lieber Zerd

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M

mar

Guest
AW: lieber Zerd

lieber zerd ,die Quadratur des Kreises lässt mein doch recht stückiges Wissen um mathematische Kriterien, die an Wahrscheinlichkeitsrechnungen nicht umhinkommen, vorerst im Unklaren zurück . Diese Komplexität zu überdenken macht es notwendig, das ich wie die großen Denker der Antike meinen Kopf in die Hände stütze ( nicht um sinieren, sondern mein Wissen und Denken zu erweitern. Linearität , Dualismus oder Struktur bedarf einer anderen Herangehensweise , der Logik, die zu vertiefen ich eine Atempause nehme. Aber- wie immer. Es geht sicher bald weiter... l.G. Mar


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lieber Zerd, nun, die unklaren Umrisse , die bei unseren Gesprächen ja nicht ausbleiben, würde ich nur teilweise dem stückigen Wissen der Mathematik oder eben auch der Logik anlasten , die ich eher als Geschwister der Metaphysik sehen möchte, wie auch der der anderen ebenbürtigen Richtungen unserer Denkschulen. Lineares Denken oder lineare Sprache habe ich bis dato gleich einer Möglichkeit gesehen , mich ihrer artistisch zu bedienen. In der Betrachtung des Alltäglichen, und das Alltägliche aus unerwarteten Perspektiven zu sehen , ereilt mich des öfteren eine Sprachlosigkeit, die sich immer dann einstellt, wenn Wesentliches Wortlosigkeit fordert. Ich denke wir sind da sicher sehr ähnlich in der Empfindung, dass wir allein schon mit diesen Gesprächen einen Raum sprengen, die ja sinnbildliche Umschreibung, wenn die Enge eine andere Weite erfordert. Sie erfordert Dimensionen. Und in dieser Dimension bewegen wir uns zurzeit. Sie war nicht vorhersehbar. Unser Denken von A nach B , eine als Linie gedachte Möglichkeit , mir eine (Weg-) Sicherheit für das Leben zu ermöglichen, wird ja im Moment des Aussprechens dieser „Wegbeschreibung“ paradox, weil man zwar eine Perspektive des Gesagten aussprechen kann, aber man kann sie nicht bestimmen. Das was in unserem Denken der Weg von A nach B sein kann, ist in unserem Tun möglicherweise der Weg von C nach D.


Aber ich möchte den Begriff Linearität nicht unbedingt nur als die eine Schnittstelle unserer Überlegungen sehen, weil ich durchaus die Verschiedenheit der Denkansätze sehe und gerade mich dieser mit Freude zuwende, weil ja , wie Anouk schon richtig einwarf, der Beginn unserer Überlegungen von der Gewissheit geprägt war und ist, das wir aus unterschiedlichen Richtungen kommend das gleiche Ziel anvisieren ( … )Ich sehe gerade in diesen verschiedenen Denkansätzen die Ähnlichkeiten darin, das man obwohl man dem Zuhörer das Gefühl eines Streitgespräches vermittelt, genau weiß, das man an Grenzen stoßen muss. Grenzen sind, wenn ich diese auf die Philosophie beziehe, die Erkenntnis des Sokrates, dass er weiß dass er nichts weiß--- Ich kann hier, wenn ich noch einmal auf die unglückliche Formulierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zurückkommen darf, sagen, dass die geistige Auseinandersetzung mir eine Grenzerfahrung bedeutet. Ich nehme die geistigen Anrisse (denn sie erheben ja nie Anspruch auf Vollständigkeit oder sind keinesfalls absolut) als eine Möglichkeit, mein Bewusstsein zu erweitern. Was mich im Gespräch oder auch im Umgang mit Menschen neugierig macht , was mich provozieren kann, was mich anregt und mich leidenschaftlich in Interaktion mit Menschen treten lässt , erfahre ich persönlich immer als eine Art „ Auflösung von Grenzen“

Also sind theoretische Grundlagen nicht das, was mich am Überdenken der Komplexität zum Durchatmen zwingt, sondern das Aufstoßen von Türen, das Durchschreiten von Grenzen. Ich begegne Deiner Denkweise in einem Raum, den ich durchlaufen möchte, wissend, dass es durchaus sein kann, dass ich mich in diesem Raum wieder finde. Dieses Sich- selbst- wieder -finden können ist für mich eine geistige und menschliche Grenzerfahrung die von mir eine ganz andere Sensibilität fordert ( um Dir als Mensch gerecht zu werden) als eine erklärbare Theorie, die ich notfalls wissenschaftlich belegen könnte , aber es so nicht angedacht ist von mir, bin ich doch ganz involviert durch mein Leben und seiner Vitalität . Mein zögerliches Antworten oder Überdenken einiger Deiner Passagen hat mich an Wittgenstein erinnern lassen, der meinte dass „die Logik keine Lehre ist, sondern ein Spiegelbild der Welt.“
Ich denke, dass mein Zugang zur Welt genauso viele Türen hat wie Ausgänge, also die Beweglichkeit der Philosophie durchaus Widersprüche zulassen kann.

