Ein aktueller Artikel des "Deutsch-Türkisches-Journal"-Kolumnisten İsmail Kul beschäftigt sich mit einem "spontanen Korantest", dem CHP-Chef Kılıçdaroğlu (ist der nicht Alevit?) während einer Wahlkampftour unterzogen wurde. Von seinen Kolumnen her würde ich (den gemäßigt religiösen) İsmail Kul als eine Art "reflektierten Kemalisten" einschätzen, der dem eher sozialdemokratischen Flügel der CHP zuneigt und sich auch schon mal ein wenig historische Kritik an Atatürks Wirken und Werken erlaubt.
In seiner jüngsten Kolumne spricht Kul indirekt die Notwendigkeit der Trennung von Religion und Staat an (die türkische "Laizismus"-Variante mittels versuchter Zähmung der Religion durch Diyanet-"Verstaatlichung" derselben kann wohl als gescheitert angesehen werden).
Kul schreibt:
"Religion und Politik sind zwei verschiedene Dinge. Durch die Instrumentalisierung des Glaubens kommen wir nicht weit. Vor allem in der Türkei, wo zwar die Mehrheit dem sunnitischen Islam angehört, wo es aber auch unzählige Minderheiten gibt, die respektiert werden müssen. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, den Glauben der Menschen zu kontrollieren oder ihnen diesen beizubringen, es ist ihre Aufgabe, die Möglichkeiten zu schaffen, damit jeder seinen Glauben frei und ohne Druck praktizieren kann.
(...)
Die Türkei sollte und muss zu einem Punkt kommen, wo sich der Wähler nicht traut und auch nicht für notwendig erachtet, einen Politiker nach seinem Innersten, nach seiner Glaubenswelt auszufragen. Sie sollte zu einem Land werden, in der Kılıçdaroğlu antworten könnte: Lieber Wähler, bitte schau Dir unsere Politik an, aber meine Glaubenswelt geht Dich nichts an."
Vollständiger Artikel ("Was geht es Dich an, ob ich den Koran lesen kann") hier:
http://dtj-online.de/was-geht-es-dich-an-ob-ich-den-koran-lesen-kann-54953
In Kuls Ausführungen fehlt allerdings ein Verweis auf die "negative Religionsfreiheit". Hier geht es um das gesellschaftliche Zusammenleben von religiösen und nicht-religiösen Menschen. Während auch für das Ausleben religiöser Imaginationen gesetzliche Grenzen gezogen werden müssen (Witwenverbrennung z. B. geht gar nicht), müssen nicht-religiöse Menschen vor konfrontativ-nötigender Religionsausübung geschützt sein.