Deniz Yücel

Alubehütet

Well-Known Member
Deniz hat der taz ein Interview geben können – Allerdings nur schriftlich, über die Rechtsanwälte.

Zentrale Forderung bleibt:

„Ich will einen fairen Prozess. Und den am besten gleich morgen. Nicht mehr. Nicht weniger“, sagt Yücel im Interview mit der taz am wochenende.
Er hofft dabei auf Straßburg:

Yücels Anwälte haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen seine Inhaftierung eingelegt. Die Türkei hat noch bis zum 28. November Zeit für eine Stellungnahme.

„Nach all der Verschleppungstaktik der türkischen Seite hoffe ich, dass der Gerichtshof nun zügig handelt. Also, dass der Gerichtshof für die überschaubare Anzahl von Journalisten und Abgeordneten, deren Klagen er bevorzugt zu behandeln beschlossen und in deren Fällen er die türkische Regierung zur Stellungnahme aufgefordert hat, ein Urteil zur Inhaftierung spricht. Und danach werde ich gespannt sein, ob die türkische Regierung ein Urteil aus Straßburg zur Haftentlassung befolgen wird.“


Und allmählich zeigt die Isolationshaft Folgen: :(

„Isolationshaft ist Folter. Auch wenn ich eigentlich guter Dinge bin, kann ich nicht absehen, welche langfristigen Folgen das haben wird.“

Aber:

Yücel erklärt zudem, dass er sich über die Anteilnahme in Deutschland freue. „Obwohl noch immer keine Anklageschrift vorliegt, weiß ich ja, weshalb ich eingesperrt bin: Weil ich, so meine ich, mir einbilden zu können, meinen Job als Journalist ordentlich gemacht habe. Und obwohl ich in Einzelhaft sitze, weiß ich, dank der vielen Menschen, die sich für mich und für meine inhaftierten Kollegen einsetzen, dass ich nicht alleine bin. Das hilft mir sehr.“
https://www.taz.de/Inhaftierter-Journalist-in-der-Tuerkei/!5461876/
 

Alubehütet

Well-Known Member
Aaah, die taz hat das Interview doch komplett ins Netz gestellt. Bißchen versteckt zwar. Ein paar Highlights:

Als du am 1. März ins Gefängnis von Silivri überstellt wurdest, sagte mir dein Anwalt Veysel Ok, dass es dir dort besser gehen werde als in dem Schmuddelknast Metris in Istanbul: „Er kann dort Freunde finden.“ Hast du welche gefunden?

Meine Anwälte leisten unter auch für sie persönlich schwierigen Bedingungen großartige Arbeit. Aber Veysel konnte nicht ahnen, dass ich in Einzelhaft kommen würde. Dafür gibt es nämlich sonst kein anderes Beispiel; in Istanbul bin ich der einzige Journalist in Einzelhaft. Normalerweise bedeutet Einzelhaft übrigens auch keine völlige Isolation, es gibt Sport in größeren Gruppen, und für einige Stunden in der Woche kann man sich mit anderen Gefangenen seiner Wahl zusammenschließen lassen. Mit dem Ausnahmezustand wurden diese Dinge abgeschafft. Immerhin: Seit Mai werden im Gefängnis Silivri Nr. 9 die Gefangenen in Einzelhaft für eine Stunde in der Woche auf den kleinen Sportplatz gelassen.

Über den „Putsch“ und die Justiz:

Ich halte nicht alle 4.500 Richter und Staatsanwälte, die seit dem Putschversuch entlassen wurden und von denen etwa die Hälfte verhaftet wurde, für unschuldig. So manche haben sich als Anhänger der Gülen-Organisation in den politischen Verfahren des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht und gehören tatsächlich auf die Anklagebank – zusammen mit den Verantwortlichen in der Regierung, die diese Prozesse gefördert und unterstützt haben. Anderseits sitzen viele Richter in Haft, die mit alledem nichts zu tun hatten.

Türkische Staatsanwälte haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie beides können: sowohl seriöse Anklageschriften als auch fantastische Literatur. In den Verfahren gegen die unmittelbar am Putschversuch beteiligten Militärs und Zivilisten haben sie – soweit ich das aus der Medienberichterstattung beurteilen kann – nicht nur überzeugende Beweise für die individuelle Tatbeteiligung vorgelegt, sondern auch für die federführende Rolle der Gülen-Organisation. Dennoch sind viele Fragen im Zusammenhang mit dem Putschversuch unklar. Grob gilt: Je mehr sich die Anklageschriften von den Vorgängen in jener Nacht entfernen, umso dünner werden sie. In den Anklageschriften gegen Journalisten, oppositionelle Politiker und kurdische oder linke Aktivisten zählen rechtsstaatliche Prinzipien oder bloß Logik und Vernunft wenig. Die Fantasie ist so groß wie die Schamgrenze niedrig. An Überforderung kann es also nicht liegen. Allerdings liegt die Initiative auch nicht bei der Staatsanwaltschaft. Ein Wort vom Chef und Anklageschrift, Prozesseröffnung und Freilassung laufen in Rekordzeit, wie wir das bei Peter Steudtner und den anderen Menschenrechtsaktivisten gesehen haben.


