Atheisten-Verein gesperrt

Majnomon

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Für nicht wenige Menschen - so auch für mich - ist da der Artikel 19 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" (1948 von der UNo verabschiedet) richtungsweisend:

„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Auf jeden Fall dürfte das auch YALOs Meinungsäußerung umfassen... darüber hinaus gibt es für dieses grundlegende Menschenrecht in vielen demokratischen Ländern verfassungsgemäße Einschränkungen, die den Landesfrieden bzw. Volksverhetzung und Blasphemie betreffen. Auch in Deutschland.
 

Tanrısız56

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Auf jeden Fall dürfte das auch YALOs Meinungsäußerung umfassen...

Sicherlich. Wobei YALOVALI mit seinen Sperr- und Verbotswünschen gegen Satire wohl besser mit der 1990 von den Mitgliedsstaaten der "Organisation der Islamischen Konferenz" beschlossenen "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam" (Zitat Artikel 24: "Alle in dieser Erklärung festgelegten Rechte und Freiheiten sind der islamischen Schari'a nachgeordnet“) bedient wäre, die gemeinhin als islamisches Gegenstück zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" gesehen wird. Artikel 22 c dieser Erklärung verbietet es unumwunden, "die Heiligkeit und Würde des Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden oder ihren Glauben zu schwächen." Passt doch ...

darüber hinaus gibt es für dieses grundlegende Menschenrecht in vielen demokratischen Ländern verfassungsgemäße Einschränkungen, die den Landesfrieden bzw. Volksverhetzung und Blasphemie betreffen. Auch in Deutschland.

Z. B. in den benachbarten Niederlanden war "verhöhnende Gotteslästerung" bis zur Streichung des niederländischen Strafrechtsparagraphen 147 im Jahr 2013 in der Tat mit Geldstrafe oder Gefängnis bewehrt. In D'land gibt es seit 1969 keinen Straftatbestand mehr, der "Blasphemie" oder "Gotteslästerung" unter Strafe stellt. Wegen seiner Geschichte wird der § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen) jedoch häufig noch als "Blasphemieparagraph" bezeichnet.

Es gibt hierzulande Bestrebungen, sog. "Blasphemie" explizit wieder zu bestrafen oder zumindestens den noch bestehenden § 166 STGB auszuweiten, der so eng gefasst ist, dass er zum Ärger mancher de facto keine Wirkung entfaltet. Aufsehen erregte im Jahr 2012 etwa der rechts-katholische Schriftsteller Martin Mosebach (nach eigener Einschätzung "nicht konservativ", sondern "reaktionär") mit einem in diversen Qualitätszeitungen publizierten Feuilletonbeitrag ("Vom Wert des Verbietens"), in dem Mosebach seinen Wunsch nach einem erneuten Blasphemieverbot in D'land damit illustrierte, er, Mosebach, wolle „nicht verhehlen, dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern (… ) einen gewaltigen Schrecken einjagen“. Was mit dem "gewaltigen Schrecken" wohl gemeint sein könnte, lässt sich leicht erschließen, wenn man sich so manche weltweit für Schlagzeilen sorgende "robuste" Aktionen "beleidigter Muslime" veranschaulicht. Auch nach den rezenten dschihadistischen Mordanschlägen in Paris wurden in der Öffentlichkeit Forderungen nach einer Verschärfung des bestehenden § 166 StGB erhoben - so etwa vom innenpolitischen Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU).

Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass die allgemeinen Strafgesetze gegen Beleidigung und Volksverhetzung in D'land vollkommen ausreichen, um das friedliche Zusammenleben zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen zu sichern. Und dass der noch bestehende § 166 folglich obsolet und ein besonderer strafrechtlicher Schutz für religiöse (oder auch weltanschauliche) Bekenntnisse ebenso unsinnig und falsch sei wie die Forderung nach einem besonderen strafrechtlichen Schutz für (bestimmte) politische Überzeugungen. In diesem Sinne haben sich wiederholt die Grünen wie die Linkspartei, aber auch Politiker_innen der FDP für eine endgültige Streichung des Rumpf-Paragraphen 166 StGB ausgesprochen. Ralf Michalowsky, NRW-Landessprecher der Partei "Die Linke" stellt einen Zusammenhang mit der noch ebenfalls strafbewehrten "Majestätsbeleidigung" her und erklärte beispielsweise in einer Pressemitteilung im Januar dieses Jahres:

„Die absurden Blasphemievorstellungen einiger Wirrköpfe haben zum Massaker von Paris geführt. Jetzt hinzugehen und die eigenen mittelalterlichen Gesetze den Vorstellungen reaktionärer Religionsfanatiker auch noch anzunähern, ist ganz sicher das falsche Konzept. In unseren Strafgesetzen gibt es drei völlig überflüssige Paragraphen, die oft gegen Satire eingesetzt werden, das ist § 90 (Beleidigung des Bundespräsidenten), § 103 (Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter) und vor allem § 166 (Beschimpfung von Bekenntnissen). Hier werden die Starken vor den Schwachen geschützt, die Fanatiker vor der Vernunft. Das kann nicht Zweck des Strafrechts sein. Die Blasphemiegesetze sind Herrschaftsinstrumente aus einer vergangenen Zeit. Diese drei Paragraphen müssen unverzüglich und ersatzlos abgeschafft werden“

Auch auf internationaler Ebene stehen

verfassungsgemäße Einschränkungen, die (...) Blasphemie betreffen

vielfach in der Kritik. So wandte sich 2011 etwa das Menschenrechtskomitee der UNO gegen "Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen" ...

