Aaah, die
taz hat das Interview doch komplett ins Netz gestellt. Bißchen versteckt zwar. Ein paar Highlights:
Als du am 1. März ins Gefängnis von Silivri überstellt wurdest, sagte mir dein Anwalt Veysel Ok, dass es dir dort besser gehen werde als in dem Schmuddelknast Metris in Istanbul: „Er kann dort Freunde finden.“ Hast du welche gefunden?
Meine Anwälte leisten unter auch für sie persönlich schwierigen Bedingungen großartige Arbeit. Aber Veysel konnte nicht ahnen, dass ich in Einzelhaft kommen würde. Dafür gibt es nämlich sonst kein anderes Beispiel; in Istanbul bin ich der einzige Journalist in Einzelhaft. Normalerweise bedeutet Einzelhaft übrigens auch keine völlige Isolation, es gibt Sport in größeren Gruppen, und für einige Stunden in der Woche kann man sich mit anderen Gefangenen seiner Wahl zusammenschließen lassen. Mit dem Ausnahmezustand wurden diese Dinge abgeschafft. Immerhin: Seit Mai werden im Gefängnis Silivri Nr. 9 die Gefangenen in Einzelhaft für eine Stunde in der Woche auf den kleinen Sportplatz gelassen.
Über den „Putsch“ und die Justiz:
Ich halte nicht alle 4.500 Richter und Staatsanwälte, die seit dem Putschversuch entlassen wurden und von denen etwa die Hälfte verhaftet wurde, für unschuldig. So manche haben sich als Anhänger der Gülen-Organisation in den politischen Verfahren des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht und gehören tatsächlich auf die Anklagebank – zusammen mit den Verantwortlichen in der Regierung, die diese Prozesse gefördert und unterstützt haben. Anderseits sitzen viele Richter in Haft, die mit alledem nichts zu tun hatten.
Türkische Staatsanwälte haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie beides können: sowohl seriöse Anklageschriften als auch fantastische Literatur. In den Verfahren gegen die unmittelbar am Putschversuch beteiligten Militärs und Zivilisten haben sie – soweit ich das aus der Medienberichterstattung beurteilen kann – nicht nur überzeugende Beweise für die individuelle Tatbeteiligung vorgelegt, sondern auch für die federführende Rolle der Gülen-Organisation. Dennoch sind viele Fragen im Zusammenhang mit dem Putschversuch unklar. Grob gilt: Je mehr sich die Anklageschriften von den Vorgängen in jener Nacht entfernen, umso dünner werden sie. In den Anklageschriften gegen Journalisten, oppositionelle Politiker und kurdische oder linke Aktivisten zählen rechtsstaatliche Prinzipien oder bloß Logik und Vernunft wenig. Die Fantasie ist so groß wie die Schamgrenze niedrig. An Überforderung kann es also nicht liegen. Allerdings liegt die Initiative auch nicht bei der Staatsanwaltschaft. Ein Wort vom Chef und Anklageschrift, Prozesseröffnung und Freilassung laufen in Rekordzeit, wie wir das bei Peter Steudtner und den anderen Menschenrechtsaktivisten gesehen haben.
Du meinst, Freilassung ist Chefsache?
Ja. Schließlich hatte sich der Staatspräsident öffentlich zum Chefankläger aufgeschwungen. Dasselbe hat er bei mir gemacht, bei den Oppositionspolitikern, etwa Selahattin Demirtaş, und zuletzt beim Unternehmer und Bürgerrechtler Osman Kavala.
Ein Angstregime richtet sich nicht allein gegen Kritiker, sondern umfasst auch die Angehörigen des Unterdrückungsapparats. Vollzugsbeamte, Richter, hohe Beamte, sogar Regierungspolitiker – jeder hat Angst. Nur einer nicht. Oder besser: Er hat noch mehr Angst als alle anderen, weil er weiß, was ihm blüht, falls er die Macht verlieren sollte. Und darum unterwirft er eine ganze Gesellschaft seinem Angstregime.
Aus Deutschland erhält er
11 Freunde (Fußballmagazin), die
taz und TITANIC.
Über Isolationshaft:
Isolationshaft ist Folter. Auch wenn ich eigentlich guter Dinge bin, kann ich nicht absehen, welche langfristigen Folgen das haben wird. Nur eine Folge ahne ich bereits: Ich werde jeden vollquatschen, der mir über den Weg läuft. Am meisten wird das natürlich Dilek ausbaden müssen. Dabei tut sie jetzt schon so unendlich viel für mich. Und ich glaube, diese Haftbedingungen haben auf alle eine ähnliche Wirkung, auch auf weniger gesprächige Menschen.
Außer den Wärtern unterhält er sich nur mit seinen Anwälten.
Und du hast ja noch deine Anwälte, richtig?
Oh ja. Und zum Glück unterlagen meine Gespräche mit den Anwälten nie irgendwelchen Beschränkungen. Zu mir kommen nicht nur meine eigenen, sondern auch Anwälte, die hier andere Mandanten betreuen, setzen mich regelmäßig auf ihre Besuchslisten. Und manche fahren nur aus Solidarität achtzig Kilometer nach Silivri, auch wenn sie im engeren Sinne mit keiner Verteidigung betraut sind. Die Anwälte sind die stillen Heldinnen und Helden dieser Epoche der türkischen Geschichte. Soweit mir bekannt, hat die schwierigsten Haftbedingungen der Journalist Nedim Türfent zu ertragen. Der Mitarbeiter der inzwischen per Erlass geschlossenen prokurdischen Nachrichtenagentur Diha sitzt seit 17 Monaten im Gefängnis, ein Jahr davon in Einzelhaft; lange Zeit bekam er weder Zeitungen noch Bücher. Für seinen Fall würde ich mir eine größere internationale Aufmerksamkeit wünschen.
Als was, glaubst du, werden die derzeitigen Gerichtsverfahren gegen Journalisten in der Türkei in die Geschichte eingehen?
Als Schande. Wie die mit gefälschten Beweisen geführten Prozesse der Gülenisten-Justiz in den Jahren 2007 bis 2011. Oder die Prozesse der Militärjunta nach dem Putsch von 1980, in denen man mit systematischer körperlicher Folter Geständnisse aus den Angeklagten herauszupressen versuchte. Die Frage ist nicht, ob ein autoritäres Regime zusammenbricht; die Frage ist, welche womöglich irreversiblen Schäden es bis dahin am Schicksal Einzelner, an der Gesellschaft, an der Natur und am kulturellen Erbe anrichtet.
Was tun?
Ganz wichtig: die Zivilgesellschaft stärken. Und natürlich Druck ausüben. Aber das muss sitzen. Die EU-Beitrittsverhandlungen nicht abzubrechen, war zum Beispiel eine richtige Entscheidung. Das Einfrieren von EU-Geldern hingegen ist reine Symbolpolitik. Eine ganz schlechte Idee ist Starksprech – das ist etwa so erfolgversprechend, als würde man die Türken im Autokorso herausfordern anstatt im Biathlon. Auch keine gute Idee: Maßnahmen, die allein die Bevölkerung treffen wie der Visa-Beschluss der USA. Zuvor muss man aber die Frage beantworten, ob man bereit ist, auch bei den eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen Abstriche zu machen.
„Eine ganz schlechte Idee ist Starksprech – das ist etwa so erfolgversprechend, als würde man die Türken im Autokorso herausfordern anstatt im Biathlon.“