Diese Widersprüche, Risse, Sprünge, Spuren schaffen diese Freiheit zu Denken. Unsere Materialien, die Worte erfordern ja eigentlich ein lebendiges Gegenübersitzen ganz im Sinne Sokrates, der vor der Schriftlichkeit warnte. Mag sein, das er das Inflationäre auch das der Druckerzeugnisse unserer Heutzeit voraussehen konnte, aber wir sollten doch sehr gerne auch die begehbaren Räumer der Wahrnehmung für uns in Anspruch nehmen in der Möglichkeit zu schreiben.

In Deinem Schreiben an Anouk finde ich eben genau das wieder, was ich für mein Leben unterschreiben könnte: Authentizität , vor allem aber der freiheitliche Geist, der das ermöglicht.

l.g. mar

 
M

mar

Guest
AW: lieber Zerd

Liebe Anouk, Du solltest natürlich auch von mir hören, nachdem ich die postings von zerd und Dir heute morgen vorfand- ich muss sagen, jetzt kommt eine Bewegung ins Geschehen, die nun ganz und gar nicht linear ist ( -) sondern auf der Strecke von A nach B hat sich eine kleine Krümmung eingeschlichen, die verheißen wird , das es RUND gehen wird ! Ja, in sehr vielen kann ich Dir Recht geben, was das Nähern, Beschnuppern und möglicherweise Ausloten der Ähnlichkeiten betrifft. Ich bin mir meiner schon erwähnten Grenzverletzung bewusst, die Provokation der „weiblichen“ Empfindung oder der für die Frau möglicherweise Dimensionserweiterung… Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, ob ich hier mit „Bandagen“ arbeite, weil ich ja im eigentlichen Sinn der Gespräche, die hier stattfinden, das typisch weibliche oder das typisch männliche Klischee ausklammern wollte. Der Charakter der philosophischen Diskussion ist ja seit tausenden von Jahren bestimmt, andere von seinen Denkweisen in Kenntnis zu setzen, möglicherweise derart Überzeugungsarbeit zu leisten, einen Anspruch auf Gültigkeit zu erlangen- was ja letztendlich nicht möglich ist ( wie Du sehen kannst an unseren vorangegangenen schriftlichen Fragmenten… ) Ich muss sagen, dass mich die Überlegungsarbeit an den Rand meiner Abgründe treibt , das klingt dramatisch, aber wie auch an zerd geschrieben, ist das Betreten von geistigen Räumen eine Erfahrung, die mich sehr intensiv an eine wirklich durchlebte Grenzerfahrung des Lebens und des Todes erinnert. Dieses Raum-Zeit-Gefüge ist für mich etwas Erlebbares gewesen, daher rührt vielleicht auch die Schwierigkeit, mit dem „Gefährt Leben“ noch einmal zurückzusetzen, um einen Parkplatz zu finden, den ich beim ersten Vorbeifahren flüchtig bemerkt, ignoriert habe und nun aber seine Notwendigkeit sehe, denn ich brauche ihn jetzt dringend, weil der andere Parkplatz , der ursprünglich der Richtige schien, zu klein für mein Gefährt war.
Nun aber sucht man lange, lange nach einem freien Platz- und ob man will oder nicht, immer wieder muss ich an diesem belegten Platz vorbeifahren. Man dreht seine Runden, wiederholt die Strecke, und in dieser Wiederholung finde ich den Weg.
Ich verstehe, dass inmitten der Bewegung, in der Wiederholung die Erkenntnis verborgen ist.

Im Anklingen um das Nichts, was ich durch meine Reisen nach Japan in einem Gespräch mit einem Mönch für mich zu deuten suchte , bin ich ganz und gar von dem Verständnis um das Nichts als Verneinung im abendländischen Sinne abgekommen. Es gibt ein KOAN, eine philosophische Auseinandersetzung zwischen ZEN-Meister und Schüler, der in drei Worten eine ganz feststehende Meinung umstoßen kann. Im Japanischen heißt es: MU-NI-KAERU.
Es beinhaltet im eigentlichen Sinne zwei verschiedene Aussagen. Ein Wortspiel, denn kaeru heißt auf jap. FROSCH, aber als VERB heißt kaeru zurückgehen. . Mu ist das zenbuddhistische Wort für die Leere, für das Nichts, es ist als Schriftzeichen der Kreis, der die Leere umschließt. Mu ni kaeru – also würde heißen: ins Nichts zurückgehen. Zurückgehen- habe ich den Mönch gefragt, würde doch bedeuten dass, wenn man ins Nichts zurückgeht, auch aus dem Nichts gekommen sein müsste. Er lächelt nur…Und schlagartig war mir vieles einsichtiger. Ein Jahr zuvor wurde meine Nichte geboren - und gerade in dieser Zeit ( ein Jahr danach) als ich in Japan war, verstarb meine Großmutter.. Ich bedauerte es sehr, dass hier eine familiäre Brücke verloren gegangen war. Aber ich entdeckte etwas, was mir dieses Mu ni kaeru zurückbrachte. Die Entdeckung, das Kinder und Greise in vielen Dingen eine große Nähe haben, auch verstehen ganz alte Menschen oft Kinder besser wir sagen oft das alte Leute manchmal infantil seien ( ich klammere bewusst das medizinische aus ) Die Nähe derer, die gerade aus dem Nichts gekommen sind, und derer , die dem Nichts am nächsten stehen …
Nichts anderes entsteht hier in unseren Gesprächen zwischen Menschen, die an ähnlichen Erfahrungen gereift sind, oder die an den Erfahrungen gelebten Lebens reifen wollen.

