lieber Zerd

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Zerd

Well-Known Member
Tefekkür lieber Zerd, ist kostbarer als wissen.


Tefekkür ist ein gutes Stichwort, liebe Sma, lass uns das mal ein wenig betreiben…

Und zwar habe ich vor einiger Zeit wieder einmal die Mesnevi von Mevlana angelesen (die Übersetzung von Örs scheint mir recht gut gelungen zu sein). Da gibt es gleich zu Anfang diese schöne Geschichte von dem Sultan, der sich in eine Magd verliebt, diese dann krank und bettlägerig wird, der Arzt des Sultans feststellt, dass das Fieber von Liebeskummer hervorgerufen wird, woraufhin dieser ehemalige Herr der Magd, ein Juwelier, in den sie sich verliebt hatte, ausfindig gemacht, hergebracht und mit der Magd vereint wird, bis nach sechs Monaten das Liebesfeuer der Magd nachgelassen hat, sie also gewissermaßen geheilt war, der Arzt dem Juwelier daraufhin einen Gifttrank überreicht, woraufhin dieser stirbt und zuletzt noch erklärt wird, warum es sich bei diesem Mord nicht um eine Sünde handelt.

Mich hat diese Geschichte sehr beschäftigt. Nicht nur, weil sie sehr schön erzählt ist und der Übersetzer unheimlich viele Bezüge der Geschichte zu verschiedenen Koranstellen als Fussnoten angibt, sondern vor allem eben dieses befremdliche Ende der Geschichte mit der für mich in keinster Weise nachvollziehbaren Begründung, die übrigens auch jeglichen „tefekkür“ zu verbieten scheint.

Du weisst, dass ich nicht der gläubige Mensch bin, dass ich vielmehr versuche zu verstehen und zu begreifen, was die Menschen weshalb anspricht. Eine Art tefekkür eben bis auf den Umstand, dass ich nicht alles unmittelbar auf Gott oder irgendwelche Bibel- oder Koranverse zu beziehen versuche, sondern die Nutzung des mir gegebenen Verstandes als Herausforderung und Prüfung ansehe. So nähere ich mich auch den Religionen oder Dichtern und Denkern, die großen EInfluss auf die Menschen ausgeübt und Jahrhunderte unvergessen überdauert haben.

In den meisten Fällen gelingt es mir dann auch, zumindest ansatzweise, zu begreifen, was die Menschen angesprochen oder überzeugt haben mag. Aber es gibt auch viele Stellen, wo ich an meine Grenzen stosse. Das unrühmliche Ende dieser Geschichte ist so eine Stelle:



Hızır’ın boğazını kestiği çocuğun sırrını halkın avamı anlayamaz
Allah’tan vahiy ve cevap alan kişi, her ne buyurursa doğrunun ta kendisidir o
Can bağışlayanın öldürmesi de caizdir; o vekildir, onun eli Allah’ın elidir

Yaptığı iş Allah’ın ilhamıyla olmasaydı, o padişah değil, yırtıcı bir köpek olurdu
Şehvetten hırstan hevadan beriydi. Iyi yapti o, ama kötü görünen bir iyi
Hızır denizde gemiyi deldiyse, onun bu delişinde yüzlerce doğruluk vardır

O kırmızı güldür, kann deme sen ona, o akıl sarhoşudur, mecnun deme sen ona

O padişahtı, hem de çok uyanık bir padişah. Seçkin biriydi, hem de hak seçkini

Sen bunu kendinle kıyaslıyorsun, ama uzağın da uzağina düşmüşsün, iyice bir bak.


Ich weiss nicht, an welcher meiner Prägungen es liegen mag, aber hier stosse ich eindeutig an Grenzen. Wie sähe Deine Art von tefekkür hier aus, welchen möglichen Grund könnte es haben, dass der liebe Gott dem Sultan aufträgt, seinen Nebenbuhler zu töten und was könnte daran gut sein, das zu „glauben“?
 
