Die Cousine ist nicht die Tante

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Almancali

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Ein immer wiederkehrender Disput in unserer Familie ist das Thema "Verwandschaftsgrade" der Türkei.

Als kleines Kind war ich öfters bei den Verwandten in der Türkei (Urlaubstürke). 3-4 Wochen in die Provinzstadt, mit den Kindern spielen, Oma, Onkel, Tante, usw.

Auf Grund von sprachlichen differenzen, habe ich meine Cousinen und Cousins immer mit "Hala" und "Amca" angesprochen (... man hat es mir auch nie anders beigebracht).

Heute, 30 Jahre später, hängt mir diese Problematik immer noch am Hals und es ärgert mich sehr. Ich habe meinen Vater bereits mehrfach auf dieses Thema angesprochen, ernte jedoch immer ein gewisses Unverständnis bzw. Ablehnung.

Seit Jahren befasse ich mich hin und wieder mit dem Thema der Verwandtschaftsgrade der Türkei (Link: Wikipedia) und stelle fest, dass die Bezeichnung "Hala" und "Amca" in dieser Linie leider nicht zutreffend ist. Mich wundert es nur, dass mein Vater da nie korrigierend eingegriffen hat (... er hat es vermutlich selbst nie kapiert).

Die Kinder meines Vaters Schwester sind mit mir auf einer Stufe und demnach entweder "Halanin Kizi" oder "Halanin Ouglu". Obwohl diese nun zwar einige Jahre älter sind als ich, leider immer noch nicht Hala oder wie auch immer. Vieleicht würde ich noch ein "Abla" oder "Agbey" gelten lassen (... wegen dem Alter) mehr jedoch nicht.

Die Kinder meiner Cousinen und Cousins sprechen mich gelegentlich (... es gibt da 1-2 Ausnahmen, die haben eine Schule besucht) mit "Agbey" an, obwohl ich diese Bezeichnung als nicht zutreffend ansehe. Meine Schwester wird von diesen Kindern sogar nur mit "Abla" angesprochen. Auch diese ganze Handkussgeschichte treibt mich in den Wahnsinn. Bei ganz alten Damen und Herren (65+ Jahre), mache ich dies aus Respekt der Tradition heraus gerne. Bei meinen Cousinen und Cousins kommt mir das wie "Unterwerfung" vor.

Wie geht man mit dieser Thematik korrekt um ? Gibt es da wirkungsvolle Ideen, dies auf den rechten Weg zu bringen ?
 

sh_reloaded

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AW: Die Cousine ist nicht die Tante

Wie geht man mit dieser Thematik korrekt um ? Gibt es da wirkungsvolle Ideen, dies auf den rechten Weg zu bringen ?

Alle haben einen Rufnamen. Das muss doch als Anrede reichen.:roll: Wenn man mit Dritten über die Verwandschaft spricht , kann man das Geflecht vielleicht auch erklären. Aber so zwingend notwendig fände ich das nicht.
 
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Almancali

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AW: Die Cousine ist nicht die Tante

Alle haben einen Rufnamen. Das muss doch als Anrede reichen.

Ja richtig! Diesen diplomatischen Weg gehe ich meinerseits auch, gelegentlich gefolgt mit dem Zusatz "Kuzin" oder "Kuzen". Allerdings kommt von deren Seite dann immer "Hala" und "Amca" zurück. Auch im Gespräch "Nurcan Hala" oder "Bircan Hala" oder in Mails.

Die fühlen sich regelrecht beleidigt, wenn das nicht kommt bzw. reagieren gar nicht erst, wenn man sie namentlich anspricht. Erst als es im Urlaub zwischen meinem Vater und mir bei so einem Fall etwas kriselte, hat er denen das auch so mitgeteilt.

Da ist in der langjährigen Programmierung etwas danebengegangen und es fällt mir schwer, meinem Vater und den Verwandten dahinten die Hosen runterzulassen. Zudem kommt dann noch die sprachliche Barriere, sonst hätte ich denen das sicherlich schon selbst klar mitgeteilt.
 
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sintostyle

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Ist aber normal ... gibts bei den Sinti und Roma auch... hat was mit Respekt zu tun, wenn jemand älter ist...
 
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Almancali

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Ist aber normal ... gibts bei den Sinti und Roma auch... hat was mit Respekt zu tun, wenn jemand älter ist...

