Mal über Erdoğan plaudern

Alubehütet

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@Zerd Habe ich merkwürdigerweise genau umgekehrt erlebt. Anfang der 90er gab es im Zuge der Balkankriege ja schon einmal eine „Asylantenschwemme“, von der mir übrigens die Hausmeister in Flüchtlingsheimen berichtet, die sei viel „schlimmer“ gewesen als 2015.

Damals waren die Medien von BILD bis SPIEGEL einig, daß „das Boot voll“ sei. Unaufhörlich wurde gegen die SPD gehtzt, und zwar aus der Union, sie solle endlich dem „Asylkompromiß“, faktisch die Abschaffung des Asylrechtes zustimmen. Als Rot-Grün antrat, konnte Roland Koch mit einer „wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“-Anti-Doppelpaß-Kampagne Wahlen gewinnen. Seehofer verliert sie mit seinen „Herrschaft des Unrechts“- und Ankerzentren-Kampagnen.

Heute sind die Kochs, die Hohmanns, die Gaulands outgesourced in der AfD. Die saß damals noch in der Regierung. Die Lichterkette in den 90ern waren nicht so sehr für Ausländer, sie waren gegen Nazis und Gewalt. Die „Teddybärenwerfer“ und „Bahnhofsklatscher“ sind für mehr „Ausländer“.

Ja. Daß Sarrazin als diskutierenswert geadelt wurde, NSU, insbesondere das persönliche Versprechen der Kanzlerin, es würde alles aufgeklärt, unsägliche Rückschläge. Aber doch auf einem unumkehrbaren Weg für mehr Toleranz. Wenn Seehofer im Herbst in Bayern die Wahlen krachend verliert und die AfD abermals über 20% gewinnen wird, wird hoffentlich auch der letzte Honk kapieren, daß man von AfD-Positionen besser die Finger läßt.
 

EnRetard

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Zerd

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Wenn Seehofer im Herbst in Bayern die Wahlen krachend verliert und die AfD abermals über 20% gewinnen wird, wird hoffentlich auch der letzte Honk kapieren, daß man von AfD-Positionen besser die Finger läßt.

Dein Wort in Gottes Ohr, aber ich mag nicht so recht daran glauben, zumal ich den grassierenden Neoliberalismus und kulturelle Diskriminierung und Ausgrenzung als sich bedingende und befeuernde ideologische Geschwister ansehe; in beiden Denkweisen wird der Vorteil um jeden Preis für die eigene möglichst begrenzte Gruppe angestrebt und nicht gerade das Teilen und Toleranz gepredigt.

Was die 90er Jahre angeht, kann ich mir vorstellen, wo Deine abweichende Einschätzung herrührt. Denn tatsächlich wurde es kurz nach der Wiedervereinigung erst einmal schlimmer mit der Fremdenfeindlichkeit: es gab die Asyldebatte, Kohls vielsagende Differenzierung in eigentliche und "ausländische Mitbürger", die kollektiven Brandanschläge auf Asylheime wie in Hoyerswerda und der Ton wurde allgemein schärfer, bis es in den Brandanschlägen von Solingen und Mölln eskalierte und damals auch in hunderten türkischen Geschäften die Scheiben eingeschlagen wurden.

Aber so fremd waren uns solche Phasen damals nicht, sie kehrten in schöner Regelmäßigkeit so alle 10 Jahre wieder. Ende der 60er etwa erstarkte die NPD in mehreren Bundesländer und damals wurde auch kollektiv auf die Gastarbeiter eingedroschen. Das ging ein zwei Jahre so und wurde schnell wieder in den Griff bekommen, die NPD verkümmerte wieder zur Randgruppe. Ende der 70er Jahre dann die nächste Welle der Ausländerfeindlichkeit, als plötzlich Türken raus-Parolen an die Wände geschmiert wurden und ich damals von Klassenkameraden, mit denen ich teilweise seit der ersten Klasse zusammen gewesen plötzlich mit Scheiß-Ausländer tituliert wurde. Politisch griffen damals wieder die CSU und die neu gegründeten Republikaner die Stimmung auf und befeuerten sie. Die Rückkehrgesetze des damaligen Innenminister Zimmermann waren der Renner. Aber auch das flachte wieder ab. Und dann kam eben Anfang der 90er die nächste Welle.