Du meinst, Freilassung ist Chefsache?

Ja. Schließlich hatte sich der Staatspräsident öffentlich zum Chefankläger aufgeschwungen. Dasselbe hat er bei mir gemacht, bei den Oppositionspolitikern, etwa Selahattin Demirtaş, und zuletzt beim Unternehmer und Bürgerrechtler Osman Kavala.

Ein Angstregime richtet sich nicht allein gegen Kritiker, sondern umfasst auch die Angehörigen des Unterdrückungsapparats. Vollzugsbeamte, Richter, hohe Beamte, sogar Regierungspolitiker – jeder hat Angst. Nur einer nicht. Oder besser: Er hat noch mehr Angst als alle anderen, weil er weiß, was ihm blüht, falls er die Macht verlieren sollte. Und darum unterwirft er eine ganze Gesellschaft seinem Angstregime.


Aus Deutschland erhält er 11 Freunde (Fußballmagazin), die taz und TITANIC.

Über Isolationshaft:

Isolationshaft ist Folter. Auch wenn ich eigentlich guter Dinge bin, kann ich nicht absehen, welche langfristigen Folgen das haben wird. Nur eine Folge ahne ich bereits: Ich werde jeden vollquatschen, der mir über den Weg läuft. Am meisten wird das natürlich Dilek ausbaden müssen. Dabei tut sie jetzt schon so unendlich viel für mich. Und ich glaube, diese Haftbedingungen haben auf alle eine ähnliche Wirkung, auch auf weniger gesprächige Menschen.

Außer den Wärtern unterhält er sich nur mit seinen Anwälten.

Und du hast ja noch deine Anwälte, richtig?

Oh ja. Und zum Glück unterlagen meine Gespräche mit den Anwälten nie irgendwelchen Beschränkungen. Zu mir kommen nicht nur meine eigenen, sondern auch Anwälte, die hier andere Mandanten betreuen, setzen mich regelmäßig auf ihre Besuchslisten. Und manche fahren nur aus Solidarität achtzig Kilometer nach Silivri, auch wenn sie im engeren Sinne mit keiner Verteidigung betraut sind. Die Anwälte sind die stillen Heldinnen und Helden dieser Epoche der türkischen Geschichte. Soweit mir bekannt, hat die schwierigsten Haftbedingungen der Journalist Nedim Türfent zu ertragen. Der Mitarbeiter der inzwischen per Erlass geschlossenen prokurdischen Nachrichtenagentur Diha sitzt seit 17 Monaten im Gefängnis, ein Jahr davon in Einzelhaft; lange Zeit bekam er weder Zeitungen noch Bücher. Für seinen Fall würde ich mir eine größere internationale Aufmerksamkeit wünschen.


Als was, glaubst du, werden die derzeitigen Gerichtsverfahren gegen Journalisten in der Türkei in die Geschichte eingehen?

Als Schande. Wie die mit gefälschten Beweisen geführten Prozesse der Gülenisten-Justiz in den Jahren 2007 bis 2011. Oder die Prozesse der Militärjunta nach dem Putsch von 1980, in denen man mit systematischer körperlicher Folter Geständnisse aus den Angeklagten herauszupressen versuchte. Die Frage ist nicht, ob ein autoritäres Regime zusammenbricht; die Frage ist, welche womöglich irreversiblen Schäden es bis dahin am Schicksal Einzelner, an der Gesellschaft, an der Natur und am kulturellen Erbe anrichtet.

Was tun?

Ganz wichtig: die Zivilgesellschaft stärken. Und natürlich Druck ausüben. Aber das muss sitzen. Die EU-Beitrittsverhandlungen nicht abzubrechen, war zum Beispiel eine richtige Entscheidung. Das Einfrieren von EU-Geldern hingegen ist reine Symbolpolitik. Eine ganz schlechte Idee ist Starksprech – das ist etwa so erfolgversprechend, als würde man die Türken im Autokorso herausfordern anstatt im Biathlon. Auch keine gute Idee: Maßnahmen, die allein die Bevölkerung treffen wie der Visa-Beschluss der USA. Zuvor muss man aber die Frage beantworten, ob man bereit ist, auch bei den eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen Abstriche zu machen.


