Gauck spricht wie ein Präsident

Bintje

Well-Known Member
Ich glaube ja ihr interpretiert in seine Worte zu viel hinein. Ich beziehe mich nur auf seine "Toleranzrede". Er meint nicht, übt Toleranz mit Nazis, sondern übt Toleranz mit Unzufriedenen die die AfD aus Protest wählen.
Sollen die alle tatsächlich und tatkräftig ins braune Lager rutschen oder soll man nicht besser mit ihnen reden und versuchen sie davon ab zu bringen? Sie lieber verachten und die Schar der Rechten vergrößern? Dann viel Spaß in ein paar Jahren.

Ich weiß nicht, das unterstellt ja, man sei von vornherein gar nicht bereit, mit ihnen zu reden.
Ich hab tatsächlich teils umgekehrte Erfahrungen gemacht.
Bis hin zum Bruch einer persönlichen Freundschaft, nachdem ein langjähriger guter Freund die AfD nicht nur wählte ( :eek: ), sondern zu Luckes Zeiten sogar eingetreten ( :eek: :eek:) war.

Dass wir politisch keineswegs auf einer Linie liegen, wussten/wissen wir seit Jahrzehnten. Das war aber nie ein größeres Problem, zumal wir kein Paar waren. Wir konnten immer frozzeln, diskutieren, hart diskutieren, streiten - und wieder zur Tagesordnung übergehen.
Damals war das anders. Und der endgültige Bruch ging von ihm aus.

Gemeinsame Freunde waren echt von den Socken, als sie davon erfuhren und meinten, das sei bei uns ja wie in den 1930ern. Da seien sicher auch viele Freundschaften und Familien zerschellt.
Tscha, dachte ich .. jedenfalls hat es definitiv was geklärt.
Weiteratmen, durchatmen, weitermachen.
Manchmal stellte ihn ich mir abends im Kreise seiner neuen Partei"freunde" vor, während ich emsig Klamotten sortierte, Flüchtlinge bekochte und durch den Asyldschungel begleitete. Schräge.

Was soll ich Dir sagen, @sommersonne ? Es hat sich wieder eingerenkt. Fast nebenbei.
Eineinhalb, zwei Jahre später hörte ich, es gehe ihm richtig shice.
Erst wollte ich nicht, aber dann dachte ich, verdammt!, wenn ich ihn nun hängen lasse, war ich auch die letzten Jahrzehnte keine gute Freundin. Gab mir also nach Tagen einen Ruck und schrieb ihm ganz knapp: Täte mir leid und dass ich ihm wünschte, er hätte jetzt genügend gute Geister um sich. Er meldete sich praktisch sofort. Womit ich nicht gerechnet hatte.
Es hat dann lange gedauert, sich vorsichtig wieder aneinander heranzutasten. Unser Streitthema haben wir erst völlig vermieden. Es spielte vor dem Hintergrund seiner damaligen Situation sowieso keine Rolle.

Später erzählte er beiläufig, er sei gleich nach dem Essener Parteitag wieder ausgetreten. Und wie ich "damals schon" hätte wissen können, wie die gepolt seien .. ?
Tja. Manchmal kann ich hellsehen. Allerdings gehörte schon damals m.E. nicht viel dazu.
Endlich hat er das auch eingesehen. Spät, aber immerhin. :)

Keinen Schimmer, was er jetzt wählt. Das ist seine Sache und für mich, ehrlich gesagt, nachrangig, solange er nicht wieder so'n Mist baut. Wir haben uns wieder zusammengerauft. Und dass er im Kern seiner pechschwarzen Seele eigentlich doch Gutmensch ist, hat er inzwischen eindrucksvoll bewiesen. Na bitte, geht doch. ^^

Ich glaube, Herr Gauck stellt sich das Leben manchmal zu sehr nur am Schreibtisch vor. Wie auf dem Reißbrett.
Mit Nazis werde ich nicht verhandeln, no way. Da gibt es nichts zu verhandeln.
Aber wenn der Nachbar von rechtsaußen hilflos in seiner Wohnung liegt und allein nicht mehr hochkommt, reiche ich ihm den Arm. Na logo. Zwar wird er nix dadurch lernen geschweige denn seine Einstellung ändern, aber.
Normale Gebote der Menschlichkeit wird mir keiner ausreden und austreiben.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bintje

Well-Known Member
Zitat:
Gauck stellte in Berlin sein Buch "Toleranz: einfach schwer" vor. Darin plädiert er unter anderem für eine Erweiterung der Toleranz ins rechte Lager hinein.

