„Dieser Krieg war aus der Sicht Teherans wohl nur die erste Runde“
Botschafter Shimon Stein richtet sich nach dem Militäreinsatz im Libanon auf weitere Kämpfe in der Region ein – „Einseitiger Rückzug aus Gaza hat nichts gebracht“
Botschafter Shimon Stein drückt im Interview mit Peter Christ, Knut Krohn und Adrian Zielcke die Dankbarkeit für die deutsche Hilfe aus. Allerdings mahnt er die Deutschen auch zur Wachsamkeit.
Herr Botschafter Stein, Israel agierte in der jüngsten Vergangenheit nicht glücklich. Alle wichtigen militärischen Aktionen waren im Grunde Fehlschläge: der einseitige Gaza-Abzug und der Feldzug im Libanon.
Das mag Ihre Einschätzung sein, ich teile sie nicht. Die israelische Regierung musste auf die Eingriffe reagieren. Hinter dem einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen stand die Hoffnung, dass der tägliche Beschuss Israels durch Kassamraketen aus dem Gazastreifen endlich aufhören würde. Doch in diesem Fall sind wir enttäuscht worden. Dennoch wollte unser Premier Ehud Olmert den eingeschlagenen Weg fortsetzen und auch Siedlungen im Westjordanland räumen. Doch dann kam der Krieg im Libanon dazwischen.
Auch aus dem Libanon hatte sich Israel einseitig zurückgezogen. Ebenfalls in der Hoffnung, den Konflikt zu entschärfen.
Das stimmt, die Vorgeschichte ist ähnlich. Auch mit diesem Rückzug im Mai 2000 sollte sich die Lage im Norden Israels etwas normalisieren. Auch das war eine Illusion. Seit sechs Jahren sind wir ständig mit Angriffen der Hisbollah konfrontiert. Das hat die Israeli zur Erkenntnis geführt, dass die Politik des einseitigen Rückzugs nichts gebracht hat. Man kann sagen, dass diese Politik eingestellt wurde – vorläufig zumindest. Ich glaube, dass wir uns den Luxus nicht mehr leisten können, uns zurückzuziehen und dann einfach abzuwarten, was passiert.
Was heißt das konkret?
Das kann man jetzt noch nicht sagen. Aber wir werden weitere Wege suchen, dass die Menschen in Israel in Frieden und Sicherheit leben können und dass der jüdische und demokratische Charakter des Staates aufrechterhalten wird.
Aber können Sie umreißen, welche Lehren Israel aus dem blutigen Krieg im Libanon gezogen hat?
Der Ablauf dieser kriegerischen Auseinandersetzung wird sehr intensiv untersucht. Das hat auch damit zu tun, dass in der israelischen Bevölkerung großer Unmut über die politische und militärische Führung herrscht. Und ich gehe davon aus, dass die Untersuchungskommissionen schnell zu ihren Ergebnissen kommen werden. Zum Teil sehen wir das schon innerhalb der israelischen Streitkräfte. Einige hochrangige Offiziere mussten zurücktreten. Man muss abwarten, ob der Bericht, der sich mit den Aktionen der Regierung befasst, auch persönliche Konsequenzen für den einen oder anderen Politiker haben wird. Untersucht wird etwa, weshalb es Israel zugelassen hat, dass die Hisbollah nach dem Rückzug Israels aus dem Libanon ein so großes militärisches Potenzial aufbauen konnte. Fakt ist: wir müssen alles sehr gründlich untersuchen, weil wir es nicht ausschließen können, dass das nicht die letzte Runde war.
Sie glauben, dass es bald zu weiteren militärischen Auseinandersetzungen in der Region kommen wird?
Ich glaube, dass die Hisbollah weiter eine Strategie verfolgt, die alles andere als stabilisierend wirkt. Sehen Sie: der Krieg im Libanon war der erste Krieg, der nicht zwischen Israel und der arabischen Welt geführt worden ist. Das war ein Krieg zwischen Israel und den Stellvertretern des Iran, denn die Hisbollah ist ein Instrument für die expansionistische Politik Teherans. Und dieser Krieg war wahrscheinlich aus der Sicht Teherans nur die erste Runde. Aus diesem Grund sind auch die gemäßigten sunnitischen Staaten in der Region überaus beunruhigt: Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Marokko. Die Auswirkungen dieser Art eines Stellvertreterkrieges auf die Region sind noch nicht abzusehen.