Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

dana81

Member
Hallo!

Hat rein zufällig jemand am Montag Abend auf ARD die Reportage "Mein Vater, der Türke" gesehen? Dieser Film hat mich sehr berührt, allerdings hab ich mich auch sehr über eine der Hauptfiguren, nämlich den Vater, geärgert. Ist dieses Verhalten, was er an den Tag legt normal? Warum kann er selbst in seinem Alter nicht einfach zugeben, dass er seinen beiden Frauen und somit auch all seinen Kindern durch sein unmögliches Verhalten nur Unglück gebracht hat?

Oder gibt es da wieder einen gewissen Teil der "Mentalität" der dieses Verhalten erklärt? Diese Verdrängung kenn ich nämlich auch von meinem Freund, lieber Schweigen als etwas ehrlich auszudiskutieren...

Wäre schön wenn sich jemand meldet, ich habe nämlich viele Dinge nicht so gut verstehen können und würde mich freuen wenn mir jemand vielleicht zu der ein oder anderen Szene ein paar Fragen beantworten würde.

Liebe Grüße, Dana
 

Zerd

Well-Known Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

dana, klingt eigentlich ziemlich interessant. ich habe die reportage leider nicht gesehen, kannst du vielleicht eine kurze zusammenfassung geben, dann koennte ich vielleicht auch auf deine fragen eingehen, wofuer mir momentan einfach das hintergrundwissen fehlt...
 

dana81

Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Hallo Zerd!

Also, es geht darum, dass ein deutscher junger Mann seinen Vater sucht, der in den 60er Jahren als Gastarbeiter in Deutschland war. Dieser Mann ging allerdings wieder zurück in die Türkei und hat sich kaum mehr gemeldet, die deutsche Frau hat das Kind dann allein großgezogen und wurde ihres Lebens nicht mehr glücklich, weil sie so an diesem Türken hing.

Der Sohn, Attila, ist jetzt um die 30 und macht seinen Vater ausfindig. Er fährt in die Türkei zu ihm und so lernen sich die beiden kennen.

Es kommt raus, dass der Vater schon bevor er Attilas Mutter kennenlernte, eine Frau in der Türkei geheiratet hatte. Er erzählte Attilas Mutter, sie heißt Gerlinde, dass diese Frau ihn aber gar nicht liebt und immer sehr kalt zu ihm ist. Deshalb will er in Deutschland bleiben. Aber Gerlinde hat das gar nicht gewusst, da hat er sie schonmal belogen. Er hat ihr dann Briefe geschrieben wo er sehr negativ über seine türkische Ehefrau schreibt. Attila hat diese Briefe aufbewahrt und mit zu seinem Vater genommen, denn als dieser wieder in die Türkei ging, ist er ja zu seiner Ehefru zurückgegangen. Er hat ihm die Briefe gezeigt und auch die Ehefrau hat erfahren, was er damals geschrieben hatte. Sie tat zwar so, als wäre ihr das heute nicht mehr wichtig, aber er wollte sich rechtfertigen und kam dann mit so Sachen wie: seine Frau hat ihm nur Töchter geboren und deswegen ist sie nichts wert, mit Gerlinde hat er gleich beim ersten Mal einen Sohn gezeugt, diese Frau ist nunmal mehr wert.

Das ist nur eine Situation von vielen, wo ich leider nicht verstehen kann, warum der mittlerweile alte Mann nicht zu seinen Taten steht.

Es gab noch mehr so Dinge. Er war teilweise so verletzend mit seinen Aussagen, er hat Gerlinde mit ihrem Baby allein gelassen, sie hatte es so wahnsinnig schwer. Attila musste ohne seinen Vater aufwachsen. Die Türkische Ehefrau wurde nie von ihrem Mann geliebt, ihre beiden Töchter wurden nie akzeptiert und wuchsen größtenteils auch alleine mit ihrer Mutter auf. Und der Vater tut so, als sei das nunmal so gewesen und da kann man eben nichts mehr ändern und das war auch alles ok so, er hatte wirklich für jeden Fehltritt eine dämliche Ausrede parat. Mich hat das so geärgert! Und dann kamen auch noch so Sätze wie: Jetzt wir vergessen alles und fangen neu an! Als ob das so einfach ginge, er hat so viele Menschen ins Unglück gestürzt und er wehrt sich dagegen mit einer Selbstsicherheit, das ist kaum zu fassen.

