AW: lange Geschichte mit gutem Ende insallah
Die Kamera wurde dann zwar abgestellt, aber sie zeigte genau in meine Richtung. Da ich mich nicht mit Kameras auskenne und auch nicht heimlich filmen lassen wollte, musste sie das Ding auch noch in die andere Richtung drehen. So, jetzt konnten wir reden. Der eine erzählte mir, dass er einen Anruf bekommen hätte und ich eine große Liebesgeschichte zu erzählen hätte. Er würde sehr gerne eine Reportage über uns drehen. Ich machte ihm dann klar, dass ich in meiner momentanen Verfassung nicht gefilmt werden möchte. Ich weiß schließlich nicht, wie alles ausgeht. Ich hatte wirklich keine Lust, dass ich im türkischen Fernsehen heulend mit dicken Mauern im Hintergrund zu sehen war. Ich sagte dann auch, dass es eine vollkommen andere Situation wäre, wenn mein Mann schon hier wäre. Alle Last wäre von mir gefallen und ich könnte über alles ganz normal reden. Aber das war nun eben noch nicht so.
Er redete immer wieder auf mich ein und gab keine Ruhe. Ich weigerte mich aber standfest. Irgendwann gab ich dann nach und willigte ein, dass wir ein Interview machen können, wenn mein Mann bei mir ist. Wann der aber kommen würde, konnte ich nicht sagen. Die beiden Männer blieben ungefähr eine Stunde und quetschten mich über die vergangenen drei Jahre aus. Ich erzählte dann ein paar Passagen aus unserem Leben. Wie wir uns kennen lernten, dass ich in Ardahan beim Militär war, wie ich Türkisch lernte und dass wir schnellstmöglich heiraten wollen. Die Reporter waren so begeistert, dass sie sich kaum halten konnten. Sie witterten eine riesige Story. Nur widerwillig zogen sie dann ab. Sie hatten noch andere Sachen zu erledigen und konnten nicht den ganzen Tag hier warten. Zum Schluss musste ich ihnen noch versprechen, dass sie die Exklusivrechte bekommen würden und wir sofort Bescheid geben werden, wenn mein Süßer draußen ist.
Was ein Glück, sie waren endlich weg. Ich weiß zwar selber, dass wir schon viel erlebt und durch gestanden haben, aber ich hatte kein Verständnis dafür, warum man darum so einen Aufriss machte. Der Cousin verzog sich wieder zu der Wache und ich las weiter in meinem Buch. Zwischendurch rief noch eine Freundin an und erkundigte sich nach den Stand der Dinge. Ich echt froh, dass ich mal wieder mit jemand normalen reden konnte. Durch den Besuch des Kamerateams war der Nachmittag relativ schnell rum gegangen. Langsam wurde das Wetter etwas unangenehm. Es wehte ein kalter Wind und die Sonne war auch schon weg. Ich fror, wollte aber noch nicht die Segel streichen. Ich redete mir immer wieder ein, dass es bestimmt nicht mehr lange dauern wird. Und ich werde auf jeden Fall durchhalten!
Der Cousin kam dann zu mir, weil der Vater von meinem Schätzchen gerade am Telefon war. Er erkundigte sich nach mir und fragte nach, ob sein Sohn schon bei uns wäre. Noch nicht, aber wir warten noch. Er erzählte dann, dass die älteste Schwester meines Mannes gerade auf dem Weg nach Alanya wäre. Wir sollten sie mal anrufen und fragen, wo sie genau ist. Für eine Sekunde dachte ich wirklich, sie wäre wegen meinem Schätzchen auf dem Weg hier her. Nein. Sie machten Urlaub hier und es war purer Zufall, dass sie genau heute gefahren waren. Ich war so enttäuscht, dass ich den Cousin einfach allein mit dem Telefon stehen ließ. Das kann doch echt nicht war sein! Kein Mensch interessierte sich für meinen Mann und noch nicht mal am Entlassungstag. Ich rief sofort meine Freundin an. Ich musste erstmal alles los werden, sonst wäre ich wahrscheinlich wütend auf den Cousin los gegangen.