Darin schließe ich übrigens auch die Erfahrung ein, das es der Philosophie recht zuträglich sein kann, ein schönes Glas Wein / oder 2 /3 zu trinken, um losgelöst von der Schwere der Worte zu sein.
Wenn ich da so darüber nachdenke, sehe ich uns alle hier noch in gemeinsamer Vertrautheit kichernd auf dem Sofa sitzen , machen Flaschendrehen, und der auf den die Flasche zeigt , muss Kluges von sich geben…
liebe Grüße Mar
 
A

Anouk

Guest
AW: lieber Zerd

Liebe Mar,

Dein Bild vom Flaschendrehen hat mich sehr amüsiert - aber auch ein wenig erschreckt: denn auf Kommando etwas Kluges absondern, geht so wenig wie jemanden auf Kommando küssen. So wie bei launischen Musen, die sich bekanntlich stets verflüchtigen, sobald man partout von ihnen geherzt werden will, verhält es sich auch mit Ideen und reflektierten Gedanken, die auf Fingerschnipp zu produzieren doch wohl nur den Wenigsten gegeben ist. Und die interessantesten Einsichten, meine ich, entstehen am ehesten aus dem Diskurs, nicht aus mäandernden Monologen, die aus geistiger Selbstbefruchtung geboren werden, sich irgendwann in sich selbst verheddern und ohne äußere Frischluftzufuhr dann auch langsam... langsam... wieder ersticken. Aber so hattest Du es auch nicht gemeint, nicht wahr? Fein!, dann lass uns ein wenig Flaschendrehen...

Wohin weist sie heute? Warten wir's ab und betrachten wir die Zeit des Kreiselns als Zen-Übung. Auch wenn man mitunter ein halbes Leben braucht, das zu akzeptieren. Denn ein ozeanisches Lebensgefühl, das wohlige Wissen, an jedem Platz auf der Welt daheim sein zu können, solange man in sich selbst ruht und heimisch ist: will ja erobert, behauptet und verteidigt sein gegen mancherlei Anfechtungen, die zu durchschreiten eine Kunst für sich ist. Zen, wie Du schon sagtest. Und ja!, die Wiederholung gehört dazu, um uns auf unsere wahre und an sich doch nur winzige Bedeutung im Kosmos zurückzustutzen. Doch ich finde (in der Hoffnung, dass Dich das nicht allzu sehr düpiert): es schadet nicht unbedingt - ...

Denn wenn man es schafft, die Dinge quasi metaphysisch oder von einer Art olympischem Standpunkt aus zu betrachten (von dem ich aber im übrigen bezweifle, dass es ihn gibt oder wir ihn je einnehmen könnten): wenn man also eine xbeliebige Widrigkeit wie einen Stein aufheben, in der Hand wägen, von allen Seiten betrachten, sein Wesen (meinetwegen auch im Hegel'schen Sinne) erkennen bzw. durchschauen und ihn dann gelassen an seinen ursprünglichen oder einen anderen Platz zurücklegen kann: übt das doch nur im Hinblick auf das ganz große Ziel. Das Loslassen. Denn irgendwann müssen wir ja doch alles, was uns jetzt wichtig scheint, los- und hinter uns lassen.

Da kann man ruhig schon mal im Kleinen beginnen, augenzwinkernd. Es schult den Geist (auch wenn das vielleicht hochtrabend klingt). Und Steine dafür liegen ja auch überall herum. Gratis. Manchmal, wenn man Pech hat, wahre Findlinge. Manchmal kannst du das Steuer deines Gefährtes, deines Bootes, noch so hart beilegen: plötzlich knirscht's. Und dann? Üben. Nicht hadern. Jede Erfahrung als solche nehmen und weitergehen...
Umgeben von relativen Widrigkeiten, deren absolute Bedeutung ich für mich selbst angesichts des großen Weltgeschehens nie so ganz anerkennen mag, können selbst Findlinge zu Kieseln schrumpfen. Können - es sei denn, ein Freund trägt daran und zwar schwer und sieht nur den Findling. Das ist etwas anderes. Denn das eigene, subjektive Empfinden, der Wunsch, im absichtslosen Üben oder selbstvergessenen Leben - ganz wie du willst - sich schrittweise einem Ziel anzunähern und dabei immer leichter, spielerischer, gelassener mit den Steinchen des Lebens zu jonglieren, muss ja nicht die Maxime des Handelns oder Erlebens eines anderen Menschen sein...

