naja wir sind ja großzügig, so lange uns nichts anderes passiert als dass einem das Wort abgeschnitten wird, das Wort als eines der wertvollsten demokratischsten „Waffen“. Aber wie gesagt, wir sind tolerant. Warten wir`s mal ab.
Apropos Waffe; als ich mich bei meinem Freund über die alevitischen Sender (Cem, Dem, Su, Yol) beklagte, die, überall wo man schaut, immer zu Saz spielen. Sanki Sazla dogmusuz, sazla devrim yapariz, allah allah.
Also, er sagte, das ist die einzige Waffe, die uns noch geblieben ist, schau doch mal was sie aus uns gemacht haben, wie wenig spirituelles Leben wir noch haben.
Nein, sie zeigen nicht nur Saz-spieler, sondern sie erinnern auch, regelmäßig und das ist auch gut so. Und zum ersten Mal im meinem Leben, sah ich Bilder vom Maras-Massaker von 1980, entsetzlich, ich finde keine Worte dafür. Ich wusste gar nicht, dass wir so sehr gehasst werden.
Sie haben die alevitischen Häuser mit roter Farbe markiert, die angegriffen werden sollten und haben Kinder, erwachsene Männer wie Frauen gelyncht, schwangeren Frauen die Bäuche aufgeschlitzt und ermordet. Sie berichteten, dass es der nächste Nachbar war, der sie angriff. Man kann sich das eigentlich nicht angucken ohne Ekel vor menschlicher Grausamkeit zu entwickeln.
Es ist sehr schwer, die Türkei und die instabilen türkischen Verhältnisse und diese extremen Gegensätze zu ertragen. Die, die es können, haben meine volle Bewunderung. Und viele können es nur scheinbar ertragen, sie sind psychisch labil, zum Teil weisen sie paranoide Züge auf. Das Vertrauen fehlt, deswegen lügen sie, weil sie denken, man glaubt ihnen eh nicht. Es ist alles so fragil und jeder Zeit kann es kippen. Diese Verhältnisse schaffen einen Fatalismus, das dem Türken fast zur einer zweiten Haut geworden ist. In so einem Dauerzustand leben die Türkei-Türken. Das kann auf Dauer nur krank machen oder man nimmt es mit Humor. Und der türkische Humor ist genial satirisch. Ich persönlich finde ihn grandios. Solche Verhältnisse kann man nur mit viel Humor ertragen. Diese innere Zerrissenheit schafft aber auch diesen Humor.
In diesem Sinne püsküllü Grüße aus Istanbul.
Tu mir doch einen Gefallen und atme am Meer ganz tief den Duft ein, denn der fehlt mir so gigantisch!