S

Sma02

Guest
Tefekkür ist ein gutes Stichwort, liebe Sma, lass uns das mal ein wenig betreiben…

Und zwar habe ich vor einiger Zeit wieder einmal die Mesnevi von Mevlana angelesen (die Übersetzung von Örs scheint mir recht gut gelungen zu sein). Da gibt es gleich zu Anfang diese schöne Geschichte von dem Sultan, der sich in eine Magd verliebt, diese dann krank und bettlägerig wird, der Arzt des Sultans feststellt, dass das Fieber von Liebeskummer hervorgerufen wird, woraufhin dieser ehemalige Herr der Magd, ein Juwelier, in den sie sich verliebt hatte, ausfindig gemacht, hergebracht und mit der Magd vereint wird, bis nach sechs Monaten das Liebesfeuer der Magd nachgelassen hat, sie also gewissermaßen geheilt war, der Arzt dem Juwelier daraufhin einen Gifttrank überreicht, woraufhin dieser stirbt und zuletzt noch erklärt wird, warum es sich bei diesem Mord nicht um eine Sünde handelt.

Mich hat diese Geschichte sehr beschäftigt. Nicht nur, weil sie sehr schön erzählt ist und der Übersetzer unheimlich viele Bezüge der Geschichte zu verschiedenen Koranstellen als Fussnoten angibt, sondern vor allem eben dieses befremdliche Ende der Geschichte mit der für mich in keinster Weise nachvollziehbaren Begründung, die übrigens auch jeglichen „tefekkür“ zu verbieten scheint.

Du weisst, dass ich nicht der gläubige Mensch bin, dass ich vielmehr versuche zu verstehen und zu begreifen, was die Menschen weshalb anspricht. Eine Art tefekkür eben bis auf den Umstand, dass ich nicht alles unmittelbar auf Gott oder irgendwelche Bibel- oder Koranverse zu beziehen versuche, sondern die Nutzung des mir gegebenen Verstandes als Herausforderung und Prüfung ansehe. So nähere ich mich auch den Religionen oder Dichtern und Denkern, die großen EInfluss auf die Menschen ausgeübt und Jahrhunderte unvergessen überdauert haben.

In den meisten Fällen gelingt es mir dann auch, zumindest ansatzweise, zu begreifen, was die Menschen angesprochen oder überzeugt haben mag. Aber es gibt auch viele Stellen, wo ich an meine Grenzen stosse. Das unrühmliche Ende dieser Geschichte ist so eine Stelle:





Ich weiss nicht, an welcher meiner Prägungen es liegen mag, aber hier stosse ich eindeutig an Grenzen. Wie sähe Deine Art von tefekkür hier aus, welchen möglichen Grund könnte es haben, dass der liebe Gott dem Sultan aufträgt, seinen Nebenbuhler zu töten und was könnte daran gut sein, das zu „glauben“?


Ich denke du verwechselst da die Begriffe tevvekkül mit tefekkür, lieber Zerd.
Das sind zwei paar Schuhe.

Es reicht nicht "nur" Mevlana´s Geschichten zu lesen. Wer diese "nur" liest, hat überhaupt nichts von dem verstanden was Mevlana vermitteln will. Du musst Mevlana´s Geschichte, Historie und Lebensweise kennen. Seine Geschichten sind Metaphern und Fabeln.
Wenn du dort Sultan liest, handelt es sich nicht um den Sultan. Wenn du dort MAgdt liest, handelt es sich ebensowenig um die Magd. Fast alle seine Geschichten handeln über Gott und die Liebe.
Dies ist auch in diesem Fall so. In dieser Geschichte erzählt er sogar sehr viel über sich und Sems.

Der Sultan, die MAgdt und der Juwelier sind eins.

Und es stimmt, der Sultan findet nur Ruhe wenn er den Juwelier tötet.

Wenn du die Symbolik des Sultans, der Magdt, des Juweliers und des Arztes herausfindest...wirst du die Metapher anders wahrnehmen als sie ist und deine Fragen werden sich auflösen.

In allem steckt mehr, als wir sehen können.
 

Zerd

Well-Known Member
Ich denke du verwechselst da die Begriffe tevvekkül mit tefekkür, lieber Zerd. Das sind zwei paar Schuhe.