Vielleicht kannst du das oder auch andere Leser irgendwie nachvollziehen? Schade, dass du die Reportage nicht gesehen hast, teilweise hat es mir echt den Boden unter den Füßen weggezogen.

Liebe Grüße, Dana
 

dana81

Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Hätte ich das mit dem Link eher gesehen, dann hätte ich mir viel Schreiberei sparen können, na egal ;)
 

Zerd

Well-Known Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Zitat von dana81:
Hätte ich das mit dem Link eher gesehen, dann hätte ich mir viel Schreiberei sparen können, na egal ;)
sorry, ich haette vielleicht auch erst googeln und dann fragen sollen...

ich kann dein entsetzen ueber den herrn gut verstehen und kann auch nur versuchen, die sache aus meiner sicht etwas zu verdeutlichen.

zunaechst einmal hilft es, einen eindruck von den gesellschaftlichen verhaeltnissen zu haben, in denen solche menschen aufgewachsen sind und teilweise heute noch leben. die meisten tuerken, die ab den sechzigern als gastarbeiter nach deutschland und europa kamen, stammen aus solchen und aehnlichen anatolischen doerfern. der entwicklungsgrad von solchen doerfern war von region zu region sehr unterschiedlich: waehrend manche doerfer damals noch samt bevoelkerung einem grossgrundbesitzer gehoerten, der quasi alle das leben dieser menschen betreffenden fragen alleine entscheiden durfte, hatten andere sogar schon strom und eine grundschule. in vielen doerfern konnte man von mittelalterlichen feudalen verhaeltnissen sprechen. die maedchen wurden zu arbeitstieren in haus und hof und also einer guten ehefrau erzogen, bis zum heiratsfaehigen alter ernaehrt und dann meist gegen ein sattes brautgeld dem zukuenftigen verkauft, der sie dann mit nach hause zu seiner familie nahm und ihr sogar verbieten konnte, ihre eigene familie auch nur zu treffen. die soehne blieben als stammhalter der familie erhalten und waren sozusagen auch eine rentenversicherung. ausserdem brachten sie mit der braut eine weitere haushaltshilfe ins haus, waehrend die toechter bei ihrer heirat die mutter mit einem berg zusaetzlicher arbeit zurueckliessen. solche verhaeltnisse muss man sich vorstellen, in denen viele der damals eingewanderten aufgewachsen sind. viele von ihnen haben nicht selten ausserhalb ihres dorfes kaum etwas zu gesicht bekommen.

diese menschen kommen nun nach deutschland, in ein land der unglaeubigen (an denen man sich ja eigentlich gar nicht versuendigen kann) und sind zunaechst einmal total orientierungslos, bewegen sich nur in einem tuerkischen umfeld und haben von deutschen frauen ein sehr verfremdetes bild. es entwickeln sich dennoch zahlreiche solcher beziehungen zwischen tuerkischen maennern und deutschen frauen, wobei diese wohl ganz unterschiedlich aufgefasst werden. fuer manche ist diese beziehung vergleichbar mir einer beziehung zu einer gratis-prostituierten, bei anderen entwickelt sich so etwas wie freundschaft, aber nicht mehr, weil viele deutsche frauen eben doch so sehr anders sind, als man sich immer die eigene frau vorgestellt hat. und es mag auch durchaus eine minderheit gegeben haben, die sich ueber ihre anerzogenen konventionen hinwegsetzen und die frau als vollwertige anerkennen konnte.

wenn der papa jetzt schon vor fast vierzig jahren wieder in seine angestammte umgebung zurueckgekehrt ist, wie sollte sich an seinen einstellungen und seiner denke grundlegendes geaendert haben.
 

