Afghanistan

EnRetard

Well-Known Member
Wenn die Taliban nun innerhalb von ein paar Wochen das ganze Land erobern, heißt das, sie haben genügend Rückhalt in der Bevölkerung. Ich gehe aber noch eiter als @Mendelssohn und finde, die westlichen Länder sollten alle Geflüchteten aufnehmen, die sich darauf verlassen hatten, dass die Taliban dauerhaft erledigt seien und wegen ihres westlichen Lebensstils nun in größter Gefahr sind.
 

Bintje

Well-Known Member
Wenn die Taliban nun innerhalb von ein paar Wochen das ganze Land erobern, heißt das, sie haben genügend Rückhalt in der Bevölkerung. Ich gehe aber noch eiter als @Mendelssohn und finde, die westlichen Länder sollten alle Geflüchteten aufnehmen, die sich darauf verlassen hatten, dass die Taliban dauerhaft erledigt seien und wegen ihres westlichen Lebensstils nun in größter Gefahr sind.
In der Kernforderung d'accord, aber ansonsten täuschst Du Dich: Das Erdulden der Taliban ist kein Rückhalt im ideologischen Sinne, sondern das Ergebnis von Terrorisierung der Zivilbevölkerung durch unvorhersehbare, blutige Anschläge, die sich auch in den Jahren der Besetzung durch westliche Truppen hauptsächlich gegen einheimische Zivilisten richteten. Dazu kommen Drogenhangel, Schutzgelderpressung und ähnliche Schurkereien. Befeuert wird das alles, heißt es, u.a. durch Pakistan, wo die Taliban sich ursprünglich erst in religiösen Schulen sammelten, bis sie erstarkten, aber angeblich - oder zumindest laut Al Jazeera - auch durch Russland, die ihnen Waffen liefern sollen.


Indien soll nebenbei auch eine undurchsichtige bis unrühmliche Rolle spielen. Und die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan sind nicht zu unterschätzen. Ihr werdet es vermutlich nicht mitbekommen haben, zumal hier wenig dazu berichtet wurde, aber kürzlich wurde die Tochter des afghanischen Gesandten in Pakistan kurzzeitig von Unbekannten verschleppt, misshandelt und mit einer unmissverständlichen Drohung gegen ihren Vater wieder freigelassen. Was zu vehementen Protesten in Kabul führte und dazu, dass die afghanische Regierung ihren Diplomaten samt Familie sofort abzog und in Sicherheit brachte. Pakistans Regierungschef Imran Khan versprach zwar umgehende Aufklärung, und Islamisten dementierten sofort, dass sie involviert seien, aber danach wurde es nebulös. Ob pakistanische oder indische Geheimdienstler beteiligt waren, blieb nach allem, was ich nachvollziehen konnte, so im Dunklen wie die Darstellung von Pakistans Innenminister, wonach es sich um eine "internationale Verschwörung" handele und die Angaben der jungen Frau - die ihrer Verletzungen halber tagelang im Krankenhaus von Islamabad war - angeblich zweifelhaft und unglaubwürdig seien. Angeblich gebe es keine Beweise für ihre Aussagen, die sie anschließend bei der Polizei gemacht hatte. Ultrakonservative Hardliner sprangen ihm darauf sofort bei und zogen die Moral des Opfers in Zweifel (nach dem Motto: warum sie denn ohne Begleitung das Haus verlassen habe???).

Unappetitlich, das alles - abgesehen davon, dass das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Pakistan und Afghanistan dadurch weiteren Schaden genommen hat. Es ist aber trotz der exponierten Rolle der Diplomatentochter, die offenbar nur deshalb ins Visier der Entführer geriet, weil ihr Vater in Islamabad/Pakistan zur afghanischen Elite zählte, ein exzellentes Beispiel für die Gefahr und die Spannungsfelder, in denen sich jüngere und modern erzogene, sowohl muslimischen als auch westlichen Werten zugewandte Menschen dort bewegen.

Das gilt natürlich umso mehr für langjährige Unterstützer:innen ausländischer Truppen in Afghanistan. Von denen sicherlich jeder weiß, wie sie ihr Geld verdienten, für wen sie arbeiteten: Sie und ihre Familien gelten als "Spione", die zu eliminieren den menschenverachtenden Taliban ein Anliegen ist.
Ungeachtet wolkiger Versprechungen gegenüber der Bundesregierung, die vermutlich nur eine weiteren Fluchtwelle vorbeugen will und ihre Sicherheitseinstufung für Afghanistan zumindest nach meinem Kenntnisstand trotz des Abzugs bislang nicht angepasst hat.

Die USA machen es sich übrigens hemdsärmelig leicht. Anträge von Flüchtlingen auf Einwanderung nach USA setzen voraus, dass die Menschen aus eigener Kraft das Land verlassen und mindestens ein Jahr in einem Drittstaat unterkommen sollen, während ihr Antrag bearbeitet wird.
Was von der Türkei bereits (zu Recht!) kritisiert wurde.


"Das werde für eine neue Migrationskrise in der Türkei sorgen und das Leid der Afghanen auf den Migrationsrouten verstärken, hieß es."
 

