lieber Zerd

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Majnomon

Well-Known Member
Zu bemerken: Während Liebe das klischeehafte Bild weißer Hochzeit erwecken mag, gemahnt der in der Linken beliebtere Begriff der Sexualität an das medizinische Lehrbuch. Beide Konnotationen und Begriffsvorlieben verweisen auf ein Defizit.

Mir gefällt deswegen der Ausdruck des Eros, weil er der mythologischen Vorstellung gemäß ein Bindeglied zwischen (geistiger) Liebe und (körperlichem) Begehren/Sex darstellt und beides umfasst... ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Libido.

Abgerundet mit dem Zitat von Shems Tabrizi:

“A life without love is a waste.
‘Should I look for spiritual love, or material, or physical love?’,
don’t ask yourself this question. Discrimination leads to discrimination.
Love doesn’t need any name, category or definition
Love is a world itself. Either you are in, at the center …
either you are out, yearning.”
 
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Tanrısız56

Well-Known Member
Mir gefällt deswegen der Ausdruck des Eros

Ja, das ist ein guter Ausdruck, wobei dessen Kontaminierung auch nicht ausbleiben konnte (Stichwort: "Eros"-Messen). Ich habe mich bisher mit dieser Polyamorie-Thematik wenn, dann nur eher beiläufig befasst. Interessant finde ich aber die historischen Herleitungen der von mir verlinkten Beiträge. Eine Rolle spielt dabei sicherlich, dass ich die Autoren von anderen Publikationen her schätze. Na und zumindestens der Ansatz der "Entnormierung" spricht mich auf jeden Fall an ...
 
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Pit 63

Guest
Mir gefällt deswegen der Ausdruck des Eros, weil er der mythologischen Vorstellung gemäß ein Bindeglied zwischen (geistiger) Liebe und (körperlichem) Begehren/Sex darstellt und beides umfasst... ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Libido.

Abgerundet mit dem Zitat von Shems Tabrizi:

“A life without love is a waste.
‘Should I look for spiritual love, or material, or physical love?’,
don’t ask yourself this question. Discrimination leads to discrimination.
Love doesn’t need any name, category or definition
Love is a world itself. Either you are in, at the center …
either you are out, yearning.”
Das Zitat von Shems Tabrizi habe ich unwillkürlich mit dem Leben von Adam und Eva im Paradies assoziiert, bevor sie erkannten, dass sie nackt waren.
 

Zerd

Well-Known Member
...Na und zumindestens der Ansatz der "Entnormierung" spricht mich auf jeden Fall an ...

Mir geht es da genauso und in diesem Kontext würde ich Polyamourie als individuelle Präferenz nicht ablehnen. Jeder Ansatz einer Entnormierung ist allerdings auch eine Gratwanderung, weil sie immer auch die Gefahr birgt, die alten Normen einfach durch neue zu ersetzen. Und diesen Eindruck habe ich eben, wenn etwa von einem "allgemeinen naturrechtlichen Interesse" in diesem Zusammenhang die Rede ist oder auch wenn wie in den von Dir zitierten Beiträgen mit allgemeinen Besitz- oder Machtverhältnissen argumentiert wird.

Ich schätze die Entnormierung vor allem, weil ich mich als Verfechter des Lebens im Sinne von Vielfalt des Lebens sehe. Allein schon aufgrund der getrenntgeschlechtlichen Reproduktion bringt Leben zwangsweise immer Neues hervor und dieses Neue sollte immer auch die Gelegenheit erhalten, sich zu bewähren. Aber im gesamtgesellschaftlichen öffentlichen Bereich werden dieser Freiheit immer zwangsläufig Grenzen gesetzt sein, da dieser Bereich Aufgaben erfüllen muss, die das Individuum zwar benötigt, aber nicht autark und selbstständig nur für sich leisten kann. Genauso wie das Individuum für sich und seine eigene Stabilität gewisse mit Normen vergleichbare Gewissheiten und Glaubenssätze benötigt, bedarf es auch im öffentlichen Raum gewisser Regeln, die sich dann eben als Normen niederschlagen.

Auch deshalb befürworte ich den möglichst weit gehenden Schutz und Erhalt des Privaten und der Freiheit des Individuums in diesem Bereich. Es ist eine Art Experimentierlabor des Lebens, in dem sich das Neue ausprobieren und bewähren darf und sich dann auch zwangsläufig verbreiten wird, wenn es sich denn bewährt.