Das Glaube ich nicht, zumindest, wenn man diese Erklärung des Wortes zugrunde legt:

Tefekkere fiili, üç harfli olan "fekere" fiilinden türemiştir. Fekere kök fiili ve ondan türemiş olan tefekkere, efkere, fekkere ve iftekere fiilleri aynı anlamdadırlar. Tefekkürün zıddı, fikirsizlik ve düşüncesizlik demektir.

Tefekkür, insana mahsus bir özelliktir....



Kaynak

Und nicht diese:

Tefekkür, İslam dininde günahlarını, kainatı, varlıkları, doğayı, Allah'ı, kendini düşünmek ve Allah'ın yarattığı varlıklardan, kainattaki eşsiz mükemmellikteki düzenden ders çıkarmak demektir.

Kaynak

Weisst Du, arabische Wörter hatten auch vor dem Islam schon eine Bedeutung und die geht nicht einfach verloren, nur weil dieses Wort im Koran in einem bestimmten Zusammenhang und Bezug verwendet wurde.

Es reicht nicht "nur" Mevlana´s Geschichten zu lesen. Wer diese "nur" liest, hat überhaupt nichts von dem verstanden was Mevlana vermitteln will. Du musst Mevlana´s Geschichte, Historie und Lebensweise kennen. Seine Geschichten sind Metaphern und Fabeln. Wenn du dort Sultan liest, handelt es sich nicht um den Sultan. Wenn du dort MAgdt liest, handelt es sich ebensowenig um die Magd. Fast alle seine Geschichten handeln über Gott und die Liebe. Dies ist auch in diesem Fall so. In dieser Geschichte erzählt er sogar sehr viel über sich und Sems. Der Sultan, die MAgdt und der Juwelier sind eins. Und es stimmt, der Sultan findet nur Ruhe wenn er den Juwelier tötet. Wenn du die Symbolik des Sultans, der Magdt, des Juweliers und des Arztes herausfindest...wirst du die Metapher anders wahrnehmen als sie ist und deine Fragen werden sich auflösen. In allem steckt mehr, als wir sehen können.

Ja, das könnte wirklich der Grund sein, weshalb ich hier an meine Grenzen stosse. Allein schon in Deinem kurzen Beitrag stecken so viele Bedingungen und Voraussetzungen für das Verständnis eines im Grunde ziemlich klar formulierten Textes, dass es quasi unmöglich ist, alleine durch bloßes Nachdenken und eben "tefekkür" darauf zu kommen. Man muss letzten Endes das Nachdenken ausschalten und einfach nur hinnehmen - glauben, zuhören und befolgen!

Gehen wir einmal von Deiner These aus, dass all diese Personen eins sind, etwa verschiedene Ausprägungen derselben Person, die Magd sei das Herz des Menschen, der Juwelier die Lust, der Sultan der Glaube des Menschen und sogar der Arzt noch sein Geist. So ließe sich etwa argumentieren, die Lust macht das Herz krank, der Geist erkennt das und gemeinsam mit dem Glauben tötet er die Lust, damit das inzwischen gesundete Herz nicht wieder erkrankt.

Aber dann stellt sich eben die Frage, wieso das in so einer verwickelten Symbolik verpackt werden musste, statt einfach nur zu schreiben: wenn Du (krankhafte oder krank machende) Gelüste hast, dann musst Du sie eine Weile ausleben, aber dann muss auch gut sein! Das wäre doch viel verständlicher für viel mehr "Gottes Geschöpfe", ohne erst durch jahrelanges Studium zu einem auch noch ungewissen Ergebnis zu kommen.

Denn Symbole sind immer abstrakt und der Interpretation zugänglich, noch viel mehr als Texte, die sie verwenden. Durch eine geschickte Kombination von Symbolen kannst Du so jede beliebige und sich widersprechende Bedeutung aus einem Text herauslesen. Liegt es vielleicht daran, dass jeder Glaube sich in mehr oder minder verfeindete Sekten aufteilt?

Wie schon gesagt, mich kann das nicht befriedigen, ich stosse hier an meine Grenzen mit meinem Verständnis.
 

