Nicht unbedingt. Ich traue dem Menschen und der Menschheit durchaus viel mehr zu als in den vergangenen hundert Jahren abgerufen und angestellt wurde. Ich frage mich aber eben auch, wie das gelingen kann, welche Voraussetzungen und Randbedingungen dafür erfüllt sein müssen. Und da scheint mir eine Grundeinstellung wie "Klappt doch alles wunderbar, weiter so, wir machen das schon" unter diesen Umständen nicht unbedingt die beste Voraussetzung zu sein. Darum habe ich Deinem doch sehr optimistischen Bild über die Zukunft die dunklen Seiten der letzten hundert Jahre entgegengehalten.
Diese Entwicklung war meiner Ansicht nach nämlich sehr stark beseelt und getrieben von eben jener Grundeinstellung des "schneller, höher, weiter" und dass Fortschritt per se immer gut sei und in die richtige Richtung weise. So ist es aber nicht: wir sind Menschen und irren ist menschlich, wir mach sehr wohl Fehler, durchaus auch kollektiv und gruppendynamisch. Also muss jeglicher Fortschritt angemessen untersucht und bewertet werden, Fehler und Fehlentwicklungen müssen als solche identifiziert und benannt werden und die Überzeugung wachsen, diese zu korrigieren.
Nehmen wir etwa Dein Beispiel mit den Computern. Ich schätze mal, davon ausgehend, dass es heute in nahezu jedem Haushalt mindestens einen Computer gibt, schliesst Du, dass der Bedarf wohl wesentlich höher war als jener IBM Manager damals vorausgesagt hat. Ja, die Nachfrage ist dem Angebot durchaus gefolgt und das darf man dann auch "Bedarf" nennen. Aber lass uns diesen Bedarf doch etwas näher ansehen: wofür wird denn das Gros der Privatcomputer, vielleicht abgesehen von einigen Geschäftsbriefen, die die Schreibmaschine ersetzt haben, und Tabellenkalkulationen, die den Taschenrechner ersetzen, genutzt? Ich denke mal, im wesentlichen sind das Kommunikationsplattformen, Spiele, Werbefläche, virtuelles Einkaufszentrum, kannst Du mir da zustimmen? Wie soll, wie kann man das bewerten? Natürlich kann man es sich leicht machen und sagen: die Menschen haben das so gewollt, es war wohl ein gewisser Bedarf vorhanden. Aber so einfach ist es nicht, die Menschen haben mannigfaltige Wünsche und Bedürfnisse und nicht allen geben sie unter allen Umständen nach, manche Bedürfnisse werden auch erst erzeugt, geweckt, gefördert. Aber die grundsätzliche Frage bleibt: wie ist es etwa zu bewerten, dass immer mehr Menschen einen immer größeren Anteil ihres sozialen Lebens im stillen Kämmerlein vor einem Bildschirm hockend realisieren? Dass Spiel und Spass, das früher ein ganz zentrales Element des sozialen Lebens war, heute quasi zu einer Privatangelegenheit mutiert? Was macht das aus einem Menschen, der seine Bedürfnisse auf diese Weise stillt, wie wirkt es auf ihn, wo führt das hin? Ganz ähnliche Fragen lassen sich auch bezüglich anderer Innovationen stellen, die auf einen scheinbaren Bedarf hindeuten: Handy, Fernsehen, ja sogar Auto.
Es könnte ja sein, dass wir so nur ein ziemlich ungesundes Bedürfnis nach Bequemlichkeit befriedigen, und Hedonismus kultivieren, zwanghafte Verhaltensweisen erzeugen? Ob es so ist, sei dahingestellt, aber zumindest darin sollten wir einig sein, dass blinder Fortschrittsglaube genauso verkehrt ist wir die konsequente Ablehnung jeglichen Fortschritts. Ich plädiere einfach für etwas mehr Differenzierung, für eine etwas kritischere Betrachtung unserer jüngsten Entwicklung und des Punkts, an dem wir heute stehen. Denn das sollte klar sein: wie die Zukunft auch aussehen mag, wir werden sie gestalten, wir werden sie machen, alle zusammen und jeder für sich, wir werden verantwortlich sein dafür. Und heute fängt sie schon an...