AW: Jeder sechste Deutsche hat Alkoholprobleme
Deutschland ist beim Alkoholproblem sogar noch gut bedient.
Schon mal die Verhältnisse in osteuropäischen Ländern gesehen ?
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Russische Männer trinken sich in den Tod
Für Russen zwischen 25 und 54 Jahren ist Trunksucht die häufigste Todesursache, vor allen anderen Krankheiten. Das folgern britische Mediziner aus einer neuen Untersuchung. Oft ist es nicht der Wodka, an dem sie sich berauschen - sondern Alkohol aus Parfums, Reinigungsmitteln, Tinkturen.
Warum ist die Todesrate unter Russen im arbeitsfähigen Alter dreieinhalb Mal so hoch wie bei Briten der gleichen Altersgruppe? Beim Betrachten von Statistiken zur Lebenserwartung stellte sich David Leon von der London School of Hygiene and Tropical Health diese Frage. Schließlich sterben russische Männer durchschnittlich schon mit 59 Jahren, Frauen mit 72 - kein Industrieland weist schlechtere Werte auf.
Leon flog mit seinen Mitarbeitern in den Ural. In der Industriestadt Ischewsk, Heimat von Michail Timofejewitsch Kalaschnikow und des nach ihm benannten Sturmgewehrs, machten sie eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie: Sie untersuchten 3500 Männer im Zeitraum von 2003 bis 2005; die Hälfte der Gruppe verstarb während dieser Zeit.
Bei Befragungen hatten die Probanden von - gelinde gesagt - erstaunlichen Trinkgewohnheiten berichtet. Durch die Kehlen der Ischewsker floss nicht nur jede Menge Bier und Wodka. Auch medizinische Tinkturen, Parfum oder Reinigungsmittel wanderten zuerst ins Glas und dann in den Magen. Sie hätten oft einen Alkoholgehalt von 60 bis 97 Prozent und seien bis zu sechsmal billiger als eine vergleichbare Menge Alkohols, die für den menschlichen Verzehr vorgesehen sei, berichten die Autoren in der Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet".
Das Resultat: Vieltrinker oder Konsumenten von Alkohol aus zweifelhafter Quelle hatten ein sechsfach erhöhtes Sterberisiko als Nichttrinker oder moderate Alkoholkonsumenten. Noch krasser war der Unterschied im Vergleich zwischen Trinkern, die immer auf den Billigalkohol setzten, und jenen, die das nie taten. Die britischen Mediziner sprechen von einem neunmal höheren Todesrisiko - ganz unabhängig von der konsumierten Menge und dem Bildungsniveau der Trinker.
Fast jeder zweite Todesfall durch Trinken
"Beinahe die Hälfte aller Todesfälle bei Männern im arbeitsfähigen Alter in einer typischen russischen Stadt könnten auf gefährliches Trinken zurückzuführen sein", folgern Leon und seine Kollegen. Die Daten für Ischewsk sprechen für sich: Bei Männern im Alter zwischen 25 und 54 Jahren gingen 43 Prozent aller Todesfälle auf Alkoholmissbrauch zurück, der damit die häufigste Todesursache ist. Die Forscher sehen ihre Analyse auch als Beitrag über die heftig geführte Debatte, ob der scharfe Anstieg der Sterblichkeit im Russland der frühen neunziger Jahre vor allem auf riskantes Trinken zurückzuführen ist.
Der übermäßige Konsum von billigem Alkohol zählt bis heute zu den größten Problemen der russischen Gesellschaft. Jedes Jahr sterben Zehntausende Menschen an akuter Alkoholvergiftung. Auch wegen des hohen Alkoholkonsums ist der Unterschied der Lebenserwartungen zwischen russischen Männern und Frauen deutlich höher als in anderen Industriegesellschaften.
Armut macht krank und risikobereit
In einem Kommentar zur "Lancet"-Veröffentlichung von Leon und seinem Team warnen allerdings der kanadische Suchtberater Jürgen Rehm und sein Schweizer Kollege Gerhard Gmel davor, nur das Trinkverhalten zu betrachten. Menschen mit riskantem Alkoholkonsum lebten häufig - weil sie arm seien - unter schlechten Wohnbedingungen und ernährten sich nicht gesund. Auch das könne zur hohen Sterblichkeit beitragen.
Außerdem kritisieren sie, dass der in Russland weit verbreitete Konsum von illegal hergestelltem Hochprozentigen nicht einzeln betrachtet wurde. Er stellt besonders bei falscher Destillation ein hohes Gesundheitsrisiko dar. Die Schwarzbrennerei müsse in eine Studie mit einbezogen werden, "bevor daraus Maßnahmen für eine Alkoholpolitik abgeleitet werden dürfen".
Dieser Appell klingt arg abgeklärt angesichts einer Vergiftungswelle mit Tausenden Kranken und mehr als 100 Toten im Herbst vergangenen Jahres in vielen Regionen Russlands. Einige Gebiete riefen den Notstand aus. Präsident Wladimir Putin forderte daraufhin die Behörden auf, gegen das kriminelle Geschäft mit gepanschtem und nicht lizenziertem Alkohol vorzugehen.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,488630,00.html