Zerd

Well-Known Member
Meiner Ansicht nach lassen sich Werke wie die Mesnevi oder auch der Koran auf mindestens zwei Arten lesen: entweder als historisches künstlerisches philosophisches Werk und als solche können sie wirklich eine unschätzbare Fundgrube und Quell der Inspiration für den EInzelnen sein, oder als eine Art Gesetzbuch, ein Leitfaden für eine kollektive Lebensführung. Und meine inneren Widerstände ruft regelmäßig dieser letztere Charakter hervor.

Ich denke, der Glaube eines Menschen muss eine persönliche, eine private, eine individuelle Angelegenheit sein und bleiben. Es kann und darf gar keine Institutionen geben, die für den Einzelnen das Interpretieren oder das „Denken“ übernehmen. Interessanterweise finden sich auch in den genannten Werken genügend Hinweise darauf, dass es so sein müsste. Hier zB aus der Mesnevi:


"Fikir ona derler ki, bir yol açsın,
yol ona derler ki, bir gerçeğe ulaşsın.
Sultan ona derler ki, kendiliğinden sultan olsun, hazinelerle askerlerle değil..."
(Mesnevi, c. II, beyit: 3176 vd.)


Man könnte hier genauso hinzufügen „…mollalarin, seyhlerin, imamlarin, erenlerin onayiyla degil…“.

Ein komplexes Werk hat immer viele Lesarten und nie nur die eine wahre und richtige. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür gibt etwa auch dieser wissenschaftliche Artikel, in dessen Zusammenfassung es heisst:


...
Yukarıda verilen bilgilerden hareketle şarihlerin Mesnevî metnini; kelimenin okunus biçimi, çeşitli lugat anlamları ve tasavvufî yorumları çerçevesinde değerlendirdiklerini görmekteyiz. Esasen Şerhleri bir diğerinden farklı ve zengin kılan özelliğin, da bu yorum farklılıklarında yer aldığına işaret etmek gerekmektedir.


Auf jeden Fall sollte man ein solches Werk nicht so lesen und begreifen wie dieser Herr hier:

Er spricht da stundenlang über seine Interpretation der Mesnevi, vermutlich vor einer Klasse von Schülern und Studenten, und in all diesen endlos langen Stunden kommt nicht geringste Rückfrage oder die kleinste Diskussion auf. Das kann es doch nun wirklich nicht sein, zumindest nicht im 21. Jhd.! Da sträubt sich alles in mir dagegen…
 
S

Sma02

Guest
Tefekkür, insana mahsus bir özelliktir....


Tefekkür, İslam dininde günahlarını, kainatı, varlıkları, doğayı, Allah'ı, kendini düşünmek ve Allah'ın yarattığı varlıklardan, kainattaki eşsiz mükemmellikteki düzenden ders çıkarmak demektir.

sorry aber wo genau siehst du den Unterschied zwischen den beiden Erläuterungen???
Birinde "Allahin yarattiklarini" düsünmek yazdigi icinmi bukadar agrina gidiyor??


Weisst Du, arabische Wörter hatten auch vor dem Islam schon eine Bedeutung

Wer leugnet diese denn?? Vor dem Islam gab es ja schließlich auch Religionen...und das ich nicht an die Evolutionsgeschichte glaube muss ich dir ja wohl nicht erzählen.

Gehen wir einmal von Deiner These aus, dass all diese Personen eins sind, etwa verschiedene Ausprägungen derselben Person, die Magd sei das Herz des Menschen, der Juwelier die Lust, der Sultan der Glaube des Menschen und sogar der Arzt noch sein Geist. So ließe sich etwa argumentieren, die Lust macht das Herz krank, der Geist erkennt das und gemeinsam mit dem Glauben tötet er die Lust, damit das inzwischen gesundete Herz nicht wieder erkrankt.

Fast, bedeutet immernoch nicht ganz richtig... es wird wärmer, lieber Zerd.

Sultan = Ruh
Magd = Nefs
Juwelier = Dünya... simdi yine oku.


