Hallo, lieber
@Zerd !
Wie Du ersiehst, bin auch ich derzeit wieder Nachtarbeiter. Und ziemlich überrascht, ungewohnt so gefordert zu werden. Und das hier
– Hm, Sartre, Camus, das ist nun schon so lange her, wann habe ich die roten rororos zuletzt in den Fingern gehabt? Und dabei hatte ich die Franzosen immer sehr geschätzt, weil sie nichts schwieriger machten, als unbedingt nötig, anders als oft etwa Jaspers, wo mir Aufwand und möglicher Ertrag doch oft in keinem günstigen Verhältnis schien. Aber Camus, verschiedenes ließ sich im Sommer ja durchaus auch im Park lesen und verstehen.
Leider hätte ich ja jetzt doch gerne eine gescheite Tastatur; ein Tablet ist für mich mehr zum konsumieren, mich da noch mal umzuschulen auf Produktivität, flinkes Zweifingertippen, wie die Teenies im Bus heute schneller können als jede Sekretärin ... Aber Zeit, die finde ich gerade!
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Ich kann kein französisch, aber mit „glücklich“ wird Camus wohl kaum gemeint haben, was uns vor einiger Zeit im Radio als
„I'm so happy“ vorgeplärrt wurde. Wird schon eher gehen um ein „zufrieden“, um eine Befriedigung über ein irgendwie dann doch gelingendes Leben. Und, nein, wenn das alle Menschen auch noch so erlebten, da müßte er kein Buch drüber schreiben, dann hätten wir kein Problem. Vielmehr ist ja die Ausgangsfrage, ob, wenn man sich erkennt in der Situation des Sisyphos, man sich nicht auch gleich die Kugel geben könne, ja, sogar müsse. Die einzig philosophische Frage sei der Selbstmord; alles andere käme hinterher, oder sei Ausflucht.
Gemeinsam ist uns Menschen die Situation des Sisyphos. Müssen wir uns jetzt die Kugel geben? Auch sinnbildlich: Indem wir fliehen vor dieser Möglichkeit, Ausflüchte suchen, Zuflucht nehmen? Indem wir etwa wieder zurück springen in den Kinderglauben, den „Sprung“ Kierkegaards wagen, den Camus aber den „intellektuellen Selbstmord“ nennt? Wir glauben wieder, weil wir nicht die Situation glauben wollen, von der wir wissen oder wissen müssten, weil wir sie nicht aushalten können – auszuhalten zu können vermeinen. Oder doch? Gibt es einen Gedanken, der uns am Ende Sisyphos doch als glücklichen Menschen vorstellen läßt?
Und da habe ich Camus nicht so im Sinn: Die Alternative zur absoluten Sinnlosigkeit menschlichen Tuns sei der relative Sinn; gäbe es nicht „die“ Wahrheit des Lebens, so könnte ich doch „meine“ Wahrheit oder die Wahrheit meines Lebens zumindest sei es finden, sei es erschaffen. Natürlich. Der Sinn des Lebens eines Jimi Hendrix war es, Gitarre zu spielen; der Sinn eines anderen mag es sein, einen Beruf zu erlernen, ein Mädchen zu finden; wieder ein anderer widmet sein Leben dem Gott, an dem er glaubt, wird Priester oder Mönch. Wieder ein anderer findet im Laufe seines Lebens mehrere Wahrheiten; wird Manager, später Wohltäter, irgendwann Großvater, wie er seinem Sohn ein Vater zu sein die Zeit nicht für fand. Einer wird eine verkrachte Existenz im Mühen, ein großer Künstler zu werden, der er nicht ist; wird Boheme, wird Trinker, kriegt aber doch noch eine Kurve und wird ein leidlich zufriedener Nachtwächter. Dann mag man natürlich dem Leben die Zunge rausstrecken dürfen: Ha! Du hast mir keinen Sinn geboten! Nicht nicht geben wollen oder nicht geben können, Du hast nie einen gehabt! Ich habe ihn mir aber trotzdem genommen, den Sinn
meines Lebens deiner Sinnlosigkeit abgetrotzt!