Ist das wirklich so oder liegt es nicht einfach an mangelnder Bildung ? Ich betrachte das jetzt unter damaligen türkischen schulischen Verhältnissen, wo jeder nur 4 Jahre zur Schule gehen brauchte, um dort die Grundkenntnisse zu erlernen ? Ich glaube kaum, dass dort das Thema Verwandschaftsgrade ausführlich erörtert wurde.

Wenn dem so ist - gehen wir von deiner Annahme aus, so müsste meine Schwester demnach von den Kindern meiner Cousinen, auch mit "Hala" angesprochen werden und nicht mit "Abla", da wesentlich älter. Es kann aber auch sein, dass "wir" zu sehr "eingedeutscht" sind, um es mit anderen Augen zu betrachten.
 

sh_reloaded

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Ist das wirklich so oder liegt es nicht einfach an mangelnder Bildung ? Ich betrachte das jetzt unter damaligen türkischen schulischen Verhältnissen, wo jeder nur 4 Jahre zur Schule gehen brauchte, um dort die Grundkenntnisse zu erlernen ? Ich glaube kaum, dass dort das Thema Verwandschaftsgrade ausführlich erörtert wurde.

Wenn dem so ist - gehen wir von deiner Annahme aus, so müsste meine Schwester demnach von den Kindern meiner Cousinen, auch mit "Hala" angesprochen werden und nicht mit "Abla", da wesentlich älter. Es kann aber auch sein, dass "wir" zu sehr "eingedeutscht" sind, um es mit anderen Augen zu betrachten.

Ich denke einfach mal, dass selbst grundtürkische Türken ihre Verwandschaftsverhältnisse nicht immer haargenau kennen. So handküssende Pseudohöflichkeiten machen die Verwandschaft oder die Verhältnisse derer untereinander auch nicht besser. Eindeutig Ältere, Oma, Opa, Großtanten oder Großonkel kann man sicher höflicher begegnen. Aber wenn ein Großcousin z.B. gleichaltrig mit mir wäre, dann würde ich dem nicht die Hand küssen oder mit ehrfurchtsvollen Titeln anreden. Respekt und Ehrfurcht ist auch was, was sich der, der damit überschüttet werden will, "erarbeiten" muss.
Zudem, wie Du schon richtig anmerkst, lebst Du in einem anderen Land und hast auch dessen Gepflogenheiten adaptiert. Auch DAS könnten die Verwandten anderswo als etwas als Deine eigene Art Lebensart akzeptieren.
 
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Almancali

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Ich denke einfach mal, dass selbst grundtürkische Türken ihre Verwandschaftsverhältnisse nicht immer haargenau kennen. So handküssende Pseudohöflichkeiten machen die Verwandschaft oder die Verhältnisse derer untereinander auch nicht besser.

In der Tat, diese Aussage kann ich nur unterstreichen. Meine Hoffnung liegt in der neuen Bildungsstruktur der Türkei (damit meine ich nicht Religionsschulen) und hoffe, dass mit zunehmender Bildung, sich langfristig auch das Bild der Türken an europäische Verhältnisse - sofern sinnvoll - anpasst.

Eindeutig Ältere, Oma, Opa, Großtanten oder Großonkel kann man sicher höflicher begegnen.

Sehe ich auch so. Gerade in Dörfern, wo man eindeutig ältere Damen und Herren begegnet, kann man eine gewisse Höflichkeit entgegnen.

Aber wenn ein Großcousin z.B. gleichaltrig mit mir wäre, dann würde ich dem nicht die Hand küssen oder mit ehrfurchtsvollen Titeln anreden. Respekt und Ehrfurcht ist auch was, was sich der, der damit überschüttet werden will, "erarbeiten" muss.

Zudem, wie Du schon richtig anmerkst, lebst Du in einem anderen Land und hast auch dessen Gepflogenheiten adaptiert. Auch DAS könnten die Verwandten anderswo als etwas als Deine eigene Art Lebensart akzeptieren.

Das sehe ich an meinem Vater, der kann diese Handküsserei auch nicht ab. Wenn die ganze Kompanie am Anreisetag bei uns erscheint und dies praktiziert. Allerdings macht auch er Ausnahmen und praktiziert diese Handküsserei bei 2-3 Personen. Diese sind dann aber weit über 80 Jahre alt (Vater: 74 Jahre).
 