Aber dann stellt sich eben die Frage, wieso das in so einer verwickelten Symbolik verpackt werden musste, statt einfach nur zu schreiben: wenn Du (krankhafte oder krank machende) Gelüste hast, dann musst Du sie eine Weile ausleben, aber dann muss auch gut sein! Das wäre doch viel verständlicher für viel mehr "Gottes Geschöpfe", ohne erst durch jahrelanges Studium zu einem auch noch ungewissen Ergebnis zu kommen.

Jetzt enttäuschst du mich aber ein bisschen. Wir reden hier über "sich gedanken machen" "nachdenken" und du erwartest eine einfache Erzählung. Wozu dann nachdenken, wenn alles so offensichtlich ist?
Du bekommst in Mathe ja auch nicht die Lösung, sondern musst diese durch überlegen und versuchen selber lösen.
Irgendwie widersprichst du dir.

Wie schon gesagt, mich kann das nicht befriedigen, ich stosse hier an meine Grenzen mit meinem Verständnis.

Mit deinem Verständnis, aber nicht deinem Verstand. Es ist offensichtlich, das erwartet auch niemand.

Ich denke, der Glaube eines Menschen muss eine persönliche, eine private, eine individuelle Angelegenheit sein und bleiben. Es kann und darf gar keine Institutionen geben, die für den Einzelnen das Interpretieren oder das „Denken“ übernehmen.

Gut dann sag ich´s mal so: Wieso schickst du deine Kinder in die Schule? Lass Sie doch von sich aus denken und lösen und arbeiten und lesen und und und....

Zerd...dein Verständnis stosst an Grenzen. Ich habe schon verstanden.
 

Zerd

Well-Known Member
Liebe Sma, ich finde es im Grunde schön und sinnvoll, dass wir unterschiedliche Ansichten und Überzeugungen haben. Akıl akıldan üstündür. So besteht zumindest die Möglichkeit, dass Du mir weiterhilfst, wenn ich mal an die Grenzen meines Verständnisses stosse, und ich vielleicht auch mal Dir, wenn es bei Dir geschieht.

Damit ein solcher Austausch zustande kommen und funktionieren kann, gibt es aber gewisse Mindestvoraussetzungen, wie etwa dieselbe Sprache zu benutzen, damit wir verstehen können, was der andere denkt und meint. Eine weitere Voraussetzung besteht auch darin, dass wir unsere Grenzen kennen und begreifen in dem Sinne, dass wir erkennen können, auf welche unserer Präferenzen sie zurückgehen, sind sie eine zwangsläufige Folge unseres Denksystems, also ganz bestimmter Überzeugungen, oder etwa unseres Wertesystems, also gewisser dogmatischer Festlegungen darüber, was gut und was böse ist, oder etwa unserer Ängste oder sonstiger psychologisch-kognitiver Dispositionen oder Konditionierungen?

Ich mag keine geschlossenen Denksysteme, also solche Weltbilder, die auf alle möglichen Fragen schon die passende Antwort bereithalten. Das widerspricht allem, was ich bislang über mich, über andere Menschen oder auch über die Menschheit und ihre Geschichte gelernt habe. Denn allem Anschein nach entwickelt sich sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft immer weiter, indem man etwas dazulernt, das Alte überwindet und durch etwas Neues ersetzt, das dem Alten auf die eine oder andere Weise überlegen ist. Selbst die Religionen sind in einem solchen Prozess entstanden und selbst innerhalb der dogmatischsten Religionen gab es im Laufe der Zeit solche Verzweigungen und Entwicklungen, ist es nicht so?

Ich denke, das kann jeder Mensch allein schon aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit sich und anderen bestätigen und je mehr Wissen aus anderen Bereichen er sich aneignet, desto mehr bestätigt sich das. Selbst in der Mathematik, und die ist nun wohl die gründlichste Manifestation theoretischen Denkens und der Logik, gab es einen Herrn Gödel, der bewiesen haben soll, dass es kein formales System geben kann, das gleichzeitig vollständig und widerspruchsfrei ist. Ich bin zwar nicht Mathematiker genug, um diesen Beweis nachzuvollziehen, aber ich glaube ihm das gerne, weil diese Erkenntnis all meine Erfahrungen und Überzeugungen bestätigt.