Bintje

Well-Known Member
Für mich sagt das alles das man sich da nicht einmischen sollte.
Die Frage ist, wie Du Einmischung definierst? Land und Leute völlig sich selbst zu überlassen und untätig zuzuschauen, wie die zart aufgekeimte Demokratie sich im Zeitraffer in einen Playground für die Taliban einerseits und den IS andererseits verwandelt, kann auch nicht in unserem Interesse liegen. Die Extremisten sind zwar verfeindet, aber die normale Bevölkerung wird dazwischen zerrieben oder von den Steinzeit-Terroristen des IS direkt in die Fänge der mittelalterlichen Taliban getrieben.
 

EnRetard

Well-Known Member
Die Frage ist, wie Du Einmischung definierst? Land und Leute völlig sich selbst zu überlassen und untätig zuzuschauen, wie die zart aufgekeimte Demokratie sich im Zeitraffer in einen Playground für die Taliban einerseits und den IS andererseits verwandelt, kann auch nicht in unserem Interesse liegen.


Ich halte es für unmöglich und auch für arrogant, ein westliches Staatsmodell in Afghanistan umsetzen zu wollen.
 

Bintje

Well-Known Member
Ich halte es für unmöglich und auch für arrogant, ein westliches Staatsmodell in Afghanistan umsetzen zu wollen.
Wer sagt das denn? Nein, es ginge darum, die Auswirkungen der Transformationsgesellschaft, die der westliche Einsatz in Afghanistan hinterlassen hat, u.a. finanziell aufzufangen. Die schulische Ausbildung von Mädchen ist unter den Taliban so gefährdet wie Gesundheitseinrichtungen - und sei es, weil sie Ziel von Anschlägen werden. Und Impfkampagnen ausgerechnet in Zeiten von Corona sausen zu lassen, weil "der Westen" sich auf keinen Fall engagieren sollte, ginge ebenfalls nach hinten los.
 

EnRetard

Well-Known Member
Achso, ich dachte, du meintest eine Mehrparteiendemokratie westlicher Prägung, wie sie in Pakistan, dem failed state nebenan, so wunderbar funktioniert. Was das Bildungs- und Gesundheitswesen betrifft, so fürchte ich allerdings, das Geld es nicht retten wird. Das ginge nur mit militärischer Macht.
 

sommersonne

Well-Known Member
Die Frage ist, wie Du Einmischung definierst? Land und Leute völlig sich selbst zu überlassen und untätig zuzuschauen, wie die zart aufgekeimte Demokratie sich im Zeitraffer in einen Playground für die Taliban einerseits und den IS andererseits verwandelt, kann auch nicht in unserem Interesse liegen. Die Extremisten sind zwar verfeindet, aber die normale Bevölkerung wird dazwischen zerrieben oder von den Steinzeit-Terroristen des IS direkt in die Fänge der mittelalterlichen Taliban getrieben.
Warum liegt das nicht in unserem Interesse? Das sollte uns egal sein, warum müssen wir immer versuchen den westlichen Lebensstil anderen Kulturen aufzudrücken? Und welche zart aufkeimende Demokratie meinst du denn? Ich kann keine entdecken. Das zarte Pflänzchen, wenn man es überhaupt so bezeichnen kann, beschränkte sich auf die Hauptstadt. Die Warlords im Rest des Landes haben gemacht was sie wollten.
Warum müssen wir das Mittelalter aus Afghanistan vertreiben, scheinbar möchten sie doch so leben. Sonst hätten die Taliban jetzt nicht so rasche mühelose Erfolge. Die afghanische Armee hat schon vor Tagen aufgegeben.

Es ging doch wohl auch eher darum das die USA den Russen/Sowjetunion zeigen wollten das sie es im Gegensatz zu ihnen schaffen würden und die restlichen westlichen Länder mussten sich als Verbündete beteiligen.
 

Alubehütet

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Nach dem 9/11 mußte irgend jemand dafür bezahlen. So etwas kann man sich nicht ungestraft gefallen lassen. Und Afghanistan schien sich anzubieten, weil es kein wichtiger politischer Player ist einserseits, andererseits tatsächlich Terror-Ausbildungslager unterhielt und mutmaßlich Bin Laden beherbergte. Letzteres galt zwar auch für Pakistan. Die aber zu bombadieren wegen 9/11 schien nicht so leicht.

Mit Mittelalter hat diese Barbarei nichts zu tun. Männer dürfen nichtverwandte Frauen nicht ohne Burka sehen, geschweige denn nackt. Frauen dürfen keinen Beruf erlernen, geschweige denn, ausüben. Was macht eine Frau, die ein gynäkologisches Problem hat?
 

sommersonne

Well-Known Member
Nach dem 9/11 mußte irgend jemand dafür bezahlen. So etwas kann man sich nicht ungestraft gefallen lassen.
Ja so einfach ist das, irgendjemand.

"Mittelalter hat diese Barbarei nichts zu tun. Männer dürfen nichtverwandte Frauen nicht ohne Burka sehen, geschweige denn nackt. Frauen dürfen keinen Beruf erlernen, geschweige denn, ausüben. Was macht eine Frau, die ein gynäkologisches Problem hat?"

Dann hast du wohl noch keine Doku gesehen wie es im ländlichen Raum in Afghanistan zu geht. Was du anführst ist finsterstes Mittelalter.
 
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