Und ob nun die Reaktion der Mehrheitsbevölkerung damals, die zur erneuten Deeskalation führte, primär gegen die Nazis oder für die Betroffenen war, ist in meinen Augen nicht ausschlaggebend. Wichtig war vor allem, dass es in der Gesellschaft dieses Momentum gab, sich dieser Sache entgegenzustellen.

Seitdem verschlechterte sich die Lage allerdings zusehends: 9-11 war ein Trauma, das über Jahre hinweg kräftig instrumentalisiert wurde und bis heute nachwirkt und eben auch die trifft, die mit jenen Fanatikern nicht das geringste am Hut haben. Andererseits waren die Nuller Jahre eine einzige Aneinanderreihung von wirtschaftlichen und finanziellen Krisen, die die Möglichkeit geboten hätten, dem Neoliberalismus endlich Einhalt zu gebieten, stattdessen die neoliberalen Kräfte nur gestärkt haben, indem durch die Maßnahmen die Umverteilung nach oben befeuert wurde. Auch diese Entwicklung ist nicht dazu angetan, Toleranz innerhalb der Gesellschaft zu fördern, wenn bis auf ein kleines abgehobenes Grüppchen jeder sein Felle davonschwimmen sieht. Dass in all diesen Jahren durchgehend irgendwo Krieg gegen irgendwelche Moslems geführt wurde, trug auch nicht gerade zur Solidarisierung bei.

Der Flüchtlingssommer 2015 war in dieser Makroentwicklung tatsächlich eine Ausnahme, bei der ja allerdings Merkel mit ihrem Alleingang ob Freund ob Feind jeden überrascht hat und die kurze heftige Willkommenskultur wohl auf diese Überraschung zurückzuführen ist, wo sich viele an Zeit erinnert gefühlt haben, als das Menschenleben noch etwas wert war, unabhängig davon, aus welchem Land es stammte. Aber was wurde aus dieser Willkommenskultur? Innerhalb von Monaten genügten schon eine Handvoll Kriminelle unter den gekommenen Millionen, um dieser Blase die Luft rauszulassen. Und heute kann es die Mehrheit der Politik, der Medien und mancher gesellschaftlichen Kreise kaum noch erwarten, sie alle wieder loszuwerden und nebenbei auch noch bitte die Türken in Anatolien zu entsorgen.

Nein, glaube mir, ich habe die Phasen Ende der Siebziger und Anfang der Neunziger mittendrin miterlebt und was wir im neuen Jahrtausend durchgehend und sich immer verschlimmernd erleben, hat eine ganz andere Qualität.
 

Alubehütet

Well-Known Member
@EnRetard Die Schulpolitik in NRW ist absolut unterirdisch. Jetzt gibt es vier Abschlüsse zur Hochschulreife: Gesamtschule, Gymnasium, in acht oder neun Jahren. Wie sollen die Hochschulen mit solchen Erstsemestern klarkommen?

Was die Vorschläge zur Flüchtlingsabwehr angeht: Merkel hat im Herbst 2015 eingesehen, daß George Soros richtig liegt mit seiner Analyse: Das Kind ist in den Brunnen gefallen, und es wird und muß für mehrere Jahre möglich sein, rund eine Millionen Flüchtlinge jährlich in einem Europa von fünfhundert Millionen Einwohnern aufzunehmen, bis man die Lage in den Herkunftsländern wieder stabilisiert kriegt. Nur war das ein bißchen sehr zu spät. Das war ihr Fehler, das gibt sie ja auch zu: „Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.“ Eine gerechte Verteilung hätte man längst früher vereinbaren müssen. Wenn die Deutschen ratlos, vor allem aber tatenlos mit den Schultern zucken und die Italiener alleine läßt mit Lampedusa, die Griechen mit Lesbos, dann ist es zu spät, Solidarität einzufordern, wenn es erst einem selber an den Kragen geht. Zumal das viele auch mal den ach so arroganten und oberlehrerhaften Deutschen ja auch mal von Herzen gegönnt haben. Von Orban und Konsorten nicht zu reden.