Unter den Kemalisten, Intelektuellen und Progressiven im Land gibt es aber ein grosses Potenzial für Atheismus und Agnostizismus.

Dies scheint mir ein interessanter Aspekt zu sein. Schließlich habe ich selbst auch Freunde, die ursprünglich aus der "islamischen Welt" stammen, die aber so gar nicht religiös sind (sein wollen) ...

Der von mir hier schon einmal bemühte Journalist Deniz Yücel hat derlei Nichtreligiösität im letzten Monat in einer taz-Kolumne

http://www.taz.de/!153965/

aufgegriffen, in der er sich gegen zwei gesellschaftliche Lager wendet, nämlich gegen:

"Jene, deren Geschäft in der Verbreitung von Ressentiments besteht, und jene, die beanspruchen, für die Muslime zu sprechen."

Weiter heißt es in Yücels Kolumnentext ("Meine Mudda gehört zu Deutschland"):

"Ich trage nur das Z, Y und Ü im Namen. Diese Buchstaben gefallen mir gut. Allah, sein Prophet und der Prophet sein Buch hingegen interessieren mich zwar als gesellschaftliches und politisches Thema, sind mir persönlich aber völlig egal. Und ungefähr so geht es den meisten meiner türkischen bzw. deutschtürkischen Freunde, ob in Istanbul oder in Berlin.

Sie sind keine 'säkularen Muslime', die sich an der in der Türkei früher amtlichen Auslegung des Islams orientieren oder ihre eigene Definition gefunden haben. Sie sind auch keine Aleviten, jedenfalls nicht im religiösen Sinn, und so betrachtet gibt es unter ihnen auch keine Christen, Juden oder Jesiden. Die meisten in meinem Umfeld stammen aus sozialdemokratischen, kommunistischen, liberalen, kemalistischen, kurdisch-nationalistischen oder sonst wie ungläubigen Familien oder hatten semi-fromme Eltern, die jedoch keinen Wert darauf legten, ihre Kinder religiös zu erziehen oder sie haben irgendwann den Glauben ihrer Kindheit abgelegt. Sie sind Atheisten, Agnostiker oder glauben an eine Form von Transzendenz, ohne sich als Muslime zu begreifen."
 

Majnomon

Well-Known Member
Sicherlich. Wobei YALOVALI mit seinen Sperr- und Verbotswünschen gegen Satire wohl besser mit der 1990 von den Mitgliedsstaaten der "Organisation der Islamischen Konferenz" beschlossenen "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam" (Zitat Artikel 24: "Alle in dieser Erklärung festgelegten Rechte und Freiheiten sind der islamischen Schari'a nachgeordnet“) bedient wäre, die gemeinhin als islamisches Gegenstück zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" gesehen wird. Artikel 22 c dieser Erklärung verbietet es unumwunden, "die Heiligkeit und Würde des Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden oder ihren Glauben zu schwächen." Passt doch ...

Ist das jetzt die juristisch aufgeblasene Version des Stammtisch-Spruches "Soll er doch dahin gehen, wo er herkommt"? :rolleyes:


P.S.: Was Theologen und Juristen übrigens gemeinsam haben, ist die größere Häufigkeit von Bücherdiebstahl in den jeweiligen Fakultätsbibliotheken an der Uni.

Die dahinter stehende Motivation wird darin vermutet, dass sich die Studenten im Wettbewerb um die beste Hausarbeit einen Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz zu sichern suchen.
 

Tanrısız56

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Der "Humanistische Pressedienst" berichtet über eine rezente und türkischsprachige Informationsveranstaltung der türkischen Atheismusvereinigung "Ateizm Derneği" im Berliner DGB-Haus.

Auszüge:

BERLIN. (hpd) "Ateizm Derneği" – die Vereinigung der Atheisten, die sich gegen den Niedergang des Säkularismus in der Türkei einsetzen, ist ein Beispiel für leidenschaftliches Engagement, säkulare Kräfte auf dem Weg zur Meinungsfreiheit zu sammeln.

(...)

Zu diesen Gegnern Erdogans zählt auch die Ateizm Derneği – die türkische Vereinigung der Atheisten.

Zehra Pala (37) und Morgan Elizabeth Romano (29), zwei führende Persönlichkeiten des Vereins, waren zu Gast in Deutschland: zur International Atheist Convention in Köln und mit zwei Vorträgen in Köln und Berlin.

Zehra, Vorsitzende und Präsidentin von Ateizm Derneği ist in Istanbul geboren, Morgan Elizabeth, die Vizepräsidentin, zuständig für internationale Verbindungen, in den USA. Mit Türkisch und amerikanischem Englisch sind sie sprachlich gut aufgestellt.

