Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Jusuf

New Member
Im Sommer 2001, kurz vor den Anschlägen in den USA, rief mich ein Freund an und erzählte mir, dass er nächsten Sommer per Rad von Istanbul nach Tehran radeln wolle. Da ich schon immer eher Abenteuer als Erholung empfand und nicht so gerne an einem Ort verbleibe (die Welt ist zu schön um sie nicht ganz zu entdecken), hatte ich spontan meine Bereitschaft mitzufahren angekündigt. Gesagt, getan.

Was das allerdings wirklich bedeutete, dass realisierte ich erst, als es darum ging das Rad und die Tour entsprechend vorzubereiten. Während mein Freund beide Sprachen studierte und auch noch Marathonläufe jedes Jahr absolvierte, war ich mit meinem 12 Kilo Rad, keinerlei sportlicher Betätigung im Vorfeld, dazu noch konditionell mit Kleinkindern zu vergleichen und zu allem Übel auch noch Raucher, tendenziell eher nicht qualifiziert für so einen Trip. ;)) Egal. Ein Mann, ein Wort..

Wir waren ja noch nie da und dachten uns, wenn wir erst mal über den Bosporus übersetzen, dann fahren wir an der Schwarzen Meerküste entlang. Die Illusion von verlässlich ebenen Strassen entlang einer Küste war dann doch schnell geplatzt. Die Hügelketten entlang er Küste waren für mich die erste Reifeprüfung dieser Reise... bergab ging es ja, aber immer nur für ganz kurze Zeit.

Wir hatten jeweils 12 Kilo Gepäck in unseren Taschen, Wasser dazu und ich noch meine dicke Nikon-Kamera, denn wir wurden gesponsert von einem Outdoorladen, der wollte als Gegenleistung Fotos, die er auch bekam.
Wir hatten kleine Ein-Mann-Moskitonetz-Zelte, die zusammengefaltet etwa Pizzagröße und -dicke hatten. Einmal auswerfen und flapp - flapp - das Zelt steht. Ziemlich praktisch, aber wenn es regnet... aber es war ja Sommer.

Nun gut. Nach diesen ersten Tagen haben wir dann schnell beschlossen auf den Hauptstrassen zu fahren, da die doch eher flach waren, auch wenn es nach Osten hin stetig aufwärts geht. Ursprünglich wollten wir nicht die Hauptstrassen nehmen sondern uns so irgendwie durch die Dörfer unseren eigenen Weg finden, aber das war doch sehr naiv.

In der Mittagshitze sind wir nicht gefahren und ich war wirklich froh darüber. Eigentlich wollte ich diese Pausen immer nutzen um auf Fotojagd zu gehen und Echsen zu fangen. Ich hatte den Biologen am Naturkundemuseum in Bonn versprochen, dass ich Beute machen würde. Fotographisch als auch echte Beute. Damit meinen wir aber überfahrene Tiere am Strassenrand, die ich allerdings erst im Iran dann aufsammeln konnte. In der Türkei, also am Anfang, war meine Kondition schlicht nicht vorhanden und ich musste die Pausen mittags auch immer wirklich zur Erholung nutzen. Erst in Dogubayazit hat sich das geändert.

Von den Menschen, schlechter Sucuk und Nächten in Wäldern wo Bären vorkommen, erzähl ich dann beim nächsten mal.

Bis demnächst

Jusuf
 

Janett

Member
AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Au fein. Hat spaß gemacht zu lesen... und Fortsetzung ist ganz unbedingt erwünscht.
Danke Jusuf
 

Mutter Courage

Gesperrt
AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Vielen Dank, Jusuf. Hab ich doch richtig gewusst, dass wir mit dir hier noch viel Spaß haben werden . :-D
 

Lillifee

Member
AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Ja, so habe ich mir das vorgestellt! Bin schon gespannt auf die Fortsetzung.
:-D
 

lilly_milly

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AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

eigentlich sind reiseberichte nicht so mein ding, aber diesen hab ich gerne gelesen und freu mich auf die fortsetzung.
 
S

sommersonne

Guest
AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Bitte warte nicht so lange mit der Fortsetzung. Wir sind schon sehr neugierig.
 

blackcyclist

Gesperrt
AW: Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 1

Als passionierter Radfahrer finde ich deine Geschichte auch sehr interessant und freu mich auf weitere Teile.
 

Jusuf

New Member
Per Fahrrad von Istanbul nach Tehran, Part 2

Wir hatten uns immer so durchschnittlich 80-90 Kilometer als Tagesetappe vorgenommen. Meistens hatten wir in irgendwelchen Obstbaum-Gärten, neben Feldern oder am Rand von Dörfern gezeltet, ein paar Mal auch in Häusern, die noch im Bau waren. In größeren Städtchen sind wir auch schon mal in Hotels oder ähnlichen Einrichtungen untergekommen (duschen, waschen, wollten wir ja auch zumindest ab und zu…;). Manchmal haben wir auch kleine Bäche genutzt um zu waschen und uns zu reinigen.

