Türkei: Verfassungsgericht erklärt Wikipedia-Sperre für rechtswidrig

Alubehütet

Well-Known Member
Wie deuten wir diese Rechtsentscheidung?
Als wohlüberlegtes Urteil eines Gerichts in Sachen Rede- und Meinungsfreiheit?
Als Zeichen internationaler Weltzugewandtheit der Türkei?
Als Signal der ökonomischen Vernunft?
Als Indiz eines Machtverlusts der AKP?
Als Ausdruck eines öffentlichen Stimmungswandels?
Als Reaktion auf die Wirkungslosigkeit von Sperren in Zeiten türkischer Hacker-Eliten, nicht nur in den USA?
Hat Erdogan eine taugliche Trollfabrik aufgebaut? Die heftigst in das türkische Wikipedia hineinmischen kann? Putin hat die längst, sie hat Einfluß genommen auf die letzte US-Wahl; die AfD hat Reconquista Germania ...

Wäre gespannt auf Berichte türkischsprachiger WP-User.
 

eruvaer

Well-Known Member
Nur Teile zu sperren ist eigentlich viel effektiver...
Ist es ganz gesperrt, findet man Wege auf die Seite. Sind nur Artikel nicht gesperrt - wer sucht schon nach etwas Eichinger er nicht weiß ob es das gibt?
 

turkish talk

Well-Known Member
Nur Teile zu sperren ist eigentlich viel effektiver...

Wikipedia, wie auch unser Forum, haben ein https vor URL, das bedeutet, dass jeglicher Trafik von diesen Domains verschlüsselt ist. Wenn wir eine https-Domain aufrufen, wird zwischen den Endgeräten, also zwischen dem Browser und der aufgerufenen Domain, ein Zertifikat ausgetauscht, das die Ver- und Entschlüsselung der Verbindung regelt, was zur Folge hat, dass Dritte nicht sehen können, welche Seiten man aufruft. Über eine DNS-Auflösung weiß man zwar, dass jemand die Wikipedia aufruft, aber nicht, welche Unterseite genau.

Deswegen ist es technisch einfach nicht machbar, einzelne Unterseiten einer https-Domain zu sperren.
 

eruvaer

Well-Known Member
Deswegen ist es technisch einfach nicht machbar, einzelne Unterseiten einer https-Domain zu sperren.
Na, noch besser!

Kann alles sein oder nicht. Möglicherweise ist es viel einfacher und pragmatischer: Da die Sperrung einzelner Beiträge von der AKP-Regierung fortlaufend erleichtert worden sei und mittlerweile noch nicht mal mehr eines Gerichtsbeschlusses bedürfe, wie taz-Korrespondent Jürgen Gottschlich berichtet, halte ich auch für denkbar, dass die Wikipedia-Totalsperre vor allem deshalb aufgehoben wurde - in Abwägung der Verhältnismäßigkeit.

"Seiten, die aus politischen Gründen gesperrt sind, gehören meistens in einen kurdischen oder linksradikalen Kontext. Yaman Akdeniz, ein Kommunikationswissenschaftler, der sich mit dem Thema beschäftigt, hat gegenüber der Deutschen Welle Türkei gesagt, 2018 – für 2019 gibt es noch keine Zahlen – habe es über 240.000 Sperrungen gegeben. Das bedeutet allerdings nicht, dass Websites stets komplett blockiert wurden. Meist betraf es nur einzelne Artikel, 3.000 Mal allein bei Nachrichtenseiten. So wurden beim Onlineportal der Hürriyet Texte zensiert, bevor die Zeitung von einem regierungsfreundlichen Medienkonzern übernommen wurde. Derzeit trifft es Portale aus dem regierungskritischen Spektrum wie Sözcü, Cumhuriyet, Oda TV oder T24. [...] Das Internet, sagte Yaman Akdeniz, ist „das letzte große Feld, auf dem in der Türkei über die Meinungsfreiheit gerungen wird“.

https://taz.de/Internetzensur-in-der-Tuerkei/!5654120/

Das Wikipedia-Urteil ist natürlich super. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Heise übertitelte einen lesenswerten Text dazu bündig und treffend.

Türkei: Das freie Wort bleibt in Haft

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Also gibt es gar keine gesperrten Artikel?
 

turkish talk

Well-Known Member
Also gibt es gar keine gesperrten Artikel?

Doch, natürlich, aber man muss unterscheiden, ob die Domain https ist oder nicht. Bei normalen Domains (im Browser erscheint dann oft ein irreführender Hinweis: "Nicht sicher") kannst du jede Seite sperren, weil die URL des Artikels bekannt ist. Bei einer mit einem Schloss gekennzeichneten Domain ist das nicht möglich.
 

Bintje

Well-Known Member
Na, noch besser!


Also gibt es gar keine gesperrten Artikel?

So weit ich das verfolgt habe, hat Wikipedia entfernt oder inhaltlich aufgehübscht, was moniert wurde und zur Sperre geführt hat.

"Die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan hatte Wikipedia im April 2017 beschuldigt, Teil einer "Hetzkampagne" gegen die Türkei zu sein. Dabei ging es um mehrere Artikel, in denen der Türkei unterstellt wurde, islamistische Terroristen zu unterstützen, und um einen Text, in dem Republikgründer Kemal Atatürk als "wohlwollender Diktator" beschrieben wurde. Inzwischen wurden die fraglichen Texte verändert oder entfernt. Die Sperre betraf Wikipedia-Artikel in allen Sprachen. (...)"

https://www.sueddeutsche.de/medien/wikipedia-tuerkei-sperre-1.4759777

Ansonsten kann ich nur wiedergeben, was der taz-Korrespondent schrieb, der aber in der Regel gut im Film ist.
Ich nehme mal an, das Sperren einzelner Texte bezieht sich dann auf nicht verschlüsselte Seiten.

ps Turgay war flotter und hat's inzwischen längst erklärt (Dankeschön!).
So kommt's, wenn man zwischendrin mit unabweisbaren Anrufen eingedeckt wird. ; )
 
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