„Eine ganz schlechte Idee ist Starksprech – das ist etwa so erfolgversprechend, als würde man die Türken im Autokorso herausfordern anstatt im Biathlon.“ :D :D :D
 
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Mendelssohn

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Danke für die Auszüge aus dem Interview.
Interessant finde ich Yücels Einschätzung hinsichtlich der Putsch-Beteiligung der Gülenanhänger. Es schien mir fast so, als wolle er Pluspunkte sammeln und ein gewisses Verständnis dafür zum Ausdruck bringen, daß der türkische Staat erstmal random, also auch unter den Kurden, sauber macht, auch wenn ein paar falsche, so wie er, im Knast landen. Tolu hat er damit keinen Gefallen getan.
Jedenfalls scheint Yücel klar geworden zu sein, daß er sich selbst um seine Freilassung bemühen muß. Ein anderer kann es nicht. Vielleicht bringt dies Interview Bewegung in seinen Fall.
Wenn er raus kommen sollte, wird er nie wieder frei berichten können. Es müßte schon einen Politikwechsel in der Türkei geben.
 

Alubehütet

Well-Known Member
Interessant finde ich Yücels Einschätzung hinsichtlich der Putsch-Beteiligung der Gülenanhänger. Es schien mir fast so, als wolle er Pluspunkte sammeln und ein gewisses Verständnis dafür zum Ausdruck bringen, daß der türkische Staat erstmal random, also auch unter den Kurden, sauber macht, auch wenn ein paar falsche, so wie er, im Knast landen.
Er hatte sich schon einmal ähnlich geäußert. Ich glaube nicht, daß er wen nach dem Mund redet. Er sagt ja in einem Atemzug, die Gülen-Staatsanwälte, die im Zuge der Ergenekon-Ermittlungen zig mißliebige Bürger enteignet und ins Gefängnis geliefert haben, gehören genauso in den Knast wie der Präsident, der ihnen das durchgehen ließ. Er scheint viele Berichte über die Beteiligung der Gülenisten schlicht überzeugend zu finden. Es waren ja wohl auch Gülen-Leute unter den „Putschisten“, nur eben auch Kemalisten. Außerdem mag Yücel diese „Betbrüder“ nicht. Wenn er denken sollte, es habe sich trotzdem um einen „kontrollierten Putsch“ gehalten, dann muß er das ja nicht laut sagen. Ein Stockholm-Syndrom ist damit ja nicht auszuschließen.

Zu den Kurden sagt er überhaupt nichts. Wäre auch nicht gut, seine Sympathien für die PYD – und damit der PKK – hat er laut genug kundgetan.
Jedenfalls scheint Yücel klar geworden zu sein, daß er sich selbst um seine Freilassung bemühen muß. Ein anderer kann es nicht.
Jedenfalls ist ihm klar, daß in seinem Fall alles an RTE hängt. Wie nannte man das früher? „Persönlicher Gefangener des Führers.“ :(
 

Alubehütet

Well-Known Member
Ich mag den Focus ja nicht. Aber sie wollen wissen, daß nicht Schröder, sondern letztlich Altmaier Steudtner & Freunde final aus dem Gefängnis geholt habe.

Ein hoher Regierungsbeamter sagte zu FOCUS: „Schröder war quasi, bei allem Respekt, der Türöffner für Altmaier."

Mit Altmaiers Bittbesuch bei Erdogan sei für die Bundesregierung endgültig „das Ende der Fahnenstange“ erreicht, stellte ein weiterer Kenner der Reise fest. „Noch mehr Anbiederung geht nicht.“ Für Steudtners Freilassung wurde ein „hoher Preis“ gezahlt, sagte der Insider ohne weitere Details zu nennen.
 
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Msane

Well-Known Member
Ich mag den Focus ja nicht. Aber sie wollen wissen, daß nicht Schröder, sondern letztlich Altmaier Steudtner & Freunde final aus dem Gefängnis geholt habe.

Ein hoher Regierungsbeamter sagte zu FOCUS: „Schröder war quasi, bei allem Respekt, der Türöffner für Altmaier."

Mit Altmaiers Bittbesuch bei Erdogan sei für die Bundesregierung endgültig „das Ende der Fahnenstange“ erreicht, stellte ein weiterer Kenner der Reise fest. „Noch mehr Anbiederung geht nicht.“ Für Steudtners Freilassung wurde ein „hoher Preis“ gezahlt, sagte der Insider ohne weitere Details zu nennen.

Der Preis wird hoch gewesen sein, bei Erdogan gibts nichts umsonst, wenn sie was von ihm wollen müssen sie erstmal lutschen.


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santiago

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