AW: serdars homepage
Ein ausführliches Interview mit Serdar Somuncu findet sich hier:
http://www.migration-boell.de/web/integration/47_2139.asp
Einige Auszüge:
Sie spielen mit großem Genuss mit dem Wechsel zwischen unterschiedlichen zugeschriebenen Identitäten, mit dem „deutsch sein“, mit dem „türkisch sein“. Welche Rolle spielt dabei das „deutsch sein“ für Sie? Was heißt das, „deutsch“ zu sein?
Somuncu: Das ist eine schwere Frage. Schick wäre es, zu sagen, es gibt keine Unterschiede. Aber es gibt sicher einen Unterschied, zwischen dem Gefühl „deutsch“ zu sein und dem Gefühl „türkisch“ zu sein. Aber wo dieses Gefühl anfängt und wo es aufhört, das ist meistens sehr schwer zu erkennen.
Man kann es nur an kleinen Dingen festmachen. Es gibt z.B. eine Stelle in meinem neuen Programm, wo ich sage „Ich weiß nicht, was ich bin, aber ich kann ihnen deutlich machen, dass sie „deutsch“ sind. Da muss ich nur mal ganz kurz über Juden reden und ihr innerer Zensor, der sich fragt 'Darf man so etwas?' ist dann das erste an dem sie spüren, wie „deutsch“ sie eigentlich sind.“
Da lachen dann viele, aber tatsächlich meine ich das sehr ernst.
Es gibt sehr viele Themen, die im Deutschen ganz anders rüberkommen als im Türkischen. Ich finde es dennoch sehr oberflächlich, eine Typologie des „typischen Deutschen“ zu zeichnen. Denn jeder empfindet es letztendlich unterschiedlich. Für mich ist die Wahrnehmung des „typisch Deutschen“, ganz anders als für Sie. Letztendlich ist „deutsch“ das, was mich umgibt. Und ich bin ein Fremdkörper in einer sehr ungewöhnlichen Welt. Ich versuche diese Welt zu verstehen, denn ich lebe schon sehr lange hier und manchmal kommt es mir sogar schon so vor wie meine eigene Welt.
Aber ich fühle auch oft, dass es nicht meine eigene Welt ist. Es macht mir dann ebenso großen Spaß, die Unterschiede zu spüren. Das sind manchmal ganz banale Dinge, wie z.B. im Türkischen Dinge, die man mit sich im Kopf ausmacht, weil man sie nicht direkt ausspricht, wie irgendwelche Höflichkeitsrituale, während „deutsch“ im Gegenzug dazu, um das jetzt mal stereotyp wiederzugeben, etwas sehr direktes und zuweilen unhöfliches ist. Aber das ist mir manchmal sogar lieber."
Dient die Provokation, die in Ihrer Kunst eine große Rolle spielt, auch als Schocktherapie für eine Öffnung der medial oder politisch oft herbeigeredeten Frontstellung zwischen Deutschen und Türken?
Somuncu: Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann, da ich nicht absichtlich provoziere. Ich suche. Wenn Sie Miles Davis gefragt hätten, ob er mit seinem schrägen Ton jemand provozieren will, dann hätte er Ihnen wahrscheinlich seine Trompete auf den Kopf gehauen. Es geht ja nicht darum, dass ich schräge Töne spiele, um Sie zu belästigen, sondern ich spiele die Töne, weil mir die anderen Töne nicht mehr gefallen, so wie ich nicht Dinge sage, um sie zu provozieren, sondern ich sage Dinge auf eine Art und Weise, wie es mir am besten gefällt. Dass Sie das provoziert, hat etwas mit Ihrer Hörgewohnheit, mit Ihrer Sehgewohnheit und Denkgewohnheit zu tun. "