lieber Zerd

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Pit 63

Guest
Ich glaube tatsächlich, dass wir eine neue Ethik brauchen, und zwar eine solche, die sich dieser Umstände bewusst ist, dass also die grundlegende Axiomatik beliebig ist (und kein Grund mehr, sich dafür die Köpfe einzuschlagen oder einen Gesellschaft nach dem Prinzip homo homini lupus zu organisieren)

wir aber dennoch eine gewisse Kontinuität und Verlässlichkeit im Umgang miteinander benötigen,


obwohl jedem weit gehend die Möglichkeit gelassen wird, sein Leben nach seiner eigenen Facon zu gestalten.


Genau dazu gehört eben auch, dass wir sehr enge Grenzen um diesen öffentlichen, ethischen, allgemeingültigen und damit auch fordernden Bereich ziehen und dem Menschen den größtmöglichen Freiraum in seinem rpivaten Lifestyle-Bereich lassen und die öffentlichen Ansprüche an ihn auf das das friedliche vernünftige Zusammenleben garantierende Minimum reduzieren.

Unabhängig von der Unterscheidung in Ethik und Lifestyle, lese ich die vier Absätze vereinfacht wie folgt:

Wir brauchen eine freiheitlich- liberale Gesellschaftsordnung

Wir brauchen eine sozial-moralisch verbindliche Ordnung für alle

Wir brauchen eine individualistische Gesellschaftsordnung

Wir brauchen eine individualistische freiheitlich- liberale Gesellschaftsordnung

Falls Du es in etwa so meinst, stimme ich Dir zu, die Gesellschaft braucht beides, ein möglichst uneingeschränktes freies individualistisches leben und leben lassen einerseits, ein für alle verbindliches ethisches moralisches und soziales Miteinander andererseits.

Die beiden Ansprüche stehen im menschlichen Umgang miteinander in einem schwer aufzulösenden Spannungsfeld. Dieses Spannungsfeld wird aber von den meisten nicht nur wahr- sondern auch ernst genommen.
Ausgehend von den Rechtsverhältnissen könnte man meinen, im freien Westen sei dieses Spannungfeld gut aufgelöst worden. Ergründet man die Ethik nur aufgrund der geltenden Rechtsnormen, glaubt man an eine blühende wohlfeile Gesellschaft, mit der alle einverstanden sein sollten. Dass die gesellschaftliche Realität zunehmend eine andere Sprache spricht, liegt auf der Hand. Das Problem ist so alt wie die Menschheit selbst. Man hält sich nicht an die Regeln. Und der Fisch stinkt vom Kopf her. Wenige Mächtige betrügen und manipulieren im eigenen Interesse zulasten Vieler und die Staatsführung beteiligt sich an diesem Betrug. Das egoistische Betrugsprinzip setzt sich von oben nach unten fort. Selbst die Kinder aus an sich vorbildlichen Familien beteiligen sich im Erwachsenenleben daran bzw. lassen sich korumpieren. Das es so ist, liegt mE nach an der mehr oder weniger unbewussten Einstellung des Menschen, dass Recht Macht ist. Nach dieser Überzeugung ranken sich Recht und Unrecht immer um die persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse.
Diese grundlegende Überzeugung kommt mE nach gerade auch in der Vegetarismusdiskussion sehr anschaulich zum Ausdruck.

Die Diskussion über die Unterscheidung zwischen Ethik und Lebensart halte ich im Zusammenhang mit Tierrechten und Liebe/Sexualität für unnötig, denn so verschieden die Begriffsbedeutungen auch sind, so eng liegen sie faktisch beieinander.
Ganz allgemein lässt sich sagen: Je nach Ethik stimmt eine Lebensart damit überein oder auch nicht. Dass man die Fragen der Lebensart nicht mit Ethik gleichsetzt, liegt ganz einfach daran, dass es zu kompliziert und umfangreich wäre, alle möglichen Lebensinhalte einer gesonderten ethischen Betrachtung zu unterziehen und dass man deshalb losgelöst davon allgemeine ethische Regeln aufstellt, unter die man die Lebenssachverhalte dann einsortiert.
Bei grundlegenden gesellschaftlichen Fragen, wie dem Lebenrecht des Tieres oder des Sexualverhaltens liegt der ethische Bezug aber auf der Hand.
 