Aber es gibt keine europäische Lösung. Mal sehen, was jetzt passiert, wo sich die rechtspopulistischen Italiener zur Wehr setzen, mit der Flüchtlingsproblematik alleine gelassen zu werden, aber gegen Orban, PISS werden sie auch nichts ausrichten. Und Deutschland wird den Ausnahmezustand von 2015 nicht fortsetzen, nicht institutionalisieren können; vor allem nicht, wenn der Rest Europas nicht mitzieht und der Michel sich fragt, warum wieder nur er der Dumme sein soll. Nähme ganz Europa 5 Millionen auf, und die Deutschen kriegten davon eine ab, wäre die Situation eine andere. Aber sie ist nun mal, wie sie ist.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Und ob nun die Reaktion der Mehrheitsbevölkerung damals, die zur erneuten Deeskalation führte, primär gegen die Nazis oder für die Betroffenen war, ist in meinen Augen nicht ausschlaggebend. Wichtig war vor allem, dass es in der Gesellschaft dieses Momentum gab, sich dieser Sache entgegenzustellen.
Entgegenzutreten. Genau das meine ich. Es war ein Abwehrkampf. Es waren keine Massendemonstrationen für die Rückabwicklung des Asylkompromisses, wie 10 Jahre zuvor gegen den NATO-Doppelbeschluß. Es war verzweifelte Abwehr, Nazi-Gewalt nicht auch noch zu tolerieren, zumindest für verständlich zu halten. Nicht nur von Seiters war damals Unsägliches zu hören. Es ging nicht mehr gegen die Regierung, da war schon gar kein Denken mehr dran, so verzweifelt war die Lage.

Ganz anders der Herbst 2015. Unser Land ändert sich, es kommen neue Menschen, und wir begrüßen das und helfen kräftig mit.

NPD, Reps, DVU, das waren alles noch Nazis, die drohten, in die Parlamente zu kommen, es teilweise auch taten. Die AfD weiß, daß sie auf diesem Ticket keine Stimmen mehr bekommt. Nichts schadet ihnen mehr als der braune Mief, der immer wieder aufkommt.

Polen, Ungarn ist gefallen, die Briten steigen aus, Österreich ist jetzt gefallen. Da unsere Regierung zu schwach geworden ist, Trump Paroli zu bieten und Europa hinter Macron zu einigen, da dieser also nicht die außenpolitischen Erfolge haben wird, seine neoliberalen Zumutungen zu kompensieren, wird Le Pen die nächsten Wahlen gewinnen. Im Vergleich dazu steht Deutschland ziemlich gut da. Und wenn in der Türkei nicht der Klerikofaschismus installiert würde und dieses über DITIB auch bei uns geschähe, hätten wir glaube ich wenig Probleme, anzuerkennen, daß zumindest die Türken inzwischen zu Deutschland gehören. Vielleicht noch nicht der Islam, vielleicht auch nicht zu viele und unkontrollierte Flüchtlinge, aber schon mal wenigstens die Türken.

Ein nachhaltiger Schock freilich gab es durch die islamistische Revolution im Iran. Daß in Saudi-Arabien schon längst vergleichbare Verhältnisse herrschten, war uns bis dahin nicht aufgefallen. „Nicht ohne meine Tochter“, das wurde ein von allen unvorhergesehener Bestseller. Seitdem gibt es eine zunehmende „Islamkritik“-Industrie, mit Huntington, beschleunigt durch 9/11 auch außenpolitisch aufgeladen. Da stimme ich dir zu.