Was mich an der Polyamourie stört, ist ihre prinzipielle Affinität zur Beliebigkeit und auch zum Hedonismus. Und in diesem Zusammenhang kann ich darin auch nicht einen Affront gegen herrschende Normen sehen als vielmehr eine Bestätigung der gegenwärtigen Trends. Es mag ja sein, dass in gewissen Kreisen zumindest der Schein gewahrt wird, bei der monogamen Beziehung handle es sich um eine Norm, aber die Wirklichkeit wie sie sich in meinem Umfeld darstellt ist eine ganz andere.

Aus dem Leben hat sich die Kultur des Menschen entwickelt und ich stehe auch zur kulturellen Entwicklung des Menschen. Bevor ich eine Ausprägung einer Kultur zugunsten der weiteren kulturellen Entwicklung verwerfe, versuche ich erst möglichst umfassend seine Entstehung und Verbreitung zu begreifen und die Auswirkungen des nächsten Schritts abzuschätzen. Ich kann mich dabei nicht bequemen, mich auf einen einzigen Erklärungsansatz zu beschränken (sei es nun irgendein Naturrecht, irgendwelche vorkulturellen (tierischen?) Mechanismen im Menschen oder ideologisch-dogmatisch durchtränkte Besitz-, Macht- oder Glaubensverhältnisse usw.), sondern versuche zu begreifen, was die Menschen davon hatten und weshalb es sich entwickeln, verbreiten und erhalten konnte. Der Zeitgeist mit seinem zwanghaften Fortschrittglauben ist mir da einfach zu schnell dabei, irgendetwas Althergebrachtes zu verwerfen und durch irgendeine Mode zu ersetzen; das führt mE zu mehr Degeneration als zu tatsächlichem beständigem kulturellen Fortschritt.
 

Tanrısız56

Well-Known Member
Mir geht es da genauso und in diesem Kontext würde ich Polyamourie als individuelle Präferenz nicht ablehnen. Jeder Ansatz einer Entnormierung ist allerdings auch eine Gratwanderung, weil sie immer auch die Gefahr birgt, die alten Normen einfach durch neue zu ersetzen. Und diesen Eindruck habe ich eben, wenn etwa von einem "allgemeinen naturrechtlichen Interesse" in diesem Zusammenhang die Rede ist oder auch wenn wie in den von Dir zitierten Beiträgen mit allgemeinen Besitz- oder Machtverhältnissen argumentiert wird.

"Allgemeine Besitz- und Machtverhältnisse" sind für die in den Texten sog. "Mononorm" konstitutiv. Wie ich schon dargelegt hatte, bringt sowohl Stefan Meretz mit seiner Wendung gegen eine "privatistische Polyamorie" als auch Andreas Exner mit dem Verweis auf die "Liebesverhältnisse im Postfordismus" (Zitat: "das Liebesleben [wird] insgesamt für viele Menschen und über erhebliche Strecken zu einer Arena von Marktmechanismen, Vereinzelung, Unglück") die Ablehnung eines - nennen wir es mal - "neoliberalen Zeitgeistes" zum Ausdruck. Das Besondere an diesen Texten finde ich, dass eben Polyamorie (anders als in anderen Texten, Manifesten usw.) nicht als eine neue Norm gesetzt wird. Gerade die historische Herleitung der jetzigen Verhältnisse in Bezug auf die "Liebesverhältnisse" erscheint mir aufschlussreich. Schließlich ist etwa die medial vielfach angerufene Mann-Frau-Kind-Kleinfamilie historisch durchaus jüngeren Datums. Davon kündet etwa noch die Redewendung "mit Kind und Kegel", wobei "Kegel" die nicht-ehelichen Kinder bezeichnete ...

Was mich an der Polyamourie stört, ist ihre prinzipielle Affinität zur Beliebigkeit und auch zum Hedonismus.

Hier muss ich zugeben, dass ich mit der Wendung gegen Hedonismus meine Schwierigkeiten habe. Ganz spontan musste ich an den "christlichen Asketismus" (Karl Marx), die "innerweltliche Askese" (Max Weber) des Protestantismus und ihre gesellschaftsprägende Kraft denken. Sicherlich: In einem alltagssprachlichen Sinne einer rein egoistischen Lebenseinstellung würde ich "Hedonismus" ablehnen, aber ist das Eintreten für "ein gutes Leben für alle Menschen", für Verhältnisse, in denen "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Marx) nicht auch Hedonismus? Dabei geht es mir nicht um eine Verallgemeinerung des kapitalistischen Charakters des gegenwärtigen Reichtums (fünf Ferraris vor der Tür machen bekanntlich die wenigsten Menschen glücklich). Aber: Ein Reichtum sozialer Grundbedürfnisse, also ein Reichtum an sozialen und dann wohl auch an erotischen Beziehungen (wie gesagt: ggf. auch monogam, zölibatär, asexuell), ein Reichtum, der die Möglichkeit beinhaltet, gut zu wohnen, zu essen und zu trinken usw. - das wäre eine andere Art von "Hedonismus" ...