Ich redete mit meiner Freundin und beobachtete den Cousin, der wieder bei der Wache am Tor stand. Ich redete mir den ganzen Frust von der Seele. Und als ich so richtig in Rage war, winkte mir auf einmal der Cousin ganz aufgeregt zu. Ich beendete schnell das Gespräch mit den Worten: "ich glaube er kommt, meld mich gleich noch mal". Dann ging ich zum Cousin rüber und schaute über das Tor hinweg auf das Gelände. Ich konnte nichts erkennen. Warum hatte er gewunken? Oh, jetzt sah ich drei Männer in zivil auf uns zu kommen, aber ich erkannte keinen davon. Als sie etwas näher waren, erkannte ich den Pullover von meinem Schätzchen, aber das Gesicht war mir immer noch fremd. Er sah mich, wurde schneller und rannte dann schließlich auf mich zu. Er war es wirklich! Es war fast 17 Uhr. So lange hatte ich auf ihn gewartet und jetzt war er endlich da. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wir fielen uns in die Arme und mir liefen die Tränen übers Gesicht. Meine Gefühle überschlugen sich in diesem Moment und ich war wahrscheinlich der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt.
Nach einer unendlichen Umarmung löste er sich von mir und begrüßte seinen Cousin. Danach nahm er sofort wieder meine Hand und wir liefen los. Ich wollte dann sofort in Deutschland Bescheid geben, dass nun endlich alles gut war. Ich suchte mein Handy und war noch so sehr am zittern, dass ich kaum wählen konnte. Meine Mutter nahm ab und mein Schätzchen sagte: "Hallo Mama". Sie stieß einen Freudenschrei aus, als sie seine Stimme hörte. Nun sagte ich noch schnell meiner Freundin Bescheid, die auch überglücklich war. Alle hatte so sehr mit mir mit gefiebert, dass ich nun die Erleichterung bis hierher spüren konnte.
Vorhin war ich nur froh, dass ich mein Schätzchen endlich wieder hatte. Aber jetzt bemerkte ich, warum ich ihn nicht sofort erkannt hatte. Er hatte recht lange Haare, die total struwwelig aussahen. Es war keine Frisur, es war einfach nur Wildwuchs. Dazu kam noch, dass er fast einen Vollbart hatte. Ich sprach ihn natürlich sofort darauf an und er meinte, dass er sich die letzten zwei Wochen nicht mehr rasiert hatte für den letzten Tag. Dies ist wahrscheinlich so ein männliches Ritual, das ich nicht so ganz verstehe. War aber auch egal, ich hatte ihn wieder.
Mein Mann griff in seine Tasche und zog einen Zettel raus. Die erste Information, die ich von seiner Haftzeit bekam, war ein Zeitungsartikel. Dieses Bild werde ich wohl nie mehr vergessen können. Auf der ersten Seite einer Tageszeitung war mein Süßer in Handschellen und mit schwarzem Balken über den Augen abgebildet. Dies war aufgenommen worden, als er von der Polizei zum Gefängnis gebracht wurde. Er sah echt aus, wie ein Schwerverbrecher. Daneben war ein Artikel, den ich dann später las. Hier stand geschrieben, dass er ein Jahr lang auf der Flucht gewesen wäre und jetzt glücklicherweise gefangen genommen wurde. Es war alles toll ausgeschmückt, damit die Leser auch schönes Futter bekommen. Aber es war alles gelogen. Hier stand nichts davon, dass er sein Militär vollständig gemacht und als freier Mann entlassen wurde. Auch kein Wort darüber, das er sich freiwillig zur Strafe gemeldet hatte. Ich hatte so eine Wut und es bestätigte wieder mal meine Meinung über türkische Medien. Alle werden wie Tiere vorgeführt. Hauptsache eine Schlagzeile!