Aphorismus 3: ... Auch hinter aller Logik und ihrer anscheinenden Selbstherrlichkeit der Bewegung stehen Wertschätzungen, deutlicher gesprochen, physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben...
Aphorismus 4: Die Falschheit eines Urteils ist uns noch kein Einwand gegen ein Urteil.... Die Frage ist, wie weit es lebensfördernd, lebenserhaltend, Art-erhaltend, vielleicht gar Art-züchtend ist; und wir sind grundsätzlich geneigt zu behaupten, dass uns die falschesten Urteile die unentbehrlichsten sind,... dass Verzichtleisten auf falsche Urteile ein Verzichtleisten auf Leben, eine Verneinung des Lebens wäre. Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn...
Aphorismus 53: Warum heute Atheismus? - "Der Vater" in Gott ist gründlich widerlegt; ebenso "der Richter", "der Belohner". Insgleichen sein "freier Wille": er hört nicht - und wenn er hörte, wüßte er trotzdem nicht zu helfen... es scheint mir, dass zwar der religiöse Instinkt mächtig im Wachsen ist - dass er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Mißtrauen ablehnt.
Aphorismus 55: Es gibt eine große Leiter der religiösen Grausamkeit, mit vielen Sprossen; aber drei davon sind die wichtigsten. Einst opferte man seinem Gotte Menschen, vielleicht gerade solche, welche man am besten liebte....Dann, in der moralischen Epoche der Menschheit, opferte man seinem Gotte die stärksten Instinkte, die man besaß, seine "Natur"; diese Festfreude glänzt im grausamen Blicke des Asketen, des begeisterten "Wider-Natürlichen". Endlich: was blieb noch übrig zu opfern? Musste man nicht endlich einmal alles Tröstliche, Heilige, Heilende, alle Hoffnung, allen Glauben an verborgene Harmonie, an zukünftige Seligkeiten und Gerechtigkeiten opfern? musste man nicht Gott selbst opfern und, aus Grausamkeit gegen sich, den Stein, die Dummheit, die Schwere, das Schicksal, das Nichts anbeten? Für das Nichts Gott opfern - dieses paradoxe Mysterium der letzten Grausamkeit blieb dem Geschlechte, welches jetzt eben heraufkommt, aufgespart...