Das mag gelingen. Das aber steht nicht in unserem Vermögen, steht nicht in unserer Macht. Und dafür steht Sisyphos ja auch nicht.
Sisyphos steht, so wie ich das verstehe, doch vielmehr für die Möglichkeit, die zu Beginn eines jeden Lebens steht, nämlich daß nichts gelingt. Einer gar nichts auf die Kette kriegt. Nicht, weil er etwa nicht lebensfähig wäre; der wäre Gegenstand nicht der Philosophie, sondern der Psychologie.
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Warum, sei jetzt dahingestellt, denn die Verhältnisse, sie sind nicht so.
Das ist ja doch mehr Sartre: Ich dreh jetzt mein Ding, ich ziehe mein Ding jetzt durch,
come what may, die können mich mal, ich kann ja gar nicht anders, und wenn ich bei drauf gehe, dann ist dem eben so. Soldaten wie Gefangene in
Tote ohne Begräbnis, die gleichermaßen konfrontiert sind mit der vielleicht völligen Sinnlosigkeit ihres Handelns durch das möglicherweise bevorstehende Ende ihres Lebens, das nicht sie entscheiden, und die sich je auf ihre Weise ihre Freiheit erhalten, ertrotzen.
Camus ist dagegen doch der, der in der
Pest bemerkt, daß das eben auch gar nicht möglich ist: Den Liebenden, die durch die Quarantänemauer der Stadt Oran getrennt werden. Und die selbstverständlich versuchen, ihre Liebe durchzuhalten. Briefe schreiben. Aneinander Anteil nehmen. Was die wirkliche, physische Präsenz ersetzt. Aber irgendwann erfahren sie, wie das Ritual des Briefeschreibens längst die Anteilnahme durch das Briefeschreiben ersetzt hat. Dann merken sie, daß sie auch gar keine Briefe mehr schreiben, sondern Tagebücher zur Kenntnisnahme einander übersenden. (Wie mir überhaupt die Existenzialisten Bühne und Roman das Labor der Soziologen ersetzen: Man spielt durch, ob eine Theorie glaubhaft an Personen in Situationen durchgehalten kann. Noch anders als das didaktische Lehrtheater Brechts.)
Hm, Camus und Brecht: Ich assoziierte gerade Sisyphos mit der Mutter Courage. Die wieder und wieder ihren Karren aufnimmt und zieht, und wieder aufnimmt und wieder zieht. (Was ja ein gigantisches, unvermeidliches Missverständnis ist. Brecht meinte ja das Gegenteil: Warum lehnt die Frau sich denn nicht auf? Warum macht sie immer nur weiter? Tut, als wäre nichts geschehen? Sie kommt doch überhaupt nicht von der Stelle! Da, auf der Drehbühne! Die Brecht ja eigens für sie erfunden hat! Um allen anschaulich zu zeigen: Die kommt doch keinen Meter weiter! Trotz all ihren Mühens! – Das Publikum aber versteht nicht Brecht, sondern Muttchen Sisyphos
Was Brecht ja meinte: Hätte sie von Anfang an aufbegehrt gegen den Krieg, sie hätte ja nicht mehr verlieren können, als sie durch ihr mitlaufendes Mittun am Ende verloren hat.)
Sisyphos: Es ist ja kein trotz allen widrigen und auch leidvollen Umständen gelingendes Leben. Und nicht einmal ein grandioses, großes, heroisches Scheitern. Es ist ein klägliches, jammervolles, schmähliches Scheitern. Und das wieder und wieder. In dem Wissen: Und ich werde noch einmal scheitern. Und immer wieder. Nicht das Scheitern des neurotischen Jammerlappens, eines für das Leben zu weichen Menschen. Das Scheitern eines Heros.
Ob
@manden1804 ein solcher Heros ist?