Das ist für mich der Grund, weshalb ich an „akıl akıldan üstündür“ glaube und ein Satz wie „Hızır’ın boğazını kestiği çocuğun sırrını halkın avamı anlayamaz“ für mich kein Argument, sondern eine Grenze darstellt. Schau, der Herr da oben auf dem Youtube-Video erzählt an einer Stelle eine Anekdote über Mevlana und Sems. Und zwar soll Mevlana eines Nachts zu Sems gesagt haben, wie glücklich und zufrieden sie doch wären mit all ihrem Wissen und ihrem Glauben, und wie schön es wäre, wenn sie das auch dem Volk beibringen könnten und sie damit aufwecken könnten aus dem Traum, in dem sie schlummern. Sems soll daraufhin seine Hand an die Wand geführt und kräftig geruckelt haben, dass ein Erdbeben entstand, alle schlafenden Leute aufwachten und von ihren Häusern auf die Straßen flüchteten. Als die Beben aufgehört haben und die Leute nach einer Weile in ihre Häuser zurückkehrten und wieder einschliefen, soll Sems gesagt haben: „Da sieh, wir haben sie aufgeweckt, eine halbe Stunde später haben sie sich wieder schlafen gelegt!“. Das ist genau dieselbe Grenze, die Stillstand suggeriert (und damit auch bis zu einem gewissen Punkt bedingt) und Verständnis für die eigentlichen Vorgänge und Entwicklungen verhindert.

Um hier noch einmal auf Deine Frage zurück zu kommen. Ich schicke meine Kinder auf eine Schule, damit sie in diesem Alter, in dem der menschliche Geist nach Input geradezu giert und auf Lernen programmiert ist, so viel wie möglich lernen. Ich würde sie am liebsten auch noch auf eine türkische Schule schicken. Ich ermutige sie, sich mit Religionen zu beschäftigen, und zwar nicht nur mit der islamischen, sondern auch der christlichen, der jüdischen, mit griechischer Mythologie, schamanischen Kulten und eigentlich allem, was die Menschen irgendwann irgendwo beschäftigt hat und was sie dazu in die Finger kriegen können. Ich mache das in der Hoffnung, dass sie dadurch irgendwann im Stande sein werden, genug zu Wissen, um eigenständig zu denken und zu verstehen, und dann wissen, was sie davon halten sollen, wenn Jemand, der sich in seinem ganzen Leben mit nichts außer seiner eigenen Kultur und seinem eigenen Glauben eingehend und unvoreingenommen beschäftigt hat, ihnen sagt, sie würden nicht verstehen.

Ich verstehe recht gut, wie bequem man es sich in einem geschlossenen System mit etwas Intelligenz und Phantasie machen kann, welch glückliches und zufriedenes Leben ohne jegliche Brüche man führen kann, wenn zumindest die wichtigsten Menschen, die einem etwas bedeuten, dasselbe geschlossene System teilen. Und ich möchte das auch keinem verwehren (auch nicht meinen eigenen Kindern), dem das ausreicht und der sich dafür entscheidet. Aber ich verstehe eben auch, dass wenn alle Menschen zu jeder Zeit sich dafür entschieden hätten, wir vermutlich heute noch in Höhlen hausen würden und das Wort Gott nicht einmal buchstabieren könnten.

Und ganz nebenbei, den Koran, soweit ich ihn gelesen und verstanden habe, halte ich selbst nicht für eine Anleitung zu einem Leben in einem geschlossenen System, wie es vor allem die fundamentalistischen Gläubigen tun, die ja bekanntlich zur Zeit, allerdings mE aus ganz anderen Gründen, Hochkonjunktur haben.
 

Zerd

Well-Known Member
Fast, bedeutet immernoch nicht ganz richtig... es wird wärmer, lieber Zerd. Sultan = Ruh Magd = Nefs Juwelier = Dünya... simdi yine oku.
...
Jetzt enttäuschst du mich aber ein bisschen. Wir reden hier über "sich gedanken machen" "nachdenken" und du erwartest eine einfache Erzählung. Wozu dann nachdenken, wenn alles so offensichtlich ist? Du bekommst in Mathe ja auch nicht die Lösung, sondern musst diese durch überlegen und versuchen selber lösen. Irgendwie widersprichst du dir.

