Türkei ante portas?

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Laledevri

Guest
Womöglich habe ich Dich da ja falsch verstanden. Ich glaubte Du meintest z.B. Musik und Kunst, die in der heutigen Zeit ganz anders und vielschichtiger gelebt werden. Auch einer breiteren Masse als im osmanischen Reich zugänglich sind. Ob die Möglichkeiten auch genutzt werden, ist eine andere Sache. Damals aber, waren sie hauptsächlich für die oberen Zweitausend erschwinglich. Ich rede jetzt nicht von Volkskunst und superschönen Teppichen und Stoffen.

Das sieht wohl eher umgekehrt aus. Atatürk hat europäische klassische Musik zum Staatsziel gemacht und damit eine Musik für Eliten geschaffen- denn das ist die Kunstform, mit der sich die "kemalistische Elite" identifiziert. Vorneweg Gallionsfiguren wie Fazil Say. Da geht es schon lange nicht mehr um Kunst, da geht es um Politik- und um Ausgrenzung des "Anatolischen". "Osmanische Elitenmusik" hat es hingegen immer wieder geschafft, aus dem Palast auch in die Meyhaneler hervorzudringen. Die Geschichte ist voll von derartigen Metamorphosen. Ich kenne von den Osmanen kein Beispiel, wo Kunst als Mittel der Segregation benutzt wurde.

Ansonsten verstehe ich diesen unnötigen Hype nicht. Die Überführung eines Museums in eine Moschee ist noch lange nicht mit der Einführung der Scharia gleichzusetzen.

Generell fällt mir in diesem Forum immer wieder auf, dass die westliche Sichtweise als die überlegene dargestellt wird. Am besten alles 1:1 auf die Türkei übertragen. Das funktioniert aber nicht. Der Orient hat andere Gesetze, hat sie schon immer gehabt.
 
S

sommersonne

Guest
Es ist keine Frage das der Orient andere Gesetze hat.
Ich halte die westliche Sichtweise nicht für die allein glücklich machende Lebensweise, ganz und garnicht.

Die Überführung eines Museums in eine Moschee ist noch lange nicht mit der Einführung der Scharia gleichzusetzen.
Gleichzusetzen ist das nicht. Aber es könnte ein Anfang sein, wenn man die Entwicklung der Türkei in den letzten Jahren nimmt.
Wenn die Menschen in der Türkei sich das aber wünschen würden, dann müßte ich es akzeptieren. Die Frage ist wieviele Türken wünschen sich das.
 

Ottoman

Well-Known Member
Das sieht wohl eher umgekehrt aus. Atatürk hat europäische klassische Musik zum Staatsziel gemacht und damit eine Musik für Eliten geschaffen- denn das ist die Kunstform, mit der sich die "kemalistische Elite" identifiziert. Vorneweg Gallionsfiguren wie Fazil Say. Da geht es schon lange nicht mehr um Kunst, da geht es um Politik- und um Ausgrenzung des "Anatolischen". "Osmanische Elitenmusik" hat es hingegen immer wieder geschafft, aus dem Palast auch in die Meyhaneler hervorzudringen. Die Geschichte ist voll von derartigen Metamorphosen. Ich kenne von den Osmanen kein Beispiel, wo Kunst als Mittel der Segregation benutzt wurde.

Ansonsten verstehe ich diesen unnötigen Hype nicht. Die Überführung eines Museums in eine Moschee ist noch lange nicht mit der Einführung der Scharia gleichzusetzen.

Generell fällt mir in diesem Forum immer wieder auf, dass die westliche Sichtweise als die überlegene dargestellt wird. Am besten alles 1:1 auf die Türkei übertragen. Das funktioniert aber nicht. Der Orient hat andere Gesetze, hat sie schon immer gehabt.

