AW: Verliebt in Türkin - kann sowas gut gehen?
Schon am ersten Abend (noch in der Großstadt VAN) saß ich zwischen allen Stühlen. Plötzlich war ich "türkischer" als ich es je vermutet hätte. Alles was die Anderen machten, war einfach falsch. Sie lachten falsch, sie saßen falsch, sie aßen falsch, sie schauten falsch, sie tranken falsch, sie schliefen falsch, sie zogen sich falsch an. Nichts was sie taten war richtig. Die Missachtung der Dorfbevölkerung war eindeutig. Plötzlich merkte ich, wie sehr ich mich für meine Freunde geschämt habe ... warum eigentlich, sie warren doch genaus so wie immer, so wie es in Deutschland üblich und richtig ist ... und noch besser, sie wollten Respekt zeigen und haben sich zuvor bei mir erkundigt wie sie sich zu verhalten haben. Sie haben sich wahnsinnig viel Mühe gegeben und alles umgesetzt was ich ihnen in Deutschland gesagt habe. Als wir dann in den Dörfern waren, ist mir aufgefallen, dass einige Dinge für mich so selbstverständlich waren, dass ich gar nicht daran gedacht habe meine Freunde darauf aufmerksam zu machen ... diese 3 Wochen waren eine harte, aber sehr lehrreiche Zeit für mich. 40 Jahre Deutschland sind nicht genug, um erlernte Verhaltensmuster abzulegen.
Liebe DameTR,
was du geschrieben hast, finde ich sehr interessant. Ich habe auch so ein Erlebnis. Nur war ich auf der anderen Seite.
Als der Vater meines Freundes erstmals aus der Türkei zu Besuch kam, bat ich meinen Freund, mir ein paar in seiner Heimat übliche "Benimmregeln" beizubringen, damit ich keinen schlechten Eindruck mache.
Ich habe schon viel mit anderen Kulturen zu tun gehabt und auch länger im Ausland gelebt. Daher ist mir klar, dass man solche Sachen nicht "automatisch" richtig macht. Was in der einen Kultur normal oder sogar höflich ist, könnte in der anderen als grobe Beleidigung aufgefasst werden.
Da ich selbst noch nie in der Türkei war und auch kein türkisch spreche, hatte ich daher gehofft, mein Freund würde mich in so einer Art "Schnellkurs" auf ein paar Besonderheiten aufmerksam machen, mir ein paar Redewendungen und Höflichkeitsfloskeln beibringen, mir ein paar Tabuthemen nennen (die es ja auch in jeder Kultur gibt).
Es spielt ja auch eine Rolle, ob man es mit einem weitgereisten Türken aus einer modernen Großstadt und einem multikulturellen Umfeld zu tun hat, oder aber mit einem Menschen, der aus einem eher traditionell geprägten ländlichen Raum stammt und noch nie im westlichen Ausland war. Aus eigener Erfahrung und durch den Umgang mit vielen Ausländern weiss ich, dass man bei so viel ungewohnten, fremden Eindrücken erst mal einen Kulturschock erleidet. Und dann ist es einfach schön, wenn sich die Einheimischen (sei es auch nur durch kleinste Gesten) bemühen, einem ein bisschen das Gefühl von Vertrautheit zu vermitteln.
Mein Freund hat überhaupt nicht verstanden, was ich von ihm will. Er sagte, ich solle mich einfach "natürlich" und "normal" verhalten. Als der Vater dann aber da war, schien mein Freund nicht immer mit meinem "natürlichen Verhalten" einverstanden zu sein. Das wunderte mich gar nicht. Denn was hier selbstverständlich ist, muss für seinen Vater noch längst nicht "normal" sein. Ich kam mir daher ziemlich linkisch und ignorant vor.
Das war eine sehr anstrengende Zeit für mich. Mein Freund war auf einmal ganz anders als sonst. (total gestresst, unausgeglichen und reizbar) Ich glaube, ihm wurde erstmals bewusst, wie "deutsch" er inzwischen schon geworden war. Und plötzlich saß er zwischen zwei Stühlen. Er kam mir vor wie eine "multiple Persönlichkeit", die ständig zwischen der türkischen und deutschen Seite hin- und herwechselt. Hätte er mich ein bisschen mehr an seiner türkischen Seite teilhaben lassen, wäre es ihm vielleicht besser gelungen, die beiden Aspekte in seine Persönlichkeit zu integrieren.
Aber da er sich strikt weigerte, darüber nachzudenken, konnte er immer nur in das eine oder andere Extrem verfallen. Mal war die türkische Seite die "schlechte", mal die deutsche. Ich glaube, so kann man nicht leben.
Auch ich habe inzwischen Einflüsse aus verschiedenen Kulturen in mein Leben, Denken und Fühlen integriert. Es gibt ja auch viele Deutsche, die aus irgendeinem (wohl aus unserer unrühmlichen Vergangenheit resultierenden) Schuldgefühl oder "nationalem Minderwertigkeitskomplex" heraus ihre Idendität am liebsten verleugnen würden. Sie behaupten dann immer, sich überhaupt nicht deutsch zu fühlen, obwohl man ihnen schon auf den ersten Blick (Kleidung, Gesten, Verhalten...) sofort anmerken kann, woher sie kommen. Auf mich macht das immer einen sehr lächerlichen und neurotischen Eindruck.
Ich glaube, man sollte zu seinen Wurzeln stehen und seine Idendität/ Herkunft nicht verleugnen, dabei aber immer offen und aufnahmebereit für andere Einflüsse bleiben. Der einzige Weg, mit den verschiedenen kulturellen Einflüssen umzugehen, ist die intensive geistige Auseinandersetzung damit.
Daher finde ich es großartig, wie genau DameTR alles beobachtet und reflektiert und nicht gleich voreilige Schlüsse (Werturteile) abgibt.
Deine Beiträge liefern mir immer wieder wertvolle Denkanstösse. Ich empfinde sie als eine grosse Bereicherung. Danke dir !:smile:
LG cassandra