AW: Zwischen den Zeilen - Tagebucheinträge
Verlegte Träume
Ein Bild aus "Der Alchimist", das sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat:
Ein andalusischer Hirte träumt von einem Schatz, der am Fuße der Pyramiden begraben sein soll. Wie jeder Mensch kommt er ins Wanken: Soll er alles, was er hat - seine Schafsherde - aufgeben und die Brücken hinter sich abreißen, um einem ungewissen Traum nachzugehen?
Er tut es. Er wandert über die Meerenge von Gibralter nach Nordafrika, vor Augen Ägypten. Doch seine anfängliche Euphorie versandet, ständig drängen sich Gelegenheiten auf, sein Zelt vor Ort aufzuschlagen, vielleicht dauerhaft. Die Realität gegen einen Traum, der sich ständig wiederholt. Zuletzt das Argument mit der größten Durchschlagskraft: Die Liebe, die ihn auffordert Wurzeln zu fassen...
Schließlich die Schlüsselszene: Er begegnet einem alten Kristallwarenhändler, dessen größter Wusch es ist, die Hadj - die islamische Pilgerfahrt - anzutreten. Dennoch schimmert der Widerspruch durch: Es wird offensichtlich, dass der Beduine Angst hat seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Wenn er seinem Traum nachginge, würden er sich seiner Hoffnung berauben. Er hätte nichts mehr, das ihn am Leben hielte, es wäre für ihn ausgeträumt. Und so geht es vielen von uns...
Sokrates