Und wäre es anders, würden alle Menschen sich gleichen, ähnliche oder gar gleichlautende Vorstellungen entwickeln, Ansichten, Meinungen, Interessen, Erwartungen, Wünsche und Ziele: wäre die Welt doch sehr arm. Arm an Gesprächen, ärmer an Vielfalt - und ganz gewiss auch an Reibungen. Wobei letzteres auch fraglos Vorteile hätte!
Aber Reibung kann ja auch Wärme erzeugen. Und die Vorstellung einer völlig homogenen, unifarbenen, gleichgetakteten Gesellschaft erzeugt in mir, ich weiß nicht warum, eine Mischung aus gähnender Langeweile gepaart mit gelindem Grausen.

Was, frage ich Dich, Euch, hätte man sich dann noch zu sagen? Was gäbe es zu erzählen, ergründen, bereden oder überhaupt erst einmal: kennenzulernen? Doch wohl nur noch wenig... Was dann in unfreiwilligem Ergebnis wieder zu Wittgenstein führen würde: dass man beschweigen soll, wovon man nicht reden kann. Zugespitzt: beschweigen muss!, wovon dann nicht mehr zu reden wäre - !

Aber Schluss für heute mit meinen geschwätzigen Ausführungen. Eine kleine Weile werde ich jetzt schweigen und dem Sommer entgegenfahren. Dann komme ich wieder, versprochen, mit Salzwasser im Haar, Sand zwischen den Zehen und erfüllt vom Anblick und Duft schattiger Pinienbäume und blühender Bougainvilleen.

Liebe Grüße
anouk
 
M

mar

Guest
AW: lieber Zerd

Liebe Mar,

Dein Bild vom Flaschendrehen hat mich sehr amüsiert - aber auch ein wenig erschreckt: denn auf Kommando etwas Kluges absondern, geht so wenig wie jemanden auf Kommando küssen. So wie bei launischen Musen, die sich bekanntlich stets verflüchtigen, sobald man partout von ihnen geherzt werden will, verhält es sich auch mit Ideen und reflektierten Gedanken, die auf Fingerschnipp zu produzieren doch wohl nur den Wenigsten gegeben ist. Und die interessantesten Einsichten, meine ich, entstehen am ehesten aus dem Diskurs, nicht aus mäandernden Monologen, die aus geistiger Selbstbefruchtung geboren werden, sich irgendwann in sich selbst verheddern und ohne äußere Frischluftzufuhr dann auch langsam... langsam... wieder ersticken. Aber so hattest Du es auch nicht gemeint, nicht wahr? Fein!, dann lass uns ein wenig Flaschendrehen...



liebe anouk ich wünsche Dir einen wunderschönen Urlaub und das wir , wenn Du wieder da bist, den Duft von Blüten , den Sand zwischen den Zehen , und das Meeresrauschen in kleinen Häppchen serviert bekommen, so das man auch lange daran zehren kann . Ich werde auch im Juli weg sein, bis dahin ereignet sich sicher einiges... ich bin sehr gespannt wie sich alles weiterentwickeln wird , denn ich habe wirklich das Gefühl, das sich für Jeden von uns etwas herauslösen lässt aus den Extrakten unserer verschiedenen Erfahrungen und Lebenshintergründen, die zur Erkenntnis dessen führen können , wie schön es ist, in Gesprächen und Anrissen sich und sein Leben reflektieren zu lernen in manch anderer Sichtweise. Das ist einfach wunderbar, Menschen zu begegnen, die ich stets auch als Lehrer sehen kann, die Wege aufzeigen können, die aus der Weisheit der eigenen Erfahrung geschöpft , mich zuhören lassen und ich dies gerne tue.
Also dann, nimm es mit dem Flaschendrehen als Metapher, das Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Nichts den Menschen ereilen werden , so wie halt in diesem Kinderspiel, das die Teilnehmer auffordert immer gewahr zu sein, das er der Nächste sein kann der sich einbringen muss in den Fluss des Geschehens , obwohl er nicht damit rechnen möchte... Wir werden aufgefordert wach zu sein für die Möglichkeit ....Ich lehne mich manchmal zurück und lese alle Beiträge durch und sehe dann , wieviel Gesagtes schon durch die Kommunikation , den Dialog und Trialog spürbar vertieft als Vertrautes daherkommen kann. liebe Grüße , Sonne Strand und eine gute Zeit wünscht Dir Mar
 
A

Anouk

Guest
AW: lieber Zerd

Liebe Mar,

Dank Dir für Dein virtuelles Winken, ich winke zurück, schon halb unterwegs.