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Pit 63

Guest
Zum Thema Öffentlichkeit oder Privatheit von Liebe, Sexualität, Beziehung. Ich bin für Privatheit von Sexualität in dem Sinne, dass Sexualität in der Öffentlichkeit nichts verloren hat. Ich bin aber auch dafür, dass alle sexuellen Partnerschaften im öffentlichen Raum Bestand gleichberechtigt nebeneinander existieren und in Erscheinung treten dürfen.
 

Zerd

Well-Known Member
Unabhängig von der Unterscheidung in Ethik und Lifestyle, lese ich die vier Absätze vereinfacht wie folgt:

Wir brauchen eine freiheitlich- liberale Gesellschaftsordnung

Wir brauchen eine sozial-moralisch verbindliche Ordnung für alle

Wir brauchen eine individualistische Gesellschaftsordnung

Wir brauchen eine individualistische freiheitlich- liberale Gesellschaftsordnung

Falls Du es in etwa so meinst, stimme ich Dir zu, die Gesellschaft braucht beides, ein möglichst uneingeschränktes freies individualistisches leben und leben lassen einerseits, ein für alle verbindliches ethisches moralisches und soziales Miteinander andererseits.

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Lieber Pit, was Du da tust, ist keine Zusammenfassung oder gar Übersetzung meines Beitrags, sondern ein Perspektivwechsel, der mein Kernanliegen völlig übersieht und dann fast zwangsläufig zu dem pessimistischen deprimierenden Resumee führt, das Du in der Folge präsentierst. Du begreifst die Angelegenheit ganz offensichtlich auf eine politische Weise von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen her, ich jedoch spreche die Einzelperson an, das Individuum, die Privatperson im Rahmen seiner Vernunft und Möglichkeiten, seiner Freiheit, weit gehend unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die gerade herrschen.

Wir waren mit Dir schon einige Male an diesem Punkt angelangt, der der Hauptunterschied unserer Herangehensweisen an solche Dinge zu sein scheint. Ich erkenne in Deinen Erläuterungen immer einen ganz tief sitzenden Pessimismus dem Menschen und seinen Möglichkeiten gegenüber; wenn Du immer wieder gewisse gesellschaftliche Rahmenbedingung betonst, dann hört sich das so an, wie wenn alle Menschen nur hilflose Marionetten wären, die völlig abhängig sind von diesen Rahmenbedingungen, mit denen sie offensichtlich gar nichts zu tun haben; wenn Du schreibst, der Fisch stinkt vom Kopf her, dann hört sich das so an, wie wenn alle Menschen überhaupt keinen eigenen Kopf, eine Freiheit, eigene Vorstellungen hätten, sondern immer nur gespannt und angebunden auf ihre Oberen schauen, um ihnen nachzueifern und zu gehorchen; wenn Du von den heute vorherrschenden Umständen ausgehend schreibst, dass das im Grunde seit Menschengedenken so war, dann verkennst Du völlig, welchen Weg die Menschheit seit Beginn der Kulturgeschichte schon beschritten und hinter sich gebracht, auch wenn wir uns derzeit diesbezüglich auf einer Talsohle befinden sollten.