Essen war nie ein Problem. Wir wurden teilweise regelrecht hofiert, weil da zwei „Außerirdische“ auf ihren Bikes plötzlich ankamen. Mein Kumpel in seinem rot-schwarzen Radler-Dress sah wirklich aus wie Spocky, der Vulkanier vom Raumschiff Enterprise…;) Wir haben auch oft ehemalige Deutsch-Türken getroffen, die uns dann zum Mittagessen eingeladen haben, oder zum Tee zu ihnen nach Hause. Sie sind wieder zurück in die Heimat und verleben ihren Lebensabend dort. Die Europa-Debatte war da gerade ganz wichtig. Und natürlich die amerikanische Hetzkampange gegen die Achse des Bösen.

Einmal hatten wir zu Abend Fladenbrot und Sucuk. Irgendwie hat sie komisch geschmeckt, nicht so wie wir sie kannten aus Köln, wo ja eine riesige türkische Gemeinde lebt. Na, eben ein anderes Rezept. Dann kam eine Katze vorbei und wir wollten ihr ein wenig von der Wurst abgeben… sie hat kurz geschnuppert und ist dann in angewiderten Arroganz von uns gegangen... Wir sahen uns an und wussten… die nächsten zwei Tage werden unangenehm… Tja, mit Diarrhö, so der medizinische Fachbegriff, und Magenkrämpfen lässt sich eher schlecht als recht die wilde Türkei genießen… Wir sind dann auf Fladenbrot und Schafskäse umgestiegen;)

Ein anderes Mal wollten wir in der Nähe eines Dorfes auf abgemähten Feldern übernachten. Die Dorfkinder haben uns zufällig gesehen und haben ganz wild gestikuliert und waren recht aufgebracht. Nach ein paar Mal blättern im Wörterbuch hat dann mein Freund etwas konsterniert gemeint: Wir sollten hier besser nicht bleiben, die Kinder sagen es gibt Bären hier… Schluck! Wir wurden also zurück zum Dorf eskortiert und nach allem möglichen gefragt. Die Räder wurden selbstverständlich auch von Millionen Händen begutachtet, genauso wie unsere gesamte Ausrüstung bis hin zu den Mützen…;)
Mitten im Dorf wurde uns dann ein Platz zugewiesen, an dem wir zelten durften. Am nächsten Morgen kam der Anführer von den Jungs und brachte uns selbstgemachtes Brot und selbst gemachte Walderdbeerenmarmelade. Köstlich. Erwachsene hatten wir da aber nicht gesehen…

Nun gut. Wir waren also in Bärengebiet. Und es waren lange, dunkle Wälder, die wir durchquerten. Ich kann mich nicht mehr an den Namen der Gegend erinnern, aber es war erfrischend kühl im Schatten der Bäume. Eines Abends aber waren wir nicht mehr in unmittelbarer Nähe von Zivilisation und wir mussten wohl oder übel dort bleiben wo wir waren. Wir fuhren also links ab in die Wildnis und fanden neben einer Eisenbahntrasse einen Apfelbaumgarten. Mein Kumpel meinte, das wäre der ideale Platz, ein Bach rauschte auch in der Nähe, wir konnten uns waschen, was gut war, wie ich dachte, denn Bären riechen extrem gut… Daher bestand ich auch darauf, dass wir die Marmelade von dem Jungen samt dem leckeren Brot möglichst weit weg von unserem Schlafplatz deponieren. Ich würde übertreiben, aber ich habe es trotzdem getan.

Diese Nacht war die längste Nacht meines Lebens. Zwei, drei Mal kam ein Zug und der Höllenlärm hatte tatsächlich was Beruhigendes für mich, denn ich dachte, Bären mögen so einen Lärm nicht. Dann fielen aber immer wieder Äpfel von den Bäumen und das „Plopp“ war ein extrem erschreckendes und unangenehmes Geräusch. Dann fiel mir ein, dass Bären auch Äpfel mögen und ich verbrachte fast die ganze Nacht damit, um nach sich bewegenden, trottenden, großen Silhouetten zu spähen… Ich hatte mein Taschenmesser neben mir, den Schlafsack nicht zugezogen, das ich schnell reagieren könnte falls… aber was macht man bei einem Bären schon. Ich hatte Panik. Irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich schunkelte in den Schlaf. Mein letzter Gedanke war noch: Ach, einen Tod stirbt man immer, soll er mich doch fressen, der Bär…

Mein Kumpel schlief wie ein Baby. Am nächsten Tag wollte ich unseren Proviant bergen um dann festzustellen, dass gerade ein streunender Hund sich an unserem Frühstück verging. Das Brot habe ich ihm dann hinterhergeworfen, diesem Hund…;)

Ich erzählte meinem Freund von meiner Nacht und er hatte nur ein müdes Lächeln übrig. Aber seine Nacht sollte noch kommen… Wir trafen dann an der Hauptstraße wieder angekommen Pilzsammler und ich wollte, dass mein Begleiter sie fragt, ob es hier Bären gibt. „Selbstverständlich“ war die ungläubige Antwort.

Tja, siehste mal…?

Von Kojoten, Hundenächten und Skurriles am Berg Ararat dann im nächsten Teil…
 
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