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Lieber Zerd,

seit Tagen will ich Dir, zum Beispiel, den Sinn und Unsinn geschlechterspezifischer Zuschreibungen mit einem klaren und entschiedenen "Jein" beantworten, da schob sich gestern nacht Mars Posting dazwischen, so anregend wie Deines und in der Gunst der Stunde spontan aufgegriffen. Also verzeih, wenn Deine Gedanken an dieser Stelle vielleicht ein wenig zu kurz gekommen sind, untergehen werden sie nicht; mir fällt viel dazu ein, aber erst später, zumal eine türkische Freundin nun auf den letzten Drücker auf den Gedanken verfiel, Wäscheklammern, Pferdesalbe und Kaffeeweißer zu ordern – deutsche Wäscheklammern, schreibt sie, halten angeblich länger und fallen nicht so schnell auseinander wie türkische. Und schon wieder habe ich anders als geglaubt dazugelernt und räume eilends meinen Elfenbeinturm, um mit fliegenden Rockschößen die nächste Drogerie zu stürmen – Deine Gedanken nehme ich (nebst weniger philosophischen Überlegungen zum Wesen der Wäscheklammer an und für sich) mit in den Urlaub. Sofern der altersschwache Koffer nicht beim CheckIn platzen sollte, auch das gab’s bereits, werde ich bald genügend Muße haben, den Fortgang unserer Unterhaltung nicht vorwegzunehmen (geht sowieso nicht), sondern mich einfach: darauf zu freuen wie ein Kind.


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Lieber Turgay,

Dir möchte ich einfach mal ein ganz dickes, fettes Dankeschön! dafür sagen, dass Du mar, Zerd und mir und hoffentlich noch vielen Anderen, die hier und da weitere Farbtupfer und Glanzlichter setzen könnten, in Deinem virtuellen Wohnzimmer so großzügig Platz eingeräumt hast. Deine Gastfreundschaft ist einfach wohltuend.

Adieu + au revoir!


anouk
 

turkish talk

Well-Known Member
AW: lieber Zerd

Vielen Dank,
aber, ganz ernsthaft, dieses Dankeschön ist nicht notwendig.
Es macht Spaß, die Unterhaltung mitzuverfolgen, zu erfahren, welch interessante Menschen zu turkish-talk.com gefunden haben. Das haut mich regelmäßig um, um es mit Holden zu sagen.

Zitat von Anouk:
Dir möchte ich einfach mal ein ganz dickes, fettes Dankeschön! dafür sagen, dass Du mar, Zerd und mir und hoffentlich noch vielen Anderen, die hier und da weitere Farbtupfer und Glanzlichter setzen könnten, in Deinem virtuellen Wohnzimmer so großzügig Platz eingeräumt hast. Deine Gastfreundschaft ist einfach wohltuend.

Danke Euch allen!
 

Zerd

Well-Known Member
AW: lieber Zerd

waehrend unserer unterhaltung gingen mir immer wieder zitate und buchstellen durch den kopf und blieben dann doch unerwaehnt. einige davon habe ich nun zusammengetragen und abgetippt...

"Eins zu sein mit allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.
Eins zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit, wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das kochende Meer der Woge des Kornfelds gleicht.
Eins zu sein mit allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, wie die Regeln des ringenden Künstlers vor seiner Urania, und das eherne Schicksal entsagt der Herrschaft, und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert die Welt.
Auf dieser Höhe steh ich oft, mein Bellarmin! Aber ein Moment des Besinnens wirft mich herab. Ich denke nach und finde mich, wie ich zuvor war, allein, mit allen Schmerzen der Sterblichkeit, und meines Herzens Asyl, die ewigeinige Welt, ist hin; die Natur verschliesst die Arme, und ich stehe, wie ein Fremdlich, vor ihr, und verstehe sie nicht.
Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich töricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.
Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mittagssonne.
O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt, und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein missratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stiess, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab." Aus Klopstocks Hyperion.

"Ist es eine Binsenwahrheit, zu sagen, dass das, was normal ist, eine Abmachung ist? Hilft es uns etwas, zu wissen, dass in andern gesellschaften, zu anderen Zeiten, das, was für uns unverrückbar aussieht, zu den undenkbaren Dingen gehört? In welchem Mass ist die Wirklichkeit das, was wir denken, es sei die Wirklichkeit? Wie reagieren wir darauf, dass wir, obwohl diese Wirklichkeit wie eine nasse Seife nichtrecht zu fassen ist, mit der Notwendigkeit ausgerüstet sind, uns an das Geflecht der Spielregeln anzupassen, das wir bei unserem Erscheinen auf der Welt vorfinden? Ist unsere individuelle Entwicklung nur ein Anpassungsprozess? Wie gern, wie ungern geben wir mehr und mehr die privaten Bedeutungen unserer Kinderwörter zugunsten des gemeinsamen Nenners auf, auf den sich die vielen vor uns schon geeinigt hatten? Ist die Sprache ein Anker, mit dem wir uns in der AUssenwelt festhalten? Geben wir mit dem Annehmen von Sprache vor allem auch zu erkennen, dass wir bereit sind, die Realität und deren Spielregeln zu akzeptieren? Sind die elementarsten Gedanken, Sehnsüchte, Gefühle ausserhalb der Sprache angesiedelt? Kollidieren die Sehnsüchte mit der Wirklichkeit?" Nur einige von vielen weiteren Fragen in Urs Widmers Das Normale und die Sehnsucht.