Diesen Pessimismus teile ich einfach nicht, ich will ihn nicht teilen! Ich denke, dass die Menschen in den vergangenen zehn Jahrtausenden hervorragendes geleistet und sich dabei permanent weiterentwickelt haben, auch wenn diese Entwicklung nicht immer linear und regelmässig verlief, sondern eher zyklisch mit Phasen zwischendurch, in denen es auch rückwärts ging, wie zur Zeit eben wieder. Ich denke auch nicht, dass die Menschen nur manipuliert und an der Nase herumgeführt werden von ihren Führern, sondern dass sie genau die Führer haben, die im großen und Ganzen ihren Wünschen entsprechen, ihren gegenwärtigen Bedürfnissen und Zielen entsprechen. Ich traue den Menschen durchaus zu, dass sie sich von der gegenwärtigen Irritation, die sehr viele diverse Gründe hat wie etwa die beschleunigte Entwicklung, die explodierende Reizüberflutung, die wegfallende Orientierung durch den Niedergang der modernen Metaerzählungen und einem verschärften Generationenkonflikt, die Endzeitstimmung aufgrund knapp werdender Reserven usw., früher oder später wieder erholen wird, eine unserer Zeit angemessene nachhaltige und beständige Lebensweise findet und dann (aber eben erst dann) auch die entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu schafft mit den Führern und Vertretern, die dann ihren Bedürfnissen und Zielen am ehesten entsprechen werden.

Darum spreche ich die Einzelperson an, darum fordere ich sie auf, unabhängig von herrschenden Trends und vermeintlichen Wahrheiten sich ihre eigenen Gedanken zu machen auf der Basis der ihr gegebenen Vernunft und in sich schlüssig, darum lege ich auch so viel wert auf diese scharfe Grenze zwischen Lebensweise und ethischen Ansprüchen, damit diese Person den Raum ihrer eigenen Möglichkeiten und Freiheiten absteckt und dabei nicht auf gemeinschaftlicher Ebene neue Pole und Irritationen und Reibungspunkte schafft.

Ich habe mir die Freiheit genommen, die Dinge ganz bewusst so zu betrachten und zu begreifen, wie ich es für angemessen halte. Und was soll ich sagen: es funktioniert blendend, sowohl was meine eigene persönliche Entwicklung betrifft als auch, was das Verständnis menschlichen Verhaltens, historischer Vorgänge, gesellschaftlicher Vorgänge oder auch das Eintauchen in unterschiedlichste Vorstellungswelten betrifft. Ich bin zufrieden damit und arbeite jeden Tag weiter an diesem Modell, immer, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.
 

Majnomon

Well-Known Member
Lieber Pit, was Du da tust, ist keine Zusammenfassung oder gar Übersetzung meines Beitrags, sondern ein Perspektivwechsel, der mein Kernanliegen völlig übersieht und dann fast zwangsläufig zu dem pessimistischen deprimierenden Resumee führt, das Du in der Folge präsentierst. Du begreifst die Angelegenheit ganz offensichtlich auf eine politische Weise von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen her, ich jedoch spreche die Einzelperson an, das Individuum, die Privatperson im Rahmen seiner Vernunft und Möglichkeiten, seiner Freiheit, weit gehend unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die gerade herrschen.

Wir waren mit Dir schon einige Male an diesem Punkt angelangt, der der Hauptunterschied unserer Herangehensweisen an solche Dinge zu sein scheint. Ich erkenne in Deinen Erläuterungen immer einen ganz tief sitzenden Pessimismus dem Menschen und seinen Möglichkeiten gegenüber; wenn Du immer wieder gewisse gesellschaftliche Rahmenbedingung betonst, dann hört sich das so an, wie wenn alle Menschen nur hilflose Marionetten wären, die völlig abhängig sind von diesen Rahmenbedingungen, mit denen sie offensichtlich gar nichts zu tun haben; wenn Du schreibst, der Fisch stinkt vom Kopf her, dann hört sich das so an, wie wenn alle Menschen überhaupt keinen eigenen Kopf, eine Freiheit, eigene Vorstellungen hätten, sondern immer nur gespannt und angebunden auf ihre Oberen schauen, um ihnen nachzueifern und zu gehorchen; wenn Du von den heute vorherrschenden Umständen ausgehend schreibst, dass das im Grunde seit Menschengedenken so war, dann verkennst Du völlig, welchen Weg die Menschheit seit Beginn der Kulturgeschichte schon beschritten und hinter sich gebracht, auch wenn wir uns derzeit diesbezüglich auf einer Talsohle befinden sollten.