Ich glaube nicht, dass das ein Widerspruch ist. An diesem Punkt waren wir übrigens schon vorher angekommen, denn ich hatte im vorletzten Beitrag schon angedeutet, dass ich mir etliche Konstellationen von geeigneten Symbolen und Metaphern vorstellen kann, die die erzählte Geschichte (kurz: ein mächtiger Sultan lässt seinen unschuldigen Nebenbuhler ermorden!) nachvollziehbar oder annehmbar erscheinen lassen könnten. Nur ich habe Dich dort auch schon gefragt, was bitte erstrebenswert oder gut daran sein soll, dass ein mächtiger Mann seinen Nebenbuhler ermorden lässt, wieso das irgendjemand nachvollziehen oder annehmen können sollte.

Und solange diese Fragen nicht geklärt sind, hat das Ganze auch nichts mit einer Matheaufgabe zu tun (bei einer Matheaufgabe brauchst Du nämlich auch rudimentäre Kenntnisse gewisser Definitionen und Methoden, bevor Du überhaupt die Aufgabe begreifen kannst), sondern vielmehr mit einem Zaubertrick, bei dem einem ein X für ein U vorgemacht werden soll. Mevlana selbst schreibt ja, dass es wie eine böse verwerfliche Tat aussieht und in meinen Augen bleibt er einfach die Antwort schuldig, wieso sie das nicht sein sollte. Deshalb frage ich Dich nochmal: was bitte ist gut daran, dass ein mächtiger Padisah seinen Nebenbuhler ermoden lässt oder wieso sollte ich einen ausgedehnten tefekkür mit Symbolen und Metaphern betreiben um nachzuvollziehen, dass diese Tat gut sein könnte?

Du sollst mir also nicht erklären, wie ich es gutheissen kann, sondern warum ich (oder irgendjemand) es überhaupt gutheissen sollte, warum er diese Grenze erweitern oder überschreiten sollte. Um auf Deine Matheaufgabe zurückzukommen: es geht nicht darum, wie die Aufgabe gelöst werden soll, sondern was die eigentliche Aufgabe überhaupt ist, warum sie gelöst werden soll.
 
S

Sma02

Guest
Deshalb frage ich Dich nochmal: was bitte ist gut daran, dass ein mächtiger Padisah seinen Nebenbuhler ermoden lässt oder wieso sollte ich einen ausgedehnten tefekkür mit Symbolen und Metaphern betreiben um nachzuvollziehen, dass diese Tat gut sein könnte?

Zerd hierzu eine meiner Lieblingsanekdoten:

Hz İsa (a.s) bir gün çok hızlı bir şekilde arkasından aslan kovalıyormuş gibi koşuyordu.
Onu gören adam
—Nereye doğru bu kadar hızlı koşuyorsun? Diye soru sordu
Ama Hz İsa. a.s o kadar hızlı koşuyordu ki adama cevap bile veremedi.
Adam tekrar sormak için koşmaya başladı.
—Sen ölüleri dirilten,
—Körlerin gözlerini açan,
—Hastaları iyileştiren,
—Dağları ortadan ikiye yaran peygamber Hz İsa a.s değil misin? Neden böyle kaçıyorsun diye tekrar sorunca.
—Hz İsa a.s evet ben Allah’ın izniyle ismi azam-ı ölüye okudum. Ölü dirildi
—Ben Allah’ın izniyle ism-i azamı köre okudum. Gözleri açıldı.
— Ben Allah’ın izniyle ism-i azamı hastalara okudum. Hastalar sıhhat buldu.
— Ben Allah’ın izniyle ism-i azamı dağa söyledim. Dağ ortadan ikiye ayrıldı.
Ben Allah’ın adını ahmağa yüzlerce defa okudum ahmak hiçbir şey anlamadı.
Ahmağın şerrinden kaçıyorum.

Du sollst mir also nicht erklären, wie ich es gutheissen kann, sondern warum ich (oder irgendjemand) es überhaupt gutheissen sollte, warum er diese Grenze erweitern oder überschreiten sollte. Um auf Deine Matheaufgabe zurückzukommen: es geht nicht darum, wie die Aufgabe gelöst werden soll, sondern was die eigentliche Aufgabe überhaupt ist, warum sie gelöst werden soll.

