Am 9. September 1922 geschah das, was Griechen die „kleinasiatische Katastrophe“ (
griechisch Μικρασιατική καταστροφή) nennen. Mustafa Kemal Atatürk, in
Thessaloniki geboren,
eroberte İzmir mit seinen Truppen. In den ersten Tagen nach der Eroberung wurden 40.000 Einwohner umgebracht und die armenischen und griechischen Viertel der Stadt wurden in einem großen mehrtägigen Feuer (
Brand von Izmir) zerstört.
[13] Nun wurde die griechische Bevölkerung und auch der Teil der armenischen Bevölkerung, der dem
Völkermord während des Ersten Weltkrieges in Kleinasien – durch die Intervention des deutschen Generals
Liman von Sanders – entkommen war, vertrieben. Kurz zuvor war noch ein Teil der griechischen Bevölkerung von englischen Schiffen aus der Stadt evakuiert worden; Schriftsteller wie der
Literaturnobelpreisträger Giorgos Seferis und
Jeffrey Eugenides machten diese Ereignisse zum Gegenstand ihrer Dichtung.
Die griechischen Truppen zerstörten auf ihrem Rückzug zahlreiche türkische Städte und Dörfer. In
Alaşehir, dem antiken Philadelphia, wurden 4300 von 4500 Häusern zerstört, 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. In
Manisa, dem antiken Magnesia, blieben nur 1400 von 14000 Häusern unversehrt
[14].
Die Folgen des verlorenen Krieges waren schwerwiegend, es kam zu Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen großen Ausmaßes auf beiden Seiten.....
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Aus Griechenland mussten tausende von Türken fliehen, wobei auch dort zehntausende auf der Flucht starben. Angemerkt werden muss hierbei, dass die Unterscheidung zwischen „Türken“ und „Griechen“ zu der damaligen Zeit fast ausschließlich über die Religionszugehörigkeit erfolgte.
1923 wurde im
Vertrag von Lausanne im Einvernehmen beider Regierungen ein
Austausch der Bevölkerungen beschlossen. Die Zwangsumsiedlung betraf ca. 1,25 Millionen Griechen und 500.000 Türken.
[15] Als ausschlaggebendes Kriterium der Volkszugehörigkeit wurde die Religion festgelegt (orthodox = griechisch, muslimisch = türkisch), die nicht immer der ethnischen Zugehörigkeit entsprach. Durch den Zuzug der Griechen aus dem anatolischen Festland und dem Pontos hatte Griechenland
eine Flüchtlingsquote von ca. 25 % zu bewältigen, d. h. jeder vierte Grieche war Flüchtling.
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...Viele der von der Umsiedlung ausgenommenen Griechen folgten jedoch später ihren vertriebenen Landsleuten, besonders nach den
Pogromen an Griechen in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 und aufgrund der staatlichen Diskriminierungspolitik, Enteignungen und dem gegen den Vertrag von Lausanne verstoßenden Entzug des Aufenthaltsrechts
[16], so dass die griechische Gemeinde in Istanbul heute auf geschätzte 2.500 Mitglieder geschrumpft ist. Die Einwohnerzahl der türkischen Gemeinde im griechischen Thrakien ist trotz der staatlichen Diskriminierungspolitik, Enteignungen und dem gegen den Vertrag von Lausanne verstoßenden Entzug des Aufenthaltsrechts
[16] und Massenausschreitungen gegenüber dieser Minderheit
[17] je nach Schätzwert ebenfalls geschrumpft bzw. doch leicht angestiegen. Ihre Zahl wird je nach Quelle heute auf 80.000 bis 120.000 geschätzt...
Die damaligen Ereignisse bedeuten für viele Türken und Griechen bis heute ein
Trauma und sind eine Hauptursache für die teils bis heute schwelenden
Ressentiments zwischen beiden Völkern, etwa auf
Zypern. Auf die blutigen Übergriffe auf die türkischen Zyprer folgte das ebenfalls blutige
Pogrom am 6./7. September 1955 gegen die Griechen von Istanbul und in Folge eine Diskriminierungspolitik gegen die dortigen Griechen, auf die wiederum auch der griechische Staat ab 1955 seine Diskriminierungspolitik gegen die Türken im griechischen Thrakien einleitete.
[16]
Ein lebendiges Denkmal für die Vertreibungen von einst sind die Fußballvereine
AEK Athen und
PAOK Saloniki. Bei PAOK steht das
K im Vereinsnamen für „Konstantinoupoliton“, also für „der Konstantinopoliten (
Genitiv)“ und bei AEK für „Konstantinoupoleos“, also „der (Stadt) Konstantinopel“. Weitere Vereine aus dem griechischen Kleinasien sind der 1890 in Smyrna gegründete Verein „GS Apollon Smyrni“ sowie der ebenfalls ursprünglich aus Smyrna stammende Verein
Panionios.