Was mich von den Socken gehauen und tagelang irritiert hatte, das war Merkels Ausbruch:

„Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
Tagelang war ich verstört. Was irritiert mich so daran? Ich bin doch ganz ihrer Meinung? Bis ich darauf kam: Seit wann eigentlich ist dieses Land „mein“ Land? Meine Generation hat noch gesagt gekriegt: Dann geh’ doch nach drüben. Jetzt sagen wir das denen. Dann zieht doch nach Ungarn zu eurem Scheißorban! :D

Das hier ist mein Land. Oder wird es. Hätte ich in den 90ern niemals gedacht.

Trotzdem immer wieder gut, von dir oder auch etwa @Almancali hier immer wieder auch einen Eimer kalten Wassers über den Kopf zu bekommen. :confused: Wir sind noch längst nicht da, wo wir sein sollten. Aber ich sehe uns unumkehrbar auf den Weg dahin ... sofern wir nicht in eine massive Weltwirtschaftskrise geraten. Was hier passiert, hätten wir 10 Millionen Arbeitslose, weiß keiner.
 
Zuletzt bearbeitet:

Zerd

Well-Known Member
Trotzdem immer wieder gut, von dir oder auch etwa @Almancali hier immer wieder auch einen Eimer kalten Wassers über den Kopf zu bekommen. :confused: Wir sind noch längst nicht da, wo wir sein sollten. Aber ich sehe uns unumkehrbar auf den Weg dahin ... sofern wir nicht in eine massive Weltwirtschaftskrise geraten. Was hier passiert, hätten wir 10 Millionen Arbeitslose, weiß keiner.

Sorry, mir geht es nicht darum, irgendjemandem eine kalte Dusche zu verpassen. Und auch ich denke, dass Deutschland im weltweiten Trend zu undemokratischen Strukturen und zu immer mehr Unvernunft und Unmenschlichkeit noch sehr gut dasteht, viel besser als die meisten anderen reichen Industrie- und Finanznationen. Das hat mE historische Gründe und auch damit zu tun, dass es Deutschland wirtschaftlich doch noch recht gut geht und seiner Bevölkerung zuletzt nicht mehr so viel zumuten musste, wie das mit leeren Kassen der Fall wäre.

Aber ich sehe es leider nicht so, dass sich Deutschland entgegen diesem weltweiten Trend entwickelt, die Richtung ist mE dieselbe, nur aus den genannten Gründen etwas verzögert. Insofern sehe ich Trumps Amerika, oder Zustände wie in GB, Holland oder Ungarn nur als Vorboten dafür, was uns auch in Deutschland erwartet, sobald die Konjunktur etwas nachlässt. Und da kann einem dann schon ein wenig Bange werden vor dem Hintergrund, dass wenn die Deutschen einen Weg einschlagen, sie ihn für gewöhnlich etwas konsequenter und konzentrierter durchziehen als andere Nationen, wie zuletzt beim neoliberalen Umschwung wieder eindrucksvoll bestätigt wurde.

Ich bin auch überzeugt, dass sich die Menschheit langfristig zwangsläufig wieder zu mehr Solidarität und Mitmenschlichkeit entwickeln wird, wie das seit Anbeginn der Kulturgeschichte der Fall gewesen ist. Nur ist diese Entwicklung eben nie linear gewesen, sondern war immer wieder mit Rückschlägen versehen und durchlief Phasen der Restauration und Rückwärtsorientierung. Und in so einer Abwärtsbewegung stecken wir mE gerade und haben das Tal noch lange nicht erreicht. Ich jedenfalls kann derzeit keine tragfähigen und nachhaltigen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ansätze erkennen, die bspw die auch von Dir angesprochene nächste Weltwirtschaftskrise oder gar die nächsten Wirtschaftskriege verhindern könnten.