"Auch hinter aller Logik und ihrer anscheinenden Selbstherrlichkeit der Bewegung stehen Wertschätzungen, deutlicher gesprochen, physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben. Zum Beispiel, dass das Bestimmte mehr Wert sei als das Unbestimmte, der Schein weniger wert als die ´Wahrheit´: dergleichen Schätzungen könnten, bei aller ihrer regulativen Wichtigkeit für uns, doch nur Vordergrunds-Schätzungen sein, eine bestimmte Art von niasiserie, wie sie gerade zur Erhaltung von Wesen, wie wir sind, not tun mag. Gesetzt nämlich, dass nicht gerade der Mensch das ´Mass der Dinge´ ist...
...
´Gemäss der Natur´ wollt ihr leben? Oh ihr edlen Stoiker, welche Betrügerei der Worte! Denkt euch ein Wesen, wie es die Natur ist, verschwenderisch ohne Mass, gleichgültig ohne Mass, ohne Absichten und Rücksichten, ohne Erbarmen und Gerechtigkeit, fruchtbar und öde und ungewiss zugleich, denkt euch die Indifferenz selbst als Macht - wie könntet ihr gemäss dieser Indifferenz leben? Leben - ist das nicht gerade ein Anders-sein-wollen, als diese Natur ist? Ist Leben nicht Abschätzen, Vorziehn, Ungerecht-sein, Begrenzt-sein, Different-sein-wollen? Und gesetzt, euer Imperativ ´gemäss der Natur leben´bedeute im Grunde soviel als ´gemäss dem Leben leben´- wie könntet ihr´s denn nicht? Wozu ein Prinzip aus dem machen, was ihr selbst seit und sein müsst?..." Aus Nietzsches Jenseits von Gut und Böse
 
M

mar

Guest
AW: lieber Zerd

Lieber zerd,
ich bin überrascht, wie sich die Gedanken fügen- habe ich doch in so vielen Momenten ausrufen mögen: schau dort und da ! Diese wunderbaren Texte unserer Philosophen, die uns , in stillen Stunden zur Hand genommen, das genau aufzeigen, woran wir unsere Unterhaltung und das Ringen um die Erkenntnisse unseres Seins emporsteigen lassen. Insbesondere bei Nietzsche habe ich sehr oft in früheren Tagen meine Seele verirren lassen, bin abgetaucht in diese Sprache voller Poesie und Kraft. Weißt Du übrigens, das , wenn man von DEN Dichtern der Deutschen Sprache spricht, nicht unbedingt Goethe nennt, sondern Friedrich Nietzsche und Martin Luther ? Als ich dies zum ersten Mal hörte , mochte ich dies nicht glauben,weil doch Goethe , so unglaublich dies war , in meiner Schulzeit mein allerliebster Dichter war ( zum Unverständnis der Altersgenossen) . Aber bei Nietzsche gab es etwas , was dem Ringen um „ Ausdruckverleihen“ der Essenz des Lebens am Nächsten kommt, wenn von Gott die Rede sein sollte. Im Zarathustra oder auch die Fröhliche Wissenschaft, gleich auch in Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben ist eine so beschwörende, betörende Sprache , das man sehr leicht in Versuchung gerät, die Rhythmik und Melodie in seine Alltagssprache zu integrieren. Das war , denke ich auch ein Zeitphänomen, ähnlich wie Stephan George , wo Sprachstil im Gesamtklang zu den Philosophien angestrebt wurde und es zu einer Spracherweiterung kommen musste, die gleichzeitig eine Horizonterweiterung, eine Erweiterung der Wahrnehmung zur Folge hatte. Das Epische in solchen Stile habe ich auch bei Antoine de Saint Exupery entdeckt. Viele kennen den kleinen Prinzen, aber das wesentliche Werk ist die „Citadelle“ auf deutsch: die Stadt in der Wüste. Das , was Nietzsche in seinen Werken uns im ersten Eindruck hinterläßt , scheint, wenn ich Exupery lese , im zweiten Eindruck klarer. Hätten beide zur gleichen Zeit gelebt, gegensätzlicher hätte man nicht sein können , aber ähnlicher auch nicht. Das Göttliche in der Sprache ist hier nirgends anders so transparent, so offensichtlich die Zeitsprünge zweier genialer Köpfe...
Die Aussagen aller Philosophen scheinen sich hier zu begegnen und gerade in der Gegensätzlichkeit der Denkansätze , Humanismus und Nihilismus entsteht diese unglaubliche Spannung, tiefer in das Wesen der Menschlichkeit vorzudringen.
Und wieder bin ich bei der Sprache , die uns die Möglichkeit gibt, Philosophie als ein Spiel zu sehen, Lettern zu setzen, zu verändern , zu verwerfen, zu überdenken...und lande dann wieder bei Nietzsche, der die Sprache als Kunst betrachtend und als Verkünder von Wahrheit UND Lüge als Korrespondenztheorie im Bezug auf den Sachverhalt der Aussagen im Kontext der Zeit sehen mag.
Es ist unglaublich und schön zugleich, wenn man Deine ausgesuchten Zitate nacheinander liest ohne Zwischenabsatz und ohne den Autor zu zitieren. Lässt man die verschiedenen Schreibstile mal außer acht, geht hier ein Ganzes einher und das durch mehrere Jahrhunderte , und es streift alle Facetten unsere bisherigen Unterhaltungen.

