Tanrısız56
Well-Known Member
Die Flaggen sind in Osteuropa sehr bedeutungsvoll.
Ja, ja "Nationen" und ihr Flaggenstolz ...
Im Gedenken an diesen Genozid besteht die Gefahr, dass ein kritischer Blick auf den Nationalismus überhaupt verstellt wird. Wie die seinerzeit aus Europa über das Osmanische Reich schwappende Welle ethnischer Nationalismen ein "multiethnisches" Empire in ein Schlachthaus verwandelte, nur damit jedes "Volk" seine eigene Zelle erhalten möge, davon geht kaum je die Rede.
Bei aller notwendigen geschichtlichen Klarheit bezüglich des Genozids an den Armeniern kann es nicht darum gehen, die armenischen Nationalisten aus jeder historischen Verantwortung für das Verderben zu entlassen, das sie im Zusammenspiel mit dem türkischen Nationalismus über Hunderttausende unschuldige Armenier gebracht haben. Hier beunruhigt auch, dass die seit 125 Jahren bestehende “Armenische Revolutionäre Föderation” (kurz Daschnakzutjun), nach wie vor die größte und einflußreichste Organisation in der armenischen Diaspora, bis heute ungebrochen von einem “Großarmenien” träumt und sich wohl auch deshalb politisch in der Umgebung der revanchistischen deutschen Vertriebenverbände bewegt:
http://madlens-blog.blogspot.de/2008/07/der-tag-dem-der-zad-starb.html
Das zeigt im Grunde die ganze Schizophrenie: Einerseits sieht man sich als Opfer eines “Holocausts vor dem Holocaust”, andererseits sucht man die Nähe zum antisemitischen und revanchistischen Lager in Deutschland. Eine Betrachtung des Genozids an den Armeniern sollte daher eine Kritik an der Rolle der armenischen Nationalisten nicht verunmöglichen, die wie alle Nationalisten ihre Bevölkerung (als ethnisch homogen konstruiertes "Volk") im Namen einer völkisch-kulturalistisch gedachten "Emanzipation" zum Material für die Feindschaft gegen die “Anderen” machten und dabei auch das Unglück und den Tod Abertausender ihrer eigenen Leute in Kauf nahmen.
Zum Thema noch zwei aktuelle Artikel aus der Wochenzeitung "Jungle World":
Umstrittene Gedenkfeiern (von Marcus Latton)
In Armenien wird mit einer Mischung aus Trauerspektakel und Volksfest begangen, dass sich der Beginn des Völkermords zum hundertsten Mal jährt. Nicht alle macht das glücklich.
http://jungle-world.com/artikel/2015/17/51823.html
Erdogan setzt auf Nationalismus (von Sabine Küper-Büsch)
Die Hoffnung, die viele Armenier anfangs in die AKP gesetzt haben, ist verflogen. Statt auf Dialog und Annäherung setzt die türkische Führung weiterhin auf die hergebrachten Geschichtslügen.
http://jungle-world.com/artikel/2015/17/51824.html