Ich kann Dir zum Thema Musik zwar nicht das Wasser reichen und komme ohne Google nicht weit. Möchte aber sicherstellen, dass nicht der Eindruck entsteht, Atatürk hätte die "Anatolische Musik" ausgegrenzt:

Wiederum auf Atatürks Anweisung wurde 1924 eine breite Einordnung und Archivierung von Aufnahmen türkischer Halk-Musik aus Anatolien begonnen und bis 1953 fortgeführt. Während dieser Zeit wurden 10.000 Volkslieder gesammelt. Der ungarische Komponist Béla Bartók besuchte im Zusammenhang mit dieser Arbeit 1936 Ankara und den Südosten der Türkei.
Atatürks Einschränkung arabisch beeinflusster Musik wurde 1934 von Bürokraten falsch verstanden und führte zu einer kompletten Verbannung osmanischer klassischer Musik. Der Bann wurde etwa ein Jahr später von Atatürk persönlich abgeschafft.
1976 erlebte die Türkische Klassische Musik eine Renaissance und das Staatskonservatorium in İstanbul wurde gegründet, um klassischen Musikern die gleiche Unterstützung geben zu können, wie dies mit Volksmusikern schon lange der Fall war.

Quelle
 

Ottoman

Well-Known Member
Rückbesinnung?
In der Regel waren die Mütter der Sultane keine Türken, wenn ich mich nicht irren sollte. Ich glaube gar irgendwo gelesen zu haben, dass man keine Türken wollte.
 
F

filaki

Guest
Das sieht wohl eher umgekehrt aus. Atatürk hat europäische klassische Musik zum Staatsziel gemacht und damit eine Musik für Eliten geschaffen- denn das ist die Kunstform, mit der sich die "kemalistische Elite" identifiziert. Vorneweg Gallionsfiguren wie Fazil Say. Da geht es schon lange nicht mehr um Kunst, da geht es um Politik- und um Ausgrenzung des "Anatolischen". "Osmanische Elitenmusik" hat es hingegen immer wieder geschafft, aus dem Palast auch in die Meyhaneler hervorzudringen. Die Geschichte ist voll von derartigen Metamorphosen. Ich kenne von den Osmanen kein Beispiel, wo Kunst als Mittel der Segregation benutzt wurde.

Ansonsten verstehe ich diesen unnötigen Hype nicht. Die Überführung eines Museums in eine Moschee ist noch lange nicht mit der Einführung der Scharia gleichzusetzen.

Generell fällt mir in diesem Forum immer wieder auf, dass die westliche Sichtweise als die überlegene dargestellt wird. Am besten alles 1:1 auf die Türkei übertragen. Das funktioniert aber nicht. Der Orient hat andere Gesetze, hat sie schon immer gehabt.

Wie passt das mit folgenden Aussagen von Atatürk zusammen:

„Wir können oft nicht dieser Musik (türkische Musik) die gebührende Ehre erweisen. Die Musik, die wir hören, ist die wahre türkische Musik und zweifelsohne die Musik einer entwickelten Zivilisation. Die ganze Welt muss diese Musik verstehen. Um diese Musik der ganzen Welt verständlich zu machen, müssen wir als Volk den Stand der modernen Welt erreichen.“

„Freunde! Ich weiß, welche Entwicklung Ihr in den schönen Künsten für die Jugendlichen anstrebt. Dies wird auch ausgeführt. Aber vor allem sollte dabei die türkische Musik vorangetrieben werden. Das Maß für die Veränderungen einer Gesellschaft ist das Verstehen und Begreifen der Veränderung der Musik. Die Musik, die man uns heute hören lässt, ist fern von jeglichem Erfolg. Die nationale türkische Musik kann nur dadurch entwickelt werden und somit ihren Platz in der globalen Musikwelt einnehmen, indem man die feinen Gefühle und Ausdrücke des Volkes zusammenfasst und sie nach den allgemeinen Musikregeln verarbeitet. Ich hoffe, dass das Kulturministerium diesem Thema die erforderliche Bedeutung beimisst.“
 