„wie könnte ich dir begreiflich machen, was ich suche? Es handelt sich nicht mehr um einen Gegenstand, der zu den Sinnen, sondern der zum Geist spricht. Verlange nicht von mir, ich solle das Zeremoniell rechtfertigen, das ich auferlege. Die Logik steht mit den Dingen auf einer Stufe und nicht mit dem Knoten, der sie verknüpft. Hier habe ich keine Sprache mehr. Du hast sie gesehen , die Raupen, wie sie ohne Augen dem Licht entgegenwandern oder den Baum erklommen. Und du, der du sie als Mensch betrachtest, findest Worte für jenes Wohin, dem sie zustreben. Du folgerst LICHT oder GIPFEL . Sie aber wissen davon nichts... So empfängst du auch etwas von meiner Kathedrale, von meinem Jahr, von meinem Gesicht, meinem Vaterland: siehe, das ist deine Wahrheit, und dein Wind der Worte kümmert mich wenig, er taugt nur für Dinge. Du bist die Raupe. Du begreifst nicht , was du suchst ...aber die Raupen kennen ihre Sonne nicht , die Blinden kennen ihr Feuer nicht, und du kennst das Gesicht nicht, das dir als Vorbild dient , wenn du einen Tempel baust, der das Herz der Menschen erhebt.... „ A. de Saint- Exupery ( Citadelle)
...
 
M

mar

Guest
AW: lieber Zerd

Lieber Zerd, die Regentage , diese unwirkliche Stimmung sind eigentlich gemacht zum Sinnieren, das In-sich-Einkehren und die Hoffnung haben, das die Dinge, die man sich im Kopf und in der Seele zurechtgelegt hat, auch im Sonnenschein Bestand haben...Seit meinem letzten Eintrag sind ein paar Tage verstrichen und ich habe mich interessanterweise noch einmal mit Nietzsche beschäftigt, nicht die totalen und sehr herausfordernden Texte, sondern Fragmente und der Umschlagtext auf der Rückseite hat einen interessanten eyecatcher : " es gibt in der Welt einen einzigen Weg, auf welchem niemand gehen kann, außer dir: wohin er führt? Frage nicht, gehe ihn" Als ich das las, habe ich noch einmal das Buch aufgeschlagen- und fand auf Seite 118 einen Absatz, der fast schockierend zu sein scheint . " Der Wert mancher Menschen und Bücher beruht allein in der Eigenschaft, jedermann zum Aussprechen des Verborgensten , Innersten zu nötigen; es sind Zungenlöser und Brecheisen für die verbissenen Zähne. Auch mancher Ereignisse und Übeltaten, welche scheinbar nur zum Fluche der Menschheit da sind , haben jenen Wert und Nutzen". Ich habe versucht , die Zwischenräume der beiden Aussagen zu finden, zwischen dem Weg, der zu gehen und zwischen dem Aussprechen das zu sagen läge. Dabei bin ich auf eine Sekundärliteraturstelle gestoßen und ich gewahr, das ich doch diese Geschichte aus Nietzsches Leben vor langer Zeit zu verknüpfen suchte mit Lou Andreas Salome, die mit Nietzsche und Paul Ree eine der ersten studentischen und den Interessen beugenden Wohngemeinschaften in Leipzig, begründet hatte.
Gerade , weil ich noch einmal die Stadt in der Wüste zitierte , geriet ich doch etwas in Denkernot- bin ich zu sehr abgeschweift vom Eigentlichen? Nietzsche schien doch sehr , schon alleine durch seine Professur, mehr seiner Beobachtungen am Menschen erlegen zu sein, während Saint- Exupery doch sehr introvertiert schien- und ich schätze, durch seine Piloten-und Fliegertätigkeit über der Sahara einen ganz anderen Blick auf die "Welt" geworfen hatte ( ich gehe mal nicht auf seine familiären Umstände ein- die teils an Marcel Proust ) erinnern. Ich hatte darüber nachgedacht, durch welche Dynamik beide Dichtern zu diesen grenzwertigen und fraktal (bei Nietzsche empfinde ich das manches mal) anmutenden Aussagen brachte. Nietzsche, der die Nähe zu Menschen suchte und gleichzeitig fürchtete oder S.-Exupery der aufgrund seines Berufes wenig Kontakt hatte; beide sind Einzelgänger ...Sind beide Dichter Schiffbrüchige, Unbeheimatete , und dennoch sehr freie Menschen? Ist Freiheit mehrdeutig? In dem Moment der Konfrontation beider Dichter und Philosophen hat sich mir etwas erschlossen- die Erfahrung ist eine Momentaufnahme, sie ist Ausdruck von Bewegtheit und Bewegtwerden. Die Wege sind aus verschiedenen Richtungen im Zentrum der Aussage aufeinanderprallend. Gleich ob aus der Stille heraus , hoch über den Wolken oder mitten im Menschengetöse- in allen Dimensionen erfährt der Mensch eine initiatische Weite seines Lebens, ob nihilistisch oder lebensbejahend ... so wie wir es empfinden , so prägt und formt sich und nähert sich der Wendepunkt, seinem Leben einer Sinnlehre oder einer Sinnleere zuzuwenden... l.G. Mar
 
