AW: Freiheit
Zitat von wiebke:
was bleibt übrig, wenn ich "loslasse", "mich frei mache" von dem mehr oder weniger bewussten glauben, dass ich bestimmte dinge und menschen brauche, um mich gut zu fühlen?
... schwierige Frage, aber ich glaube, der Punkt ist vielleicht auch: ob solche Entscheidungen einem mehr oder weniger selbst überlassen sind oder nicht. Es macht doch einen fundamentalen Unterschied, ob man sich selbst entscheidet oder (passiv) "entschieden wird". Aber Wiebke hat es aktiv formuliert, und deswegen werd ich die (in diesem Zusammenhang wahrlich doppeldeutige) Leidensform mal elegant überspringen.
Was bleibt? Alles. Alles, was vorher schon da war. Und vielleicht noch viel mehr: die Erkenntnis, wie vieles im Grunde verzichtbar ist. Und das ist kein asketisch gemeintes Plädoyer für die ausschließliche Konzentration auf Primärbedürfnisse. (Noch nicht...!)
Zitat von wiebke:
was bleibt, wenn ich mich nicht mehr um die dinge und mesnchen um mich "kümmere", sondern auf mich und in mich schaue? mir selbst in die augen, ins herz, in die seele schaue? erschrecke ich vielleicht vor der einfachheit? der einfachheit des lebens? und des todes?
Mag sein.. Aber was bleibt? Ich glaube, solange man sich die Frage stellt, wird man die Antwort nie finden. Sofern man sie überhaupt je findet.
Was bleibt, wenn man auf sich selbst zurückgeworfen ist: -- ein einfaches Glück? Stille? Echter Seelenfrieden? Oder schwappen da zu allererst vielleicht all' die scheußlichen Gefühle hoch, die wir im Alltag emsig verdrängen? Ohnmacht. Einsamkeit. Oder eine Traurigkeit, ein alter Schmerz, Zorn... Gefühle, die man sich sonst vielleicht nicht eingesteht, weil der Tag, das Hier und Jetzt, anderes verlangt. Die Ahnung, dass man inmitten vieler Menschen mitunter verflixt alleine sein kann. Auch das.
Aber ist das denn schlimm? Wirklich schlimm? Erschreckend? Was kann so erschreckend daran sein, einfach herauszufinden: dass man nur Mensch ist?
Es gehört doch alles zusammen, auch das scheinbar Widersprüchliche, und nicht nur im Großen, auch im Kleinen. In jedem Einzelnen. Letztlich haben wir trotz allen Ringens und unterschiedlich ausgeprägten Bemühens um Individualität, trotz aller mehr oder minder kultivierten Eigenheiten, mit denen wir uns von anderen abgrenzen und unterscheiden wollen, doch die gleichen menschlichen Ängste, Hoffnungen, Träume und Sehnsüchte. Das bleibt, könnte bleiben: Die simple Erkenntnis, das alles vermeintlich Komplizierte im Grunde ganz einfach ist.
Nur die Liebe und der Tod ändern die Dinge, heißt es. Ich glaube, das stimmt. So besehen, ist's mit der Freiheit tatsächlich nicht so weit her, sie ist allenfalls relativ. Oder aber: sie findet dazwischen statt, zwischen diesen beiden großen Themen. Keine Ahnung.
Ich persönlich finde es, ehrlich gesagt, schon ziemlich befreiend zu wissen, dass die Welt sich im Zweifelsfall auch ohne mich dreht, wie sie's schon immer getan hat. (Zumindest im Großen und Ganzen, wenn man alle Details des eigenen Lebens mal großzügig beiseite lässt...) Auch eine Art Freiheit - oder nicht? Und zu allem Überfluss geht mir noch eine Zeile aus einem alten französischen Lied durch den Kopf: Die Liebe ist ein Kind der Freiheit. Noch so ein wahrer Satz. Einer, der entschieden dagegen spricht, sich für die Gefangenschaft zu entscheiden. Und bevor mir jetzt selbst ganz schwummerig wird vor den vielen großen Wörtern, die hier herumschwirren und sich verselbständigen, nehme ich mir die Freiheit, erstmal einen Punkt zu setzen, um weiter nachzudenken. Punkt.
anouk