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Laledevri

Guest
Ich kann Dir zum Thema Musik zwar nicht das Wasser reichen und komme ohne Google nicht weit. Möchte aber sicherstellen, dass nicht der Eindruck entsteht, Atatürk hätte die "Anatolische Musik" ausgegrenzt:

Er selbst nicht. Er hat sehr oft Osmanische Musik privat gehört. Und Deine Quelle gibt ja genau diesen Bürokratenschund an (irgendwo vor Jahren schrieb ich mal in diesem Forum, der Mann sei zu früh gestorben, seine Nachlassverwalter haben eine Menge falsch verstanden). Das passiert bis heute: eine kleine, pseudowestliche Elite haengt genau solche Dinge hoch und schaut herablassend auf alles 'Anatolische'. Ein Baum kann nicht stark werden, wenn man saemtliche Wurzeln ausreisst und ihn dann in die Luft haengt. Das spiegelt sich auch in der Programmatik der Konzertstaetten. Es gibt hier in İstanbul Musentempel, da darf die türkische Musik allenfalls ab Saygun beginnen und Fazıl Saz ıst der Gott. Da fragt man sich, was soll der Blödsinn? Warum muss Musik politisiert werden, warum wird sie benutzt um zu zeigen 'Wir sind besser'? Und genau wegen dieser Attitüde ist Fazıl Say für mich der denkbar unpassendste Vertreter türkischer Kultur: er liefert das, was Eurozentriker drüben und sosyete hüben hören wollen (Ein Schweizer Kommentar zum Bodenseefestival, das dieses jahr unter dem Motto Türk kültürü stand, hat das gut auf den Punkt gebracht). Treppenwitz der Angelegenheit: es hat in İstanbul von alters her beinahe jede Art von Musik gegeben, oftmals gleichberechtigt, eine Sazname aus dem spaeten 18. Jahrhundert aus dem Topkapı Sarayı zeigt, dass auch westliche İnstrumente in der Palastmusik bekannt (und in Gebrauch waren).

İch meine, machen wir uns nichts vor, eine İnstitutionalisierung der Ausbildung in türkischer Musik fand erst ab 1975 wieder statt. Katastrophal war das Schliessen der Tekkeler in den 1920ern- da ging Unschaetzbares verloren. Laeuft man nun durch Sultanahmet sieht man ein riesengrosses Poster, das zeigt, dass eine Menge an Tekkeler gerade restauriert werden. Da werden sich auch wieder die Üblichen dran aufgeilen (hat wahrscheinlich nur noch kein Welt, FAZ etc. Journalist mitbekommen, deren Horizont geht ja nur bis Aya Sofya). İch frage jetzt mal losgelöst von allem Politischen: ist es schlimm, wenn ein Land sich auf seine kulturellen Wurzeln zurückbesinnt? İst es schlimm, wenn man versucht, Schaetze zu bewahren und zu reparieren?

Mir persönlich blutet das Herz, wenn ich eine halbverfallene Tekke sehe.

Otto, Du kennst mich, Du weisst, wie ich diese Sachen meine.
Übrigens, zu Bartok in der Türkei:
http://www.turk-muzik.com/page.php?id=43&lang2=gr[/quote]
 
L

Laledevri

Guest
Wie passt das mit folgenden Aussagen von Atatürk zusammen:

„Wir können oft nicht dieser Musik (türkische Musik) die gebührende Ehre erweisen. Die Musik, die wir hören, ist die wahre türkische Musik und zweifelsohne die Musik einer entwickelten Zivilisation. Die ganze Welt muss diese Musik verstehen. Um diese Musik der ganzen Welt verständlich zu machen, müssen wir als Volk den Stand der modernen Welt erreichen.“