Diesen Pessimismus teile ich einfach nicht, ich will ihn nicht teilen! Ich denke, dass die Menschen in den vergangenen zehn Jahrtausenden hervorragendes geleistet und sich dabei permanent weiterentwickelt haben, auch wenn diese Entwicklung nicht immer linear und regelmässig verlief, sondern eher zyklisch mit Phasen zwischendurch, in denen es auch rückwärts ging, wie zur Zeit eben wieder. Ich denke auch nicht, dass die Menschen nur manipuliert und an der Nase herumgeführt werden von ihren Führern, sondern dass sie genau die Führer haben, die im großen und Ganzen ihren Wünschen entsprechen, ihren gegenwärtigen Bedürfnissen und Zielen entsprechen. Ich traue den Menschen durchaus zu, dass sie sich von der gegenwärtigen Irritation, die sehr viele diverse Gründe hat wie etwa die beschleunigte Entwicklung, die explodierende Reizüberflutung, die wegfallende Orientierung durch den Niedergang der modernen Metaerzählungen und einem verschärften Generationenkonflikt, die Endzeitstimmung aufgrund knapp werdender Reserven usw., früher oder später wieder erholen wird, eine unserer Zeit angemessene nachhaltige und beständige Lebensweise findet und dann (aber eben erst dann) auch die entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu schafft mit den Führern und Vertretern, die dann ihren Bedürfnissen und Zielen am ehesten entsprechen werden.

Hierfür meine weitestgehende Zustimmung!

Darum spreche ich die Einzelperson an, darum fordere ich sie auf, unabhängig von herrschenden Trends und vermeintlichen Wahrheiten sich ihre eigenen Gedanken zu machen auf der Basis der ihr gegebenen Vernunft und in sich schlüssig, darum lege ich auch so viel wert auf diese scharfe Grenze zwischen Lebensweise und ethischen Ansprüchen, damit diese Person den Raum ihrer eigenen Möglichkeiten und Freiheiten absteckt und dabei nicht auf gemeinschaftlicher Ebene neue Pole und Irritationen und Reibungspunkte schafft.

Hierfür eingeschränkt... ganz ohne Reibungspunkte und Irritationen scheint es offensichtlich nicht zu gehen bis wir als Weltgemeinschaft soweit sind, dass von einer wirklichen Harmonie gesprochen werden kann. Wäre sonst vielleicht auch ein bisschen langweilig.
 
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Pit 63

Guest
@Zerd
Meine Ansicht mag Dir pessimistisch erscheinen aber ich nehme das so nicht wahr.
In meiner Wahrnehmung betrachte und bewerte ich das Leben möglichst unvoreingenommen und versuche, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Dass die Karten im Moment gesellschaftlich schlecht verteilt sind, das ist halt so.

Das Individuum, die Person ist das Ergebnis seiner Konditionierung. Das Leben selbst halte ich aber nicht für etwas persönliches. Ich glaube, nicht der Mensch hat ein Leben sondern das Leben hat einen Menschen. Alle Menschen werden immer schon in eine Welt geworfen, finden immer schon ein Welt vor, die sie von sich trennt, begrenzt und prägt. Deshalb ist auch der Machtgedanke so verührerisch.

Die Tatsache, dass seit Beginn der Geschichte im Rahmen gesellschaftlicher Hierarchien Wenige Viele beherrschen und manipulieren heisst nicht, dass sie nicht selbst das Ergebnis ihrer Konditionierung sind.
Ich spreche die Menschen selbstverständlich als Individuum an, um diese Zusammenhänge zu erkennen und ggf. die Rahmenbedingungen in einem ganz konkreten politischen aber auch in einem weiteren ethisch-moralischen oder sogar spirituellen Sinne zu ändern.