Wozu? Du sagst doch:

Ich denke, der Glaube eines Menschen muss eine persönliche, eine private, eine individuelle Angelegenheit sein und bleiben.

Ich habe eben eine andere Wahrnehmung und die ist eben persönlich und privat, also löse ich meine "Aufgaben" anders als du. Du willst diese doch gar nicht wissen?
Wenn ich Mevlanas Geschichten im Hinblick auf Gott und Liebe lese, dann lese ich diese so..also muss ich dir nicht erklären warum ich das so sehe... und Mevlana(möge er in Frieden ruhen) darf seine Geschichten so erzählen wie er es für richtig hält... warum seine Geschichten gelöst werden sollen und sie nicht jeder 0 8 15 lösen "kann"....hat sicherlich seine Gründe.

Iyi geceler.
 
S

Sma02

Guest
"Aşka dair ne söylesem içi
yanmayanlar, âşıkolmayanlar anlamazlar ki…”

Mevlana
 

Zerd

Well-Known Member
Va, cammina e ama,
E se ti dicono che
Amare è peccato,
Ama il peccato e sanai innocente.

Wow, wie die Zeit vergeht! Diesen Spruch hatte mir eine Bekannte zum 19. Geburtstag ins Poesiealbum geschrieben, das ich an dem Tag übrigens von jemand anderem geschenkt bekommen habe (mein einziges Poesiealbum bislang).

Müsste demnächst irgendwann TT nicht 10-jähriges Jubiläum haben, ist da schon etwas angedacht?

In diesen Tagen ist die Zeit bei mir wieder einmal ein heisses Thema. Vermutlich, weil ich zur Zeit so wenig davon zur freien Verfügung habe oder weil ich vor kurzem erst ein komisches Buch gelesen habe, in dem ein Schweizer aus heiterem Himmel plötzlich beginnt, das Leben eines ihm völlig unbekannten Portugiesen in Lissabon zu untersuchen, der schon seit 30 Jahren tot ist. Sachen gibt's...

Je älter ich werde, desto mehr wächst in mir die Überzeugung, dass es sich bei der Zeit um ein Konstrukt handelt, das mehr mit der Arbeitsweise unseres Gehirns zu tun hat als mit der Wirklichkeit. Oder anders ausgedrückt: um die Vorstellung von einer Welt als Ganzes denken zu können und dabei selbst als zur Freiheit fähiges Individuum nicht unter die Räder zu kommen, braucht es irgendwo die Zeit, den beruhigenden Gedanken, dass immer nur eins nach dem anderen geschieht und wir an diesen Verbindungspunkten immer die Gelegenheit haben, in dieses Geschehen einzugreifen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: ich denke schon, dass der Mensch frei ist, in Wechselwirkung mit der Welt steht und diese auch ganz bewusst beeinflussen kann. Aber an einer anderen Stelle denke ich eben auch, dass die Welt als Ganzes existiert, nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich abgeschlossen ist. Es ist nur unheimlich kompliziert, die scheinbare Dynamik des ersten Gedankens mit der scheinbaren Statik des zweiten zu kombinieren. Offensichtlich funktioniert das eben nur, wenn wir uns die Zeit dazu denken, mit deren Hilfe sich schön ein Bild an das andere reiht und sich der Nebel ein wenig lichtet. Aber eben wirklich nur ein wenig und das macht mich skeptisch.

Wenn ich mit den Leuten das Thema diskutiere, dann kommt das Gespräch früher oder später zwangsläufig an den Punkt, in dem es heisst "wofür brauche ich das eigentlich, wie kann ich das nutzen oder umsetzen, wohin führt es mich"? Und dann sage ich: eben! Genau darum geht es ja in der These, dass uns nicht wirklich die Dinge und ihre Wirklichkeit interessieren, sondern nur das, was ich damit anstelle, wie ich damit umgehen kann, wie ich es nutzen kann.

Eigentlich müsste uns das viel gelassener machen. Aber dann doch wieder nicht.
 
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