Wenn die Taliban nun innerhalb von ein paar Wochen das ganze Land erobern, heißt das, sie haben genügend Rückhalt in der Bevölkerung. Ich gehe aber noch eiter als
@Mendelssohn und finde, die westlichen Länder sollten alle Geflüchteten aufnehmen, die sich darauf verlassen hatten, dass die Taliban dauerhaft erledigt seien und wegen ihres westlichen Lebensstils nun in größter Gefahr sind.
In der Kernforderung d'accord, aber ansonsten täuschst Du Dich: Das Erdulden der Taliban ist kein Rückhalt im ideologischen Sinne, sondern das Ergebnis von Terrorisierung der Zivilbevölkerung durch unvorhersehbare, blutige Anschläge, die sich auch in den Jahren der Besetzung durch westliche Truppen hauptsächlich gegen einheimische Zivilisten richteten. Dazu kommen Drogenhangel, Schutzgelderpressung und ähnliche Schurkereien. Befeuert wird das alles, heißt es, u.a. durch Pakistan, wo die Taliban sich ursprünglich erst in religiösen Schulen sammelten, bis sie erstarkten, aber angeblich - oder zumindest laut Al Jazeera - auch durch Russland, die ihnen Waffen liefern sollen.
Vladimir Putin’s posturing towards Afghanistan has opened a new chapter in the great game in the heart of Asia.
www.aljazeera.com
Indien soll nebenbei auch eine undurchsichtige bis unrühmliche Rolle spielen. Und die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan sind nicht zu unterschätzen. Ihr werdet es vermutlich nicht mitbekommen haben, zumal hier wenig dazu berichtet wurde, aber kürzlich wurde die Tochter des afghanischen Gesandten in Pakistan
kurzzeitig von Unbekannten verschleppt, misshandelt und mit einer unmissverständlichen Drohung gegen ihren Vater wieder freigelassen. Was zu vehementen Protesten in Kabul führte und dazu, dass die afghanische Regierung ihren Diplomaten samt Familie sofort abzog und in Sicherheit brachte. Pakistans Regierungschef Imran Khan versprach zwar umgehende Aufklärung, und Islamisten dementierten sofort, dass sie involviert seien, aber danach wurde es nebulös. Ob pakistanische oder indische Geheimdienstler beteiligt waren, blieb nach allem, was ich nachvollziehen konnte, so im Dunklen wie die Darstellung von Pakistans Innenminister, wonach es sich um eine "internationale Verschwörung" handele und die Angaben der jungen Frau - die ihrer Verletzungen halber tagelang im Krankenhaus von Islamabad war - angeblich zweifelhaft und unglaubwürdig seien. Angeblich gebe es keine Beweise für ihre Aussagen, die sie anschließend bei der Polizei gemacht hatte. Ultrakonservative Hardliner sprangen ihm darauf sofort bei und zogen die Moral des Opfers in Zweifel (nach dem Motto: warum sie denn ohne Begleitung das Haus verlassen habe???).
Unappetitlich, das alles - abgesehen davon, dass das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Pakistan und Afghanistan dadurch weiteren Schaden genommen hat. Es ist aber trotz der exponierten Rolle der Diplomatentochter, die offenbar nur deshalb ins Visier der Entführer geriet, weil ihr Vater in Islamabad/Pakistan zur afghanischen Elite zählte, ein exzellentes Beispiel für die Gefahr und die Spannungsfelder, in denen sich jüngere und modern erzogene, sowohl muslimischen als auch westlichen Werten zugewandte Menschen dort bewegen.
Das gilt natürlich umso mehr für langjährige Unterstützer:innen ausländischer Truppen in Afghanistan. Von denen sicherlich jeder weiß, wie sie ihr Geld verdienten, für wen sie arbeiteten: Sie und ihre Familien gelten als "Spione", die zu eliminieren den menschenverachtenden Taliban ein Anliegen ist.
Ungeachtet wolkiger Versprechungen gegenüber der Bundesregierung, die vermutlich nur eine weiteren Fluchtwelle vorbeugen will und ihre Sicherheitseinstufung für Afghanistan zumindest nach meinem Kenntnisstand trotz des Abzugs bislang nicht angepasst hat.
Die USA machen es sich übrigens hemdsärmelig leicht. Anträge von Flüchtlingen auf Einwanderung nach USA setzen voraus, dass die Menschen aus eigener Kraft das Land verlassen und mindestens ein Jahr in einem Drittstaat unterkommen sollen, während ihr Antrag bearbeitet wird.
Was von der Türkei bereits (zu Recht!) kritisiert wurde.
Die Türkei befürchtet Auswirkungen der US-Entscheidung zur Aufnahme von afghanischen Ortskräften auf das eigene Land. Das türkische Außenministerium kritisierte in einer Mitteilung, dass Afghanen zunächst aus eigener Kraft ihr Land verlassen und für mindestens ein Jahr in einem Drittstaat...
www.deutschlandfunk.de
"Das werde für eine neue Migrationskrise in der Türkei sorgen und das Leid der Afghanen auf den Migrationsrouten verstärken, hieß es."