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pauline09

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Ist das wirklich so oder liegt es nicht einfach an mangelnder Bildung ? Ich betrachte das jetzt unter damaligen türkischen schulischen Verhältnissen, wo jeder nur 4 Jahre zur Schule gehen brauchte, um dort die Grundkenntnisse zu erlernen ? Ich glaube kaum, dass dort das Thema Verwandschaftsgrade ausführlich erörtert wurde.(..)

Meinst Du wirklich, es liegt an mangelnder Bildung? Deine Erklärung im weiteren mag dafür sprechen, Almancali, aber ich fand immer faszinierend, wie filigran Verwandtschaftsverhältnisse untereinander im Türkischen beschrieben werden: ein Wort genügt, um die Binnenverhältnisse klarzustellen, wofür man im Deutschen weiter ausholen müsste (z.B. Amca - Bruder des Vaters vs. Dayı - Bruder der Mutter). Das hatte ursprünglich sicher seinen Sinn, denn in einer traditionellen Gesellschaft, in der beispielsweise auch Verwandtenehen verbreitet waren, dürfte es schon beim Anbahnen solcher Konstellationen von größerer sozialer Bedeutung gewesen sein, frühzeitig um tatsächliche Verwandtschaftsgrade zu wissen und sie abgestuft benennen zu können. Und: die osmanische Ära war nicht grad arm an floristischen Verzierungen, was die für uns erstaunlich weit ausgefächerten Differenzierungen noch befördert haben dürfte.

Ansonsten sehe ich es ähnlich wie Sintostyle: derartige Bezeichnungen sind traditionell sicher auch Ausdruck von Respekt und einer spezifischen Wertschätzung im komplexen familiären Gefüge. Dass Dich das aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen nervt, kann ich begreifen, aber inwieweit es gleich mit "Unterwerfung" zu tun hätte, darauf zurückzugreifen, ist eine interessante Frage. Dazu drängt sich eine Gegenfrage auf: Hat es für Dich auch was mit Unterwerfung zu tun, wenn beispielsweise Kinder in Deutschland ihre Eltern als Mama und Papa statt mit Vornamen anreden?
 
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pauline09

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Das sehe ich an meinem Vater, der kann diese Handküsserei auch nicht ab. Wenn die ganze Kompanie am Anreisetag bei uns erscheint und dies praktiziert. Allerdings macht auch er Ausnahmen und praktiziert diese Handküsserei bei 2-3 Personen. Diese sind dann aber weit über 80 Jahre alt (Vater: 74 Jahre).

Das ist pragmatisch und eine gute Art des Umgangs damit. :) So stößt er die Älteren nicht vor den Kopf und verbiegt sich gleichzeitig nicht.
 
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Almancali

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AW: Die Coursine ist nicht die Tante

Hat es für Dich auch was mit Unterwerfung zu tun, wenn beispielsweise Kinder in Deutschland ihre Eltern als Mama und Papa statt mit Vornamen anreden?

Es handelt sich hierbei um eine andere kausale Kette. Die Kinder stammen direkt von den Eltern ab und daher kann ich keinerlei "Unterwerfung" im herkömmlichen Sinne sehen.

Anders verhält es sich, wenn ich meine Cousine mit Tante ansprechen müsste, obwohl wir hierarchisch auf einer Ebene stehen und alterstechnisch nicht wesentlich weit auseinander liegen (... es gibt auch ältere Cousinen).

Selbst die Verwandtschaftshierarchien der Türkei (siehe Wikipedia Link im vorherigen Kommentaren), gliedert diese Beziehungen sehr genau. Die Cousine bleibt die Cousine und nicht die Tante.

Wie ein weiterer Forist hier bereits beschrieben hat, kann davon ausgegangen werden, dass selbst bei ur-Türken nicht ganz klar ist, wie die Verwandtschaftsverhältnisse geprägt sind. Dieser Aussage kann ich eher folgen, als der Aussage im Zusammenhang um Respekt.

Zum Thema Heirat möchte ich mich nicht weiter äußern, da das ein Thema ist, welches ich nicht mit der Zange anfassen möchte. Nur so viel: Ich finde es befremdlich und höchst irritierend, wenn die Ehefrau des Mannes zu ihrem Schiwegervater "Onkel" sagt. Sprich: Die Frau des Sohnes (des Vaters) ist die Tochter der Schwester (des Vaters) also Cousine. Weitere Antworten zu diesem Punkt über "Ehen" gebe ich nicht, da wie gesagt, ein heikles Thema.
 
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