Bevor die beiden Gottlosen in Berlin den in der Türkei anerkannten Verein vorstellten, waren sie Referenten auf der Internationalen Atheist Convention in Köln, dorthin waren sie aus Istanbul angereist. In "Schlaglichtern von der IBKA-Convention" hatte Morgan Elizabeth Romano in einem Gespräch betont, wie sehr der Niedergang des Säkularismus in der Türkei in direktem Zusammenhang mit den konservativ-religiösen Ansichten Erdogans und der AKP stehen.

(...)

Die Präsidentin stellte Ateizm Dernegi vor: 2013 gab eine Facebook-Diskussion den Impuls, Treffen in Cafés folgten und der Verein Tuzuk Hazivliklari gründete sich mit dem inzwischen leider erblindeten Tolga Inci als Präsidenten.

Das Geheimnis des Vereins sei, so Zehra Pala: "Keine deologische, keine politische Zuordnung." Der Verein sei nicht unpolitisch, aber unparteilich. Gemeinsamer Punkt ist, keiner Religion anzugehören. Atheismus, so Pala, ist in der Türkei zum Schimpfwort geworden. Also sagen sie "Hallo" zu den Gottlosen und zu den Atheisten, auch um zu zeigen, Angst haben wir nicht. Der Verein zählte anfangs 35 Mitglieder, jetzt sind es bereits an die 150. Rechtanwälte gehören auch dazu und, weil sie als Ungläubige keine Anstellung finden, arbeiten sie hier kostenfrei.

Ateizm Derneği ist mit akademischen und sozialen Aktivitäten in Istanbul aktiv, z.B. mit einer philosophischen Schule und ist mit dem "Picknick" besonders bekannt geworden. Einmal in der Woche organisieren sie eine kostenlose Suppenküche in Istanbul und Izmir. "Unser Sonntags-Picknick ist bekannt geworden, es findet am 1. Sonntag in Istanbul und am letzen Sonntag eines Monats in Izmir statt. Unser 12. Picknick zählte 200 bis 300 Teilnehmer, beim ersten waren wir 39. Wir erreichen Intellektuelle, zunehmend die Wissenschaft und Unterstützer. Wir gehen nach außen, die Menschen sollen von uns wissen und sich entscheiden."

Das Ateizm Derneği-Konzept fordert u. a.

  1. Befreiung der Kinder vom Zwangsteilnahme am Religionsunterricht, sofern diese der religionslosen Bevölkerungsminderheit angehören. “Religionslos” als gesetzlichen Status bestätigt zu bekommen ist komplikationslos. Dennoch sind alle schulpflichtigen Kinder in der Türkei verpflichtet, am Koran-Unterricht teilzunehmen.
  2. Aufhebung § 216 des Strafgesetz-Gesetzbuches mit dem die "Verunglimpfung religiöser Werte" unter Strafe gestellt wird. Am Beispiel 2013 wurde Fazil Say in der Türkei wegen Blasphemie zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
(...)

Ateizm Derneği ist bisher bei allen nationalen Feiertagen auf der Strasse – so beispielsweise zur Demonstration am 1. Mai oder, dem Frühlingsfest und auch am 19. Mai, dem Tag des Sports und der Jugend etc. "Das zieht Kritik nach sich: Die einen sagen, wir wären Faschisten, dann heißt es, nein, das sind Kommunisten. Das alles ist falsch, wir Gottlosen, wir wollen zeigen, dass es uns gibt. Wir gehen auf die Strasse und dorthin gehen wir als Minderheit, als diejenigen, sie keiner Religion angehören."

Zeha Pala zeigt Möglichkeiten auf, die bisher noch kleine Anzahl organisierter Atheisten und Gottlosen in der Türkei zu unterstützen, ohne dort zu leben, z. B. Mitglied zu werden. Oder der Facebook-Seite beizutreten, der Seite, die zuvor in der Türkei für drei Wochen gesperrt worden war und der dann wieder geöffnet wurde.

Ungeahnten Disput löste die Frage einer in Deutschland geborenen Frau (mit Migrationshintergrund) aus, mit der nach mehr als 2 1/2 Stunden die Präsentation endete: "Glauben Atheisten an Gott?". Aus der anschließenden immer emotionaleren Diskussion entwickelte sich schließlich ein Polizeieinsatz, ausgelöst durch die nach Gott fragende Zuhörerin, die sich diffamiert fühlte. Drei Polizisten stellten im DBG-Haus in Berlin die Personalien einiger Teilnehmer der Veranstaltung fest.

Das sei bei der Informationsveranstaltung in Köln das gleiche gewesen, berichtet Morgan Romano. Sie denken nicht, dass das Privatpersonen gewesen seien, sondern dass ihre Facebook-Seite von Religiösen mitgelesen werde, die dann aktiv werden. Ob eine Organisation dahinter stehe, wissen sie nicht.

Vollständiger Artikel ("Ateizm Derneği - wir sind nicht allein") hier:

http://hpd.de/artikel/11814
 
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