Liebe, Freiheit, Glück beruhen mE nach auf der (in der Regel nicht bewusst erkannten oder erfahrenen) Fähigkeit zur Transzendenz des Individuellen. Das übersieht der konditionierte Mensch nur meistens und projiziert seine Erfahrungen von Liebe, Freiheit und Glück stattdessen auf Personen oder Ereignisse oder Vorstellungen davon. Diese möchte er erreichen, festhalten, wiederholen usw. was aber letztlich nicht funktioniert.

In der Transzendenz werden aber die Grenzen der ratio überschritten.
 

Majnomon

Well-Known Member
Liebe, Freiheit, Glück beruhen mE nach auf der (in der Regel nicht bewusst erkannten oder erfahrenen) Fähigkeit zur Transzendenz des Individuellen. Das übersieht der konditionierte Mensch nur meistens und projiziert seine Erfahrungen von Liebe, Freiheit und Glück stattdessen auf Personen oder Ereignisse oder Vorstellungen davon. Diese möchte er erreichen, festhalten, wiederholen usw. was aber letztlich nicht funktioniert.

In der Transzendenz werden aber die Grenzen der ratio überschritten.

Bei Dir wirkt es hingegen oft so, als würdest Du Deine Erfahrungen des Abgründig-Bösartigen bzw. Machtmissbräuchlichen auf "Die da Oben" projizieren und damit personalisieren/abspalten, anstatt sie zu transformieren/transzendieren.

(Will Dich darauf nicht festnageln, ist nur so ein subjektiver Eindruck)
 
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Pit 63

Guest
Bei Dir wirkt es hingegen oft so, als würdest Du Deine Erfahrungen des Abgründig-Bösartigen bzw. Machtmissbräuchlichen auf "Die da Oben" projizieren und damit personalisieren/abspalten, anstatt sie zu transformieren/transzendieren.
(Will Dich darauf nicht festnageln, ist nur so ein subjektiver Eindruck)
Das wäre natürlich falsch. Wenn das unbewusst geschieht, ist das die Macht der Gewohnheit. Ich bin mir meiner Schwächen und Abgründe an sich schon bewusst- glaube ich zumindest.
Nichtsdestoweniger bedeutet aus meiner Sicht mehr Macht auch mehr Verantwortung.
 

NeoAslan+

Well-Known Member
Meine Güte, wieso fällt es euch nur so schwer, euch mit den Gedanken und Inhalten zu befassen und diesen eure eigenen Vorstellungen gegenüberzustellen? Warum verschwendet ihr nur so viel Zeit und Energie darauf, euch völlig unnötigerweise an der Person abzuarbeiten?...
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Tanrısız56

Well-Known Member
Für mich ist bspw auch die Religion eine Privatangelegenheit, die jeder Gläubige mit sich und allenfalls auf direktem Wege mit seinem Gott oder sonstigen Heiligen auszumachen hat. So kann Religion auch in der heutigen Zeit noch funktionieren und vielen Menschen einen Segen, Stabilität und inneren Frieden bringen. Aber sobald irgendwelche Glaubensvertreter auf die Idee kommen, dass es sich bei gerade ihrer Religion um eine "öffentliche Angelegenheit von allgemeinem und naturrechtlichen Interesse" handeln könnte, solange werden auch Kinder zwangsweise indoktriniert, in Schulen mit überwiegend fundamentalislamisch geprägter Schülerschaft nicht fastende Schüler im Ramadan vermöbelt, in der Redaktion von Charlie Hebdo explodieren Bomben usw.