Ach deshalb! Na dann. Ältester PR-Trick von Welt; ich hätt's wissen müssen. Und seine Zielrichtung erscheint mir, mit Verlaub, ähnlich wie die strunzkonservativer Autoren, die schon Mitte der 90'er mit Verve gegen "Political Correctness" anschrieben, von der ihrer Ansicht nach alles Verderben ausging. Zu Hüüülf, Linke allüberall .... ! Wahnsinnig originell.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Nur frage ich mich, wen er überhaupt meint, verdammt. Wer ist denn noch klassisch konservativ? Gegen Homo-Ehe, gegen Abtreibung, für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ... die Steinbach, oder wer? WerteUnion?
 

Alubehütet

Well-Known Member
Die stehen ja aber nicht unter Nazi-Verdacht, jedenfalls nicht bei Leuten, die Gauck erreicht. Er scheint ja schon AfD-Leute zu meinen. Oder katholische reaktionäre Bischöfe.
 

Bintje

Well-Known Member
Die stehen ja aber nicht unter Nazi-Verdacht, jedenfalls nicht bei Leuten, die Gauck erreicht. Er scheint ja schon AfD-Leute zu meinen. Oder katholische reaktionäre Bischöfe.

Das geht aber teilweise fließend ineinander über. So weit ich die Debatte aus dem Augenwinkel mitbekam, machte Liane Bednarz - konservativ, katholisch, Anwältin und Publizistin - schon vor Jahren darauf aufmerksam, dass konservative Katholiken und Evangelikale sich bisweilen nicht scheuen, mit Pegidisten und AfD an einem Strang ziehen. Ein lesenswerter Text von ihr in der FAZ ("Die Radikalen") sorgte 2016 für entsprechend viel Wirbel: https://www.faz.net/aktuell/politik...43650.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0

2018 brachte sie ein Buch zum Thema heraus ("Die Angstprediger"), in dem sie insgesamt und m.E. intelligenter als Gauck dafür plädiert, mit Rechten zu reden und klare Trennlinien zu Rechtsextremen und Nationalistisch-Völkischen zieht. Aus einem Interview mit ihr:
Was raten Sie Pfarrern, wenn Gemeindeglieder Flüchtlinge "muslimische Invasoren" nennen?

Es ist anstrengend und erfordert Geduld, mit Rechten zu reden. Ich rate dazu, Streitfragen in Predigten oder Bibelkreisen aufzugreifen. Ein Beispiel: Es ist unter rechten Christen 
beliebt, die Nächstenliebe örtlich zu verengen und Flüchtlinge als "Fernste" davon auszuschließen. Ein Pfarrer kann in Bibelkreisen theologisch auffächern, wer in der Bibel der Nächste ist: nämlich der Nächste in der jeweils konkreten Situation. Damit kann er Rechte konfrontieren, in der Hoffnung, Zweifel zu säen. Ich halte das für den einzigen Weg, den die Kirchen aber besser unterstützen müssen. Man darf die Leute an der Basis nicht allein lassen.

Rechte Pfarrer behaupten mit Blick auf den Missionsbefehl "Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker", es sei Gottes Wille, die Welt in Völker zu gliedern . . . 

. . . und stützen sich auf neurechte Vordenker. So argumentiert der Verleger Götz Kubitschek: Das deutsche Volk sei ein Entwurf Gottes. Hans-Thomas Tillschneider, Kopf der "Patriotischen Plattform" in der AfD, sagt: Die Völker 
seien Gedanken Gottes, niemand habe das Recht, sie bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Aber: Diese Leute basteln sich ihr eigenes Christentum. Der Missionsbefehl besagt ja gerade, aus Völkern sollen Jünger werden – und nicht Jünger zu Völkern.

Man könnte rechte Christen auch einfach ausgrenzen!

Jesus liebt die Sünder, aber er hasst die Sünde – man muss mit Rechten reden, gerade als Christ soll man 
Menschen zeigen, dass man um sie kämpft und dass es einen Weg zurück gibt. Ängste und Sorgen kann ich ernst nehmen, aber ich muss es auch beim Namen nennen, wenn es fremdenfeindlich oder verschwörungstheoretisch wird. (....)

Quelle und mehr: https://chrismon.evangelisch.de/bednarz

Ich möchte Gauck nicht unterstellen, dass er die Idee bei ihr abgekupfert hat, aber es fällt schon auf, dass Bednarz deutlich schneller war - und dass sie meines Erachtens auch sehr viel deutlicher und kritischer Stellung bezieht.
 
Top