Ich habe Deutschland ein halbes Leben lang trotz der erwähnten Erfahrungen als mein Land angesehen und war auf einiges sogar richtig stolz, was hier besser klappte als zBsp in der Heimat meiner Eltern. Aber seit zwei Jahrzehnten fällt mir das immer schwerer, weil ich eben auch sehe, dass sich Deutschland in vielen Dingen zurückentwickelt und sich damit auch, was vielen sicher nicht gefallen wird, in einigen Punkten immer mehr Ländern wie der Türkei angleicht, die sich seit der Republikgründung in ihrer westlichen Orientierung eher an den USA als an Europa orientiert haben. Beispiele sind etwa der zunehmend bornierte oder zumindest unverbindliche Umgang der Behörden mit gewissen Teilen der Bevölkerung, zunehmende Korruption und Vetternwirtschaft, Abbau von sozialer Absicherung usw. In meiner Kindheit und Jugend war ich bspw bestürzt darüber, wie wenig der einzelne Mensch in der Türkei zu zählen schien, falls er nicht mit einer dicken Geldbörse oder Devisen aufwarten konnte. Heute sieht es bspw im Gesundheitswesen in Deutschland ganz ähnlich aus, man kann den Leuten fast am Gebiss ablesen, zu welcher Gehaltsklasse sie gehören oder ob sie verbeamtet sind. Damals vor 30-40 Jahren war diesbezüglich vielleicht auch nicht alles Gold was glänzte, aber es entwickelte sich jedenfalls in die richtige Richtung. Oder, was damals in Deutschland auch undenkbar war, zwei Arbeiter machen am Band genau dieselbe Arbeit, aber der eine verdient fast doppelt so viel wie der andere, weil er bei der Firma selbst angestellt ist, während sein Kollege von einer Leihfirma stammt. Solche Verhältnisse trifft man heute schon im öffentlichen Dienst fast regelmässig an, wo der Verbeamtete nicht nur mehr verdient als sein angestellter Kollege, der genau dieselbe Arbeit verrichtet, sondern auch zahlreiche sonstige Vergünstigungen ganz zu schweigen der erheblich besseren Altersversorgung einstreicht.

Das ist auf jeden Fall die falsche Richtung....
 

Msane

Well-Known Member
Sorry, mir geht es nicht darum, irgendjemandem eine kalte Dusche zu verpassen. Und auch ich denke, dass Deutschland im weltweiten Trend zu undemokratischen Strukturen und zu immer mehr Unvernunft und Unmenschlichkeit noch sehr gut dasteht, viel besser als die meisten anderen reichen Industrie- und Finanznationen. Das hat mE historische Gründe und auch damit zu tun, dass es Deutschland wirtschaftlich doch noch recht gut geht und seiner Bevölkerung zuletzt nicht mehr so viel zumuten musste, wie das mit leeren Kassen der Fall wäre.

Aber ich sehe es leider nicht so, dass sich Deutschland entgegen diesem weltweiten Trend entwickelt, die Richtung ist mE dieselbe, nur aus den genannten Gründen etwas verzögert. Insofern sehe ich Trumps Amerika, oder Zustände wie in GB, Holland oder Ungarn nur als Vorboten dafür, was uns auch in Deutschland erwartet, sobald die Konjunktur etwas nachlässt. Und da kann einem dann schon ein wenig Bange werden vor dem Hintergrund, dass wenn die Deutschen einen Weg einschlagen, sie ihn für gewöhnlich etwas konsequenter und konzentrierter durchziehen als andere Nationen, wie zuletzt beim neoliberalen Umschwung wieder eindrucksvoll bestätigt wurde.