„Freunde! Ich weiß, welche Entwicklung Ihr in den schönen Künsten für die Jugendlichen anstrebt. Dies wird auch ausgeführt. Aber vor allem sollte dabei die türkische Musik vorangetrieben werden. Das Maß für die Veränderungen einer Gesellschaft ist das Verstehen und Begreifen der Veränderung der Musik. Die Musik, die man uns heute hören lässt, ist fern von jeglichem Erfolg. Die nationale türkische Musik kann nur dadurch entwickelt werden und somit ihren Platz in der globalen Musikwelt einnehmen, indem man die feinen Gefühle und Ausdrücke des Volkes zusammenfasst und sie nach den allgemeinen Musikregeln verarbeitet. Ich hoffe, dass das Kulturministerium diesem Thema die erforderliche Bedeutung beimisst.“

Kurz zusammen gefasst:
Wertschaetzung der eigenen Kultur ist da (und wird auch nicht bestritten). Problem: Rest der Welt versteht diese Musik nicht. Musik muss den Stand der modernen Welt erreichen. Die nationale türkische Musik muss also entwickelt werden.

Entwicklung fand statt via Gründung Konservatorien im westlichen Stil (zuerst Ankara, der deutsche Komponist Hindemith war daran massgeblich beteiligt). Erste Dokumentation dieses neuen Stils sind die 'Turkish five', fünf Komponisten.
Als Heilmittel für das Voranschreiten der türkischen Musik wurde also klar der westliche Stil, der der modernen Welt, favorisiert. Sonst haette es ja auch bleiben können, wie es war.
 

kemalpasa

Gesperrt
Das sieht wohl eher umgekehrt aus. Atatürk hat europäische klassische Musik zum Staatsziel gemacht und damit eine Musik für Eliten geschaffen- denn das ist die Kunstform, mit der sich die "kemalistische Elite" identifiziert. Vorneweg Gallionsfiguren wie Fazil Say. Da geht es schon lange nicht mehr um Kunst, da geht es um Politik- und um Ausgrenzung des "Anatolischen". "Osmanische Elitenmusik" hat es hingegen immer wieder geschafft, aus dem Palast auch in die Meyhaneler hervorzudringen. Die Geschichte ist voll von derartigen Metamorphosen. Ich kenne von den Osmanen kein Beispiel, wo Kunst als Mittel der Segregation benutzt wurde.

Ach so ein Mumpitz. Jedes Mal lese ich sowas (ausschließlich von deutschen und akpnahen Medien) und jedes Mal muss ich den Kopf schütteln. Die meisten Kemalisten hören Türkü (Türksiche Volksmusik), lesen Yasar Kemal, Nazim Hikmet, Co. (und kein Orhan Pamuk), lehnen die "orientalische" Kultur überhaupt nicht ab.

Man sollte aufhören Musik und Kunst zu politisieren. Die einzigen, die alles daran setzen, um auszugrenzen und zu spalten sind die AKP und ihre Anhänger. Jahrzehntelang haben Gläubige und Nicht-Gläubige problemlos gemeinsam gelebt, erst seit der Erstarkung der Milli Görüs/AKP haben wir diesen "Kampf der Kulturen", so ein Zufall aber auch!

Und wenns nach deren Auffassung geht, ist es schon westlich, wenn man sich etwas Kurzärmliges anzieht oder Raki trinkt (taten die alten Osmanen aber auch).
 
F

filaki

Guest
Meine Meinung:
Musik hat für mich persönlich absolut nichts mit Politik zu tun - ein Ohrenschmaus und sonst nichts.

Als ich 2001 in Israel einem Konzert beigewohnt habe, Dirigent Barenboim, gab es als Daraufgabe von Wagner einen Ausschnitt aus Tristan.Wagner und Israel.....:( Die Stille die danach eintrat war für mich beängstigend. Nach geraumer Zeit brach frenetischer Jubel und die Gegenreaktion aus....
Ein guter Teil der Zuhörer hat verstanden, dass Musik nicht etwas mit der politischen Einstellung des Komponisten oder eines Politikers zu tun hat, sie haben ganz einfach der Komposition gehuldigt und so sollte es sein.

Ich mag zum Beispiel Rembetiko nicht, bedeutet aber nicht, dass ich blind für die Sorgen der "kleinen "Leute, Zuwanderer in
Griechenland war/bin.
 
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