Das kommt dabei heraus, wenn Du eine im Grunde private Angelegenheit - weil sie sich eben nicht tragfähig und unzweifelhaft vernünftig begründen lässt und somit letztendlich eine ganz persönliche individuelle Präferenz darstellt - wenn Du aus so einer privaten Angelegenheit eine öffentliche Angelegenheit von allgemeinem und naturrechtlich-existentiellem Interesse machst.

Mal als Info: In einem anderen (privaten) Forum (es ging um's Christentum und seine gesellschaftlichen Implikationen, Auswirkungen usw.) habe ich oben Zitiertes gepostet. Hier meine Einleitung dazu:

Solange wir in einer (wenn auch krisengeschüttelten) bürgerlichen Gesellschaft mit der (inzwischen einigermaßen zerfledderten) Trennung von "privat" und "öffentlich" leben,
solange sich Gesellschaft in Staat hier und Ökonomie dort doppelt, halte ich die (in D'land "hinkende") Trennung von Staat und Religion für äußerst wichtig. Ich zitiere hier mal zustimmend einen User aus dem Forum "Turkish Talk", der dazu folgendermaßen formuliert:

Ansonsten zum Thema Polyamorie. Habe mich damit bisher nicht viel befasst, aber kürzlich zwei interessante Beiträge gefunden, die ich hiermit weiterreichen möchte.

Beide recht umfassenden Einlassungen propagieren nicht "Polyamorie" als neues postmodernistisches Vademecum, sondern wenden sich gegen die Normierung von Beziehungen, gegen die sog. "Mononorm". D. h. auch selbstgewählte monogame, zölibatäre, asexuelle usw. Lebensformen sollen möglich sein. Stefan Meretz bringt unter der Überschrift "Polyamorie und Neoliberalismus" eine "privatistische Variante" von Polyamorie ins Spiel ("ist kompatibel und nachgefragt im flexiblen, neoliberalen, emotionalen Kapitalismus"), die er von "Emanzipation" als "Prozess und Ziel der Aufhebung überkommener Verhältnisse" absetzt. Und zwar

"mit drei Bedeutungen: - Bruch mit Mononorm, Warenform, Eigentum
- Bewahrung von Liebe / Sex, Commons, Besitz
- Umwandlung in Freiheit, Reichtum, Selbstbestimmung

Link zu Stefan Meretz' Polyamorie-Vortrag:

http://keimform.de/2015/polyamorie-vortrag-in-trier/

Nicht als audiovisueller Vortrag, sondern als im Netz zugängliches Papier, als "Steinbruch vorhergehender und weiterführender Überlegungen", kommt Andreas Exners Beitrag "Polyamorie und die Einhegung der Liebe" daher. Es ist schon einige Zeit verstrichen, seit ich dieses Papier gelesen habe. Als Kritikpunkt in Erinnerung geblieben ist mir die Ausblendung der spätantiken ("Massaker von Thessaloniki"), mittelalterlichen und frühneuzeitlichen christlichen "Sodomiterverfolgung", die über die Konstruktion von mann-männlichen Fleischesakten als "Defekt der Natur" (Thomas von Aquin) zur heutigen Dichotomie (mit wenig dazwischen) von Heterosexualität hier (normativ gefordert, gefördert usw.) und Homosexualität dort (ggf. zu tolerien usw.) geführt hat.

Link zu Andreas Exners Papier "Polyamorie und die Einhegung der Liebe":

http://www.social-innovation.org/?p=4910

Und zum Anfüttern noch ein bisschen Text aus Exners Polyamorie-Beitrag:

Die Liebe in Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Haushalten, der einzelne Haushalt als ihre Elementarform. Unsere Untersuchung, so könnte eins Marx paraphrasierend fortfahren, beginnt daher mit der Analyse des Haushalts 1.

Höchst erstaunlich wäre es, würde jene Gesellschaft, worin der Reichtum die Form einer „ungeheuren Warensammlung“ (Marx) annimmt, die Basis dieses Reichtums 2, die „privaten“ sozialen Beziehungen nämlich, von dieser Form ganz ausnehmen.