EsMer-LaDy

New Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

boah was eine story wirklich
hat mich auf einer seite sehr berührt und traurig gemacht und auf der anderen das der junge mann aus sich was gemacht hat und den mut dazu gefunden vor seinem vater zustehen nach all den jahren..respekt!


lg damlaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
 
A

Anouk

Guest
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Hallo Dana,

ich habe den Film auch nicht gesehen, leider, erst gestern abend überhaupt bemerkt, dass es ihn gab. Pech!

Zitat von dana81:
Das ist nur eine Situation von vielen, wo ich leider nicht verstehen kann, warum der mittlerweile alte Mann nicht zu seinen Taten steht.

Allgemein und grundsätzlich begegnet einem das bei vielen Menschen. Es mag Dir vielleicht ganz unverständlich scheinen, aber die Vorstellung bzw. das Ideal, dass alte Menschen, die man sich ja doch immer ganz lebensweise wünscht, im Rückblick auf ihr Leben freimütig gravierende Fehler einräumen, findet man nicht so häufig. Zum einen kratzt es heftig am (über viele Jahre verfestigten) Selbstbild, zum anderen würde das eine menschliche Größe erfordern, die, Altersweisheit und -Milde hin oder her, manche Menschen einfach nicht aufbringen. Das kann man dann halt nur so stehen lassen und sich seinen Teil denken.
Ethnische Hintergründe hat das für meine Begriffe nicht, nicht in erster Linie. Diese Haltung kannst du eigentlich überall beobachten, wo es in irgendeiner Weise ans "Eingemachte" geht, meint

anouk
 

Gugu

New Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Ja, ich habe den Film gesehen.
Er hat mich in einen Taumel von Traurigkeit, Wut, Ergriffenheit und Mitleid gezogen.

Ein Mann, eigendlich ohne Liebe aufgewachsen in einer Welt wo Kinder schon um ihren Platz kämpfen müssen wenn die Eltern so wie in diesem Fall früh verstarben, ist selbst nach vielen Jahrzenten nicht in der Lage seine falschen Entscheidungen zu sehen.
Er sieht nicht das die ganze Familie darunter gelitten hat und noch leidet.
Für ihn war der Sohn schon zu Dank "verpflichtet" nur weil er ihm ja das Leben erst schenkte.
Kinder die ihren Vater sahen und doch niocht hatten. Eine türkische Ehefrau die duldete und selbst nicht in der Lage war Liebe zu zeigen.

Wut hat mich befallen weil es noch oft so ist das einfach geheiratet wird, WEIL MAN ES SO MACHT.
Wut, weil man Kinder in die Welt setzt WEIL MAN ES SO MACHT.
Aber nie ein Wort von Liebe dabei.

Ja, ich habe den Film gesehen und mochte den Vater nicht, aber ich habe ihn verstanden. Er ist selber Opfer seiner "Erziehung".
 

babe78

Active Member
AW: Reportage: Mein Vater, der Türke - Was denkt ihr?

Schade, hätte den Film auch gerne gesehen.
Aber anhand des Links kann man sich ungefähr vorstellen,
wie der Film war. Und die Vorstellung berührt mich, macht mich aber gleichzeitig traurig.
Natürlich ist der Vater anhand seiner Erziehung gefangen, schließlich war es immer so und Änderung bringt Verunsicherung.
Aber ohne etwas zu ändern, kann sich nichts neues entwickeln.
Frage mich, wieviele Ehen es tatsächlich noch gibt bzw. geben wird, die ohne Liebe geschlossen werden und nur auf einem bestimmten Zweck basieren. Wird sich das jemals ändern?
Respekt an den Sohn sich nach so langer Zeit damit auseinander zu setzen und sich dem zu stellen, der "fremden" Welt.
Jeder Mensch sollte sich mit seiner Herkunft identifizieren können.
 
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