Ich bin auch überzeugt, dass sich die Menschheit langfristig zwangsläufig wieder zu mehr Solidarität und Mitmenschlichkeit entwickeln wird, wie das seit Anbeginn der Kulturgeschichte der Fall gewesen ist. Nur ist diese Entwicklung eben nie linear gewesen, sondern war immer wieder mit Rückschlägen versehen und durchlief Phasen der Restauration und Rückwärtsorientierung. Und in so einer Abwärtsbewegung stecken wir mE gerade und haben das Tal noch lange nicht erreicht. Ich jedenfalls kann derzeit keine tragfähigen und nachhaltigen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ansätze erkennen, die bspw die auch von Dir angesprochene nächste Weltwirtschaftskrise oder gar die nächsten Wirtschaftskriege verhindern könnten.

Ich habe Deutschland ein halbes Leben lang trotz der erwähnten Erfahrungen als mein Land angesehen und war auf einiges sogar richtig stolz, was hier besser klappte als zBsp in der Heimat meiner Eltern. Aber seit zwei Jahrzehnten fällt mir das immer schwerer, weil ich eben auch sehe, dass sich Deutschland in vielen Dingen zurückentwickelt und sich damit auch, was vielen sicher nicht gefallen wird, in einigen Punkten immer mehr Ländern wie der Türkei angleicht, die sich seit der Republikgründung in ihrer westlichen Orientierung eher an den USA als an Europa orientiert haben. Beispiele sind etwa der zunehmend bornierte oder zumindest unverbindliche Umgang der Behörden mit gewissen Teilen der Bevölkerung, zunehmende Korruption und Vetternwirtschaft, Abbau von sozialer Absicherung usw. In meiner Kindheit und Jugend war ich bspw bestürzt darüber, wie wenig der einzelne Mensch in der Türkei zu zählen schien, falls er nicht mit einer dicken Geldbörse oder Devisen aufwarten konnte. Heute sieht es bspw im Gesundheitswesen in Deutschland ganz ähnlich aus, man kann den Leuten fast am Gebiss ablesen, zu welcher Gehaltsklasse sie gehören oder ob sie verbeamtet sind. Damals vor 30-40 Jahren war diesbezüglich vielleicht auch nicht alles Gold was glänzte, aber es entwickelte sich jedenfalls in die richtige Richtung. Oder, was damals in Deutschland auch undenkbar war, zwei Arbeiter machen am Band genau dieselbe Arbeit, aber der eine verdient fast doppelt so viel wie der andere, weil er bei der Firma selbst angestellt ist, während sein Kollege von einer Leihfirma stammt. Solche Verhältnisse trifft man heute schon im öffentlichen Dienst fast regelmässig an, wo der Verbeamtete nicht nur mehr verdient als sein angestellter Kollege, der genau dieselbe Arbeit verrichtet, sondern auch zahlreiche sonstige Vergünstigungen ganz zu schweigen der erheblich besseren Altersversorgung einstreicht.

Das ist auf jeden Fall die falsche Richtung....

Das liegt daran weil es Deutschland zu gut geht, bzw. ich meine damit das viele Menschen in unserem Land denken der Wohlstand fällt vom Himmel, sie haben sich an das gute sorglose Leben gewöhnt.
Dabei vergessen sie die Tugenden auf denen dieser Wohlstand beruht.
Diese wären Fleiß, Bildung und Disziplin ... aber wenn man sowas fordert gilt man heute ja als Spießer und Spaßbremse der den Leuten ihr geiles Life schwer machen möchte :rolleyes:


.
 

eruvaer

Well-Known Member
Diese wären Fleiß, Bildung und Disziplin


.
Bildung?
Das Diplom (DAS Zeugnis deutscher Leistung) wurde abgeschafft und was man wie in der Schule lernt ist ein Trauerspiel.

Fleiß?
Dass man es durch Fleiß zu irgendetwas bringt ist ein Gerücht, das das einfache Volk ruhig hält. Den hohen Lohn und die guten Jobs bekommt man nicht durch Fleiß.

Disziplin?
Bei was? Sinnlosen Ausbildungen und fein anstrengenden, weil man es nur "zu etwas bringen kann" wenn man sich totstrampelt!?

Und mich hält man für realtätsfern :confused:
 
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