Es mag ja sein, dass in gewissen Kreisen zumindest der Schein gewahrt wird, bei der monogamen Beziehung handle es sich um eine Norm, aber die Wirklichkeit wie sie sich in meinem Umfeld darstellt ist eine ganz andere.

Das klingt interessant ... :)

Ich kenne es eher so, dass "serielle Monogamie" als absolute Norm durchgeht, die aber durch "Fremdgehen" usw. durchbrochen wird. Dies wird zwar (je später der Abend) ggf. auch kommuniziert, aber nicht gerade sehr offen ... :)

Wie schon gesagt: Ich bin jetzt kein Polyamorie-Aktivist, aber in letzter Zeit, was diese Lebensform angeht, diesbezüglich einfach offener geworden ...
 
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Pit 63

Guest
In meiner Wahrnehmung folgen die negativen Begleiterscheinungen des Hedonismus- Oberflächlichkeit, Beliebigkeit und Austauschbarkeit- der entwickelten Gewohnheit sinnliche Lustimpulse zu suchen, um ihnen nachzugeben, ohne darüberhinaus zu gehen. MaW: Quantität statt Qualität.

Sexualität ist aber nicht nur sinnliche Lustbefriedigung. Hinzu kommt die Egobefriedigung, was den Hedonismus eher noch "unschöner" macht. Die Steigerung des Eigenwerts durch den Marktwert des Partners (Jagdglück), vermindert in gewisser Weise zwar auch die Oberflächlichkeit, Beliebigkeit, Austauschbarkeit, macht die zwischenmenschliche Beziehung aber trotzdem unschön.

Kommt statt Egobefriedigung Liebe hinzu, entfällt die quantitative Oberflächlichkeit, Beliebigkeit, Austauschbarkeit.

Wäre die Sexualität also nicht von der Liebe getrennt, sollte Vielfalt möglich sein, ohne der Beliebigkeit des Oberflächlich-Lustbetonten, Austauschbaren zu verfallen. Es wäre stets eine tiefe ganzheitliche Empfindung, die über den Lustimpuls und dessen Befriedigung hinausgeht. Es wäre stets ein höchstpersönliche Vereinigung, es wäre Qualität.
 
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Pit 63

Guest
Für mich werden solchen Themen meist dann interessant, wenn die meisten sie schon für ausdiskutiert erklären, da beginnt dann in der Regel meine Spielwiese.

Und hier gibt es auch noch den einen oder anderen Beitrag, auf den ich bei Gelegenheit noch ausführlicher reagieren möchte....
An der Stelle möchte ich mal kundtun, dass ich die philosophischen Gespräche hier stets als Bereicherung empfinde, weil sie bei aller ideellen Konkurrenz Spielraum für unterschiedliche Meinungen lassen.
Klingt vielleicht ein bischen abgehoben aber für mich ist diese Art der Auseinandersetzung ein seelisch-geistiger Prozess der Wertschätzung und Wertschöpfung.
 

Zerd

Well-Known Member
An der Stelle möchte ich mal kundtun, dass ich die philosophischen Gespräche hier stets als Bereicherung empfinde, weil sie bei aller ideellen Konkurrenz Spielraum für unterschiedliche Meinungen lassen.
Klingt vielleicht ein bischen abgehoben aber für mich ist diese Art der Auseinandersetzung ein seelisch-geistiger Prozess der Wertschätzung und Wertschöpfung.

Ganz Deiner Meinung. Bei all dem grassierenden Hedonismus, der Reizüberflutung und der vermeintlichen Wissensexplosion gibt es doch nicht schöneres (und leider auch nichts selteneres zZt) als einen gut durchdachten sauber ausformulierten orginellen Gedanken. Ich weiss das sehr zu schätzen, wenn sich außer mir noch Jemand auf dieses undankbare Unterfangen einlässt, auch und gerade, wenn es nicht mit meinen Ansichten übereinstimmt: widersprechen und diskutieren ist doch viel anspruchsvoller und ergiebiger als einfach nur Kopfnicken und Likeklicken. Lass Dich also bitte nicht irritieren, lieber Pit....

Hast Du übrigens den da schon gelesen? Polyamourie und Hedonismus passt meines Erachtens auch in seine Prognose sehr gut hinein...
 
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