In der Tat: Der „private“ Haushalt und die darin eingehegte Liebe bilden die zu Markt, Staat und Öffentlichkeit komplementäre Seite. Sie befinden sich nicht jenseits davon, sondern sind ihnen inwändig eingelagert. Sie sind nicht das lichte Andere, das der Warengesellschaft entgegen steht, sondern bilden ihre dunkle Einstülpung 3.

Eine Überwindung der Gesellschaft des Privateigentums erfordert die Überwindung der dieser Gesellschaftsform eigentümlichen, mononormativen Liebesverhältnisse.

Die Liebesverhältnisse des Fordismus definierten klare Eingrenzungen: gegenüber der oder dem „Ex-Geliebten“, gegenüber allen „platonischen Beziehungen“.

Die Liebesverhältnisse des Post-Fordismus werden einerseits komplex, differenziert, hybride, flüssig und entgrenzen sich; andererseits prekär, fragmentiert, nüchtern.

Diskurs und Praxis der Polyamorie als „verantwortungsvoller Nicht-Monogamie“ 4 entwickeln sich auf Basis postfordistischer Subjektivität. Sie markieren zugleich Versuche einer emanzipatorischen Auflösung der ihr innenwohnenden Widersprüche.

DIE FORM DES HAUSHALTS

Der bürgerliche Haushalt ist eine historisch spezifische Institution, die sich durch die versuchte Fusionierung von erstens privater Wirtschaftsgemeinschaft (mit geschlechtlicher Arbeitsteilung), zweitens Liebe und drittens Sexualität konstitutiert 5.

Sein emotionaler Kern ist die Monogamie. Sie bedeutet eine Einhegung der Liebe.

Die leidenschaftliche, innige Liebe ist ihrem Wesen nach etwas Überfließendes, den Menschen Ergreifendes, bildet Kollektivität und subvertiert soziale Formen 6.

Liebe ist ein leeres begriffliches Zentrum, um das herum sich verschiedene adjektivisch zu fassende, komplexe Gefühlslagen und Haltungen gruppieren. Auch wenn Liebe im Folgenden nicht definiert werden soll, wird von einem grundsätzlichen Widerspruch zwischen liebevollem Begehren und sozialen Formen, die dieses Begehren normieren, ausgegangen. Das Begehren selbst – ein schwacher, dem Trieb verwandter Hilfsausdruck für die Liebe – zeigt sich immer in bestimmten sozialen Formen oder spezifischen Kulturen 7, sein Wesen aber ist formlos und vor-kultürlich. Dies impliziert nicht die Annahme einer Authentizität von Liebe. Betont werden soll vielmehr der konfliktorische Charakter zwischen Gefühlsinhalt und sozialer Form 8.

Liebe und Sexualität sind historisch spezifische Begriffe. Die antiken Griechen kannten zehn verschiedene Formen dessen, was wir heute Liebe nennen würden 9. Sexualität wurde in dieser Kultur nicht als etwas von Liebe Getrenntes begriffen und erlebt, auch nicht als private Lust, sondern wie Liebe als eine gefühlsmäßige Atmosphäre 10. Auch das Mittelalter kannte keinen Begriff des Sexuellen 11. Physisch aufgefasste sexuelle Handlungen können von Liebe definitorisch getrennt werden. Im Weiteren wird dieser Unterscheidung aber keine herausgehobene Bedeutung beigemessen, jedenfalls liegt der Fokus auf der Liebe als leerem begrifflichen Zentrum 12.

Zu bemerken: Während Liebe das klischeehafte Bild weißer Hochzeit erwecken mag, gemahnt der in der Linken beliebtere Begriff der Sexualität an das medizinische Lehrbuch. Beide Konnotationen und Begriffsvorlieben verweisen auf ein Defizit.
 
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