A

Anouk

Guest
AW: lieber Zerd

Lieber Zerd,

endlich finde ich Zeit für eine Antwort nicht nur zwischen Tür und Angel. Das Kind schläft, der Hund schnarcht friedlich zu seinen Füßen, draußen nieselt es, der Wind streicht durch die Bäume und trägt wummernde Rhythmen vom Hafen heran. Dort feiern sie jetzt wie jedes Jahr zu Pfingsten, und danach wird’s so weiter gehen, den ganzen Sommer, mal hier und mal dort. Manchmal würde ich gern hingehen. Manchmal tu ich’s sogar und amüsiere mich dann wie Bolle. Aber meist hab ich für solche Events nur ein höfliches, nahezu ethnologisches Interesse übrig. (Und natürlich bereits einen passenden und pseudo-gelehrt klingenden Titel im Kopf: Folkloristische Sitten und Gebräuche der Einheimischen in Norddeutschland unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses weit überdurchschnittlicher Alkoholzufuhr auf das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Kleinstädter zur Sommerzeit. Irre, oder?)
Aber nun schnell weg von diesen Niederungen (zumal der Titel zur Hälfte von einem Film geklaut war, den ich leider auch nicht gesehen hab) – und hin zu Deinen inzwischen gut abgehangenen Überlegungen bezüglich geschlechtstypischer Rollenzuschreibungen!

Zerd, ich muss dir sagen: ich halte auch nichts davon. Rein gar nichts! Aber irgendwo muss es ja herkommen, diese Aufteilung der Welt in "männliche" und "weibliche" Schablonen. Die Ursprache der Menschheit beispielsweise, die Musik, kennt Dur und Moll. Sämtliche Dur-Tonarten, vom Charakter her eher fröhlich, hell und "hart", galten unter klassischen Komponisten landläufig immer als männlich, während die Paralleltonarten in Moll ihres angeblich weicheren und "weiblichen" Charakters halber z.B. für Nocturnes und irgendwelches tragisch pompöses Gedöns bevorzugt wurden.

Okay, das kommt jetzt sehr verkürzt daher, aber sofern du dich für klassische Musik erwärmen kannst, vergleiche zum Beispiel spaßeshalber mal Chopins Etüden oder Preludes (dem für meine Begriffe komplett zu Unrecht sehr weibliche Eigenschaften angedichtet werden) mit beliebigen Klavierwerken von Haydn. Papa Haydn stand mehrheitlich auf Dur (weswegen ich ihn in Phasen ausgedehnter Pubertätsverwirrung, gottlob lange her, als außerordentlich läppisch empfand und gar nicht begriff, wie schön seine Klavierkonzerte in Wahrheit sind). Die unterschiedlichen Epochen beim Hören bitte konsequent ausblenden!

Und dann sag mir bei Gelegenheit mal, wie dir das vorkommt. Was würdest du mit männlich assoziieren? Was mit weiblich? Ich wage zu behaupten: dass nach halbwegs europäisch geprägten Hörkonventionen das Ergebnis immer gleich, nämlich wie oben geschildert ausfällt. Und die – zugegeben unbeholfene – Charakterisierung von Tonarten als männlich oder weiblich leuchtet (zumindest mir) vor diesem Hintergrund durchaus ein. Du kannst natürlich auch andere Komponisten nehmen und dich in deren Musik fallen lassen, ganz wie’s beliebt; aber der Einfachheit halber wollte ich’s halt zuspitzen.

Und ansonsten gebe ich dir Recht! Ohne in abgedroschenes Yin & Yang-Geschwätz ausbrechen zu wollen (das eignet sich nach meinen Beobachtungen, wenn überhaupt, höchstens für angestrengte Flirts, die einem von vornherein hinterher peinlich sind), bin ich der Auffassung, dass die Aufteilung der Welt in männlich und weiblich die allergrässlichsten Missverständnisse produziert. Völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst. Und ich will dir auch nicht zu nahe treten, aber wenn deine, wie du schreibst, überaus intelligente Gattin oder Ex-Gattin dich für einen verkappten Schwulen gehalten hat, kann sie etwas sehr Wesentliches im Leben noch gar nicht begriffen haben: Dass Frauen ebenso männliche Eigenschaften besitzen wie Männer weibliche. Dass dieser ganze Definitions-Kokolores im Endeffekt nur kulturell determiniert und ergo sehr relativ ist.

Im Menschen angelegt ist immer beides. Beides ist vorhanden. Alles. Welche Eigenschaften dann nach vorne treten und welche in den Hintergrund, welche von der Gesellschaft gefördert oder (als rollenunspezifisch) sanktioniert werden, ist letztlich eine Frage des kulturellen Kontextes. Oder was meinst du?

Die Buschtrommeln schweigen. Ab ins Bett.

Iyi geceler

anouk

P.S. Der von mir ungeliebte Nietzsche musste heute ebenso warten wie der im Gegensatz dazu sehr geliebte Saint-Exupery - sorry, liebe Mar! Demnächst...
 
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